Spruch:
Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 2 und 3 B-VG die
A n t r ä g e :
- 1. § 192 ASVG nach Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.
- 2. § 32 der Satzung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern nach Art 139 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben und
3. nach Art 139 B-VG auszusprechen, daß § 32 der Satzung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in der bis 30.April 1987 geltenden Fassung gesetzwidrig war.
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der nach § 3 BSVG in der Unfallversicherung pflichtversicherte Kläger erlitt am 21.5.1986 einen Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen er im zweiten und dritten Quartal 1986 und im ersten und zweiten Quartal 1987 im Aö Krankenhaus Schärding ambulant behandelt wurde. Zu diesen Behandlungen fuhr er jeweils selbst. Zwischen der beklagten Partei und dem genannten Krankenhaus besteht kein Vertragsverhältnis über unfalleigene Heilbehandlung. Mit Bescheid vom 26.6.1989 lehnte die beklagte Partei die Übernahme der Kostenanteile für die erwähnten ambulanten Behandlungen und des Selbstbehaltes für die erwähnten Fahrten unter Berufung auf die §§ 189 ff ASVG iVm § 32 ihrer Satzung ab, weil mit dem genannten Krankenhaus kein Vertragsverhältnis über unfalleigene Heilbehandlung bestehe.
Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtete sich auf Ersatz sämtlicher Heilbehandlungskosten aus der gesetzlichen Unfallversicherung, soweit sie den Arbeitsunfall vom 21.5.1986 betreffen, samt Fahrtkosten zu den ambulanten Behandlungen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruchs ein und erklärte die beklagte Partei mit Zwischenurteil schuldig, die als Folge des Arbeitsunfalls vom 21.5.1986 aufgelaufenen Kostenanteile des Klägers für die ambulanten Behandlungen im 2. und 3.Quartal 1986 und im 1. und 2.Quartal 1987 im Aö Krankenhaus Schärding sowie den Selbstbehalt für die Fahrten zu diesen ambulanten Behandlungen zu übernehmen.
Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes hatte der Kläger auf Grund des Arbeitsunfalls vom 21.5.1986 nach § 191 Abs 1 ASVG vom 21.7.1986 an Anspruch auf Ersatz der vollen Kosten, also auch auf Übernahme der Kostenanteile für die ambulanten Behandlungen im Krankenhaus Schärding einschließlich des Selbstbehaltes für die Fahrten. Für die Zeit der ambulanten Behandlung vor dem 21.7.1986 sei § 32 der Satzung der beklagten Partei nicht anzuwenden, weil das Krankenhaus Schärding keine Einrichtung im Sinne des Abs 1 Z 1 dieser Satzungsstelle sei und es sich auch nicht um einen Fall der Ziffer 2 dieser Satzungsstelle handle. Der Kläger hätte daher für seine ambulanten Behandlungen in diesem Krankenhaus und für seine Fahrten zu diesen Behandlungen bis 21.7.1986 die Kostenanteile und den Selbstbehalt im Sinne des § 80 Abs 2 BSVG selbst zu tragen. Es sei allerdings bekannt, daß die beklagte Partei § 32 ihrer Satzung in sozialer Rechtsanwendung ausdehnend auslege und nicht nur bei Personen anwende, die überhaupt nicht krankenversichert seien, sondern auch bei solchen, die bei der Klägerin der Krankenversicherung nach dem BSVG unterliegen, um zu verhindern, daß diese bei den sehr oft kostspieligen (ambulanten) Spitalsbehandlungen nach Arbeitsunfällen den 20-%igen Selbstbehalt tragen müssen. Aus diesen sozialen Erwägungen und weil eine Unfallheilbehandlung ein einheitliches Ganzes sei, sei das Klagebegehren auch für die Zeit vor dem 21.7.1986 berechtigt. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen, auf Abweisung der Klage gerichteten Berufung der beklagten Partei teilweise Folge, bestätigte das erstgerichtliche Urteil für die Zeit nach dem 21.7.1986, änderte es jedoch für die Zeit bis 21.7.1986 im klageabweisenden Sinne ab und sprach aus, daß der Wert seines Entscheidungsgegenstandes 50.000 S nicht übersteigt und daß die Revision zulässig sei. Der bestätigende Teil erwuchs in Rechtskraft.
