OGH 10ObS21/98f

OGH10ObS21/98f27.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Hans Lahner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ulrike Legner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hansjörg Sch*****, vertreten durch Dr.Hansjörg Schweinester, Dr.Paul Delazer und Dr.Rudolf Kathrein, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.Oktober 1997, GZ 23 Rs 22/97z-42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.Februar 1997, GZ 42 Cgs 40/95i-36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sozialrechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 13.4.1962 geborene Kläger ist seit Absolvierung der Matura ab 1981 als Bankangestellter mit entsprechenden Grund- und Fachkursen sowie nach Absolvierung der Geschäftsleiterprüfung seit Dezember 1984 als Geschäftsleiter der Raiffeisenkasse O***** (mit Filialbetrieb in G***** und Lagerhäusern) bei einem monatlichen Nettoverdienst von zuletzt ca S 30.000,-- ohne Sonderzahlungen bei Einstufung in die Verwendungsgruppe 6 tätig. Als Geschäftsleiter oblagen ihm Aufgaben im Zusammenhang mit der Führung und Organisation, zum anderen aber auch - schwerpunktmäßig - Kundenberatung und Information. Im Zusammenhang mit notwendigen Kontroll- und Überwachungstätigkeiten, welche über den Bildschirm bzw PC vorgenommen werden, fallen dabei durchgehend Bildschirmarbeiten an, die einen Zeitraum von einer halben Stunde deutlich überschreiten. Dies gilt in gleicher Weise für Einsätze als Leiter kleinerer Abteilungen, Leiter größerer Abteilungen oder als Gruppenleiter bei Landesanstalten (Verwendungsgruppe 5).

Aufgrund seines vom Erstgericht im einzelnen festgestellten medizinischen Zustandsbildes ist der Kläger nur noch in der Lage, leichte und mittelschwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, wobei nach längstens einer Stunde für fünf Minuten eine kurzfristige Haltungsänderung möglich sein sollte, unter Vermeidung von Heben und Tragen von Lasten über 15 kg und von häufigem Bücken ganztätig in geschlossenen Räumen und geschützt von Nässe und Kälte zu verrichten, wobei nach einer durchgehenden Arbeitszeit von vier Stunden eine Arbeitspause von zwei Stunden einzuhalten ist. Innerhalb der zumutbaren durchgehenden Arbeitszeit von vier Stunden ist dem Kläger lediglich eine durchgehende Bildschirmarbeit von einer halben Stunde möglich, dies bei anschließender Pause von zwei Stunden.

Seit April 1995 befindet sich der Kläger durchgehend im Krankenstand.

Mit Bescheid vom 10.1.1995 lehnte die beklagte Partei seinen Antrag vom 28.3.1994 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab. In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stellte der Kläger das Begehren, daß die beklagte Partei schuldig sei, ihm ab dem Datum der Antragstellung eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß zu bezahlen.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei zur Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.4.1994. Es beurteilte den eingangs - zusammengefaßt - wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß beim Kläger die Voraussetzungen des § 273 Abs 1 ASVG erfüllt und Verweisungstätigkeiten außerhalb des Bankenbereiches, da nicht der Berufsgruppe des Klägers zugehörig, nicht in Erörterung zu ziehen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und schloß sich auch dessen rechtlicher Beurteilung an.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt. Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und im Sinne ihres Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Revisionswerberin im Rechtsmittel zunächst Feststellungen der Vorinstanzen zum medizinischen Zustandsbild des Klägers in Verbindung mit seinem damit zusammenhängenden Leistungskalkül - durch Kritik am (berufskundlichen) Sachverständigen - bekämpft und dem Berufungsgericht zum Vorwurf macht, es hätte dem Genannten im Rahmen der freien Beweiswürdigung sowie eigener richterlicher Lebenserfahrung keinen Glauben schenken dürfen, wird ein Rechtsmittelgrund zur Ausführung gebracht, der nach § 503 ZPO im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr zulässigerweise geltend gemacht werden kann (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 1 zu § 503). Auch der Vorwurf des Rechtsmittelwerbers, wonach das Erstgericht gar nicht festgestellt habe, "ob der Kläger in concreto überhaupt Bildschirmarbeiten verrichten mußte", trifft nicht zu, weil das Erstgericht in S 5 letzter Absatz seiner Entscheidung (= AS 179) den Tätigkeitsbereich eines Geschäftsleiters (wie ihn der Kläger seit Dezember 1984 ausübte) ua ausdrücklich dahingehend beschrieb, daß hiebei "durchgehend Bildschirmarbeiten anfallen, die einen Zeitraum von einer halben Stunde deutlich überschreiten".

