Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Jänner 1987 zu gewähren, abgewiesen wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.134,90 S (189,15 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 1.543,50 S (257,25 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 29. Oktober 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 13. Jänner 1986 auf Zuerkennung einer Erwerbsunfähigkeitspension ab.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Jänner 1987 zu gewähren und wies das Mehrbegehren, die Erwerbsunfähigkeitspension bereits ab Antragstag zu gewähren, ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der am 14. Dezember 1931 geborene Kläger stellte am 13. Jänner 1986 den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension. Der Kläger arbeitete nach Absolvierung der Volks-, Haupt- und Hotelfachschule mit Ablegung der Gehilfenprüfung im Betrieb seiner Eltern. Anschließend übernahm er mit seinem Bruder den elterlichen Betrieb und führte ihn gemeinsam, vorerst in Form einer Gesellschaft nach bürgerlichem Recht, zuletzt als offene Handelsgesellschaft. Für diese Firma waren bis 1.Oktober 1985 Gewerbeberechtigungen für die Erzeugung von alkoholischen Getränken, für Erzeugung von Süßwein sowie für den Handel mit Wein aufrecht. Der Kläger arbeitete in diesem Betrieb nicht manuell mit. Ihm oblag die Führung des Weineinkaufes sowie Verkaufes an die Gastronomie, der Bearbeitung der Weingärten und der Kellereiarbeiten. Der Bruder des Klägers besorgte den Export und den Großhandel. In der Firma waren zuletzt etwa 100 Dienstnehmer beschäftigt. Hinsichtlich der Kellereiarbeiten und Bearbeitung der Weingärten war ein Betriebsleiter dem Kläger unterstellt. Daneben wurde im Betrieb eine Tischler- und eine Mechanikerwerkstätte geführt. Die Mechanikerwerkstätte wurde von einem Betriebsleiter, der dem Kläger gegenüber verantwortlich war, geführt. In der Tischlereiwerkstätte nahm der Kläger selbst die einzelnen Anweisungen vor. Die Betriebsleiter arbeiteten selbständig. Es wurden täglich Besprechungen mit dem Kläger abgehalten und die anstehenden Entscheidungen gemeinsam erörtert. Im Bereich des Weinverkaufes oblag dem Kläger die regelmäßige Kontrolle der Auslieferungslager. Der Weineinkauf wurde über Weinsensale vorgenommen. Die von den Sensalen vermittelten Proben wurden vom Kläger verkostet und die Entscheidung für oder gegen einen Einkauf getroffen. Der Kläger war mit diesen Aufgaben voll ausgelastet. Der Aufgabenbereich des Bruders des Klägers erforderte die selbe Auslastung. Der Kläger übte keinerlei körperliche Arbeit, sondern lediglich dispositive Tätigkeiten aus. Durch seine Mitarbeit ersparte sich die Firma einen Betriebsleiter. Der Arbeitsaufwand, sowie die finanzielle Seite des Betriebes erforderte diese Mitarbeit. Dem Kläger sind leichte und mittelschwere Arbeiten in jeder Körperhaltung, in der normalen Arbeitszeit ohne Einschränkung zumutbar. Tages- und Wochenpendeln sowie Übersiedeln scheidet aus. Der Kläger hat nicht die Fähigkeiten, sich außerhalb seiner gewohnten Umgebung zu orientieren. Tagespendeln innerhalb des bisherigen Verwaltungsbezirkes des Klägers ist möglich, zumal hier die Orientierung noch ausreicht. Der Kläger ist für einfache Tätigkeiten unterweisbar. Aufgrund der hirnorganischen Demenz ist es zu einer wesentlichen Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers gekommen. Diese besteht im Hinblick auf Gedächtnis, Merkfähigkeit, Konzentration, Kritikfähigkeit und Aufmerksamkeit. Die geistige Leistungsfähigkeit des Klägers reicht noch für einfache Tätigkeiten aus. Stereotype Tätigkeiten kann er auch als Bandarbeit vornehmen. Die bisher von ihm ausgeübte Tätigkeit als Gesellschafter in der OHG ist ihm nicht mehr möglich. Seiner geistigen Leistungsfähigkeit entsprechen im Bereich der Angestelltentätigkeiten solche, die in der Verwendungsgruppe I der Kollektivverträge für Angestellte eingereiht werden. Im Bereich der Industrie kann der Kläger Tätigkeiten an Maschinen und Halbautomaten sowie Abfüll- und Verpackungsarbeiten vornehmen, im Bereich des Gewerbes kommen Arbeiten als Hausarbeiter, Platzmeister, Botengänger, Lagerarbeiter, Transportarbeiter, Werkstättenreiniger und ähnliches in Frage.