Zum abändernden Teil führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus:
Vor dem 21.7.1986 käme eine Befreiung von der Kostenanteilspflicht bzw vom Selbstbehalt nur zum Tragen, wenn der Kläger sich über § 32 der Satzung auf eine Leistung aus der Unfallversicherung berufen könnte. Dies sei jedoch nicht der Fall, weil die Kostenbeteiligung nur bei stationärer Unfallheilbehandlung bzw bei ambulanten Behandlungen nur dann entfalle, wenn diese in eigenen Anstalten oder Vertragsanstalten der beklagten Partei erbracht würden oder, wenn der Versicherte von einer solchen Anstalt an eine sonstige überwiesen worden wäre. Das Krankenhaus Schärding sei weder eine eigene Anstalt der beklagten Partei, noch habe diese mit diesem Krankenhaus einen Vertrag über eine Unfallheilbehandlung abgeschlossen. Daß der Kläger in dieses Krankenhaus von einer der im § 32 Abs 1 lit a und b der Satzung genannten Institutionen überwiesen worden wäre, sei weder aktenkundig noch behauptet worden, so daß für die Zeit vom 21.5. bis 20.7.1986 weder nach dem Gesetz noch nach der Satzung eine Unfallheilbehandlung angenommen werden könne, noch aufklärungsbedürftige Anhaltspunkte für eine solche Annahme bestünden. Für die erstgerichtliche Annahme, die Satzung würde von der beklagten Partei zu Gunsten der Versicherten immer so extensiv ausgelegt, daß im Rahmen einer Behandlung nach einem Unfall keine Kostenanteile anfallen, finde sich im vorliegenden Fall - anders als in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien SSV 25/38 - weder ein Anhaltspunkt noch ein Anlaß, weil § 32 der Satzung nach der zitierten Entscheidung und offenbar in deren Folge ohnedies zu Gunsten der Versicherten deutlich verbessert worden sei. Daß eine Unfallheilbehandlung grundsätzlich ein einheitliches Ganzes sei, sei in sachlicher Hinsicht zu verstehen. Wenn eine Unfallheilbehandlung als Plfichtleistung zu gewähren sei, dann im vollen Umfang einschließlich des Transportselbstbehaltes. Zeitlich ziehe jedoch die Karenzbestimmung des § 192 ASVG eine so klare Grenze, daß die vor Ablauf der Karenzzeit liegenden Leistungen auch unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Unfallheilbehandlung nicht zu den Leistungen aus der Unfallversicherung gezählt werden könnten.
Die beklagte Partei ließ den bestätigenden Teil des Berufungsurteils unbekämpft.
Obwohl in der Revision erklärt wird, daß das Berufungsurteil zur Gänze angefochten werde, richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das Berufungsurteil im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern oder es allenfalls aufzuheben, bei Berücksichtigung der Revisionsausführungen und richtiger Deutung der Revisionsanträge (vgl zB MGA ZPO14 § 467 E 3, § 506 E 10) zweifelsfrei nur gegen den den Kläger wegen teilweiser Klageabweisung beschwerenden abändernden Teil des Berufungsurteils.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig.
