OGH 10ObS51/03b

OGH10ObS51/03b18.2.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter KommRat Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj. Jasmin P*****, geboren am 15. September 1992, *****, vertreten durch die Mutter Renate P*****, Hausfrau, ebendort, diese vertreten durch Prof. Dr. Kurt Dellisch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Land Kärnten, vertreten durch das Amt der Kärntner Landesregierung, Arnulfplatz 2, 9021 Klagenfurt, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen, vom 23. Oktober 2002, GZ 8 Rs 155/02d-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. April 2002, GZ 34 Cgs 295/01f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bei der am 28. 5. 1990 geborenen Klägerin finden sich Symptome eines "Rett-Syndroms". Die Klägerin ist zwar motorisch aktiv und reagiert selbständig; es ist mit ihr aber keinerlei Kontakt möglich, der einem Informationsaustausch gleichzusetzen wäre.

Die Klägerin benötigt Hilfe beim An- und Auskleiden und bei der Reinigung bei Inkontinenz. Sie ist windelversorgt. Die tägliche Körperpflege muss erschwert durchgeführt werden. Sie kann auch keine Mahlzeiten zubereiten, weder Mahlzeiten noch Medikamente selbständig einnehmen; sie kann die Notdurft nicht selbständig verrichten und auch die Notwendigkeit dafür nicht melden. Weiters ist sie nicht in der Lage, Nahrungsmittel und Medikamente herbeizuschaffen, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände sowie die Pflege der Leib- und Bettwäsche durchzuführen, einen Wohnraum zu beheizen und eine Heizungssteuerung vorzunehmen. Sie kann nicht wie ein gleichaltriges Kind den Schulweg durchführen, irgend welche Bedürfnisse anmelden und einfache Anordnungen verstehen und ausführen. Sie muss sich daher in einem geschützten (bzw beobachteten) Umfeld befinden. Wenn die Klägerin allerdings entsprechend versorgt ist - das bedeutet windelversorgt und das Aufhalten in einem Umfeld, in dem keine unmittelbare Gefährdung durch Selbstverletzung, Strom oder andere gefährdende Gegenstände besteht - ist die dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson nicht erforderlich. Das Land Kärnten hat der Klägerin mit Bescheid vom 12. 5. 1999 ab 1. 4. 1999 Pflegegeld der Stufe 3 zuerkannt.

Mit Bescheid vom 24. 7. 2001 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 25. 6. 2001 auf Gewährung von Pflegegeld der Stufe 6 ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene, auf Zuspruch von Pflegegeld der Stufe 6 ab 1. 7. 2001 gerichtete Klage ab. Entsprechend der Einstufungsverordnung zum Kärntner Pflegegeldgesetz bestehe folgender Pflegebedarf der Klägerin:

An- und Auskleiden 20 Stunden/Monat

Reinigung bei Inkontinenz 20 Stunden/Monat

Tägliche Körperpflege 25 Stunden/Monat

Einnehmen von Mahlzeiten 30 Stunden/Monat

Einnehmen von Medikamenten 5 Stunden/Monat

Verrichtung der Notdurft 30 Stunden/Monat

Mobilitätshilfe im weiteren Sinn 10 Stunden/Monat

140 Stunden/Monat

Das Zubereiten von Mahlzeiten, das Herbeischaffen von Nahrungsmitteln und Medikamenten, die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, die Pflege der Leib- und Bettwäsche und die Beheizung des Wohnraumes könne auch ein gesundes neunjähriges Kind nicht selbständig durchführen, weshalb der Aufwand dafür nicht als Pflegebedarf angerechnet werden könne. Der Pflegebedarf von 140 Stunden monatlich rechtfertige eine Einstufung in die Pflegegeldstufe

3. Die Frage der dauernden Beaufsichtigung, der dauernden Bereitschaft bzw des Erfordernisses zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen sei nicht relevant, da eine Einstufung in die Pflegegeldstufe 5 oder 6 einen Pflegebedarf von durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich erfordere.

Das Berufungsgericht gab der auf Zuspruch von Pflegegeld der Stufe 6 gerichteten Berufung der Klägerin nicht Folge. Zutreffend habe das Erstgericht für diejenigen Verrichtungen, zu denen ein Kind im Alter von 9 Jahren in der Regel nicht selbst in der Lage sei (Zubereitung der Mahlzeiten, Beschaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten, Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, Pflege der Leib- und Bettwäsche, Beheizung des Wohnraums), keinen Pflegebedarf angerechnet. Der altersbedingte Pflegeaufwand werde von den Pflegegeldgesetzen generell ausgeschieden, sodass die Bestimmung des § 4 Abs 3 KrntPGG auch für Schwerstbehinderte nicht anders interpretiert werden könne. In der Regelung des § 4 Abs 2 KrntPGG, die als Grundvoraussetzung für die Pflegegeldstufen 5 bis 7 einen Pflegebedarf von mehr als 180 Stunden monatlich normiere, könne keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (wegen Missachtung des Sachlichkeitsgebotes) erblickt werden. Die höhere Intensität des Grundpflegebedarfs sei ein Tatbestandsunterschied, der eine abweichende Regelung zulässig mache. Es liege im rechtspolitischen Gestaltungsbereich des Gesetzgebers, dass Pflegegeldwerber, deren Grundpflegebedarf unter dem Wert von mehr als 180 Stunden monatlich liege, höhere Pflegegeldstufen nicht erreichen könnten, auch wenn sie die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung dieser Pflegegeldstufen erfüllten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).

