OGH 10ObS230/92

OGH10ObS230/9218.3.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Roswitha W*****, vertreten durch Dr.Hildegard Hartung, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Juni 1992, GZ 34 Rs 52/92-46, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Juli 1991, GZ 13 Cgs 1252/88-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27.1.1988 erkannte die Beklagte der Klägerin für die Folgen des Arbeitsunfalls (AU) vom 20.3.1987 für die Dauer der völligen Erwerbsunfähigkeit die Voll- und Zusatzrente sowie einen Kinderzuschuß zu.

Mit Bescheid vom 17.11.1988 setzte die Beklagte die Versehrtenrente vom 29.8.1988 an bis auf weiteres im Ausmaß von 30 vH der Vollrente als Dauerrente fest. Dafür waren nachstehende Folgen des AU maßgebend: vermehrte Bewegungseinschränkung des Hüftgelenks und Verschmächtigung der Beinmuskulatur, Narbenbildung und Druckschmerzhaftigkeit im Bereich des Oberschenkels und der Hüfte, Kraftverminderung des Beines, vermehrte Gangbehinderung sowie subjektive Restbeschwerden nach Refraktur des rechten Oberschenkels und Bruch des rechten Oberschenkels 1983 sowie Bruch des rechten Unterschenkels 1979.

Die auf eine Dauerrente von 70 vH der Vollrente, ausgehend von der durch die Wiener Gebietskrankenkasse noch neu festzusetzenden Bemessungsgrundlage gerichtete Klage stützte sich darauf, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 70 vH betrage und die Bemessungsgrundlage höher als die dem Bescheid vom 27.1.1988 zugrunde gelegte von 171.444 S sei. Das beim Erstgericht zu 10 Cgs 507/88 anhängige Verfahren über die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage sei wegen eines Feststellungsverfahrens der Wiener Gebietskrankenkasse über die Bemessungsgrundlage unterbrochen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des auf eine Dauerversehrtenrente von mehr als 30 vH ab 29.8.1988 gerichteten Mehrbegehrens, weil die Erwerbsfähigkeit der Klägerin seither nur um 30 vH gemindert sei.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin aus Anlaß des AU vom 20.3.1987 vom 29.8.1988 an eine Versehrtenrente von 40 vH unter Zugrundelegung der mit Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 15.10.1990 errechneten Bemessungsgrundlage zu gewähren (Punkt 1), und wies das auf eine Versehrtenrente im Ausmaß von 70 vH (der Vollrente) gerichtete Mehrbegehren ab (Punkt 2).

Es stellte im wesentlichen fest, daß die Klägerin, die bereits 1979 einen offenen Unterschenkelbruch rechts und 1983 einen Oberschenkelbruch rechts erlitten hatte, am 20.3.1987 auf dem Heimweg von ihrer Arbeitsstätte (Amerikanische Botschaft) eine Refraktur des rechten Oberschenkels erlitt, nach der sie bis 28.8.1988 völlig erwerbsunfähig war. Bei der Untersuchung durch den gerichtsärztlichen Sachverständigen am 27.2.1989 fand sich an der Außenseite des rechten Oberschenkels eine 32 cm lange, reaktionslose Narbe. Der Bruchbereich war druckschmerzhaft, der Bruch selbst klinisch fest und achsengerecht. Es bestanden keine Beinverkürzung, keine Ödeme und keine Varizen. Im rechten Hüftgelenk bestand ein Beugedefizit von 20 o, im linken Kniegelenk ein solches von 10 o. Der Gang war rechts hinkend. Die Umfangmaße betrugen am Oberschenkel rechts 44 cm, links 46 cm, am Unterschenkel rechts 32,5 cm, links 35 cm. Nach Einsicht in das Becken, die rechte Hüfte und den rechten Oberschenkel betreffende Röntgenbefunde vom 22.10.1987, 20.12.1988 und 29.6.1989 ergänzte der Sachverständige, daß im körpernahen Anteil des rechten Oberschenkels eine Aufhellungslinie beschrieben wird, die einer Ermüdungsfraktur, sohin einer Pseudarthrose entspricht, mit der der Bruch ausgeheilt ist. Daraus resultiert eine Instabilität, durch die die Gangqualität und Belastbarkeit wesentlich verschlechtert wird. Nach der Refrakturierung im Bereich des rechten Oberschenkels bestehen eine Bewegungseinschränkung im rechten Hüftgelenk, eine Muskelverschmächtigung am Bein, eine Gangbehinderung, eine reduzierte Gangleistung und glaubwürdige subjektive Beschwerden. Der Sachverständige schätzte die MdE ab dem 29.8.1988 mit 40 vH ein.

Das Erstgericht schloß sich dieser Einschätzung, die mit den allgemeinen Richtlinien (Krösel-Zrubetzky) in Einklang zu bringen sei, an. Die unfallbedingten Funktionseinschränkungen kämen nicht einer Amputation gleich. Die Richtlinien nach dem KOVG seien hier nicht anzuwenden. An die individuellen Merkmale des zuletzt ausgeübten Berufes sei nicht anzuknüpfen.

