Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der am 24. 4. 1931 geborene und in Jugoslawien wohnhafte Kläger begehrt die Gewährung einer Alterspension. Er beziehe auf Grund seines Antrags vom 6. 6. 1994 seit 21. 6. 1994 eine Alterspension in Jugoslawien, wo er insgesamt 20 Versicherungsjahre erworben habe. Es stehe ihm daher auch in Österreich ab Vollendung des 65. Lebensjahres, somit ab 1. 5. 1996, eine Alterspension zu. Auf die eigentlich schon ab 1. 7. 1994 zu gewährende vorzeitige Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit werde im Hinblick auf die Beweislage verzichtet.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger habe am 9. 2. 1999 einen Antrag auf Zuerkennung einer Alterspension gestellt. Zum Stichtag 1. März 1999 habe jedoch der Kläger, der in Österreich lediglich 29 Beitragsmonate und 2 Ersatzmonate erworben habe, die Wartezeit nicht erfüllt.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger die Wartezeit nicht erfüllt habe. Die in der Republik Jugoslawien erworbenen Versicherungszeiten könnten für die Erfüllung der Wartezeit nicht herangezogen werden, da zum Stichtag kein ratifiziertes Sozialversicherungsabkommen zwischen Österreich und Jugoslawien bestanden habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der nach den Behauptungen des Klägers im Jahre 1994 in Jugoslawien gestellte Antrag auf Gewährung der Alterspension wäre zwar gemäß Art 41 des vormaligen SozSi-Abkommens-Jugoslawien auch als Antrag auf Gewährung der entsprechenden Leistung aus der österreichischen Sozialversicherung zu werten. Bringe jedoch der Versicherte zusätzlich beim österreichischen Versicherungsträger einen Antrag auf Gewährung der Alterspension ein, seien grundsätzlich beide bzw alle Anträge, die ein identes Begehren aufwiesen, Gegenstand des Verfahrens vor dem österreichischen Versicherungsträger. Im Hinblick darauf, dass der nach den Behauptungen des Klägers im Jahre 1994 in Jugoslawien gestellte Antrag ohne Befassung des österreichischen Sozialversicherungsträgers erledigt worden sei, hätte es zur Einleitung eines Verfahrens vor dem österreichischen Versicherungsträger eines neuerlichen Antrags des Versicherten bedurft. Für den österreichischen Rechtsbereich sei erstmals ein Tätigwerden des Klägers mit Eingabe vom 16. 12. 1997 aktenkundig; zu diesem Zeitpunkt sei das Abkommen über Soziale Sicherheit zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien bereits aufgekündigt gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, der Revision Folge zu geben und das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Kläger hat sich bereits im erstinstanzlichen Verfahren darauf berufen, dass er am 6. 6. 1994 (laut Revisionsvorbringen am 6. 4. 1994) in Jugoslawien eine Alterspension beantragt habe. Nach der in der Revision vertretenen Ansicht liege somit der maßgebliche Stichtag vor der Kündigung des Sozialversicherungsabkommens mit Jugoslawien, das vorsehe, dass mit der Antragstellung auf eine Leistung in Jugoslawien das Verfahren auch mit Wirkung für Österreich in Gang gesetzt werde; dieses Verfahren sei nach wie vor offen.
Das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 19. November 1965, BGBl 1966/289 idF des Zusatzabkommens vom 19. März 1979, BGBl 1980/81, und des Zweiten Zusatzabkommens vom 11. Mai 1988, BGBl 1989/269, im Folgenden kurz AbkSozSi-Jugoslawien, ist durch Kündigung seitens der Republik Österreich mit 30. 9. 1996 außer Kraft getreten (BGBl 1996/345). Im Verhältnis zur Bundesrepublik Jugoslawien bestehen seit 1. 10. 1996 im Bereich der Sozialen Sicherheit keine bilateralen Beziehungen mehr (10 ObS 20/00i, 10 ObS 58/00b).
Gemäß Art 41 AbkSozSi-Jugoslawien waren ua Anträge, die in Anwendung des Abkommens oder der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates bei einer Behörde, einem Versicherungsträger oder einer sonstigen zuständigen Einrichtung eines Vertragsstaates eingereicht wurden, als bei einer Behörde, einem Versicherungsträger oder einer sonstigen zuständigen Einrichtung des anderen Vertragsstaates eingereichte Anträge anzusehen. Ein nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates gestellter Antrag auf eine Leistung galt auch als Antrag auf eine entsprechend in Betracht kommende Leistung nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates. Dies galt nicht, wenn der Antragsteller ausdrücklich beantragte, dass die Feststellung einer nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats erworbenen Leistung bei Alter aufgeschoben wird.
Folgt man dem Vorbringen des Klägers, wonach er bereits im Jahre 1994 in Jugoslawien einen Antrag auf Alterspension gestellt hat, wäre dieser Antrag auch als Antrag auf Gewährung der entsprechenden Leistung aus der österreichischen Sozialversicherung zu werten gewesen (10 ObS 2431/96i). Daran könnte auch der Umstand nichts ändern, dass der Kläger Jahre später in einem Schreiben vom 3. 2. 1999 (bei der beklagten Anstalt am 9. 2. 1999 eingelangt) mitgeteilt hat, einen Anspruch auf Alterspension auf Grund österreichischer Versicherungszeiten zu haben.
