OGH 10ObS64/16h

OGH10ObS64/16h28.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Felfernig & Graschitz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15‑19, wegen Wochengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2016, GZ 9 Rs 8/16m‑14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 23. September 2015, GZ 8 Cgs 85/15w‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00064.16H.0628.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei anlässlich des am 3. Jänner 2015 eingetretenen Versicherungsfalles der Mutterschaft ein weiteres Wochengeld in Höhe von 39,36 EUR täglich binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 281,46 EUR (darin enthalten 45,96 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 544,13 EUR (darin enthalten 90,69 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Das erste Kind der Klägerin wurde am 29. 11. 2013 geboren. Sie bezog aus Anlass dieser Geburt vom 24. 11. 2013 bis 24. 1. 2014 Wochengeld, anschließend vom 25. 1. 2014 bis 28. 11. 2014 ein einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld von täglich 52,41 EUR.

Der voraussichtliche Geburtstermin für das zweite Kind der Klägerin war der 28. 2. 2015. Die Geburt erfolgte am 1. 3. 2015. Die Klägerin befand sich vom 3. 1. 2015 bis 25. 4. 2015 erneut in Mutterschutz. Sie bezog anlässlich des am 3. 1. 2015 eingetretenen neuerlichen Versicherungsfalls der Mutterschaft Wochengeld gemäß § 162 Abs 3a Z 2 ASVG in der Höhe von täglich 26,15 EUR (pauschales Kinderbetreuungsgeld von 14,53 EUR + 80 %).

Mit Bescheid vom 29. 4. 2015 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines höheren Wochengeldes als 26,15 EUR täglich aus Anlass des am 3. 1. 2015 eingetretenen Versicherungsfalls der Mutterschaft ab.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Zahlung eines höheren Wochengeldes als 26,15 EUR täglich. Sie brachte zusammengefasst vor, die Bemessung der Höhe des Wochengeldes sei aufgrund einer Fehlinterpretation des Gesetzes erfolgt.