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres am 14. Dezember 1986, sei die Erwerbsunfähigkeit des Klägers nach § 133 Abs. 1 GSVG zu beurteilen. Da der Kläger noch fähig sei, einem regelmäßigen Erwerb in den festgestellten Verweisungstätigkeiten nachzugehen, sei das Klagebegehren in diesem Umfange abzuweisen. Ab 1. Jänner 1987 komme die Bestimmung des § 133 Abs. 2 GSVG zum Tragen. Da der Kläger seine selbständige Erwerbstätigkeit, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt habe, aufgrund seiner eingeschränkten geistigen Leistungsfähigkeit nicht mehr ausüben könne und wegen des Erfordernisses der persönlichen Arbeitsleistung auch die Möglichkeit ausscheide, das Gewerbe durch andere Personen ausüben zu lassen, sei er ab dem Monatsersten nach Vollendung des 55. Lebensjahres als erwerbsunfähig anzusehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei, die in ihrer Rechtsrüge ausführt, rein dispositive Tätigkeiten eines Selbständigen könnten nicht unter den Begriff "persönliche Arbeitsleistung" gemäß § 133 Abs. 2 lit. b GSVG subsumiert werden, darunter sei vielmehr manuelle Mitarbeit zu verstehen, keine Folge. Nach dem Wortlaut des § 133 Abs. 2 lit. b GSVG sei die Anspruchsvoraussetzung lediglich dahin umschrieben, daß die persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war. Eine Einschränkung auf körperliche Arbeit unter Ausschluß der typisch unternehmerischen Tätigkeit sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Es würde einen Bruch im Gefüge des Sozialversicherungsrechtes darstellen, könnte ein selbständiger Betriebsleiter eine Berufsunfähigkeitspension nicht erlangen, wohl aber ein unselbständiger Angestellter, etwa der Verwendungsgruppen 5 oder 6 des Angestelltenkollektivvertrages unter sonst gleichen körperlichen und geistigen Voraussetzungen.
Rechtliche Beurteilung
Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist berechtigt.
Bis zur 18. GSPVG-Novelle war nach § 74 GSPVG als erwerbsunfähig nur der Versicherte anzusehen, der infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande war, einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen. Durch die 18. GSPVG-Novelle erfuhr dieser Begriff der dauernden Erwerbsunfähigkeit des § 74 eine Ergänzung durch Einführung des in § 133 Abs. 2 GSVG übernommenen milderen Erwerbsunfähigkeitsbegriffes. Danach gilt als erwerbsunfähig auch der Versicherte, der das 55. Lebensjahr vollendet hat und dessen persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, wenn er infolge Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte dauernd außer Stande ist, jener selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (1403 BlgNR 11. GP, 13) führen dazu aus, daß die bis dahin außerordentlich strenge Regelung, welche dauernde und totale Erwerbsunfähigkeit verlangte, in zahlreichen Fällen zu großen sozialen Härten geführt habe. Es erweise sich namentlich bei Versicherten in fortgeschrittenem Alter häufig als schwierig, sie auf andere Erwerbstätigkeiten zu verweisen. Mit der vorgeschlagenen Ergänzung solle eine Beseitigung der ärgsten Härten erreicht werden, womit aber noch keine Gleichstellung mit der bezüglichen Regelung des ASVG herbeigeführt werde. Vielmehr solle eine Lösung versucht werden, von der anzunehmen sei, daß sie - zwar noch immer strenger als die des ASVG - den Bedürfnissen der Versicherten nach dem GSPVG, hiebei vor allem der Inhaber