Unbestritten ist, daß die Frage der Berufsunfähigkeit beim Kläger nach § 273 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist. Des weiteren ist als unbestritten davon auszugehen, daß der Kläger jedenfalls seine von ihm zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit als Geschäftsleiter einer im ländlichen Bereich gelegenen Bank nicht mehr ausüben kann. Es ist daher tatsächlich von entscheidender Bedeutung, ob und bejahendenfalls auf welche andere Berufstätigkeiten er verwiesen werden kann bzw darf.

Die Pensionsversicherung der Angestellten stellt eine Berufs(gruppen)versicherung dar, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlich und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann; dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, also die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 2/92, Teschner in Tomandl, System, 368).

Daraus folgt jedoch, daß die Frage, ob der Kläger nur (so die Rechtsmeinung der Vorinstanzen) innerhalb oder (so die Revisionswerberin) auch außerhalb des Bankenbereiches verwiesen werden kann, noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Schon aus der Formulierung des Gesetzes (§ 273 Abs 1 ASVG), welche das Herabsinken der Arbeitsfähigkeit eines Versicherten bloß auf "gleichwertige" und nicht auf "gleichartige" oder "gleiche" Kenntnisse und Fähigkeiten abstellt, folgt, daß eine Festlegung ausschließlich nur auf den Bankenbereich diesem Kriterium nicht entspricht. So hat der Oberste Gerichtshof etwa bereits in der Entscheidung SSV-NF 4/110 eines bei einem Sozialversicherungsträger angestellten Versicherten erkannt, daß dessen Verweisungsfeld durchaus auch auf andere Angestelltentätigkeiten auch außerhalb der Sozialversicherung zu erstrecken sei. In der Entscheidung SSV-NF 6/118 wurde die Verweisbarkeit eines Versicherungsangestellten im Außendienst auf Innendiensttätigkeiten in der Versicherungsbranche bejaht. Damit wurde aber nicht von einem auf Tätigkeiten im Versicherungsbereich eingeschränkten Berufsschutz ausgegangen; da dort Verweisungsberufe im bisherigen Tätigkeitsfeld vorhanden waren, stellte sich nämlich die Frage, ob die Verweisung auf branchenfremde Berufe zulässig ist, nicht. Es werden daher Feststellungen dahingehend zu treffen sein, inwieweit die gegebenen beruflichen Fähigkeiten (Qualifikationen) des Klägers auch außerhalb des von ihm bisher ausgeübten Bankberufes einsetzbar sind, und zwar in einer Form, die ihm leistungskalkülmäßig noch zugemutet werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch aufklärungsbedürftig, wie das vom Erstgericht festgestellte Pausenerfordernis (nach durchgehender Bildschirmarbeit von 1/2 Stunde anschließende Pause von 2 Stunden) zu verstehen ist, nämlich im Sinne eines solchen bloß bezogen auf weitere Bildschirmarbeit oder Fortsetzung jeglicher Arbeit schlechthin.

Zu erheben wird schließlich auch sein, welcher (lohngruppen- und kollektivvertragsmäßigen) Einstufung der Kläger tatsächlich unterworfen war. Der berufskundliche Sachverständige sprach in diesem Zusammenhang von einer "VG VIII" (nach der Matura im Rahmen des Schalterdienstes), später "VG VI". Der Kollektivvertrag für die Angestellten der Revisionsverbände und Zentralkassen der Raiffeisenorganisation vom 21.12.1984 kennt in seinem § 6 (Gehaltsregelung) nur ein sechsteiliges Verwendungsgruppenschema; ob dieser Kollektivvertrag überhaupt zur Anwendung kommt, blieb unerhoben. Für die Frage der Verweisbarkeit des Klägers auf Angestelltenberufe außerhalb des Bankenbereiches wird auch zu prüfen sein, welcher Einstufung nach den für die Verweisungsberufe in Frage kommenden Kollektivverträgen die Einstufung der Tätigkeit des Klägers nach dem für seine bisherige Tätigkeit maßgeblichen Kollektivvertrag entspricht. Die Revisionswerberin spricht in diesem Zusammenhang weiters von einer eventuell gegebenen und den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden "bankinternen Höherstufung". Da diese Frage in erster Instanz nicht erörtert (und auch vom Kläger hiezu kein Vorbringen erstattet) wurde, verstößt diese Einwendung der beklagten Partei in der Revision (entgegen der Auffassung des Klägers in der Revisionsbeantwortung) nicht gegen das an sich auch in Sozialrechtssachen geltende Neuerungsverbot (SSV-NF 1/45, 8/60). Das Erstgericht wird daher gemäß § 87 Abs 1 iVm § 43 Abs 3 ASGG auch alle Feststellungen, die eine verläßliche Überprüfung der Einstufung nach dem maßgeblichen Kollektivvertrag ermöglichen, nachzuholen haben.

Die aufgezeigten Feststellungsmängel werden daher vom Erstgericht entsprechend zu präzisieren und zu verbreitern sein. Da es zur Abklärung dieser Feststellungsmängel einer Verhandlung erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen insoweit aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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