Antragsvoraussetzungen:
Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze und Verordnungen steht den Gerichten nach Art 89 Abs 1 B-VG in der Regel nicht zu. Hat ein Gericht gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem Grunde der Gesetzwidrigkeit Bedenken, so hat es nach Abs 2 Satz 1 des zit Artikels den Antrag auf Aufhebung dieser Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Hat ua der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat er nach Satz 2 des zit Absatzes den Antrag auf Aufhebung des Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Ist die vom Gericht anzuwendende Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten, so hat der Antrag des Gerichtes an den Verfassungsgerichtshof nach Abs 3 des zit Artikels die Entscheidung zu begehren, daß die Rechtsvorschrift gesetzwidrig oder verfassungswidrig war. Diese Anträge sind von dem zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufenen Senat einzubringen. (Die folgenden Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des ASVG.)
Nach § 148 BSVG gelten hinsichtlich der Leistungen der Unfallversicherung die Bestimmungen des Abschnittes VI und VI a des Ersten Teiles (des BSVG) sowie die Bestimmungen des Dritten, Fünften und Sechsten Teiles des ASVG entsprechend mit hier nicht zutreffenden Maßgaben.
Nach § 189 hat die Unfallheilbehandlung mit allen geeigneten
Mitteln die durch den Arbeitsunfall ... hervorgerufene
Gesundheitsstörung oder Körperbeschädigung sowie die durch den
Arbeitsunfall... verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit - zu
beseitigen oder zumindest zu bessern und eine Verschlimmerung der Folgen der Verletzung oder Erkrankung zu verhüten (Abs 1). Die Unfallheilbehandlung umfaßt ua ärztliche Hilfe und Pflege in Kranken-, Kur- und sonstigen Anstalten (Abs 2).
Nach § 191 Abs 1 besteht Anspruch auf Unfallheilbehandlung, wenn und soweit der Versehrte nicht auf die entsprechenden Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch hat bzw für ihn kein solcher Anspruch besteht.
Nach § 192 Satz 1 erhalten die darin genannten Personen, zu denen der Kläger unbestrittenermaßen gehört, die Heilbehandlung gemäß § 191 erst vom Beginn des dritten Monats nach dem Eintritt des Versicherungsfalls an, der nach § 174 bei Arbeitsunfällen mit dem Unfallereignis, hier also mit dem 21.5.1986, als eingetreten gilt. Nach § 192 Satz 2 kann der Träger der Unfallversicherung (hier die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Bauern) unter Bedachtnahme auf seine finanzielle Leistungsfähigkeit durch die Satzung bestimmen, ob, unter welchen Voraussetzungen und inwieweit schon von einem früheren Zeitpunkt an Heilbehandlung nach § 191 oder an deren Stelle Geldleistungen zu gewähren sind.
Die zweimonatige Karenzzeit für die Unfallheilbehandlung der selbständig Erwerbstätigen und die dem Träger der Unfallversicherung eingeräumte Möglichkeit, durch die Satzung einen früheren Zeitpunkt für die Gewährung der Heilbehandlung zu bestimmen, findet sich schon im § 192 der Stammfassung, wobei die Verkürzung der Karenzzeit durch die Satzung nur dann vorgesehen war, wenn die Anzeige des Arbeitsunfalls oder der Berufskrankheit binnen 14 Tagen nach dem Eintritt des Versicherungsfalls beim Träger der Unfallversicherung einlangte. Die Regierungsvorlage zum ASVG 599 BlgNR 7.GP 65 führte zur zitierten Gesetzesstelle aus, die Bestimmungen der Vorlage würden den unselbständig Erwerbstätigen die Heilbehandlung - sei es durch den Träger der Krankenversicherung (Krankenbehandlung), sei es durch den Träger der Unfallversicherung - vom Eintritt des Versicherungsfalls an sichern. die für selbständig Erwerbstätige im bisherigen Recht zugelassene Karenzfrist bis zu 13 Wochen werde mit zwei Monaten fixiert, doch würden die Träger der Unfallversicherung ermächtigt, diese Frist satzungsmäßig herabzusetzen. Mit dem Hinweis auf das bisherige Recht bezog sich die Regierungsvorlage auf § 559 l RVO, der damals folgende Fassung hatte:
"(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und wieweit für die als Unternehmer Versicherten, wenn sie nicht auf Grund der Reichsversicherung gegen Krankheit versichert sind, die Verpflichtung zur Gewährung von Krankenbehandlung und Berufsfürsorge nicht sofort, aber spätestens mit der 14.Woche nach dem Unfall beginnt. Die Satzung bestimmt, ob und in welchem Umfang ihnen in den ersten 13 Wochen nach dem Unfall Geldleistungen zu gewähren sind. (2)...
