Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 6.8.1965 geborene Kläger bezog seit dem Tod seines Vaters am 14.1.1972 bis zum 31.8.1983 und vom 1.6.1984 bis zum 31.7.1987 eine Waisenpension von der beklagten Partei. Mit Bescheid vom 13.1.1988 wurde ihm diese gemäß § 99 Abs 1 ASVG mit 1.8.1987 entzogen. Der Kläger ließ diesen Bescheid unbekämpft, beantragte aber mit Schreiben vom 23.9.1988 (bei der beklagten Partei eingelangt am 3.10.1988) sinngemäß die (Weiter-)Gewährung der Waisenpension unter Hinweis auf den Besuch der Maturaschule Dr. R*** seit 14.9.1988. Die beklagte Partei wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8.2.1989 ab, weil die Kindeseigenschaft iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht mehr gegeben sei. Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig (§ 84 ASGG) Klage. Er besuche seit Beginn des Schuljahres 1988/89 die Maturaschule Dr. R*** mit gutem Erfolg und sei sicher, die Reifeprüfung zum Termin Herbst 1990 zu absolvieren. Der tägliche Lernaufwand zusätzlich zu den 20 Wochenstunden des Schulkurses betrage etwa vier bis fünf Stunden, so daß die Schulausbildung seine Arbeitskraft überwiegend beanspruche. Er sei nicht in der Lage, einer Nebenbeschäftigung nachzugehen, die sich mit dem Besuch der Maturaschule vereinbaren ließe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Auf Grund der langen Dauer des Schulbesuches des Klägers zunächst am Gymnasium sowie anschließend im Rahmen einer Maturaschule könne nicht mehr davon gesprochen werden, daß sich der Kläger noch in einer Schulausbildung befinde.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.9.1988 zu gewähren. Das Mehrbegehren für den Zeitraum 1.8.1987 bis 31.8.1988 wurde (rechtskräftig) abgewiesen. Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der Kläger besuchte bis zum Ende des Schuljahres 1981/82 ein Natur- und Wirtschaftskundliches Realgymnasium und schloß die
5. Klasse ab. Von Juli 1982 bis September 1983 besuchte er keine Schule. Vom 3.10.1983 bis Ende August 1987 belegte er den AHS-Tageskurs an der Maturaschule H***. Von da an bis Ende August 1988 besuchte er wiederum keine Schule. Seit August 1988 (richtig: seit 14.9.1988 - siehe S 5 des Ersturteils) besucht der Kläger die Maturaschule Dr. R***. Am 16.1.1989 wurde er durch die Externistenprüfungskommission im Amtsbereich des Stadtschulrates von Wien zur Externistenreifeprüfung nach dem Lehrplan eines Oberstufenrealgymnasiums zugelassen. Er bereitet sich nunmehr im Nachmittagsunterricht (20 Stunden wöchentlich) auf die Ablegung dieser Prüfung vor. Er hat bis jetzt Vorprüfungen aus Geographie, Geschichte, Musik, bildnerischer Erziehung, Philosophie und Biologie schriftlich abgelegt. An Vorprüfungen für die Nebengegenstände fehlen ihm noch die mündliche Prüfung aus Biologie und die Prüfungen aus Chemie und Physik, danach hat der Kläger die Reifeprüfung abzulegen. Der von ihm besuchte Lehrgang der Maturaschule wird am 31.10.1990 abgeschlossen sein, der vorgesehene Maturatermin liegt also um diesen Zeitpunkt. Der Lehrnaufwand des Klägers beträgt zusätzlich zu den 20 Wochenstunden des Schulkurses ca. 4 bis 5 Stunden täglich.
Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen der Kindeseigenschaft für die Zeit vom 1.8.1987 bis 31.8.1988 vom Kläger nicht erfüllt würden, ab 1.9.1988 jedoch sehr wohl vorlägen. Der Besuch der Maturaschule sei als Schulausbildung iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zu werten, weil eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam durch Lehrer nach einem festen Plan unterrichtet würden. Die Ausbildung an einer Maturaschule könne somit die Kindeseigenschaft begründen, wenn dadurch die Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht werde. Zwar könne die Externistenreifeprüfung gemäß § 42 Abs 1 SchUG auch ohne vorhergehenden Schulbesuch abgelegt werden, doch bereite sich der Kläger nicht im Selbststudium auf die Prüfung vor, sondern besuche einen von einer Maturaschule eingerichteten Lehrgang, in dem schulmäßig regelmäßiger Unterricht im Umfang von 20 Wochenstunden stattfinde. Unabhängig davon sei der Zeitraum, in dem sich der Kläger auf die Ablegung der Reifeprüfung vorbereite, ohnehin nicht als unangemessen lang zu betrachten; er betrage bis jetzt 6 Jahre, während der reguläre Zeitraum im Rahmen eines ordentlichen Schulbesuches 5 Jahre dauere. Der Kläger habe bereits 6 von 9 Vorprüfungen abgelegt, so daß von der Ernstlichkeit seines Schulbesuches ausgegangen werden müsse. Er erfülle daher ab 1.9.1988 wieder die Voraussetzungen für die Gewährung der Waisenpension. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Für eine Schulausbildung werde nach dem allgemeinen Sprachgebrauch eine Gemeinschaft von Lehrenden (Lehrern) und Lernenden (Schülern) vorausgesetzt. Auch ein Unterricht an einer Privatschule, sofern diese dem Privatschulgesetz vom 25.7.1962, BGBl. Nr. 242 idgF unterliege, sei Schulunterricht iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG. Mit dem Besuch der privaten Maturaschule werde aber auch die Arbeitskraft des Klägers überwiegend beansprucht, weil die zusätzlichen Arbeiten wie Studieren, Vorbereitungen, Gemeinschafts- und Einzelarbeiten außerhalb der Schule rund 20 weitere Wochenstunden erfordern würden, so daß der Kläger insgesamt rund 40 Stunden wöchentlich oder mehr für die Vorbereitung auf die Matura arbeite.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt. Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der 44. ASVG-Novelle (Art. VI Abs 13 SozRÄG 1988, BGBl. 1987/609; vgl. SSV-NF 3/7) besteht auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Kindeseigenschaft weiter, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ob das Kind vor der Schul- oder Berufsausbildung bereits in einer anderen Schul- oder Berufsausbildung oder im Erwerbsleben stand, ist unerheblich (SSV-NF 2/51). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann auch durch den Besuch einer Schule für Berufstätige, welche die Aufgabe hat, unter anderem Personen, die in das Berufsleben eingetreten sind, zum Ausbildungsziel einer allgemein bildenden höheren Schule zu führen (Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium für Berufstätige gemäß § 37 Abs 3 SchOG) die Kindeseigenschaft über die Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus bestehen, sofern hiedurch die Arbeitskraft des Kindes überwiegend beansprucht wird; dies ist bei 20 Schulstunden in der Woche und einer darüber hinaus benötigten Zeit für die Aufarbeitung des Lehrstoffes und die Vorbereitung der Fall (SSV-NF 3/26).