von kleinen Betrieben, Rechnung getragen werde. So solle zur Feststellung der Erwerbsunfähigkeit nach dem GSPVG bei Versicherten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben und deren persönliche Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig war, eine Verweisung auf unselbständige Erwerbstätigkeiten ausgeschlossen sein, aber auch eine Verweisung auf selbständige Erwerbstätigkeiten solle Beschränkungen unterliegen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muß die persönliche Arbeitsleistung des Versicherten zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig sein. Eine Einschränkung dahin, daß diese persönliche Arbeitsleistung, zumindest teilweise oder überwiegend in manuellen Arbeiten bestehen müßte, rein dispositive Tätigkeit aber nicht ausreiche, wie dies mehrfach in Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien als des damaligen Höchstgerichtes zum Ausdruck kommt, läßt sich dem Gesetz und auch den Materialien nicht entnehmen. Maßgeblich kann nur der Betrieb des Versicherten sein, nämlich ob nach Art und Umfang dieses Betriebes die persönliche Arbeitsleistung zu dessen rentabler Aufrechterhaltung notwendig ist. Auf die Art der Tätigkeit kommt es nicht an. Es gibt durchaus eine Reihe von Betrieben, man denke nur etwa an eine Handelsagentur, in welchen nur oder in erster Linie dispositive Tätigkeiten, nicht aber auch manuelle Arbeiten anfallen. Nur wenn der Betrieb ohne Mitarbeit des Versicherten wirtschaftlich nicht lebensfähig ist, sind die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben. Besteht aber objektiv die Möglichkeit, durch organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, daß er auch ohne persönliche Mitarbeit des Betriebsinhabers oder Teilhabers wirtschaftlich geführt werden kann und dies ist bei Groß- und Mittelbetrieben, unabhängig von ihrer Rechtsform jedenfalls anzunehmen (und so ist auch der Hinweis in den erläuternden Bemerkungen, daß vor allem Inhaber von kleinen Betrieben bessergestellt werden sollten zu verstehen), dann sind die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension nach § 133 Abs. 2 GSVG nicht erfüllt. Der Gesetzgeber wollte durch Normierung des Erfordernisses der persönlichen Mitarbeit des Betriebsinhabers jedenfalls nur kleinere Selbständige schützen, die bei Ausfall ihrer Arbeitskraft ihre einzige Einkommensquelle verlieren, nicht aber eine volle Gleichstellung aller Selbständigen mit den nach dem ASVG Versicherten erreichen.
Nach den Feststellungen war der Kläger persönlich haftender Gesellschafter einer OHG. Der Betrieb beschäftigte etwa 100 Dienstnehmer und mehrere Betriebsleiter. Durch die persönliche Mitarbeit des Klägers ersparte sich die Firma einen weiteren Betriebsleiter. Aus der inhaltsleeren Feststellung des Erstgerichtes "der Arbeitsaufwand sowie die finanzielle Seite des Betriebes erforderten die Mitarbeit des Klägers" folgt noch keineswegs, daß eine rentable Aufrechterhaltung des Betriebes, etwa durch Einstellung eines weiteren Betriebsleiters oder Umorganisation der Aufgabenbereiche, ohne persönliche Mitarbeit des Klägers nicht möglich gewesen wäre. Dies ist bei der hier gegebenen Betriebsgröße nach objektiven Gesichtspunkten von vornherein auszuschließen. Die Erwerbsunfähigkeit des Klägers ist daher nach § 133 Abs. 1 ASVG zu beurteilen. Da der Kläger nach den Feststellungen nicht dauernd außer Stande ist einem regelmäßigen Erwerb nachzugehen und noch auf einige unselbständige Erwerbstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden kann, ist die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs. 2 Z 1 ASGG abhing, entspricht es der Billigkeit, dem überlegenen Kläger die Hälfte der Kosten seines Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 1/66).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)