OGH 10ObS227/94

OGH10ObS227/948.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl Hennrich (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Kurt Retzer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei August H*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Hans Pernkopf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Überbezuges an Ausgleichszulage (S 37.147,10), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.April 1994, GZ 31 Rs 16/94-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 9.November 1993, GZ 27 Cgs 206/93t-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezog von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ab 1.4.1992 eine Witwerpension in der Höhe von S 4.362,20. Mit Bescheid vom 30.4.1992 wurde seinem Antrag auf Zuerkennung einer Ausgleichszulage stattgegeben und diese im monatlichen Betrag von S 2.137,80 ab 1.4.1992 gewährt. Am 22.3.1992 wies die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter einen Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Dagegen erhob der Kläger beim Landesgericht St.Pölten Klage. Dieses Gerichtsverfahren endete mit einem Vergleich am 11.2.1993, in dem sich die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter verpflichtete, dem Kläger rückwirkend ab 1.1.1992 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 22.3.1993 wurde diese Invaliditätspension betragsmäßig festgesetzt und zwar ab 1.1.1992 mit S 8.462,80 und ab 1.1.1993 mit S 8.801,30. In der Zeit vom 1.4.1992 bis zum 30.4.1993 wurde dem Kläger an Ausgleichszulage insgesamt S 37.147,10 ausbezahlt. Am 29.4.1993 erließ die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Bescheid mit folgendem Spruch:

"Das aufgrund Ihres Antrages vom 24.3.1992 auf Gewährung einer Ausgleichszulage gemäß § 292 ASVG eingeleitete und mit Bescheid vom 30.4.1992 abgeschlossene Verfahren wird gemäß § 69 Abs 1 Z 2 und Abs 3 AVG in Verbindung mit § 357 Abs 1 ASVG wieder aufgenommen. Ihr Antrag vom 24.3.1992 auf Gewährung einer Ausgleichszulage gemäß § 292 ASVG wird abgelehnt. Die in der Zeit vom 1.4.1992 bis 30.4.1993 zu Unrecht in Empfang genommenen Beträge an Ausgleichszulage von S 37.147,10 werden rückgefordert und mit der seitens der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter einbehaltenen Nachzahlung verrechnet".

In der Begründung dieses Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, daß nach rechtskräftigem Abschluß des Pensionsfeststellungsverfahrens der Beklagten bekannt geworden sei, daß dem Kläger ab 1.1.1992 seitens der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Invaliditätspension gewährt wurde. Damit übersteige sein Gesamteinkommen den für ihn in Betracht kommenden Richtsatz. Die Rückforderung der zuviel bezogenen Ausgleichszulage gründe sich auf § 107 Abs 1 ASVG.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem Begehren, die Beklagte sei schuldig, von der Rückforderung der Ausgleichszulage für die Zeit vom 1.4.1992 bis 30.4.1993 Abstand zu nehmen und die Invaliditätspension in voller Höhe ohne Gegenverrechnung auszuzahlen.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß der bekämpfte Bescheid den gesetzlichen Bestimmungen entspreche.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es erkannte die Beklagte schuldig, von der Rückforderung der im genannten Zeitraum ausbezahlten Ausgleichszulage Abstand zu nehmen und die bereits eingehaltenen Beträge an den Kläger zurückzuzahlen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, daß keiner der Rückforderungstatbestände des § 107 Abs 1 ASVG vorliege. Den Kläger treffe kein Verschulden an der Unkenntnis, daß ihm die Leistung nicht gebühre, er habe auch keine Meldepflicht verletzt. § 107 Abs 1 letzter Satz ASVG sei deshalb nicht anzuwenden, weil sich diese Bestimmung nur auf Bezüge beziehe, die einander ausschließen und nicht gleichzeitig zur Auszahlung gelangen dürften. Nur in diesen Fällen sei eine verschuldensunabhängige Rückzahlungspflicht vorgesehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens und Verpflichtung des Klägers zum Rückersatz des Überbezuges ab. § 107 Abs 1 letzter Satz ASVG sehe vor, daß Geldleistungen zurückzufordern seien, wenn und soweit sich wegen eines nachträglich festgestellten Anspruchs auf Weiterleistung von Geld- und Sachbezügen herausstelle, daß diese zu Unrecht erbracht worden seien. Nach der Entscheidung SSV-NF 2/29 seien unter Geld- und Sachbezügen das Entgelt aus einer Erwerbstätigkeit zu verstehen. Auch im Falle des Krankengeldes handle es sich um ein Surrogat für Geld- und Sachbezüge aus dem Arbeitsverhältnis, da dieses den erlittenen Entgeltsverlust infolge Arbeitsunfähigkeit ersetzen solle; es habe daher Lohnersatzfunktion. Die in § 107 Abs 1 letzter Satz ASVG zum Ausdruck kommenden Grundsätze hätten dasselbe Gewicht in Fällen, in denen zwei einander ausschließende Sozialversicherungsleistungen für den identen Zeitraum gewährt worden seien. Das zum Krankengeld Gesagte müsse auch für die Invaliditätspension gelten, weil auch diese den Ausgleich des Einkommensverlustes infolge Arbeitsunfähigkeit bewirken solle. Diese Funktion werde noch verdeutlicht, da die Invaliditätspension auch nur vorübergehend gewährt werden könne. Auch eine Invaliditätspension sei somit eine Geld- und Sachleistung, die zur Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Ausgleichszulage berechtige; es handle sich bei den gegenständlichen Leistungen um einander ausschließende Leistungen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision mangels einer einschlägigen Rechtsprechung zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Er beantragt die Abänderung dahin, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt werde und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber leitet aus der Textierung des § 107 Abs 1 letzter Satz ASVG und aus der Entstehungsgeschichte (EB zur 31.ASVG-Novelle 1286 BlgNR 13.GP) ab, daß diese Bestimmung das Zusammentreffen von Weiterleistung der Geld- und Sachbezüge nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz einerseits und Leistungen der Sozialversicherung im Erkrankungsfall andererseits regle. Dies ergebe sich nicht nur aus der Wortwahl Geld- und Sachbezüge, sondern insbesondere auch aus der Formulierung Weiterleistung. Hier seien unzweifelhaft weitere Gehaltsbezüge im Krankheitsfall gemeint. Der Anspruch des Klägers auf Invaliditätspension hingegen sei kein Anspruch auf Geld- und Sachbezüge, aber auch kein Anspruch auf "Weiterleistung" eines Bezuges. Deshalb sei die Anwendung des § 107 Abs 1 letzter Satz ASVG verfehlt. Das zum Krankengeld Gesagte müsse auch keineswegs für die Invaliditätspension gelten; diese sei kein Ausgleich des Einkommensverlustes infolge Arbeitsunfähigkeit, sondern eine gesetzliche Leistung der Pensionsversicherung mit eigenen Anspruchsvoraussetzungen. Daher bestehe kein rechtlicher Grund für eine Rückforderung des Überbezugs an Ausgleichszulage.

