OGH 10ObS40/94

OGH10ObS40/9422.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Monika Angelberger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Randus (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef M*****,***** vertreten durch Dr. Willibald Rath und Dr.Manfred Rath, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßaußer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23.September 1993, GZ 7 Rs 46/93-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2.März 1993, GZ 35 Cgs 117/92-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 31.3.1937 geborene und daher zum Stichtag 1.4.1992 bereits 55 Jahre alte Kläger hat seit April 1952 17 Monate der Pflichtversicherung und 194 einer Ersatzzeit nach dem ASVG sowie 212 Monate der Pflichtversicherung und 29 Monate einer Ersatzzeit nach dem BSVG erworben. Aus einer Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter bis 11.3.1976 bezog er in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag vom 15.3.1976 bis 29.5.1977 Krankengeld und ab 11.7.1977 Arbeitslosengeld; daneben war er vom 1.7. bis 31.10.1977 (vier Monate) als Betriebsführer nach dem BSVG pflichtversichert. Unter Berücksichtigung verschiedener, vom Erstgericht im einzelnen festgestellter gesundheitlicher Beeinträchtigungen sind dem Kläger noch leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen zumutbar. Arbeiten in und aus gebückter sowie vorgeneigter stehender und sitzender Zwangsarbeitshaltung sind auf die Hälfte eines Arbeitstages zu reduzieren. Das Heben und Tragen leichter Lasten ist in vollem Umfang möglich, mittelschwerer Lasten nur für die Hälfte eines Arbeitstages. Schwere Tätigkeiten und Überkopfarbeiten scheiden aus. Arbeiten unter Zeitdruck, die in ihrem Tempo Akkord- oder Fließbandarbeiten entsprechen, sind nicht möglich. Aus orthopädischer Sicht ist mit Krankenständen in der Summe von drei Wochen pro Jahr zu rechnen, aus neurologisch-psychiatrischer Sicht mit weiteren Krankenständen im Ausmaß von zwei Wochen pro Jahr, wobei keine Überschneidung mit anderen Krankenständen vorliegt. Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, die zuletzt bis 11.3.1976 ausgeübte Tätigkeit eines Bauhilfsarbeiters zu verrichten. Der Kläger kann jedoch noch die Tätigkeiten eines Verpackers, Versandarbeiters oder Warensortierers ausüben.

Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1992 gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger habe zwar am Stichtag das 55. Lebensjahr vollendet, könne jedoch den besonderen Berufsschutz nach § 255 Abs. 4 ASVG nicht in Anspruch nehmen, weil er während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag keine Tätigkeit im Sinne des ASVG ausgeübt habe. Es sei daher § 255 Abs. 3 ASVG anzuwenden. Der Kläger sei als ungelernter Arbeiter auf den gesamten Arbeitsmarkt unter anderem auf die Tätigkeiten eines Verpackers, Versandarbeiters oder Warensortierers verweisbar. Bei diesen Tätigkeiten werde das medizinische Leistungskalkül des Klägers trotz einer Leistungseinbuße gegenüber einem Gesunden von etwa 25 % nicht überschritten, sodaß Invalidität im Sinne des Gesetzes nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Invalidität des Klägers, der in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag keine angelernte oder erlernte Tätigkeit ausgeübt habe, sei nach § 255 Abs. 3 ASVG und nicht nach den günstigeren Bestimmungen des § 255 Abs. 4 ASVG oder des § 124 Abs. 2 BSVG zu beurteilen. Demnach sei er aber auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Nach der Rechtsprechung würde bei zu erwartenden Krankenständen von sieben Wochen jährlich ein Ausschluß vom Arbeitsmarkt bejaht; die zu erwartenden Krankenstände des Klägers würden jedoch nur fünf Wochen betragen. Er sei daher auch aus diesem Grund vom allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausgeschlossen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Zu Unrecht steht der Kläger auf dem Standpunkt, ihm komme der besondere Berufsschutz nach § 255 Abs. 4 ASVG in der Fassung vor der

51. ASVG-Nov zugute. Auch ein Krankenstand nach einer versicherungspflichtigen Tätigkeit müsse wohl als Tätigkeit im Sinne des ASVG angesehen werden. Der Kläger habe lediglich deshalb keine Arbeitstätigkeit ausgeübt, weil er im Krankenstand gewesen sei. Weiters wäre zu berücksichtigen, daß er in den letzten Jahren in der Landwirtschaft tätig gewesen sei.