Das Berufungsgericht gab der gegen die Abweisung des Mehrbegehrens (Punkt 2) gerichteten, mit Mangelhaftigkeit des Verfahrens, mangelhafter Tatsachenfeststellung und unrichtiger Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung begründeten Berufung der Klägerin nicht Folge.

Es verneinte die behaupteten Verfahrensmängel, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und schloß sich auch der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die nichtbeantwortete Revision der Klägerin wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das angefochtene Urteil iS einer vollen Klagestattgebung abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Nach Erhebung der Revision legte die Klägerin das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.9.1992 Zl 92/08/0090 vor, mit dem die Beschwerde der Klägerin gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 10.1.1991 Zl MA 14-W 2/91 betreffend Feststellung von Beitragsgrundlagen (mitbeteiligte Partei Wiener Gebietskrankenkasse) als unbegründet abgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 3 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässige Revision ist nicht berechtigt.

1. Nichtigkeit:

Das Urteil des Berufungsgerichtes ist nicht wegen des im § 477 Abs 1 Z 9 (letzter Fall) ZPO nichtig. Diese Nichtigkeit läge nur vor, wenn für die Entscheidung keine Gründe angegeben wären. Davon kann aber keine Rede sein.

ad a) Das Berufungsgericht hat sich bei der Erledigung der Beweisrüge nicht nur auf den in der Revision zitierten Absatz beschränkt, sondern ist auf die Bweisrüge auch in einem weiteren und wesentlich längeren Absatz eingegangen. Die Bezugnahme auf die bereits bei der Erledigung der Mängelrüge behandelten Behauptungen der Berufungswerberin zur Widersprüchlichkeit und mangelnden Nachvollziehbarkeit des Sachverständigengutachtens im in der Revision zit Absatz stellt eine knappe, entgegen der Meinung der Revisionswerberin aber zutreffende Antwort auf ihre in der Revision bezeichneten Ausführungen zur Beweisrüge dar, weshalb in diesem Zusammenhang auch nicht von einer mangelhaften Begründung des angefochtenen Urteils iS des § 503 Z 2 ZPO gesprochen werden kann.

ad b) Das Berufungsgericht hat aber auch für die Ablehnung der von der Klägerin erst bei ihm gestellten Unterbrechungsantrages eine ausreichende und übrigens auch zutreffende Begründung gegeben. Die maßgebende Beitragsgrundlage war schon deshalb in erster Instanz nicht mehr strittig, weil die Klägerin in dem in der letzten Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung am 22.7.1991 vorgetragenen Schriftsatz ON 29 ausdrücklich beantragt hatte, der Bemessung der Versehrtenrente die Beitragsgrundlagen gemäß dem Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 15.10.1990 VA 8113833/90 zugrundezulegen. Schon deshalb lag eine strittige Vorfrage iS des § 74 Abs 1 ASGG nicht vor. Im übrigen ist der Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse infolge der schon erwähnten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in Rechtskraft erwachsen.

2. Aktenwidrigkeit:

Die geltend gemachten Aktenwidrigkeiten (§ 503 Z 3 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

ad a) wird auf die Ausführungen zu 1b hingewiesen.

ad b) Diese Ausführungen versuchen einen im Revisionsverfahren nicht zulässigen Angriff auf die Beweiswürdigung der zweiten Instanz.

3. Mangelhaftigkeit:

Die geltend gemachten Mangelhaftigkeiten (§ 503 Z 2 ZPO) liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

ad a) wird auf die Ausführungen zu 1b hingewiesen.

ad b) Diese Ausführungen versuchen eine im Revisionsverfahren nicht zulässige Bekämpfung der Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes.

4. Rechtsrüge:

ad a) bis c) Soweit die Rechtsrüge nicht von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen ausgeht, ist sie nicht gesetzgemäß ausgeführt. Das Erstgericht ist dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen gefolgt und hat dessen Einschätzung der MdE seinen Feststellungen zugrundegelegt, die in der Berufung erfolglos bekämpft und vom Berufungsgericht übernommen wurden. Dies stellt einen Akt der irrevisiblen Beweiswürdigung dar (stRsp des erkennenden Senates: SSV-NF 5/125, 6/15 ua).

ad d): Die eben erwähnte medzinische MdE bildet im allgemeinen auch die Grundlage für deren rechtliche Einschätzung, wenn ein Abweichen davon nicht wegen besonderer Umstände geboten ist (stRsp wie oben). Die in der Revision angeführten Umstände, insbesondere die Unfähigkeit, die bisherigen Berufe weiter auszuüben, und das Alter der am 18.12.1941 geborenen Klägerin, stellen noch keine solchen besonderen Umstände für eine höhere Bewertung der MdE dar (SSV-NF 3/18 mwN, 5/125 ua; Gitter, Sozialrecht3 134).

ad e) wird auf die Ausführungen zu 1b hingewiesen.

ad f) wird auf die Ausführungen zu 3b hingewiesen.

Daher war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da das Revisionsverfahren keine tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, war der Klägerin der Ersatz der Kosten der Revision auch nicht teilweise zuzubilligen.

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