Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 7.9.1938 bisher gewährte Dauerrente von 75 vH der Vollrente ab 8.3.1994 zu erhöhen, abgewiesen wird.
Die klagende Partei hat ihre Vertretungskosten aller drei Instanzen selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 20.9.1922 geborene und daher damals knapp 16 Jahre alte Kläger erlitt am 7.9.1938 bei einem Arbeitsunfall eine Zertrümmerung des linken Unterschenkels mit Unterschenkelamputation, eine Fraktur des linken Unterarmes, eine Beckenquetschung und eine Rißquetschwunde am Kopf. Aufgrund eines Bescheides vom 13.12.1939 bezieht der Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 75 vH der Vollrente, wobei als Unfallsfolgen der Verlust des linken Unterschenkels und eine Fettsucht festgestellt wurden.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 15.6.1994 wurde der Antrag des Klägers vom 8.3.1994 auf Neufeststellung der Rente für diesen Arbeitsunfall abgewiesen, weil eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen nicht eingetreten sei.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Erhöhung der bisherigen Dauerrente von 75 vH der Vollrente und Zusatzrente auf eine solche von 100 vH (Vollrente), weil seither eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Der Kläger sei an Fettsucht erkrankt, die wiederum zu einer Zuckerkrankheit und zu einem Gallenleiden geführt habe; überdies habe er infolge der Fettsucht zwei Herzinfarkte erlitten.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger für die Folgen des genannten Arbeitsunfalles ab 8.3.1994 eine Dauerrente im Ausmaß von 90 vH der Vollrente zu gewähren; das darüber hinausgehende Mehrbegehren wies es ab. Es ging davon aus, daß derzeit beim Kläger ein Diabetes mellitus bestehe, der medikamentös eingestellt sei, ferner ein Zustand nach Gallenblasenentfernung ohne Folgen sowie eine coronare Herzkrankheit bei Zustand nach Myocardinfarkten. Gegenüber dem Gewährungsgutachten bestehe derzeit nur ein geringes Übergewicht sowie ein Zustand nach Myocardinfarkten. Unter Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers und des Krankheitsbildes bestehe internerseits eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 vH. Aus orthopädisch-chirurgischer Sicht sei es im Vergleich zum Gewährungsgutachten zu keiner Verschlechterung der objektiv messbaren Parameter gekommen, auch wenn im Verlauf des Alterungsprozesses eine Verschlechterung der subjektiven Befindlichkeit eingetreten sei. Die unfallkausale Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage chirurgisch weiterhin 40 vH. Insgesamt sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit ab dem Antragstag mit 90 vH einzuschätzen. Die Verschlimmerung ergebe sich nicht nur aus dem höheren Lebensalter, sondern auch aufgrund der konkreten Unfallsfolgen für die Person des Klägers in seinem Alter.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es stellte aufgrund des internen Sachverständigengutachtens fest, daß die Steigerung der MdE von 75 auf 90 vH lediglich auf das höhere Lebensalter des Klägers zurückzuführen sei und daß dies so verstanden werden müsse, daß eben ein 72-jähriger mit den konkreten Unfallsfolgen größere Einschränkungen habe als eine junge Person. Da sich damit der Zustand des Klägers festgestelltermaßen verschlechtert habe, gingen die Erwägungen der beklagten Partei in rechtlicher Hinsicht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Eine frühere unrichtige Einschätzung der MdE könne nicht unter Berufung auf § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden.
Die gegen dieses Urteil von der beklagten Partei erhobene Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgeführt hat, ist der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich abstrakt nach dem Umfang aller verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, also auch selbständiger Tätigkeiten zu beurteilen und in Beziehung zu allen Erwerbsmöglichkeiten - und nicht nur den tatsächlich genützten - zu setzen. Unter dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in diesem Sinn ist danach die Fähigkeit zu verstehen, sich im Erwerbsleben einen regelmäßigen Erwerb durch selbständige oder unselbständige Arbeit zu verschaffen (SSV-NF 9/93 mwN ua). Da bei dieser Beurteilung eine objektiv-abstrakte Betrachtung zugrundezulegen ist, kommt es im allgemeinen auch nicht auf das Lebensalter des Versehrten an. Bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, hat der Träger der Unfallversicherung nach § 183 Abs 1 ASVG auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt oder die Schwerversehrheit entsteht oder wegfällt. Eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit setzt voraus, daß die Fähigkeit des Versicherten, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten einen Erwerb zu verschaffen, aufgrund einer Verschlimmerung der Unfallsfolgen gesunken ist. Die Revisionswerberin weist zutreffend darauf hin, daß in der Unfallversicherung ein Alterslimit für Rentenfeststellung und Rentengewährung nicht vorgesehen ist, sodaß auch grundsätzlich bei Personen höheren Alters von diesen Grundsätzen auszugehen ist, andernfalls würde nämlich jede unfallsbedingte Einschränkung im höheren Lebensalter zu einer Rentenerhöhung führen, weil sich auch die Unfallfolgen stets altersbedingt verstärken. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß die von den Vorinstanzen angenommene Steigerung der MdE von 75 auf 90 vH lediglich auf das höhere Lebensalter des Klägers zurückzuführen ist, weil eben ein 72-jähriger mit den konkreten Unfallsfolgen größere Einschränkungen hat als eine junge Person. Dies ist im Fall des Klägers besonders augenfällig, war er doch im Unfallszeitpunkt nur knapp 16 Jahre alt, während seither nahezu 60 Jahre vergangen sind. Die im Laufe dieser vielen Jahre erfolgte Zunahme der Betroffenheit durch die Unfallsfolgen infolge gestiegenen Lebensalters stellt keine wesentliche Änderung der Verhältnisse dar, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren. Die Voraussetzungen nach § 183 Abs 1 ASVG liegen daher hier nicht vor, weshalb der Kläger keinen Anspruch auf Erhöhung der rechtskräftig festgestellten Versehrtenrente hat.
In Stattgebung der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
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