Die Revisionswerberin meint, die Rechtsprechung müsse, auf welchem Weg immer, gerechte Lösungen für Ausnahmen von der Grundregel des § 4 Abs 3 KrntPGG finden. Gerade der vorliegende Fall zeige, dass der Gesetzgeber auf sachlich gerechtfertigte Differenzierungen nicht ausreichend Rücksicht genommen habe. Bei der Klägerin liege eben ein in der Einstufungsverordnung nicht konkret definierter, über den Pflegebedarf gleichaltriger nicht behinderter Kinder hinausgehender Pflegebedarf vor. Wenn einmal die übrigen Voraussetzungen für ein Pflegegeld der Stufe 5 oder 6 gegeben seien, sei es unrealistisch und damit sachwidrig, die diesbezügliche Gewährung von Pflegegeld zu verweigern, weil nicht auch die Pflegebedarfsstundengrenze nach der Einstufungsverordnung überschritten worden sei.

In Form von Fragen wird in der Revision weiters noch in Zweifel gezogen, ob ein neunjähriges Kind überhaupt einen Pflegebedarf von mehr 180 Stunden monatlich haben könne.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das

Pflegegeld den Zweck hat, in Form eines Beitrags pflegebedingte

Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten. Da Kinder Hilfe und

Betreuung im Sinne der Pflegegeldgesetze auch ohne Zusammenhang mit

einer Behinderung benötigen, ist bei der Beurteilung des

Pflegebedarfs bei Kindern nur jenes Maß an Betreuung und Hilfe zu

berücksichtigen, das über das altersmäßig erforderliche Ausmaß

hinausgeht (§ 4 Abs 3 KrntPGG; RIS-Justiz RS0106555 [T14]). Damit

wird naturgemäß - soweit nicht in dem besonderen Ausnahmefall bei

taubblinden Personen eine diagnosebezogene Einstufung nach § 4a Abs 6

KrntPGG zu einer höheren Einstufung führt - der Zugang von Kindern zu

den Pflegegeldstufen 5 - 7 eingeschränkt, weil sie den dafür

erforderlichen Pflegebedarf von 180 Stunden schwer erreichen. Dies

ist jedoch Folge des Umstands, dass das Pflegegeld nur einen

pauschalierten Beitrag zu pflegebedingten Mehraufwendungen leisten

soll. Das Ausmaß des Betreuungs- und Hilfsbedarfs bei einem völlig

gesunden Kleinkind entspräche letztlich den für die Stufen 5 und 6

aufgestellten Voraussetzungen (Pfeil, Neuregelung der Pflegevorsorge

in Österreich [1994] 172). Dieser Personenkreis sollte aber gerade

nicht von den Pflegegeldgesetzen erfasst werden, auch wenn

Kleinkinder für den Fall des Fehlens der dauernden Bereitschaft oder

Anwesenheit einer Pflegeperson der Verwahrlosung ausgesetzt wären.

Auch daraus ist abzuleiten, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Pflegegeldvoraussetzungen bei den Stufen 5 - 7 nicht zwischen Erwachsenen und Kindern differenzieren will, weil bei beiden Gruppen letztlich der pflegebedingte Mehraufwand gegenüber vergleichbaren gesunden Personengruppen maßgebend ist. Soweit auch ein gesundes Kind der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson bedarf wäre das entsprechende Erfordernis bei einem behinderten Kind nicht als plegegeldrelevanter Mehraufwand anzusehen.

In diesem Sinn vermag der Oberste Gerichtshof in der Regelung des

Kärntner Landespflegegeldgesetzes keine Sachwidrigkeit zu erkennen,

die eine Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung des Gleichheitssatzes

nach sich zöge , zumal nicht jede subjektiv als ungerecht empfundene

einfachgesetzliche Regelung den Gleichheitssatz verletzt. Wie bei

Erwachsenen (dazu RS0107439 [T1]; SSV-NF 10/135; SSV-NF 14/72 ua) ist

daher auch bei Kindern Grundvoraussetzung für den Zugang zu den

Pflegegeldstufen 5 - 7, dass zusätzlich zu dem bei den Stufen 5 - 7

angeführten qualifizierten Pflegeaufwand ein Pflegebedarf von mehr

als 180 Stunden monatlich gegeben ist (10 ObS 404/98d = ARD

5042/36/99; zuletzt 10 ObS 309/02t = RIS-Justiz RS0109571 [T8]).

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die von der Revisionswerberin angesprochenen "außergewöhnlichen rechtlichen Probleme" liegen im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut und die klare Rechtsprechung dazu nicht vor.

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