OGH 10ObS361/91

OGH10ObS361/9114.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Walter Bauer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I***** K*****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei

PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ANGESTELLTEN,

Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. September 1991, GZ 33 Rs 116/91-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. Juni 1991, GZ Cgs 296/90-17 abgeändert wurde, den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die am 28. April 1940 geborene Klägerin ist seit 1. April 1973 Sachbearbeiterin bei einer Sozialversicherungsanstalt, befindet sich jedoch seit 16. Februar 1990 im Krankenstand. Es handelt sich bei dieser Tätigkeit um körperliche leichte Arbeiten die überwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden, wobei kurzzeitiges Aufstehen möglich, oft auch arbeitsbedingt erforderlich ist. Meist wird die Arbeit an bildschirmunterstützten Arbeitsplätzen geleistet, wo aber keine Programmiertätigkeit auszuüben ist. Die notwendige Konzentrationsfähigkeit ist in der Regel durchschnittlich, zeitweise auch erhöht. Dauernder besonderer Zeitdruck im Sinne einer Band- oder Akkordarbeit ist nicht gegeben. Es handelt sich um geistig mittelschwere Arbeiten. Gewöhnlich wird für diese Tätigkeit eine Handelsschul- oder Handelsakademieausbildung oder eine kaufmännische Lehre verlangt. Es werden aber auch gelegentlich fremdberuflich ausgebildete Kräfte beschäftigt. Die spezielle Ausbildung erfolgt im Bereich der Sozialversicherung wobei entsprechende Sachprüfungen abzulegen sind. Die Klägerin war nach der DOA in C III eingeordnet. Infolge gesundheitsbedingter Einschränkungen der Leistungsfähigkeit ist die Klägerin nur mehr imstande, leichte und mittelschwere Arbeiten in der normalen Arbeitszeit unter Einhaltung der üblichen Pausen auszuüben. Arbeiten unter dauerndem besonderem Zeitdruck wie Band- oder Akkordarbeiten scheiden aus. Die Klägerin ist für einfach Arbeiten unterweisbar und kann eingeordnet werden. Die Fingerfertigkeit ist außer für Feinarbeiten gegeben. Arbeiten die mit einer erhöhten Konzentration und erhöhten Eigenverantwortlichkeit verbunden sind, sowie die Disposition mit erheblichen Geldbeträgen (etwa die Tätigkeit eines Prokuristen) scheiden aus. Das Erlernen schwieriger Tätigkeiten bezogen auf bisher nicht geleistete Tätigkeiten ist nicht möglich. Eine Arbeitskraft mit den Leistungseinschränkungen der Klägerin, ist auch weiterhin in der Lage, als Sachbearbeiterin in einer Sozialversicherungsanstalt zu arbeiten.

Mit Bescheid vom 2. November 1990 wies die beklagte Partei den von der Klägerin am 2. August 1990 gestellten Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Klage, in der die Klägerin begehrt, die beklagte Partei zur Leistung der Berufsunfähigkeitspension ab Antragstag zu verpflichten, ab. Es legte in seiner Entscheidung über den oben dargestellten Sachverhalt hinaus die Feststellungen zugrunde, daß bedingt durch die Leidenszustände der Klägerin von jährlichen Krankenständen in der Dauer von rund 8 Wochen auszugehen sei. Die Klägerin sei in der Lage, weiterhin als Sachbearbeiterin eines Sozialversicherungsträgers tätig zu sein. Sollte zufolge des eingeschränkten Konzentrationsvermögens eine Tätigkeit in der Verwendungsgruppe III der Gehaltsgruppe C nicht möglich sein, so sei auch eine Verweisung auf Tätigkeiten in der Verwendungsgruppe II derselben Gehaltsgruppe möglich, weil damit ein unzumutbarer sozialer Abstieg nicht verbunden sei. Da die bisherigen Tätigkeiten der Klägerin der Verwendungsgruppe III des Angestelltenkollektivvertrages entsprächen, sei auch eine Verweisung auf am allgemeinen Arbeitsmarkt in großer Zahl zur Verfügung stehende Tätigkeiten in der Verwendungsgruppe II dieses Kollektivvertrages möglich, die die Klägerin ausführen könne. Im Hinblick auf die bisherige Wertigkeit ihrer Tätigkeit in der Verwendungsgruppe III sei die Verweisbarkeit auf Tätigkeiten der Verwendungsgruppe II dieses Kollektivvertrages zulässig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Berufsunfähigkeitspension an die Klägerin ab 1. September 1990, wobei es der beklagten Partei die Leistung einer vorläufigen Zahlung von S 8.000,-- monatlich auftrug. Nach den Grundsätzen der Judikatur schlössen Krankenstände im Ausmaß von 8 Wochen jährlich, die aufgrund bestimmter Leiden voraussehbar seien, den Versicherten sowohl von selbständigen als auch von unselbständigen Erwerbstätigkeiten aus, weil eine solche Krankenstandsdauer schon fast das vierfache der durchschnittlichen Krankenstandstage erreiche. Ausgehend hievon sei bei der festgestellten Dauer der bei der Klägerin auf Grund ihrer Leiden zu erwartenden Krankenstände deren Berufsunfähigkeit gegeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Nicht beigetreten werden kann allerdings der Ansicht der Revisionswerberin, daß auch das vorauszusehende Auftreten von leidensbedingten Krankenständen in der Dauer von 8 Wochen keinen Ausschluß der Klägerin vom Arbeitsmarkt bewirken würde, weil diese im Hinblick auf den Inhalt ihres Dienstvertrages keine Kündigung zu befürchten habe. Wohl ist der Anspruch auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 ASVG auf der Grundlage der bisher zuletzt ausgeübten Angestelltentätigkeit zu prüfen (Teschner in Tomandl System 5. Erglfg 375; Schrammel, Der pensionsversicherungsrechtliche Schutz im Fall geminderter Leistungsfähigkeit in Tomandl (Herausgeber), Die Minderung der Leistungsfähigkeit im Recht der Sozialversicherung 73 f). Der Oberste Gerichtshof hat dazu ausgesprochen, daß ein Versicherter, der alle in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag ausgeübten Tätigkeiten ohne Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes weiter ausüben kann, weder nach § 255 ASVG invalid noch nach § 273 ASVG berufsunfähig sein kann (SSV-NF 1/68). Dies betrifft aber nur den Inhalt der geleisteten Tätigkeit, nicht jedoch die konkrete Ausformung des Dienstverhältnisses. Berufsunfähigkeit besteht dann nicht, wenn der Versicherte unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiter verrichten kann. Daß er unter den Bedingungen eines ihm besonders begünstigenden Arbeitsvertrages, in dessen Rahmen die letzte Tätigkeit verrichtet wurde, in der Lage wäre, weiterhin tätig zu sein ,unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes jedoch außerstande wäre, diese Tätigkeit zu verrichten, steht der Annahme der Berufsunfähigkeit nicht entgegen. Eine andere Betrachtungsweise würde zu einem auf einen bestimmten Arbeitsplatz bezogenen Berufsschutz führen; dies kann dem Gesetz nicht entnommen werden. Es ist vielmehr ausgehend von den Kenntnissen und Fähigkeiten, durch die die letzte Angestelltentätigkeit geprägt war, zu prüfen, ob der Versicherte in der Lage ist, diese Tätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes weiter auszuüben. Daher ist auch für die Lösung der Frage, ob ein Ausschluß vom allgemeinen Arbeitsmarkt besteht, an die Bedingung des allgemeinen Arbeitsmarktes anzuknüpfen; besondere, den Versicherten begünstigende oder benachteiligende Bestimmungen des der letzten Tätigkeit zugrundeliegenden Arbeitsvertrages haben jedoch außer Betracht zu bleiben.

