OGH 10ObS242/94

OGH10ObS242/944.10.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Robert Letz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Renata M*****, vertreten durch Dr.Harald Wolzt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, Dr.Karl-Renner-Promenade 14-16, 3101 St.Pölten, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram, Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wochengeld, infolge "außerordentlicher Revision" der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Juni 1994, GZ 32 Rs 65/94-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Februar 1994, GZ 5 Cgs 137/93k-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin hatte auf Grund des ärztlicherseits festgestellten individuellen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG ab 13.11.1992 Anspruch auf Wochengeld, das auch ab diesem Zeitpunkt in der Höhe von S 577,30 täglich zur Auszahlung gelangte. Als voraussichtlichen Tag der Entbindung wurde der 16.4.1993 vom behandelnden Arzt ermittelt. Tatsächlich fand am 26.1.1993 eine Frühgeburt statt. Vor der Entbindung erhielt die Klägerin Wochengeld vom 13.11.1992 bis 25.1.1993 (mehr als 8 Wochen) sowie nach der Entbindung vom 27.1.1993 bis 20.4.1993 (12 Wochen).

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Wochengeld im gesetzlichen Ausmaß über den 20.4.1993 hinaus. Ihr stehe infolge Verkürzung der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG durch die Frühgeburt Wochengeld für ingesamt 16 Wochen nach der Entbindung zu.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil sich die Schutzfrist nach der Entbindung gemäß § 5 Abs 1 letzter Satz MSchG nicht verlängere, wenn die Dienstnehmerin wegen eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG insgesamt länger als 8 Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigt gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Meinung, daß kein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MSchG sondern ein solches nach § 3 Abs 3 MSchG vorgelegen sei, sodaß mangels Vorliegens der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG eine Verminderung dieser Frist vor der Entbindung nicht eingetreten sei, die zu einer Verlängerung der Achtwochenfrist nach der Entbindung nach § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG geführt hätte. Die Einfügung des Klammerausdruckes § 3 Abs 1 MSchG durch das ArbBG stelle klar, daß die Verlängerungsbestimmung des § 5 Abs 1 dritter Satz MSchG nur dann in Geltung treten könne, wenn das Beschäftigungsverbot auf der Bestimmung des § 3 Abs 1 MSchG beruhe, nicht jedoch im Falle eines individuellen Beschäftigungsverbotes. Nur wenn bei einem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG bis zu einer Frühentbindung nicht mindestens 8 Wochen verstrichen wären, käme es zu einer Verlängerung der Achtwochenfrist nach der Entbindung. Der Normenschutzzweck der Verlängerungsbestimmung des § 5 Abs 1 MSchG sei darauf gerichtet, der Dienstnehmerin anläßlich der Entbindung außerhalb des Entbindungstages einen Zeitraum von zweimal 8 Wochen zur körperlichen Schonung zu gewähren. Für eine derartige Schonzeitgarantie bestehe, bei Festlegung eines Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG, wenn eine Frist von 8 Wochen bis zur Entbindung tatsächlich gewährt wird, kein Anlaß. Der Wochengeldbezug der Klägerin habe vor der Entbindung ebenfalls mehr als 8 Wochen betragen, so daß es zu keiner Schutzfristverlängerung im Sinne des § 5 Abs 1 MSchG käme.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Unter Hinweis auf die bisher vorliegenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vermeinte es rechtlich, daß dem Ziel des Beschäftigungsverbotes nach der Entbindung auch dann entsprochen würde, wenn bei Lösung der Frage, ob die Schutzfrist vor der Entbindung verkürzt wurde, die Dauer des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG berücksichtigt würde. Durch die vor dem errechneten Geburtstermin erfolgte Entbindung sei es zu keiner Verkürzung der tatsächlich zukommenden Achtwochenfrist vor der Entbindung gekommen, die alleine zu einer Verlängerung der Achtwochenfrist nach der Entbindung hätte führen können.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich das als außerordentliche Revision bezeichnete Rechtsmittel der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei stellt den Antrag, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.