(3) Krankenbehandlung soll schon während der ersten dreizehn Wochen nach dem Unfall gewährt werden, wenn die vom Verletzten selbst gewählte Behandlung nicht ausreicht, um die Erwerbsfähigkeit möglichst schnell und vollständig wiederherzustellen.
(4) Dem Verletzten können die Kosten der selbstgewählten Behandlung für die ersten dreizehn Wochen ganz oder zum Teil erstattet werden. Sie sollen, soweit es angemessen ist, gänzlich erstattet werden, wenn der Verletzte sich selbst rechtzeitig eine Behandlung verschafft, die eine möglichst schnelle und vollständige Wiederherstellung der Erwerbsfäigkeit herbeizuführen geeignet war. (5)...":
Nach § 633 Abs 1 RVO in der geltenden Fassung kann die Satzung bestimmen, daß und inwieweit die als Unternehmer Versicherten, wenn sie nicht bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, Anspruch auf Heilbehandlung und Berufshilfe nicht sofort, aber spätestens mit dem Beginn der 14.Woche nach dem Arbeitsunfall haben. Die Heilbehandlung soll schon während der ersten dreizehn Wochen nach dem Unfall gewährt werden, wenn die vom Verletzten selbst gewählte Behandlung nicht ausreicht, um die Erwerbsfähigkeit möglichst schnell und vollständig wiederherzustellen (Abs 2 Satz 1 leg cit). Dem Verletzten können die Kosten der selbstgewählten Behandlung für die ersten dreizehn Wochen ganz oder zum Teil erstattet werden (Abs 3 leg cit).
§ 32 der Satzung der beklagten Partei lautet in der von ihrer Hauptversammlung am 19.3.1987 beschlossenen, vom BMAS mit Erlaß vom 13.4.1987 genehmigten, mit 1.5.1987 in Kraft getretenen Fassung:
"(1) Den bei der Anstalt unfallversicherten Personen wird ab Eintritt des Versicherungsfalles Unfallheilbehandlung oder an deren Stelle Kostenersatz nach Maßgabe der folgenden Z 1 und 2 gewährt:
1. Unfallheilbehandlung gemäß den §§ 189 bis 191 ASVG wird als Sachleistung gewährt
a) bei stationärer und ambulanter Behandlung in eigenen Einrichtungen;
b) bei stationärer und ambulanter Behandlung in einem Unfallkrankenhaus, in einem Rehabilitationszentrum oder in einer Krankenanstalt, die mit der Anstalt in einem Vertragsverhältnis über Unfallheilbehandlung steht;
c) bei stationärer und ambulanter Behandlung in einer sonstigen Anstalt, wenn der Versehrte von einer in lit a) oder lit b) genannten Einrichtung zur Behandlung von Unfallfolgen dorthin überwiesen wurde;
d) bei ambulanter Behandlung durch einen Arzt, mit dem die Anstalt auf Grund einer besonderen Vereinbarung direkt verrechnet.
2. Ist keine Unfallbehandlung nach Z 1 gewährt worden, werden die Kosten einer anderen Behandlung, sofern diese den Erfordernissen einer Unfallheilbehandlung gemäß § 189 Abs 1 ASVG entspricht, wie folgt übernommen oder ersetzt:
a) bei Versehrten, für die ein Anspruch auf Leistungen aus der Bauernkrankenversicherung besteht, wird bei stationärer Behandlung der in dieser Versicherung entstandene Leistungsaufwand übernommen und dem Versicherten ein Selbstbehalt gemäß § 80 Abs 2 BSVG ersetzt;
b) (betrifft Versehrte, für die ein Anspruch auf Leistungen aus einer anderen gesetzlichen Krankenversicherung besteht),
c) (betrifft Versehrte, für die kein Anspruch auf Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung besteht).
