OGH 10ObS279/91

OGH10ObS279/9122.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dkfm. Reinhard Keibl (Arbeitgeber) und Erika Hantschel (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Christian Herbst, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Juni 1991, GZ 34 Rs 49/91-18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Oktober 1990, GZ 20 Cgs 108/90-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahren selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 4. 6. 1989 gewährte die beklagte Partei der Klägerin den Hilflosenzuschuß zur Alterspension ab 5. 4. 1989. Mit Bescheid vom 10. 5. 1990 setzte die beklagte Partei die Alterspension der Klägerin ab 1. 7. 1990 um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag herab; die Voraussetzungen für den Anspruch auf Hilflosenzuschuß lägen nicht mehr vor.

Die Klägerin ist imstande, die Wohnung oberflächlich sauber zu halten, die kleine Wäsche zu waschen, zu kochen und die Nahrung zu sich zu nehmen, sich selbständig zu waschen und auch die Ganzkörperreinigung vorzunehmen. Sie kann Lebensmittel und Bedarfsartikel herbeischaffen. Zur gründlichen Wohnungsreinigung und zum Waschen der großen Wäsche benötigt sie fremde Hilfe. Bei Änderung der Wetterlage oder sonstigen negativen äußeren Einflüssen kann sich jedoch der gesundheitliche Zustand der Klägerin sofort verändern. Sie ermüdet schnell und befindet sich dann in einem äußerst geschwächten Allgemeinzustand. In dieser Zeit (jeweils für einen Tag) ist sie nicht imstande, sich warme Mahlzeiten zuzubereiten, eine Ganzkörperreinigung durchzuführen, ein Bett ordnungsgemäß zu machen und die Wohnung zu verlassen, um Bedarfsartikel einzuholen. Weiters besteht eine besondere Empfindlichkeit für Infektionskrankheiten. Die leichten Infekte nehmen einen schweren Verlauf mit Bettlägerigkeit von längerer Zeit etwa 4mal jährlich jeweils eine Woche. Seit dem Zeitpunkt der Gewährung des Hilflosenzuschusses ist eine Besserung im Zustand der Klägerin eingetreten. Die seinerzeit bestandene Gelbsucht ist geschwunden; die Klägerin hat sich von den Folgen der Operation im Jänner 1989 erholt.

Die Klägerin begehrt, die beklagte Partei zu verpflichten, ihr den Hilflosenzuschuß über den 30. 6. 1990 hinaus weiterzugewähren. Sie sei nach wie vor nicht in der Lage, die täglich notwendigen Verrichtungen allein und ohne fremde Hilfe zu besorgen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin statt. Die Klägerin benötige zwar bei günstigen Bedingungen lediglich Hilfe für grobe Reinigungsarbeiten und das Waschen der großen Wäsche, was für sich allein betrachtet vom Betreuungsaufwand her den Zuspruch des Hilflosenzuschuß nicht rechtfertigen könnte. Hier sei jedoch zu beachten, daß die Klägerin im Fall eines Wetterumschwunges, der erfahrungsgemäß zumindest ein bis zweimal wöchentlich eintrete, für einen Tag bettlägerig sei und voll auf Hilfe und Pflegeleistung angewiesen sei. Weiter sei zu berücksichtigen, daß die Klägerin dafür Sorge tragen müsse, daß eine Hilfsperson auf Abruf bereitstehe, weil nicht abschätzbar sei, wann tatsächlich eine Hilfsbedürftigkeit - abhängig von der Änderung der Großwetterlage - auftrete. Auch hiefür sei unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme der Hilfeleistung eine Abgeltung erforderlich. Insgesamt erreiche damit der von der Klägerin zu tragende Aufwand die Höhe des Hilflosenzuschusses.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es stehe fest, daß sich der Gesamtzustand der Klägerin im Vergleich zum Gewährungsgutachten wesentlich gebessert habe. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes sei die Klägerin nunmehr imstande, die Wohnung oberflächlich sauberzuhalten, die kleine Wäsche zu waschen, zu kochen, die Nahrung zu sich zu nehmen, sich selbständig zu waschen, insbesondere die Ganzkörperreingung vorzunehmen sowie die Lebensmittel und Bedarfsartikel herbeizuschaffen. Lediglich zur gründlichen Wohnungsreinigung und für das Waschen der großen Wäsche benötige sie fremde Hilfe. Auch wenn die Klägerin im Falle des Wetterumschwunges und des dadurch bedingten geschwächten Allgemeinzustandes fremde Hilfe für die Zubereitung von warmen Mahlzeiten und eine Ganzkörperreinigung sowie das Bettenmachen benötige und in diesem Zustand auch die Wohnung zum Einkaufen von Bedarfsartikeln nicht verlassen könne, erreichten die dafür von ihr monatlich aufzuwendenden Beträge für fremde Hilfe nicht die Höhe des Hilflosenzuschusses. Bei Gewichtung des Pflegeaufwandes sei nämlich zu berücksichtigen, daß die Ganzkörperreinigung nicht täglich durchzuführen sei, die Klägerin vorbereitete Mahlzeiten zubereiten könne und auch ein tägliches Einholen der Nahrungsmittel nicht erforderlich sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

In erster Instanz fand lediglich eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung statt, die Klägerin wurde zu dieser Tagsatzung geladen und hat nach dem im Akt erliegenden Rückschein die Ladung mehr als zwei Wochen vor dem Termin persönlich übernommen. Der gerügte Nichtigkeitsgrund liegt daher nicht vor.

Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Das Erstgericht hat im Rahmen der Feststellungen im einzelnen dargestellt, welche Verrichtungen die Klägerin bei Wetterumschwüngen nicht zu besorgen in der Lage ist. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ist es davon ausgegangen, daß die Klägerin bei diesen Gelegenheiten bettlägerig sei. Dabei handelt es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine durch die Feststellungen nicht gedeckte Schlußfolgerung des Erstgerichtes. Diesem Ergebnis ist das Berufungsgericht zu Recht nicht gefolgt. Die in diesen Situationen bestehenden Einschränkungen gehen über die ständig bestehenden nur insoweit hinaus, als die Klägerin dann nicht in der Lage ist, sich eine warme Mahlzeit zuzubereiten, die Ganzkörperreinigung durchzuführen, das Bett zu machen und die Wohnung zum Einholen von Bedarfsartikeln zu verlassen. Hieraus kann der Schluß, daß die Klägerin in diesen Zeiten bettlägerig sei, nicht gezogen werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß sie alle anderen regelmäßigen Verrichtungen des täglichen Lebens auch dann verrichten kann. Insbesonders ergibt sich aus den Feststellungen kein Hinweis dafür, daß sie nicht in der Lage wäre, an diesen Tagen eine vorgekochte Mahlzeit zu wärmen.

Die zusätzlichen Behinderungen treten bei der Klägerin im Fall eines Wetterumschwunges auf, worunter nach dem Inhalt des erstgerichtlichen Urteiles eine Änderung der Großwetterlage zu verstehen ist, wobei das Erstgericht unter Berufung auf einen Erfahrungssatz davon ausgegangen ist, daß solche Situationen ein bis zweimal wöchentlich auftreten. Dies hält jedoch einer Überprüfung nicht stand. Umgestaltungen der Großwetterlage treten im Durchschnitt keineswegs zweimal wöchentlich, sondern in größeren Abständen auf. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin hochgegriffen davon ausginge, daß solche Ereignisse einmal wöchentlich auftreten, besteht der Anspruch auf den Hilflosenzuschuß nicht. Die Klägerin ist in diesen Situationen wohl nicht in der Lage, eine warme Mahlzeit zu kochen, doch ist, zumal entgegenstehende Verfahrensergebnisse nicht

vorliegen - davon auszugehen, daß sie imstande ist, sich eine vorbereitete Mahlzeit aufzuwärmen. Für diese Gelegenheiten kann die Klägerin durch einen Vorrat an handelsüblicher Tiefkühlkost - die Ausstattung eines Haushaltes mit einem Kühlschrank gehört zum allgemeinen Standard - oder Konservenkost vorzusorgen, die nur zu wärmen ist. Gegen die Einnahme derartiger vorbereiteter Speisen bestehen im vorliegenden Fall umso weniger Bedenken, als die Klägerin an allen anderen Tagen in der Lage ist, sich frischgekochte Speisen zuzubereiten, sodaß die Einnahme von konservierter Kost nur eine Ausnahme darstellt. Auch daß ständig eine Hilfsperson auf Abruf bereitstehen müsse, um die Klägerin an diesen Tagen zu versorgen, trifft nicht zu. Das Einkaufen ist nicht täglich erforderlich und durch entsprechende Vorratshaltung kann die Klägerin die einzelnen Tage, an denen sie nicht einkaufen gehen kann, überbrücken. Sie ist auch nicht dem Verkommen ausgesetzt, wenn an diesen Tagen das Bett nicht am Morgen gemacht und die Ganzkörperreinigung nicht sofort am Morgen durchgeführt wird. Es reicht aus, wenn diese Tätigkeiten, zu deren Besorgung sie nicht imstande ist, an den Tagen, an denen sie über das übliche Ausmaß hinaus beeinträchtigt ist, im Lauf des Tages besorgt werden. Es handelt sich nicht um unaufschiebbare Verrichtungen. Im Lauf eines Tages ist aber eine Hilfsperson auch dann zu erreichen, wenn sie nicht ständig gegen Bezahlung auf Abruf bereitsteht. Von Tätigkeiten, die keinen Aufschub dulden, ohne daß damit die Gefahr eines Verkommens verbunden wäre, ist die Klägerin aber auch an den fraglichen Tagen nicht ausgeschlossen. Geht man insgesamt von den Verrichtungen aus, zu denen die Klägerin fremder Hilfe bedarf, so ist hiefür auch unter Berücksichtigung der weitgehenden Einschränkungen an Tagen der Umstellung der Großwetterlage und Berücksichtigung der Zeiträume, während derer die Klägerin zufolge von Infektionskrankheiten jährlich bettlägerig ist, ein durchschnittlich die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichender Aufwand nicht erforderlich. Zutreffend ist daher das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, daß die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses nicht erfüllt sind.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Die Klägerin ist durch einen ihr im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten und damit mit Kosten des Revisionsverfahrens nicht belastet, sodaß die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit schon aus diesem Grund fehlen.

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