Das Erstgericht hat die Feststellungen getroffen, daß bei der Klägerin Krankenstände von rund 8 Wochen jährlich zu erwarten seien. Diese Feststellung wurde von der beklagten Partei in der Berufungsbeantwortung bekämpft, wobei sie darauf hinwies, daß der Sachverständige für Chirurgie die von ihm abgegebene Prognose von 4 Wochen Krankenstand jährlich der neben den vom neurologischen Sachverständigen prognostizierten Krankenständen von 4 Wochen jährlich zu berücksichtigen ist, als Maximalwert bezeichnet habe; es könne nicht davon ausgegangen werden, daß Krankenstände in dieser Maximaldauer tatsächlich eintreten werden. Mit dieser Rüge hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt, wobei es, wie seine Ausführungen zeigen, offenbar bei der Entscheidung von einer 8wöchigen Krankenstandsdauer als Maximalwert ausgegangen ist. Soweit das Berufungsgericht dabei ausführt, selbst wenn es sich bei der festgestellten Dauer um einen Maximalwert handle, sei der Ausschluß vom Arbeitsmarkt anzunehmen, weil auch die Tatsache von nicht leidensbedingten (etwa auf Verkühlungen udgl zurückzuführenden) Krankenständen zu berücksichtigen sei, wurde die Judikatur des Revisionsgerichtes mißverstanden. Bei der Frage, ob durch eine bestimmte Dauer von zu erwartenden Krankenständen ein Ausschluß vom Arbeitsmarkt anzunehmen sei, wurde ausschließlich auf die leidensbedingt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Krankenstände abgestellt. In der Entscheidung SSV-NF 3/152 wurde das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Pensionsanspruch wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im Fall von zu erwartenden Krankenständen von 8 Wochen jährlich mit der Begründung bejaht, daß zu erwartende Krankenstände in dieser Dauer das bisher für unbeachtlich angesehene Ausmaß erheblich übersteigen. Die Dauer erreiche schon fast das vierfache der durchschnittlichen Krankenstandstage und übersteige das vierfache, wenn man berücksichtige, daß zu den auf die Leiden zurückzuführenden Krankenständen noch solche kommen können, die durch andere Ursachen wie Erkältungen bedingt sind. Unter diesen Umständen sei aber nach Ansicht des erkennenden Senates die Fähigkeit weder zu einer unselbständigen noch zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit gegeben. Auch bei Ablehnung der Annahme des Ausschlusses vom Arbeitsmarkt in Fällen in denen leidensbedingt Krankenstände von durchschnittlich 6 Wochen (SSV-NF 3/45), 30 bis 40 Krankenstandstagen (10 Ob S 153/89) oder 30 Krankenstandstage (10 Ob S 157/89) zu erwarten waren, erfolgte die Beurteilung immer nur ausgehend von der Dauer dieser leidensbedingt zu erwartenden Krankenstände. Die Tatsache, daß daneben noch, wie bei jedem Arbeitnehmer, durch andere Gründe bedingt Krankenstände auftreten können, und sich dadurch die krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz verlängert, ist bei diesem Ergebnis bereits berücksichtigt.

Für die Frage, ob ein Versicherter zufolge von leidensbedingt zu erwartenden Krankenständen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist, ist daher die Frage zu prüfen, in welcher Dauer der Krankenstände mit hoher Wahrscheinlichkeit in Zukunft zu erwarten sind. Die Feststellung eines Maximalwertes an zu erwartenden Krankenständen reicht hiezu nicht aus. In diesem Punkt erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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