Durch eine Antragstellung in Jugoslawien im Jahre 1994 wäre aber in Österreich ein Stichtag mit 1. 7. 1994 (nach den Revisionsausführungen mit 1. 5. 1994) ausgelöst worden. Zu diesem Stichtag wäre zu beurteilen, ob und in welchem Ausmaß eine Pensionsleistung gebührt. Der Anspruch auf Alterspension hätte aber die Vollendung des 65. Lebensjahres vorausgesetzt (§ 253 Abs 1 ASVG). Diese Leistungsvoraussetzung hätte der Kläger nicht erfüllt gehabt.
Es entspricht der Judikatur des erkennenden Senates, dass dann, wenn eine Änderung des Gesundheitszustandes, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung in den Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch die Erreichung eines bestimmten Lebensjahres, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des Sozialgerichtsverfahrens (oder des Leistungsverfahrens vor dem Versicherungsträger) eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksihtigen ist. Es wird durch diese Änderungen, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem Stichtag zu prüfen (SSV-NF 3/134 ua; RIS-Justiz RS0085973; zuletzt 10 ObS 328/00h).
Diese Grundsätze über die Möglichkeit der "Verschiebung" des Stichtages auf denjenigen Zeitpunkt, zu dem die Anspruchsvoraussetzungen für eine Versicherungsleistung gegeben sind, sind auch dann anzuwenden, wenn in einem internationalen Abkommen über Soziale Sicherheit - so wie in Art 41 AbkSozSi-Jugoslawien - vorgesehen ist, dass ein in einem Vertragsstaat eingereichter Antrag auch als im anderen Vertragsstaat gestellter Antrag anzusehen ist.
Ist etwa das Anfallsalter für eine Alterspension in den Vertragsstaaten unterschiedlich gestaltet, würde eine Antragstellung im Erststaat, in dem das maßgebliche Alter bereits erreicht ist, bei Fehlen eines ausdrücklichen Aufschiebungsantrags (Art 41 Abs 2 AbkSozSi-Jugoslawien) bewirken, dass der Antrag im Zweitstaat mit der Begründung abgewiesen werden müsste, das dort maßgebliche Pensionsanttrittsalter sei noch nicht erreicht. Siedl/Spiegel (Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 33. ErgLfg, AbkSozSi-Jugoslawien, Art 41 Anm 3; ebenso AbkSozSi-Spanien, Art 38 Anm 3), meinen daher, beim Versicherungsfall des Alters komme eine Antragsgleichstellung wohl nur in Betracht, wenn bereits in beiden Staaten das jeweils hiefür maßgebende Anfallsalter erreicht wurde.
Damit würde jedoch die Antragsgleichstellung in der Regel die bezweckte Wirkung verfehlen, dass der Versicherte grundsätzlich nur in einem Vertragsstaat einen Antrag zu stellen hat, der für beide Staaten wirksam ist, außer es wird ausdrücklich erklärt (Art 41 Abs 2 letzter Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien), dass die Feststellung der Leistung bei Alter aufgeschoben wird. Mangels eines solchen ausdrücklichen Antrags muss der Versicherte darauf vertrauen können, dass die für den Regelfall vorgesehene Antragsgleichstellung tatsächlich effektiv wird.
Um somit dem Art 41 Abs 2 AbkSozSi-Jugoslawien den beabsichtigten Effekt, nämlich einer Vereinfachung des Verfahrensablaufs für den Versicherten zu belassen, bedarf es auch hier bei einer in Jugoslawien erfolgreichen Antragstellung auf eine Alterspension in Österreich der "Verschiebung" des Stichtags bis zu dem Zeitpunkt, in dem auch in Österreich das geforderte Antrittsalter erreicht wird.
In diesem Sinne ist zu prüfen, ob der Kläger tatsächlich, wie er behauptet hat, im Jahre 1994 in Jugoslawien einen Pensionsantrag gestellt hat, der einem in Österreich gestellten Antrag auf Alterspension gleichzuhalten ist und keinen Vorbehalt nach Art 41 Abs 2, letzter Halbsatz AbkSozSi-Jugoslawien enthält. Ist ein Antrag dieser Qualität gestellt worden, ist zum Stichtag 1. 5. 1996 (Monatserster nach Vollendung des 65. Lebensjahres) zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Alterspension nach dem ASVG vorliegen. Die objektive Beweislast für diese Anforderungen trifft den Kläger.
Ist ein im Jahre 1994 in Jugoslawien gestellter Antrag nicht erweislich, wäre von einem Stichtag 1. 3. 1999 auszugehen; zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger auf Grund der österreichischen Versicherungszeiten die Wartezeit nicht erfüllt.
Wegen der dargelegten Feststellungsmängel sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Rechtssache ist daher zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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