Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 13.10.1938 geborene Kläger leidet vor allem an Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Im Verfahren zu 44 Cgs 139/89 des Erstgerichtes begehrte der Kläger mit der gegen einen abweisenden Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter gerichteten Klage die Gewährung einer Invaliditätspension gemäß § 255 Abs 3 ASVG. Eine Begutachtung in diesem Verfahren ergab, daß der Kläger noch in der Lage war, leichte tagfüllende Arbeiten unter Einhaltung normaler Arbeitspausen im Sitzen, Stehen und Gehen bzw im Wechsel dieser Körperhaltungen zu verrichten. Arbeiten, die durch anhaltendes Anheben von Lasten auch in bückender Stellung und mit vorgebeugter Rumpfhaltung zu verrichten waren, waren ausgeschlossen. Schutz vor Kälte und Nässe war angezeigt. Dieses Leistungskalkül war dem Kläger bekannt.
Nunmehr kann der Kläger unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses noch leichte, bis über die Hälfte mittelschwere Arbeiten in unregelmäßigem Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei jedoch nach 45 Minuten ein, wenn auch kurzfristiger Haltungswechsel möglich sein sollte, um Zwangshaltungen zu vermeiden. Danach kann wieder die vorherige Haltung eingenommen werden. Die Arbeiten sollten vorwiegend in geschlossenen Räumen durchgeführt werden. Der Kläger kann ganztägig ohne zusätzliche Unterbrechungen arbeiten. Häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15 kg, häufiges Bücken und Treppensteigen sowie Arbeiten in ständig gebückter, hockender und vorgebeugter Haltung, auf überhöhten Plätzen wie Leitern und Gerüsten, ständiges Arbeiten über Kopf, ständige Kälte, Nässe und Zugluftexposition sowie Arbeiten im Akkord und am Fließband sind zu vermeiden. Der Anmarschweg soll 1,5 km nicht wesentlich überschreiten. Der Kläger kann einen Fußmarsch zwischen 500 m und 1000 m in einem Zug bewältigen und kann auch ein öffentliches Verkehrsmittel benützen.
Nach Rücknahme der Klage im oben zitierten Vorverfahren hat der Kläger zunächst gefälligkeitshalber bzw aushilfsweise in dem von seinem Sohn seit Frühjahr 1989 geführten Trödlerladen mitgearbeitet. Vom 15.6.1990 bis 31.3.1992 war er im Rahmen eines Dienstverhältnisses in diesem Geschäft tätig. Seit Juni 1994 wird der Trödlerladen nicht mehr betrieben. Wenn sein Sohn sich auswärts aufhielt, war der Kläger im Geschäft und verrichtete dort alle anfallenden Tätigkeiten. Er führte Verkaufsgespräche, mußte aber auch beim Warentransport mithelfen. Verkauft wurden insbesondere Möbel, teilweise auch größere Kästen und Bilder. Der Kläger mußte auch beim Verladen schwerer Möbelstücke mithelfen, wenn keine andere Kraft zur Verfügung stand. Es ist oft vorgekommen, daß der Kläger mithelfen mußte, Möbel zu einem Auto zu tragen. Manchmal mußte er Möbelstücke auch zu den Kunden liefern. Etwa 1 bis 2 mal pro Woche mußte er schwere Kästen tragen, aber auch andere Möbelstücke wie etwa Schreibtische, wenn solche Gegenstände von einem Kunden geliefert oder abgeholt wurden. Weiters wurden in der Trödlerei Kristall-Luster verkauft, die zum Teil ein Gewicht von über 15 kg hatten, wobei es immer wieder vorkam, daß der Kläger solche Luster für Kunden auch aufhängen mußte. Trageleistungen von mehr als 15 kg kamen täglich vor. Gelegentlich mußte auch ein vollbeladener LKW entladen werden. Lieferungen an Kunden waren auch in Stockwohnungen durchzuführen. In der Trödlerei wurden auch Bilder verkauft, die auf einer 3 m hohen Wand aufgehängt waren. Die Bilder mußten auf Verlangen der Kunden abgenommen und danach wieder aufgehängt werden, wobei der Kläger über Kopf zu arbeiten hatte. Etwa 5 - 6 mal pro Jahr arbeitete der Kläger auch bei der Entrümpelung von Dachböden mit. Dabei mußten die verschiedensten Gegenstände, darunter schwere Lasten getragen werden. Bei den Entrümpelungsarbeiten kommt es fallweise zu einer unvermeidbaren exponierten Situation auf Leitern und Stiegen. Überkopfarbeiten fallen auch an, wenn etwas aus einer Stellage herausgenommen werden muß. Aufgrund des festgestellten Leistungskalküls ist der Kläger nicht in der Lage diese Tätigkeiten weiter zu verrichten.