Die Beklagte wendete dagegen ein, dass der Klägerin ein Anspruch auf Wochengeld gemäß § 162 Abs 3 ASVG zustehe, weil eine aufrechte Krankenversicherung bei Beginn der 32. Woche vor Eintritt des Versicherungsfalls bestanden habe. Die Höhe des Wochengeldes bestimme sich gemäß § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG iVm § 162 Abs 3a Z 2 ASVG und sei der Klägerin mit dem angefochtenen Bescheid zuerkannt worden. Für die von der Klägerin offenbar gewünschte Auslegung des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG dahingehend, dass eine 25%ige Erhöhung eines vorherigen Kinderbetreuungsgeld‑Bezugs als Ersatz des Erwerbseinkommens stattzufinden habe, bestehe keine gesetzliche Grundlage. Die Zuerkennung eines Wochengeldes in dieser Höhe sei lediglich dann vorgesehen, wenn der Versicherungsfall der Mutterschaft während des Bezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes eintrete. Ein solcher Fall liege hier nicht vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat zusammengefasst die Rechtsansicht, dass § 162 Abs 3 vierter Satz ASVG ausdrücklich (nur) auf Abs 3a Z 2 verweise, nach dem ein pauschales Kinderbetreuungsgeld zustehe, nicht jedoch auf Abs 3a Z 3, der für Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens ein um 25 % erhöhtes Kinderbetreuungsgeld vorsehe. Diese gesetzliche Regelung sei eindeutig, klar und unmissverständlich formuliert. Sie könne nur dann entgegen dem eindeutigen Wortsinn ausgelegt werden, wenn ein offenkundiges Redaktionsversehen vorliege, welches darauf schließen ließe, dass der Wortlaut nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Davon sei nicht mit eindeutiger Sicherheit auszugehen. Möglicherweise habe der Gesetzgeber im vorliegenden Fall bewusst den Verweis auf Abs 3a Z 3 nicht in § 162 Abs 3 vierter Satz ASVG aufgenommen. Auch den Gesetzesmaterialien könnten diesbezügliche Anhaltspunkte nicht entnommen werden. Durchaus möglich sei, dass der Gesetzgeber tatsächlich nur jene Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld in den Genuss des um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens kommen lassen habe wollen, die bei Eintritt des neuen Versicherungsfalls noch immer einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld beziehen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte im Wege der Interpretation rechtspolitische Aspekte zu berücksichtigen, die den Gesetzgeber bisher nicht veranlasst haben, eine Gesetzesänderung vorzunehmen.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, ein eindeutiger Wille des Gesetzgebers, dass in § 162 Abs 3 vierter Satz ASVG auch auf Abs 3a Z 3 verwiesen werden sollte, sei nicht nachweisbar. Ziel der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes sei die Erhöhung der Wahlfreiheit für erwerbsorientierte Eltern zum Zweck einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der kurzen Zeit (maximal 14 Monate) des Berufsausstiegs gewesen. Durch die angefügte Z 3 in § 162 ASVG sollte für Frauen, die das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Anspruch nehmen, gewährleistet werden, dass sie im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft während des Bezugs des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes auch Anspruch auf Wochengeld haben. Dieses sollte dem Durchschnittsverdienst, der der Berechnung der Höhe des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes zugrunde gelegt wurde, entsprechen, daher einer Erhöhung um 25 %. Der Gesetzgeber habe im Zusammenhang mit dem Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht an jene Eltern gedacht, die nach dem 1. Lebensjahr und damit nach dem Ende des Bezugs von einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld noch Karenz beanspruchen. Grundsätzlich hätte die Klägerin für ihr zweites Kind wiederum Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld (§ 24 Abs 2 KBGG). Dessen Höhe betrage zwar grundsätzlich für Wochengeldbezieherinnen 80 % des Wochengeldes (§ 24a Abs 1 Z 1 KBGG), sodass die Klägerin durch ein niedriges, auf Basis des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes ermitteltes Wochengeld benachteiligt wäre. Allerdings gelange man über die Vergleichsrechnung nach § 24a Abs 1 Z 5 KGBB wiederum zu jenen Einkünften, die im letzten Kalenderjahr vor der Geburt erzielt worden seien, in dem kein Kinderbetreuungsgeldbezug vorgelegen sei. Das Heranziehen dieses Kalenderjahres solle nach dem Willen des Gesetzgebers auch bewirken, dass Eltern, die sich – wie die Klägerin – für mehrere Kinder in knappen Abständen entscheiden, kein Nachteil erwachse. Diese Ausführungen in den Materialien hätte es nicht bedurft, wenn ohnehin Wochengeld nach § 162 Abs 3a Z 3 ASVG zu gewähren wäre.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berechnung von Wochengeld im Falle des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft nach dem Endes des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Stattgebung ihrer Klage anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht der Vorinstanzen von der mittlerweile vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht.

In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 22. 2. 2016, 10 ObS 99/15d (RIS‑Justiz RS0130645), wurde bereits zu einem vergleichbaren Fall einer Mutter Stellung genommen, bei der der Versicherungsfall der (weiteren) Mutterschaft erst nach dem Ende der Pflichtversicherung eintrat. In dieser Entscheidung ist der Oberste Gerichtshof nach ausführlicher Darstellung der Gesetzesentwicklung zur Auffassung gelangt, dass in der Regelung des § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die dadurch zu schließen ist, dass in § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG auch ein Verweis auf den die Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens betreffenden § 162 Abs 3a Z 3 ASVG hineinzulesen ist (RIS‑Justiz RS0130645).

Diese Ausführungen sind auch im vorliegenden Fall anzuwenden. Mit dieser Auslegung wird dem Grundsatz Rechnung getragen, dass das Wochengeld den durch die Mutterschaft erlittenen Entgeltverlust nach den in der Vergangenheit bezogenen durchschnittlichen Einkünften ersetzen soll.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher dahin abzuändern, dass der Klägerin Wochengeld in Höhe des um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens (§ 162 Abs 3a Z 3 ASVG) gebührt. Dieses errechnet sich ausgehend von dem mit 52,41 EUR täglich festgestellten Betrag mit dem Betrag von 65,51 EUR täglich (52,41 EUR + 25 %), sodass der Klägerin unter Einrechnung des bereits bezahlten Wochengeldes von 26,15 EUR täglich ein weiteres Wochengeld von 39,36 EUR täglich zuzuerkennen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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