Diesen Ausführungen kann schon deshalb kein Erfolg beschieden sein, weil sie die Bestimmung des § 296 Abs 4 ASVG außer acht lassen:

Entsteht danach durch eine rückwirkende Zuerkennung oder Erhöhung einer Leistung aus einer Pensionsversicherung ein Überbezug an Ausgleichszulage, so ist dieser Überbezug gegen die Pensionsnachzahlung aufzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn Anspruchsberechtigter auf die Pensionsnachzahlung der/die im gemeinsamen Haushalt lebende Ehegatte/Ehegattin ist. § 296 Abs 4 erster Satz ASVG läßt nach seinem Wortlaut nicht nur die Aufrechnung gegen Pensionsnachzahlungen nach dem ASVG, sondern die Aufrechnung gegen Nachzahlungen aus jedem Pensionssystem zu (Argument: "Leistungen aus einer Pensionsversicherung"). Die Aufrechnung hat auch dann Platz zu greifen, wenn der Überbezug an Ausgleichszulage dadurch entstanden ist, daß in den Fällen des § 292 Abs 2 ASVG dem Ehegatten eine Pension rückwirkend zuerkannt wird. Da eine dem § 103 Abs 2 ASVG entsprechende Einschränkung nicht besteht, wird, wenn dies notwendig sein sollte, die gesamte Pensionsnachzahlung für die Aufrechnung herangezogen werden können (Teschner/Widlar, ASVG 56. ErgLfg 1450/2h Anm 6 zu § 296). Die zitierte Bestimmung enthält als Sondernorm für den Überbezug an Ausgleichszulage eine neben §§ 103 und 107 ASVG bestehende Aufrechnungsmöglichkeit. Sie entspricht dem Rechtsgedanken, daß eine zunächst gebührende und rechtmäßig ausgezahlte Ausgleichszulage nicht behalten werden darf, wenn sich nachträglich durch rückwirkende Zuerkennung (oder Erhöhung) einer Leistung aus einer Pensionsversicherung ergibt, daß der Richtsatz erreicht oder überstiegen worden wäre, wenn diese Pensionsleistung früher zuerkannt worden wäre. Andernfalls würde es rückwirkend betrachtet zu einer Bereicherung des Pensionisten um die während des sich überschneidenden Zeitraumes bezogene Ausgleichszulage kommen.

Daß dem Kläger eine Ausgleichszulage ab 1.4.1992 nicht gebührt hätte, wenn bereits damals die Invaliditätspension berücksichtigt worden wäre, ist nicht strittig. Darauf, ob die rückwirkende Zuerkennung der Invaliditätspension einer Entgeltfortzahlung gleichzuhalten sei, kommt es daher im vorliegenden Fall überhaupt nicht an. Es ist auch ohne Bedeutung, daß die Ausgleichszulage von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, die Invaliditätspension hingegen von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter zu leisten war, weil wie bereits ausgeführt die Aufrechnung gegen Nachzahlungen aus jedem Pensionssystem zulässig ist. Übrigens hat die Beklagte bereits in ihrer Klagebeantwortung darauf hingewiesen, daß auch im Hinblick auf § 296 Abs 4 ASVG die Gewährung der Ausgleichszulage nicht möglich sei. Dieser Rechtsgedanke wurde allerdings im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht mehr aufgegriffen, doch trägt er allein die Abweisung des vorliegenden Klagebegehrens.

Der Revisionn war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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