(2) Für die Übernahme von Reise(Fahrt-)- und Transportkosten im Zusammenhang mit einer Behandlung nach Abs 1 gilt § 21 dieser Satzung entsprechend mit der Maßgabe, daß bei jeder stationären Behandlung und bei einer ambulanten Behandlung nach Abs 1 Z 1 der Versehrte keinen Kostenanteil zu tragen hat.
(3) Kostenersatz nach Abs 1 und 2 wird nur nach Vorlage der entsprechenden Rechnungen gewährt.
(4)...
(5) Bei der Gewährung von Kostenzuschüssen oder Kostenersatz gilt § 26 a dieser Satzung entsprechend."
Der Oberste Gerichtshof hat gegen den von ihm anzuwendenden, für die Entscheidung über diese Revision präjudiziellen § 192 aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken:
Nach Art 7 Abs 1 B-VG sind alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Der Gesetzgeber ist durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg 5727 ua). Wesentliche Unterschiede müssen zu unterschiedlichen Regelungen führen (VfSlg 8806 uva). Nur unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen ihre Grundlage haben, sind gleichheitswidrig (VfSlg 8600 ua), wobei unter Sachlichkeit einer Regelung nicht ihre "Zweckmäßigkeit" oder "Gerechtigkeit" zu verstehen ist (VfSlg 4711). Dem einfachen Gesetzgeber kommt auch eine, freilich nicht unbegrenzte, rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzeß nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenze ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN).
Der Unterschied zwischen den im § 192 aufgezählten Personen und allen anderen Personen, die im Falle durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachten körperlichen Schädigung Anspruch auf Unfallheilbehandlung haben, erscheinen dem erkennenden Senat nicht so wesentlich, daß sie es rechtfertigen könnten, diese beiden Personengruppen hinsichtlich des Beginnes der Unfallheilbehandlung verschieden zu behandeln und die erste Gruppe wesentlich zu benachteiligen.
Der durch § 192 benachteiligte Personenkreis besteht aus drei Untergruppen: Zur ersten gehören selbständig Erwerbstätige, nämlich die gemäß § 5 Abs 1 Z 10 von der Vollversicherung ausgenommenen und daher nach § 7 Z 2 lit b in der Unfall- und Pensionsversicherung teilversicherten Zwischenmeister (Stückmeister), die gemäß § 7 Z 3 lit c teilversicherten öffentlichen Verwalter, die unmittelbar vor ihrer Bestellung zu öffentlichen Verwaltern ausschließlich selbständig erwerbstätig gewesen sind, die gemäß den §§ 8 und 19 Unfallversicherten, die selbständig erwerbstätig sind, und die gemäß den §§ 3 und 11 Abs 1 Z 1 BSVG Unfallversicherten. Zur zweiten Untergruppe gehören die im Betrieb tätigen, gemäß § 19 Abs 1 Z 2 versicherten Angehörigen und die gemäß § 11 Abs 1 Z 2 BSVG versicherten Angehörigen, zur dritten die gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h und i teilversicherten Schüler und Studenten.
