OGH 10ObS221/88

OGH10ObS221/8820.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Herbert Vesely (Arbeitgeber) und Rudolf Hundstorfer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hannelore M***, ohne Beschäftigung, 4100 Walding, Schneiderweg 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10.Mai 1988, GZ 12 Rs 51/88-32, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14.Jänner 1988, GZ 14 Cgs 44/87-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 7.1.1986 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 14.10.1985 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.

Die dagegen rechtzeitig erhobene, auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß ab 1.11.1985 gerichtete Klage stützte sich darauf, daß die am 28.1.1942 geborene, von 1962 bis 1983 als Buchhalterin beschäftigte Klägerin wegen ihres Gesundheitszustandes eine derartige Beschäftigung nicht mehr ausüben könne. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab der Klage statt.

Es stellte die krankhaften Zustände der Klägerin im einzelnen und deren Leistungsfähigkeit dahin fest, daß sie aus chirurgisch-orthopädischer Sicht leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen bei Einhalten der üblichen Arbeitspausen verrichten kann. Ausgeschlossen sind häufiges Bücken bis zum Boden, Heben von über 10 kg schweren Gegenständen und von Gegenständen über Schulterhöhe, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit häufiger Durchnässung und Erkältung. Die Anmarschwege sind bei günstigen ländlichen und bei städtischen Verhältnissen nicht eingeschränkt. Ein öffentliches Verkehrsmittel kann benützt werden. Aus neurologischer Sicht ist "durch die gewohnheitsmäßig geringe Belastung während eines langen Zeitraumes bei Berücksichtigung des atkuellen psychischen Status auch bei relativ leichten Tätigkeiten eine völlig normale Belastbarkeit im Sinne des 8-Stunden-Tages nicht möglich. Die Klägerin benötigt außer einer 30-minütigen Mittagspause je eine 10-minütige Arbeitspause am Vor- und am Nachmittag". Deshalb sei ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers erforderlich und ein Einsatz unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes nicht möglich, so daß die Klägerin berufsunfähig im Sinn des § 273 ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Daß die Klägerin pro Arbeitstag 20 Minuten mehr Arbeitspausen brauche, als § 11 Abs 1 Arbeitszeitgesetz vorsehe, verlange ein weiteres Entgegenkommen des Arbeitgebers, der bereits auf die durch ihre Leiden eingeschränkte Leistungsfähigkeit Rücksicht nehmen müßte. Dadurch wäre die Klägerin im Wettstreit mit anderen Dienstnehmern benachteiligt. Die Notwendigkeit der keineswegs geringfügigen zusätzlichen Ruhepausen schließe sie daher vom allgemeinen Arbeitsmarkt aus.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Abweisung der Klage abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist im Sinn des Aufhebungsantrages berechtigt.

Beträgt die Gesamtdauer der Tagesarbeitszeit mehr als 6 Stunden, so ist die Arbeitszeit nach § 11 Abs 1 Satz 1 AZG durch eine Ruhepause von mindestens einer halben Stunde zu unterbrechen. Wenn es im Interesse der Arbeitnehmer des Betriebes gelegen oder aus betrieblichen Gründen notwendig ist, können nach Satz 2 des zitierten Absatzes anstelle einer halbstündigen Ruhepause zwei Ruhepausen von je einer Viertelstunde oder drei Ruhepausen von je 10 Minuten gewährt werden.

Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt lediglich, daß ein Arbeitnehmer, dessen Tagesarbeitszeit, d.i. nach § 2 Abs 1 Z 2 AZG die Arbeitszeit innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraumes von 24 Stunden, mehr als 6 Stunden beträgt, keinen gesetzlichen Anspruch auf eine halbstündige Ruhepause und zwei weitere Ruhepausen von je 10 Minuten, also auf die Ruhepausen hat, welche die Klägerin nach den Feststellungen während einer achtstündigen Tagesarbeitszeit benötigt.

Es ist jedoch wahrscheinlich, daß es insbesondere bei Bürotätigkeiten, bei denen sich der Arbeitnehmer seine Arbeit häufig selbst einteilen kann, was zB bei Fließbandarbeiten nicht möglich ist, eine ausreichende Zahl von Betrieben mit der Klägerin zumutbaren Arbeitsplätzen gibt, die allen, einzelnen Gruppen oder einzelnen Arbeitnehmern neben der halbstündigen Mittagspause am Vor- und am Nachmittag je eine mindestens 10-minütige Kurzpause ohne oder sogar mit Einrechnung in die Arbeitszeit ausdrücklich einräumen oder stillschweigend zugestehen.

Auch ohne Einrechnung dieser zusätzlichen Kurzpausen in die Arbeitszeit würde diese nicht verlängert, weil die Arbeitszeit im Sinn des AZG nach dessen § 2 Abs 1 Z 1 die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen ist.

Sollte es eine ausreichende Zahl von der Klägerin zumutbaren Arbeitsplätzen mit den von ihr benötigten Ruhepausen geben, dann wäre sie noch nicht auf ein besonderes Entgegenkommen des Arbeitgebers angewiesen und auch noch nicht vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen (ähnlich zB SSV 23/4 und SSV 25/31). Diese nach Inhalt der Prozeßakten dem Revisionsgericht erheblich scheinenden arbeitsmarktlichen Voraussetzungen wurden bisher nicht erörtert und darüber auch keine Feststellungen getroffen. Nach dem gemäß § 513 ZPO sinngemäß anzuwendenden § 496 Abs 1 Z 3 ZPO waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache war zur Verhandlung und Urteilsfällung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen.

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