Die Revision der Klägerin ist unabhängig von den gegenteiligen Aussprüchen des Berufungsgerichtes gemäß § 46 Abs 3 ASGG jedenfalls zulässig, weil Wochengeld eine wiederkehrende Leistung in Sozialrechtssachen ist (SSV-NF 3/85, 7/63); sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin stützt ihre Ausführungen im wesentlichen auf die Kritik von Knöfler (DRdA 1990, 220 ff) zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SSV-NF 3/85 = DRdA 1990/18 sowie die Ausführungen von Martinek (DRdA 1991/31) zu der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.4.1990, Zl 90/12/0090 und den von Knöfler verfaßten Kommentar zum Mutterschutzgesetz10, 89, 114 und meint, der Gesetzgeber hätte nunmehr durch die Novellierung des § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG durch das Arbeitsrechtliche Begleitgesetz = ArbBG, BGBl 1992/833 eine Klarstellung dahingehend getroffen, daß eine Zusammenrechnung der verkürzten Schutzfrist vor der Geburt mit einer vorgezogenen Schutzfrist nach § 3 Abs 3 MSchG nicht zu erfolgen habe.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt die Frage, ob bei Verkürzung der Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG infolge eines unrichtigen Geburtstermines Zeiten eines vorgezogenen individuellen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG bei Verlängerung der Schutzfrist nach § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG außer Betracht zu bleiben, sohin eine Zusammenrechnung der verkürzten Schutzfrist vor der Geburt mit einer vorgezogenen Schutzfrist nach § 3 Abs 3 MSchG nicht stattzufinden hat, verneint (SSV-NF 3/85 = DRdA 1990/18 [krit Knöfler]; SSV-NF 6/32, 10 ObS 269/92, 10 ObS 1/93).

Von dieser Rechtsprechung abzugehen bietet auch die Neufassung des § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG durch Artikel I Z 7 des Arbeitsrechtlichen Begleitgesetzes keinen Anlaß.

§ 5 Abs 1 Satz 3 MSchG nF lautet:

"Ist eine Verkürzung der Achtwochenfrist (§ 3 Abs 1) vor der Entbindung eingetreten, so verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 16 Wochen". Im Normalfall dauert die Schutzfrist und der nach § 162 Abs 2 ASVG davon abhängige Wochengeldbezug vor und nach der Entbindung insgesamt 16 Wochen. Bei Frühgeburten bleibt jedenfalls die 12-wöchige Schutzfrist nach der Entbindung gewahrt. Wenn aber die Frühgeburt vor der Schutzfrist (Siebenmonatskind) oder zwischen Beginn der Schutzfrist und vier Wochen vor dem voraussichtlichen Geburtstermin erfolgte, verlängerte sich bis zum ArbBG die Schutzfrist nach der Geburt zwar auf höchstens 12 Wochen, jedoch trat eine soziale Benachteiligung gegenüber Normalfällen, in denen die Schutzfrist insgesamt 16 Wochen betrug, ein. Um diese sozialpolitisch als verfehlt empfundene Regelung bei Problemfällen zu beseitigen, ist es sachgerecht, daß § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG nF nun für alle Fälle der Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung ebenso wie für den Normalfall eine einheitliche Gesamtdauer der Schutzfrist von 16 Wochen vorsieht, um auch diese besonders gravierenden im § 5 Abs 1 Satz MSchG genannten Fälle nicht schlechter zu behandeln als die Normalfälle (735 BlgNR 18.GP, 22).

