Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 12.3.1943 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war als Hausgehilfin, Ladnerin und Hilfsarbeiterin und zuletzt vom 16.4.1974 bis zum 28.2.1989 als Stationsgehilfin im Allgemeinen Öffentlichen Krankenhaus der Stadt H***** tätig. Sie ist zu leichten körperlichen Arbeiten dann in der Lage, wenn der rechte Arm nicht über Schulterhöhe Einsatz finden muß, der linke Arm nur für grob manuelle Arbeitsleistung Verwendung findet und Arbeiten, die das linke Ellbogengelenk belasten und die am linken Arm Hebe- und Trageleistungen voraussetzen, die das Gewicht von 5 kg überschreiten, vermieden werden. Überdies können mit der linken Hand nur Gegenstände erfaßt werden, die sich in einer Höhe von 40 cm über dem Boden oder darüber befinden. Die Klägerin kann nicht auf Leitern und Gerüsten oder an laufenden Maschinen arbeiten oder Band-, Akkord- oder Schichtarbeit verrichten. Tätigkeiten, bei denen ein ständiger besonderer Zeitdruck wirksam wird, müssen unterbleiben, während ein fallweiser erhöhter Zeitdruck bis zu einem Viertel der Arbeitszeit auf diese verteilt möglich ist. Die Klägerin ist umstellbar im Sinne der Unterweisbarkeit; ihre Anlernbarkeit und Umschulbarkeit ist mäßig erschwert. Für reine Aufsichtstätigkeiten ist sie geeignet. Die Fingerfertigkeit ist links schwer beeinträchtigt, auch die Fingerbeweglichkeit des 2. bis 5. Fingers links, weswegen nur langsame Manipulationen mit vier Fingern und dem Daumen in Opposition möglich sind, was zu einer Reduktion der durchschnittlichen Mengenleistung auf die Hälfte führt. Beidhändig zu verrichtende Arbeiten sind nur eingeschränkt durchführbar. Die linke Hand und der linke Arm können als Hilfshand bzw. Hilfsarm Verwendung finden. Die Anmarschwege sind nicht eingeschränkt. Das Tages- und Wochenpendeln sowie ein Übersiedeln sind möglich.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 30.10.1990 wurde der Antrag der Klägerin vom 28.5.1990 auf Weitergewährung der bis zum 30.6.1990 befristet zuerkannten Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung abgewiesen, daß Berufsunfähigkeit iS des § 273 Abs 1 ASVG nicht vorliege.
Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin über den 30.6.1990 hinaus eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen und eine vorläufige Leistung von S 9.928,-- (monatlich) zu erbringen. Das Erstgericht ging rechtlich davon aus, daß die Frage der geminderten Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht nach § 273 Abs 1, sondern nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen sei, weil sie keine Angestelltentätigkeit ausgeübt habe. Sie sei invalid im Sinne der zuletzt genannten Gesetzesstelle, weil sie nicht mehr imstande sei, durch eine der auf dem Arbeitsmarkt noch bewertete und ihr zuzumutende Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege. Aus berufskundlicher Sicht könne die Klägerin den Beruf einer Stationsgehilfin nicht mehr ausüben, weil es durch die dabei auftretenden körperlichen Belastungen und infolge der Voraussetzung ungestörter Verwendbarkeit der Arme und Hände zu einer Überschreitung des Leistungskalküls käme. Die Klägerin könne aber auch nicht auf andere Berufe bzw. auf andere Tätigkeiten verwiesen werden, insbesondere nicht auf die Tätigkeit einer Museumsaufseherin, einer Bürobotin oder einer Aktenträgerin, weil diese Tätigkeiten mit dem Leistungskalkül unvereinbar seien. Zwar könne die Klägerin den beruflichen Anforderungen einer Billeteurin noch genügen, deren Tätigkeit darin bestehe, in Kinos, Theatern, bei Sportveranstaltungen oder in Veranstaltungshallen Sitz- oder Stehplätze anzuweisen und Programme zu verkaufen, jedoch sei für solche Tätigkeiten kein ausreichender Arbeitsmarkt gegeben. Nur wenn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deutlich über hundert dem