Den Vorinstanzen ist beizupflichten, daß der Besuch eines Lehrganges an der mit Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 19.9.1933, R/21-III a-1933 schulbehördlich genehmigten Maturaschule Dr. R*** zur Vorbereitung auf die Ablegung der Externistenreifeprüfung als die Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Schulausbildung iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG angesehen werden muß, wenn - wie im gegenständlichen Fall - 20 Schulstunden in der Woche zu besuchen sind und daneben ein zusätzlicher häuslicher Lernaufwand gegeben ist, der von den Vorinstanzen mit 4 bis 5 Stunden täglich festgestellt wurde, aber auch dann maßgeblich bliebe, wenn man eine geringere Zeit für die Vorbereitung und die Aufarbeitung des Lehrstoffes als angemessen halten würde (vgl. SSV-NF 3/26). Der Einwand der beklagten Partei in ihrer Berufung (die Revision führt diesbezüglich nichts mehr aus), von einem ordnungsgemäßen Schulbesuch könne deshalb nicht gesprochen werden, weil der Unterricht an einer Maturaschule nur als privater Nachhilfeunterricht in der Gruppe zu werten sei, schlägt nicht durch. Schulen im Sinne des Privatschulgesetzes sind nach dessen § 2 Abs 1 Einrichtungen, in denen eine Mehrzahl von Schülern gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird, wenn im Zusammenhang mit der Vermittlung von allgemein bildenden oder berufsbildenden Kenntnissen und Fertigkeiten ein erzieherisches Ziel angestrebt wird. In Konsequenz der im Art. 17 Abs 2 StGG vorgesehenen Unterrichtsfreiheit, welche die Normierung einer Bewilligungspflicht für Privatschulen ausschließt, sieht § 7 PrivSchG vor, daß die Errichtung einer Privatschule der zuständigen Schulbehörde mindestens drei Monate vor der beabsichtigten Eröffnung der Schule unter Nachweis der Erfüllung der vorgesehenen Voraussetzungen anzuzeigen ist; liegen die Voraussetzungen nicht vor, hat die Schulbehörde die Errichtung binnen zweier Monate zu untersagen (vgl. dazu Walter-Mayer, Besonderes Verwaltungsrecht2, 146). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Privatschulgesetzes (1.11.1962) bestehende Privatschulen, deren Errichtung vor diesem Zeitpunkt von der zuständigen Schulbehörde zur Kenntnis genommen oder genehmigt worden ist, gelten gemäß § 25 PrivSchG als im Sinne dieses Bundesgesetzes errichtet. Dies trifft offensichtlich auf die vom Kläger besuchte Maturaschule Dr. R*** zu, woraus folgt, daß sich der Kläger seit September 1988 in einer seine Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schulausbildung iS des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG befindet, die nicht auf eine Ausbildung an öffentlichen Schulen oder Privatschulen, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen wurde, beschränkt ist (SSV-NF 2/51). Daß die Ablegung einer Externistenprüfung einen vorhergegangenen Schulbesuch nicht erfordert (§ 42 Abs 1 SchUG), steht der Annahme nicht entgegen, daß sich der Kläger tatsächlich in einer Schulausbildung befindet. Auch in der bisher veröffentlichten Rechtsprechung der Instanzengerichte wurde der Besuch einer Maturaschule grundsätzlich als Schulausbildung anerkannt (OLG Wien, SVSlg. 32.999; Schiedsgericht der Sozialversicherung Wien, SVSlg. 31.420; Landesgericht Klagenfurt, SVSlg. 33.007).
Geht man aber davon aus, daß sich der Kläger in einer seine Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Schulausbildung befindet, braucht auf die Revisionsausführungen, wonach der - zur Schulausbildung zählende - Zeitraum für die Vorbereitung und die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen mit Rücksicht auf das Alter und den bisherigen Bildungsgang des Klägers unangemessen lang sei und der Bestimmung des § 32 Abs 6 SchUG zuwiderlaufe, nicht mehr Stellung genommen zu werden. Die Entscheidung SSV-NF 1/57 steht mit der hier vertretenen Auffassung nicht in Widerspruch, weil es dort um eine Klägerin ging, die den Schulbesuch abgebrochen hatte und sich im Selbststudium auf die Abschlußprüfung vorbereitete. Die nicht unumstrittene Frage, ob Schulausbildung iS des § 252 ASVG immer streng im Sinne des österreichischen Schulrechts oder aber auch nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zu verstehen ist, braucht hier ebensowenig beantwortet zu werden wie die weitere Frage, ob die Wortfolge "Schul- oder Berufsausbildung" ein in sich geschlossenes Begriffsgebilde darstellt (vgl. dazu Binder in ZAS 1979, 232 ff und ZAS 1981, 70 ff), weil im vorliegenden Fall alle vertretenen Auffassungen letztlich zu demselben Ergebnis führen würden. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
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