Darüber, welche Gründe den Gesetzgeber dazu veranlaßt haben, bei den ersten beiden Untergruppen eine zweimonatige Karenzfrist für die Unfallheilbehandlung zu bestimmen, geben die Materialien keinen Aufschluß. Für den hinausgeschobenen Beginn der Unfallheilbehandlung bei Schülern und Studenten war die Überlegung maßgebend, daß in der Regel eine Vorleistungspflicht aus der Mitversicherung in der Krankenversicherung bestehen werde (MGA ASVG 46.ErgLfg § 192 FN 5 und die aaO § 191 FN 1 zitierte RV zur 32.ASVGNov). Diese Überlegung ist jedoch nicht recht verständlich, weil auch fast alle anderen Personen, die im Fall einer durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachten körperliche Beschädigung Anspruch auf Unfallheilbehandlung haben Anspruch auf die entsprechenden Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung haben, oder für diese Personen ein solcher Anspruch besteht. Anspruch auf Unfallheilbehandlung durch den Träger der Unfallversicherung besteht ja nach § 191 Abs 1 nur, wenn und soweit der Versehrte nicht auf die entsprechenden Leistungen aus einer gesetzlichen Krankenversicherung Anspruch hat, bzw für ihn kein solcher Anspruch besteht. Sollte der Grund für den späteren Beginn der Unfallheilbehandlung nach § 191 insbesondere für selbständig Erwerstätige in der Annahme liegen, daß diese Personen aus wirtschaftlichen Gründen nicht sofort auf diese Leistungen angewiesen wären (vgl Ricke im Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 633 RVO RN 2: "Wartezeiten können bei Unternehmergruppen angebracht sein, die nach ihrer durchschnittlichen wirtschaftlichen Lage nicht sofort auf Leistungen angewiesen sind"), könnte dies eine unsachliche Differenzierung nicht verändern, weil keine Rede davon sein kann, daß sich die im § 192 genannten Personen allgemein in einer besseren wirtschatlichen Lage befänden als alle anderen Versehrten, welche die Heilbehandlung bereits unmittelbar nach dem Eintritt des Versicherungsfalles erhalten.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Kosten einer Unfallheilbehandlung in den ersten Wochen nach dem Arbeitsunfall in der Regel höher sein werden als nach Ablauf der zweimonatigen Karenzzeit, und daß die in den Krankenversicherungen nach dem GSVG und dem BSVG Versicherten für die vom Krankenversicherungsträger gewährten Sachleistungen in der Regel 20 vH der dem Versicherungsträger erwachsenden Kosten als Kostenanteil zu ersetzen haben (§ 86 GSVG, § 80 BSVG). Dazu kommt noch, daß bei den im § 192 angeführten Versicherten nach § 204 Abs 3 die Versehrtenrente, wenn die Satzung bei Gefährdung des Lebensunterhalts keinen früheren Zeitpunkt bestimmt, ebenfalls erst mit dem Beginn des dritte11.1nats nach dem Eintritt des Versicherungsfalls anfällt, was diesen Personen die Beteiligung an den Kosten der Unfallheilbehandlung während der beiden Karenzmonate erschwert.
Der Oberste Gerichtshof hält es daher für geboten, dem hiefür ausschließlich zuständigen Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, § 192, dessen Verfassungsgemäßheit übrigens schon in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 8.3.1985 SSV 25s38 bezweifelt wurde, zu überprüfen und stellt daher nach § 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, die bedenkliche Gesetzesstelle nach Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben. Schon weil im Fall der Aufhebung des § 192 der auf Grund dieser gesetzlichen Bestimmung erlassene § 32 der Satzung der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in beiden in diesem Verfahren anzuwendenden, im Antrag angeführten Fassungen gesetzwidrig würde, und diese Satzung als Verordnung zu qualifizieren ist (VfSlg 1798, 3219, 3709, 5422 ua; Tomandl in Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 14 und die in FN 4 und 5 angeführte Lehre; Korinek in Tomandl aaO 498 f und die in FN 17 und 18 angegebene Lehre), war nach Art 89 Abs 2 und 3 B-VG beim Verfassungsgerichtshof auch zu beantragen, diese Satzungsstelle in der geltenden Fassung nach Art 139 als gesetzwidrig aufzuheben bzw auszusprechen, daß diese Satzungsstelle in der vorangegangenen Fassung gesetzwidrig war.
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