Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.
Text
Begründung
Das Erstgericht unterbrach das Verfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die Beschwerde des Vertreibers von Ukrain gegen den Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit und Konsumentenschutz, womit der Antrag auf Zulassung der Arzneispezialität Ukrain abgewiesen wurde. Der Kläger begehrte in diesem Verfahren Kostenersatz für das Heilmittel "Ukrain" für die mitversicherte Ehegattin.
Die Unterbrechung des Verfahrens begründete das Erstgericht damit, daß die Zulassung der Arzneimittelspezialität Voraussetzung für die Eintragung im Heilmittelverzeichnis sei, die aber wieder die Kostenersatzpflicht des Versicherungsträgers auslöse. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei.
Die Zulassung und eine daran anknüpfende Aufnahme in das Heilmittelverzeichnis bewirke die Vermutung der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Heilbehandlung, sodaß die Zulassung von Ukrain zumindest eine teilweise Präjudizialität begründe. Für den Fall der Nichtzulassung müsse, weil die Eintragung ins Heilmittelverzeichnis das Recht des Patienten auf eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung nicht einschränke, ein umfangreiches und kostspieliges Beweisverfahren darüber, ob das Heilmittel einer ausreichenden und zweckmäßigen Krankenbehandlung dienlich war, abgeführt werden. Zur Vermeidung des kostspieligen Verfahrens sei die Unterbrechung zweckmäßig.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung des Gerichtes der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist berechtigt. Das Heilmittelverzeichnis schränkt das Recht des Patienten auf die für die ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung notwendigen Heilmittel nicht ein. Den Patienten der österreichischen Sozialversicherung können vielmehr alle erhältlichen Medikamente verordnet werden, wenn dies im einzelnen Behandlungsfall den gesetzlich festgelegten Kriterien einer ausreichenden, zweckmäßigen und das Maß des Notwendigen nicht überschreitenden Krankenbehandlung dient. Hiebei ist es zwar grundsätzlich nicht Sache des Krankenversicherungsträgers, die Kosten für medizinische Experimente zu tragen, dem Patienten muß jedoch der Beweis offen stehen, daß im Einzelfall eine wissenschaftlich noch nicht allgemein gesicherte Methode erforderlich oder zweckmäßig war. Die Kosten einer von der Wissenschaft noch nicht anerkannten Behandlungsmethode (Außenseitermethode) sind demnach zu ersetzen, wenn zunächst eine zumutbare Behandlung nach wissenschaftlich anerkannten Regeln versucht wurde aber erst die Außenseitermethode beim Versicherten erfolgreich war oder doch nach den bisherigen Erfahrungen (prognostisch) ein Erfolg erwartet werden durfte. Wenngleich in Österreich die Zulassung von Arzneispezialitäten durch einen rechtsgestaltenden Bescheid zu erfolgen hat, sind unter Umständen vom Krankenversicherungsträger auch die Kosten nicht zugelassener Arzneispezialitäten zu tragen. Die Erstattung der Kosten einer erfolgreichen Therapie kann somit nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden, daß das angewandte Arzneimittel in Österreich nicht zugelassen bzw die Verwendung erlaßmäßig im Inland untersagt ist. Entscheidend ist vielmehr, ob eine gleich teure oder sogar teuerere, aber wissenschaftlich anerkannte sonstige zumutbare Behandlung mit schulmedizinisch anerkannten Methoden versucht wurde und diese nicht erfolgversprechend gewesen wäre. Kann nämlich schon mit derartigen schulmedizinischen Methoden das Auslangen gefunden werden, dann kommt ein Ersatz der Kosten einer Außenseitermethode nicht in Betracht, weil dann ja das Maß des Notwendigen überschritten worden wäre und somit kein Anspruch auf eine Kostenübernahme durch den Krankenversicherungsträger besteht (10 ObS 52/96 = JUS/Extra OGH-Z 2067).
Wenn bereits ein rechtskräftiger Verwaltungsbescheid vorliegt, besteht die Bindung des Gerichtes daran auch dann, wenn eine Verfassungsgerichtshof- oder eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde erhoben wurde (Stohanzl MGA ZPO14 E 46 zu § 190; 1 Ob 1/90). Die Frage, ob eine schuldmedizinische Behandlungsmethode versucht, aber im Gegensatz zur Außenseitermethode nicht erfolgversprechend war, kann unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof vom Gericht geprüft werden. Die Zweckmäßigkeit der Unterbrechung ist daher zu verneinen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
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