Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit 3.087 S (darin 514,50 S USt und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin auf Grund des Unfalls vom 29.7.1988 ab Ende des unfallbedingten Krankenstandes eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 % der Vollrente zu bezahlen, ab. Es stellte im wesentlichen folgendes fest:
Die Wohnung der Klägerin und ihre Arbeitsstätte liegen im Stadtgebiet von Vöcklabruck an der Bundesstraße 1, über die auch der kürzeste Weg zwischen diesen beiden Orten führt. Auf der Bundesstraße 1 beträgt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Wohnung der Klägerin 70 km/h und dann (in Fahrtrichtung zur Arbeitsstätte) 60 km/h. Die Klägerin fuhr an fünf Tagen in der Woche mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeitsstätte, wobei sie ein- bis zweimal die über den Bahnhof und durch die Innenstadt führenden Straßen und sonst die Bundesstraße 1 benützte. Über den Bahnhof und durch die Innenstadt fuhr sie teilweise deshalb, weil sie aus Gewohnheit an der Stelle, an der die zum Bahnhof führende Straße von der Bundesstraße 1 abzweigt, die rechte Hand wegstreckte und sich deshalb zum Abbiegen verpflichtet fühlte. Wenn sie durch die Stadt fuhr, erledigte sie teilweise auch Einkäufe.
Am 29.7.1988 mußte die Klägerin am Vormittag ihre Arbeit antreten. Sie nahm mit dem Fahrrad die Straße über den Bahnhof, wobei nicht feststeht, ob sie auf dem Weg etwas einkaufen wollte oder nicht und warum sie gerade diese Strecke zurücklegte. Auf der Bahnhofstraße stieß sie mit einem Motorrad zusammen und wurde hiedurch schwer verletzt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß nur der kürzeste Weg unter Versicherungsschutz stehe. Ein Umweg sei hingegen nur dann geschützt, wenn der kürzeste Weg nicht passierbar oder für den Versicherten gefährlich oder wenn der Umweg völlig unerheblich gewesen sei. Diese Voraussetzungen seien aber hier nicht erfüllt gewesen. Die Klägerin habe die Strecke über den Bahnhof auch nicht wegen der Gefährlichkeit der Bundesstraße 1, sondern deshalb gewählt, weil sie aus Gewohnheit die Hand rechts ausgestreckt habe oder Lebensmittel habe einkaufen wollen.
Das Berufungsgericht wies die Rechtssache infolge Berufung der Klägerin mit Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Aus den vorhandenen Plänen und auf Grund der Ortskenntnisse mehrerer Mitglieder des Berufungssenates lasse sich "klarstellen", daß die Entfernung zwischen der Wohnung der Klägerin und ihrer Arbeitsstätte auf der zum Großteil vierspurig, jedoch ohne Radweg ausgebauten, stark befahrenen Bundesstraße 1 etwa 3 km beträgt, während die Klägerin auf dem Weg über den Bahnhof und die Innenstadt eine Strecke von etwa 3,5 km zurücklegen muß. Selbst wenn der Versicherte von mehreren möglichen Wegen einen deshalb wähle, um gleichzeitig eigenwirtschaftliche Besorgungen zu erledigen, sei auch dieser Weg geschützt, wenn er nicht einen großen Umweg bedeute, wobei dies auf einen nicht mehr als 10 % längeren Weg zutreffe. Hier habe der Umweg zwar etwas mehr als 10 % betragen, er sei aber für einen Fahrradfahrer viel weniger gefährlich gewesen. Da das Befahren der Bundesstraße 1 mit wesentlich größeren Gefahren für die körperliche Sicherheit der Klägerin verbunden gewesen wäre, stehe der Umweg hier unter Unfallversicherungsschutz. Es seien daher Feststellungen über die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin notwendig.
Rechtliche Beurteilung
Der von der beklagten Partei gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs ist nicht berechtigt. Gemäß § 175 Abs 1 ASVG sind Arbeitsunfälle Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Gemäß dem nachfolgenden Abs 2 Z 1 sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Abs 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen. Hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen.
Wie sich aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes schon ergibt (SSV-NF 1/12, 2/55), ist grundsätzlich nur der direkte Weg zwischen den angeführten Orten geschützt. Dies wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung sein, wobei der Versicherte zwischen im wesentlichen gleichwertigen Verbindungen frei wählen kann. Auf einem längeren Weg besteht nur dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Weg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs-, Straßen- oder Verkehrsverhältnissen) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechende Bedingungen wenigstens annehmen konnte. Daher ist ein allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse gewählter Umweg nicht versichert (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 486 o bis 486 q I; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter Rz 070 Lfg 2/89, 9; WK-Reihen Nr 58, Die gesetzliche Unfallversicherung 214 f, 224 f; Tomandl, System 4 ErgLfg 313 f).
Die Klägerin hat hier zwar nicht die kürzeste, aber eine mit dieser im wesentlichen gleichwertige Verbindung gewählt. Der gegenteiligen Ansicht, welche die beklagte Partei in ihrem Rekurs vertritt, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Wegen der Gleichwertigkeit des gewählten Weges bedeutete dieser keinen den Versicherungsschutz ausschließenden Umweg. Der Unfall, den die Klägerin erlitt, ist deshalb gemäß § 175 Abs 2 Z 1 ASVG ein Arbeitsunfall, weshalb das Berufungsgericht dem Erstgericht zu Recht Feststellungen über die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin auftrug.
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