In der Zeit vom Juli 1978 bis März 1980 war der Kläger selbständig erwerbstätig und unterlag der Pflichtversicherung nach dem GSVG. Von Juni 1980 bis November 1980 liegen 6 Monate, im August 1981 liegt 1 Monat und in der Zeit vom Oktober 1988 bis März 1989 liegen 6 Monate an Beitragszeiten der Pflichtversicherung vor. Abgesehen von den 22 Monaten Angestelltentätigkeit im Geschäft des Sohnes gab es in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1.11.1993) keine Beitragszeit.
Mit Bescheid vom 11.3.1994 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 18.10.1993 auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ab.
Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung der beantragten Leistung. Er sei in der maßgeblichen Zeit im Altwarenhandel tätig gewesen und könne nun diese Tätigkeit nicht mehr ausüben.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Der Kläger, der das 55. Lebensjahr am Stichtag bereits vollendete, habe im maßgeblichen Zeitraum überwiegend im Altwarenhandel gearbeitet. Da er nach dem festgestellten Leistungskalkül nicht mehr in der Lage sei, diese Tätigkeit weiter zu verrichten, komme dem erhobenen Begehren Berechtigung zu.
Das Berufungsgericht wies über Berufung der beklagten Partei das Klagebegehren ab. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 253 d ASVG seien nur dann erfüllt, wenn es nach Aufnahme der den Tätigkeitsschutz bestimmenden Arbeit zu einem Herabsinken der Arbeitsfähigkeit (arg "nicht mehr imstande..") gekommen sei (SSV-NF 5/100; 2/87). Dies sei aber hier nicht der Fall, weil der Kläger die Tätigkeit in der Trödlerei seines Sohnes von Beginn an nicht habe verrichten können. Er habe durch diese Tätigkeit daher auch den Tätigkeitsschutz nach § 253 d ASVG nicht erwerben können. Da er in der Lage sei, verschiedene auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Tätigkeiten zu verrichten, komme dem erhobenen Begehren keine Berechtigung zu.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt.
Unbestritten ist, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 253 d Abs 1 Z 1, 2 und 3 ASVG vorliegen. Strittig ist die Frage, ob der Kläger zufolge seines bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit, die dem Erwerb der überwiegenden Zahl der Beitragsmonate nach dem ASVG zugrundelag, bestehenden Gesundheitszustandes außerstande war, diese Tätigkeit (ohne Schaden für seine Gesundheit) zu verrichten bzw welche Auswirkungen dies auf den Anspruch auf die begehrte Leistung hätte.
Nach ständiger Judikatur (SSV-NF 4/160 mwN ua) hat der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit zur Voraussetzung, daß sich der körperliche oder geistige Zustand des Versicherten nach dem Beginn der Erwerbstätigkeit in einem für die Arbeitsfähigkeit wesentlichen Ausmaß verschlechtert hat; bereits bei Beginn der Erwerbtätigkeit bestehende Behinderungen, die in im wesentlichen unveränderter Form weiterbestehen, können den Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nicht begründen.