Eine Verkürzung der die zur Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG verlängernde Freistellungszeit nach § 3 Abs 3 MSchG durch eine Entbindung bedingt auch in Problemfällen keine Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung über insgesamt 16 Wochen hinaus. Es findet sich im Gesetz kein Hinweis dafür, daß auch eine Verkürzung des unbefristeten individuellen - nach dem Übereinkommen Nr.103 der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation über den Mutterschutz (BGBl 1970/31) als zusätzlicher Urlaub zur Vermeidung einer Gefährdung von Leben und Gesundheit von Mutter und Kind zu gewährender - Beschäftigungsverbotes des § 3 Abs 3 MSchG zu einer Verlängerung der Schutzfrist im Sinne des § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG führen soll.

Der Oberste Gerichtshof wies schon in SSV-NF 6/32 darauf hin, daß die Beziehung des Begriffes der Achtwochenfrist in § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG ausschließlich auf § 3 Abs 1 MSchG, wie dies nun der Wortlaut des § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG nF ausdrücklich vorsieht nur im Rahmen einer reinen Wortauslegung bei Außerachtlassung des Zusammenhanges und des Zweckes der Regelungen dahin verstanden werden könnte, daß bei Berechnung einer allfälligen Verkürzung der Schutzfrist vor der Entbindung auch dann vom Tag auszugehen ist, von dem nach dem ärztlichen Zeugnis das allgemeine Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 1 MSchG einzusetzen hat, wenn zuvor bereits ein durchgehendes individuelles Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs 3 MSchG bestand. § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG will jedoch nicht wie § 5 Abs 1 Satz 2 MSchG eine wegen einem besonderen Schonungsbedürfnis der Frau nach der Geburt zu gewährende Schutzfrist einräumen, sondern gewährleistet der Frau im Falle einer Verkürzung der Schutzfrist vor der Geburt höchstens eine gesamte Schutzfrist von 16 Wochen.

Daß der Gesetzgeber den Begriff Achtwochenfrist in § 5 Abs 1 Satz 3 MSchG ausschließlich auf das generelle Beschäftigungsverbot vor der voraussichtlichen Entbindung des § 3 Abs 1 MSchG durch die nunmehrige Aufnahme des Klammerzitates bezog, bedeutet entgegen der Ansicht Knöflers (MSchG10 89, 117) nicht, daß die vorgezogene Schutzfrist nach § 3 Abs 3 MSchG bei Berechnung der Verlängerung der Schutzfrist nach § 5 Abs 1 MSchG außer Betracht zu lassen wäre. Es handelt sich dabei nur um einen Hinweis dafür, daß nur die Verkürzung des absoluten in § 3 Abs 1 MSchG genannten Beschäftigungsverbotes von acht Wochen zu einer Verlängerung der Schutzfrist nach der Entbindung führen kann. Es ist dabei gleichgültig, ob dieses absolute Beschäftigungsverbot von der Schwangeren in Form des allgemeinen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 1 MSchG oder des individuellen Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 3 MSchG konsumiert wird.

Nur die Verkürzung der Dauer des absoluten Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs 1 MSchG (Achtwochenfrist) durch die Geburt führt zu einer Verlängerung der Schutzfrist des § 5 Abs 1 erster Satz MSchG nach der Geburt. Der Zweck dieses individuellen Beschäftigungsverbotes, eine Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit von Mutter und Kind bei Fortdauer der Beschäftigung vor der Niederkunft auszuschalten, wird nicht dadurch vereitelt, daß eine vorgezogene Geburt stattfindet, weil ja die Beschäftigung als Gefährdungsfaktor bis dahin entfällt. Entgegen der Meinung Knöflers (DRdA 1990/18 [221]) führt daher eine Verkürzung des individuellen Beschäftigungsverbotes in diesem Fall nicht zu einer Verlängerung der Schutzfrist, wenn damit nicht auch die Achtwochenfrist des § 3 Abs 1 MSchG verkürzt wird.

Die der Klägerin tatsächlich zugekommene Schutzfrist betrug insgesamt mehr als 16 Wochen. Die bei Frühgeburten zu gewährende Frist von 12 Wochen nach der Entbindung ist ebenfalls eingehalten.

Der Revision kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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