freien Wettbewerb zugängliche Stellen zur Verfügung stünden, auf die die Klägerin verwiesen werden könne, wäre noch ein ausreichender Arbeitsmarkt gegeben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung ab. Soweit das Erstgericht unter Abweichung vom berufskundlichen Gutachten davon ausgegangen sei, daß die Klägerin die Tätigkeiten eines Portiers, eines Museumsaufsehers, eines Büroboten oder Aktenträgers nicht ausüben könne, sei das diesen Feststellungen zugrundeliegende Verfahren mangelhaft geblieben. Dennoch sei das Verfahren bereits spruchreif im Sinne einer Klagsabweisung. Die Klägerin könne nämlich nach ihrem medizinischen Leistungskalkül den beruflichen Anforderungen einer Billeteurin noch entsprechen. Dies ergebe sich auch aus dem berufskundlichen und dem ergänzenden medizinischen Sachverständigengutachten. Zu Unrecht habe das Erstgericht aber das Vorliegen eines ausreichenden Arbeitsmarktes verneint. Im gegenständlichen Fall bestünden mehr als hundert Arbeitsplätze für Billeteure in Österreich. Es könne daher nicht gesagt werden, daß diese Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt derart wenig gefragt sei, daß auf sie mangels einer nennenswerten Anzahl von Arbeitsplätzen nicht verwiesen werden dürfe (SSV-NF 2/46). Daraus folge, daß die Klägerin auf den Beruf einer Billeteurin verweisbar sei und nicht als invalid iS des § 255 Abs 3 ASVG gelte.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Ob das Berufungsgericht zu Recht eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens annahm, kann dahingestellt bleiben, weil es daraus keine Konsequenzen gezogen hat. Es erachtete die Sache bereits auf Grund der unbekämpft gebliebenen Feststellungen für spruchreif. Ob die Klägerin auf die Tätigkeiten einer Museumsaufseherin, einer Bürobotin oder einer Aktenträgerin verwiesen werden könnte, wurde vom Berufungsgericht nicht untersucht. Es gelangte vielmehr zum Ergebnis, daß die Klägerin unter Berücksichtigung ihres Leistungskalküls und der vorhandenen Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf die Tätigkeit einer Billeteurin verweisbar sei.
Die Klägerin hält in ihrer Rechtsrüge eine solche Verweisung für nicht zulässig, weil zu einer derartigen Tätigkeit nicht nur das Entwerten der Eintrittskarten, die Platzanweisung und das Verkaufen von Programmheften zählen, ein Billeteur vielmehr auch für die Saalaufsicht und für die Sicherheit und Ordnung verantwortlich sei. Er sei weiters verpflichtet, älteren und gebrechlichen bzw behinderten Besuchern behilflich zu sein, im Gefahrenfall wie etwa bei Brand Erste-Hilfe-Maßnahmen einzuleiten und Feuerlöschgeräte zu bedienen. Im Hinblick auf die Einhaltung der Sicherheit und Ordnung sei ein Billeteur verpflichtet, "gefährliche Gegenstände" wie Flaschen und Getränkedosen nach der Vorstellung zu entfernen und eventuelle Ruhestörer des Saales zu verweisen. Nach der letzten Vorstellung müsse er Schaukästen mit neuen Bildern bestücken. Bei der Abwesenheit des Geschäftsführers müsse er das Kino versperren und sichern, wobei oftmals Rollbalken bzw. Rollgitter betätigt werden müßten. Es mag nun durchaus sein, daß Billeteure namentlich in kleineren Kinos zu derartigen Nebentätigkeiten herangezogen werden (vgl. Berufslexikon Band 2 Ausgewählte Berufe11 133 Stichwort "Eintrittskartenkassier, Billeteur/Eintrittskartenkassiererin, Billeteurin"). Diese von der Revision hervorgehobenen Nebentätigkeiten werden aber nur gelegentlich oder kurzfristig verlangt und sind mit dem festgestellten medizinischen Leistungskalkül durchaus in Einklang zu bringen. Die Anforderungen an Billeteure sind im übrigen allgemein bekannt, weil sich die Berufsausübung weitgehend unter den Augen der Öffentlichkeit abspielt, weshalb das Fehlen näherer Feststellungen über das Anforderungsprofil in diesem Beruf nicht schadet (vgl. SSV-NF 5/96 mwN).
Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, haben bei der Beurteilung der Verweisbarkeit solche Tätigkeiten außer Betracht zu bleiben, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr oder fast nicht mehr vorkommen. Steht am Arbeitsmarkt keine nennenswerte Zahl von Arbeitsplätzen in den Berufen zur Verfügung, die der Versicherte ausgehend von seinem Leistungskalkül noch ausüben kann, so darf er auf diese Tätigkeiten nicht verwiesen werden. Erreicht die Zahl der Arbeitsplätze in den Verweisungsberufen nicht zumindest hundert Arbeitsstellen in Österreich, kann nicht vom Bestehen eines Arbeitsmarktes ausgegangen werden. Die Zahl der Arbeitsplätze muß daher zumindest hundert erreichen SSV-NF 6/4 = DRdA 1992, 367 mwN). Die zuletzt genannte Entscheidung ist allerdings in mehrfacher Hinsicht auf Kritik gestoßen (Harrer, Entscheidungsbesprechung DRdA 1992, 368): Bereits von einem Arbeitsmarkt zu sprechen, wenn in ganz Österreich bloß hundert Arbeitsstellen vorhanden seien, sei zu restriktiv; dies würde bedeuten, daß pro Bundesland lediglich 10 bis 15 Arbeitsplätze existieren müßten. Auf ganz Österreich bezogen müßten die vorhandenen Arbeitsplätze die Zahl zweihundert deutlich übersteigen, damit überhaupt eine auf dem Arbeitsmarkt bewertete Tätigkeit feststellbar sei. Warum von einem Arbeitsmarkt erst bei einer Zahl von zweihundert Arbeitsplätzen, nicht aber bei einer solchen von hundert gesprochen werden könnte, ist jedoch nicht einsichtig; auch Harrer gibt hiefür keine nähere Begründung, hält jedoch als Anknüpfungspunkt für das Bestehen eines Arbeitsmarktes eher die Feststellung geeignet, ob für eine bestimmte Verweisungstätigkeit ein Kollektivvertrag oder eine sonstige Norm der kollektiven Rechtsgestaltung (Satzung, Mindestlohntarif) existiere oder nicht. Damit wäre seiner Ansicht nach sichergestellt, daß eine Tätigkeit eine entsprechende Bedeutung in der Arbeitswelt erlangt und entsprechende Anerkennung gefunden habe. Unabhängig von der "willkürlichen" Annahme einer numerischen Grenze würde dies ein sachliches Kriterium für die Feststellung eines entsprechenden Arbeitsmarktes darstellen.
Dieses Argument versagt im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Tätigkeit von Billeteuren in Österreich in mehreren Kollektivverträgen geregelt ist, wie etwa im Kollektivvertrag abgeschlossen zwischen der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, Sektion Fremdenverkehr, Fachgruppe der Vergnügungsbetriebe (Theaterunternehmer) und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe, Sektion Technisches Bühnenpersonal: In diesem Kollektivvertrag sind unter dem Oberbegriff "Publikumsdienst" auch Billeteure und Zuschauerraumpersonal erfaßt. Nach der Auffassung Harrers (aaO) müßte also ein ausreichender Arbeitsmarkt für die Tätigkeit der Billeteure bejaht werden, ohne daß geprüft würde, ob der Arbeitsmarkt nicht für Arbeitsplätze verschlossen wäre, bei denen es naheläge, daß sie trotz der Erfassung in kollektiv-rechtlichen Normen nur in ganz geringer Zahl vorkommen (vgl. Niesel im Kasseler Kommentar SozVersR § 1246 RVO 11, Rz 54). Zu den Revisionsausführungen über das Wesen eines Arbeitsmarktes im Sinne von Angebot und Nachfrage nach Arbeitsplätzen hat der Oberste Gerichtshof bereits an einem anderen Ort Stellung genommen (SSV-NF 6/56). In der Revision werden keine neuen Gesichtspunkte beleuchtet.
Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist es auch zulässig, sie auf Arbeitsplätze im gesamten Bundesgebiet zu verweisen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, daß bei Prüfung der Berufsunfähigkeit nicht vom individuellen Wohnsitz des Versicherten auszugehen ist, sondern daß vielmehr von ihm eine Wohnsitzverlegung oder auch ein Wochenpendeln gefordert werden können, es sei denn, daß ihm aus medizinischen Gründen derartiges nicht zumutbar wäre (SSV-NF 1/4, 1/20, 2/105, 3/142, 5/121 ua; ebenso Harrer aaO 369). Daß Arbeitsplätze nicht nur über die Arbeitsmarktverwaltung, sondern auch außerhalb derselben angeboten werden, wie etwa durch Annoncen in Tageszeitungen, rechtfertigt kein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung, wonach die Verweisbarkeit ausgehend von gesamtösterreichischen Arbeitsmarkt zu prüfen ist.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die unterlegene Klägerin nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.
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