Der Entscheidung SSV-NF 6/73 lag ein Fall zugrunde, in dem der Kläger seine erlernte Tätigkeit nur mit besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers verrichten konnte; es wurden ihm mit Rücksicht auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand nur ganz leichte Arbeiten zugeteilt und es wurden ihm auch in erheblichem Maß zusätzliche Arbeitspausen eingeräumt. Der Oberste Gerichtshof gelangte zum Ergebnis, daß durch diese Tätigkeit der durch die erlernte Tätigkeit erworbene Berufsschutz nicht erhalten blieb; ebensowenig wie jemand auf eine Berufstätigkeit verwiesen werden dürfe, die er nur unter der Voraussetzung eines besonderen Entgegenkommens des Dienstgebers verrichten könne, könne eine solche nur bei besonderem Entgegenkommen des Dienstgebers mögliche Tätigkeit als eine Tätigkeit im erlernten Beruf im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG angesehen werden. Ein Versicherter, der nicht unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes beschäftigt war, kann daher durch diese Tätigkeit weder einen Berufsschutz erwerben, noch einen bereits bestandenen Berufsschutz erhalten. Der Oberste Gerichtshof hat mit dieser Entscheidung die in SSV-NF 1/33 für den Anspruch auf eine Pensionsleistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit allgemein aufgestellte Grundsätze auf den Berufsschutz übertragen. Auch für die Begründung bzw den Erhalt des Berufsschutzes ist es erforderlich, daß der Versicherte, ausgehend von seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, vorerst in der Lage gewesen sein muß, die in Frage stehenden Tätigkeiten zu verrichten und daß durch eine nachfolgende Entwicklung diese ursprüngliche Leistungsfähigkeit so weit verschlechtert wurde, daß nunmehr eine Tätigkeit auf dem durch den Berufsschutz begründeten Verweisungsfeld nicht mehr möglich ist (idS bereits SSV-NF 1/67 für den Berufsschutz eines Schlossers bei von Beginn an bestandener Einäugigkeit).
Gleiches muß auch für den Tätigkeitsschutz des § 253 d ASVG gelten. Schloß der bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme des in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübten Berufes bestandene Zustand den Kläger von den mit der Ausübung dieses Berufes verbundenen Tätigkeiten aus, so kann der Versicherungsfall der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht eintreten.
Der vom Kläger im Grundsätzlichen gar nicht bekämpften Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß der begehrte Anspruch nicht zu Recht besteht, wenn er zufolge seines bereits zu Beginn seiner Tätigkeit im Geschäft seines Sohnes vorhandenen Zustandes nicht in der Lage war, diese Tätigkeiten zu verrichten, ist daher beizutreten.
Der Kläger erachtet sich dadurch beschwert, daß das Berufungsgericht davon ausging, daß die Anforderungen der in Frage stehenden Tätigkeit von Beginn an das Leistungskalkül überschritten hätten; daraus, daß er die Arbeiten tatsächlich durch 2 Jahre ausgeübt habe, sei abzuleiten, daß sie ihm auch möglich gewesen seien.
Der Kläger bekämpft damit das vom Berufungsgericht gewonnene Ergebnis, daß sich sein Zustand seit Aufnahme der Tätigkeit im Geschäft des Sohnes nicht wesentlich verändert habe. Die getroffenen Feststellungen reichen zur Beurteilung dieser Frage tatsächlich nicht aus. Für die Frage, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Beginnes seiner Angestelltentätigkeit in der Lage war, diese Tätigkeit auszuüben, ist es erforderlich, sein Leistungskalkül für diesen Zeitpunkt festzustellen. Es kommt nicht darauf an, welche Ergebnisse eine zu diesem oder einem allenfalls davor liegenden Zeitpunkt durchgeführte Untersuchung brachte; es kommt insbesondere nicht auf die Feststellung des Inhaltes von seinerzeit erhobenen Gutachten an. In Fällen der Entziehungen von Leistungen hat der erkennende Senat bereits wiederholt dargelegt, daß es für den maßgeblichen Vergleich nicht entscheidend ist, welche Feststellungen im Zuerkennungsverfahren zugrundegelegt wurden; es sei vielmehr im Entziehungsverfahren der bei der Zuerkennung vorgelegene Zustand eigenständig neuerlich zu prüfen und festzustellen; dieser bilde die Grundlage für den gemäß § 99 Abs 1 ASVG anzustellenden Vergleich, ob im Zustand eine wesentliche Änderung eingetreten sei (SSV-NF 5/5 uva). Diese Grundsätze haben auch bei Prüfung der Frage zu gelten, ob seit dem Zeitpunkt der Aufnahme einer bestimmten Tätigkeit eine Änderung im Zustand des Versicherten eingetreten ist. Es ist daher nicht ausreichend, wenn festgestellt wurde, zu welchen Ergebnissen Untersuchungen zu einem früheren Zeitpunkt gelangten, sondern es ist zu erheben, welcher Zustand (welches Leistungskalkül) zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich vorlag. Diesbezüglich erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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