Nach dem hier noch anzuwendenden § 255 Abs. 4 ASVG gilt der Versicherte auch als invalid, wenn er das 55.Lebensjahr vollendet hat, am Stichtag 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben hat, in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt. Der Kläger übersieht, daß er während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag überhaupt keine Beitragsmonate nach dem ASVG und lediglich vier Beitragsmonate nach dem BSVG erworben hat. Die Auffassung, auch ein Krankenstand sei eine Tätigkeit im Sinne des ASVG, ist verfehlt; nach dem Gesetzeswortlaut sind nur Beitragsmonate entscheidend. Zeiten, während derer der Versicherte eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung oder Krankengeld bezog, sind keine Beitragszeiten, sondern Ersatzzeiten nach § 227 Abs. 1 Z 5 und 6 ASVG.

Ist ein Versicherter wie der Kläger nach den Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251 a Abs. 2 bis 5 ASVG) der Pensionsversicherung nach dem ASVG zugehörig, so hat der leistungszuständige Versicherungsträger nach § 251 a Abs. 7 Z 1 ASVG die Bestimmungen des ASVG mit der Maßgabe anzuwenden, daß Beitragsmonate unter anderem nach dem BSVG als Beitragsmonate nach dem ASVG gelten. Diese Bestimmung beinhaltet das Kernstück der Wanderversicherungsregelung: Der zuständige Versicherungsträger hat alle Versicherungszeiten, gleichgültig in welcher Versicherung sie erworben worden sind, so zu behandeln, als ob sie bei ihm zurückgelegt worden wären. Bei der Feststellung der Leistungsansprüche hat er allerdings nur eigenes Recht anzuwenden (Teschner-Fürböck, ASVG 45.ErgLfg 1261 Anm 15 zu § 251 a). Daraus darf aber nicht geschlossen werden, daß die Invalidität des Klägers im Sinne des § 255 Abs. 4 ASVG nun daran zu messen wäre, ob er den während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag durch vier Beitragsmonate hindurch ausgeübten Beruf eines Landwirtes noch verrichten könne. Grundsätzlich kommen für einen Versicherten gemäß § 245 Abs. 1 ASVG die Leistungen des Zweiges der Pensionsversicherung in Betracht, dem er leistungszugehörig ist. Nur wenn im Hinblick auf die vom Versicherten tatsächlich ausgeübte Tätigkeit diese Bestimmungen unanwendbar sind, ist auf eine analoge Anwendung der Bestimmungen des Zweiges der Pensionsversicherung zurückzugreifen,

die der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit entspricht (SZ 62/3 = JBl

1989, 462 = SSV-NF 3/2 ua). In solchen Fällen handelte es sich

freilich immer um die analoge Anwendung von Bestimmungen des ASVG, also entweder des § 255 Abs. 3 in der Pensionsversicherung der Angestellten oder des § 273 Abs. 1 in der Pensionsversicherung der Arbeiter. § 255 Abs. 4 lit c ASVG ist aber dahin auszulegen, daß es sich um eine gleiche oder gleichartige unselbständige Tätigkeit gehandelt haben muß, die in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag ausgeübt wurde. Es kommt daher nicht darauf an, ob der Kläger noch imstande ist, den Beruf eines (selbständigen) Landwirtes auszuüben. Daher haben die Vorinstanzen den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit des Klägers zutreffend nach § 255 Abs. 3 ASVG beurteilt und ihn auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen.

Gegen diese Verweisung führt der Kläger lediglich ins Treffen, daß bei ihm Krankenstände zu erwaren wären, die im Jahr das Ausmaß von sieben bis acht Wochen jedenfalls überschreiten würden, weil ja auch die sonst üblichen Krankenstände zu berücksichtigen seien. Diese Auffassung entspricht aber nicht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Danach müssen nämlich leidensbedingte Krankenstände von wenigstens sieben Wochen jährlich vorliegen, um von einem Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt sprechen zu können, weil zusätzlich zu diesen leidensbedingten Krankenständen mit solchen zu rechnen ist, die durch andere Ursachen wie Erkältungen bedingt sind (SSV-NF 6/70). Entscheidend sind daher nur die leidensbedingten Krankenstände, nicht die durch andere Ursachen wie Erkältungen hervorgerufenen (SSV-NF 6/82). Daß aber die leidensbedingten Krankenstände ein Ausmaß von sieben Wochen oder darüber erreichen könnten, ist den Feststellungen der Tatsacheninstanzen nicht zu entnehmen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind auch nicht ersichtlich.

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