OGH 10ObS209/00h

OGH10ObS209/00h25.7.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Milena Z*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Dr. Ludwig Druml, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Kinderzuschuss, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. März 2000, GZ 7 Rs 59/00a-44, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Dezember 1999, GZ 35 Cgs 108/97d-39, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin S 2.029,44 an Revisionskosten (darin enthalten S 338,24 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezieht seit 1. Oktober 1994 von der beklagten Partei eine Alterspension, die im Jahr 1998 S 4.908,50 brutto monatlich betrug. Ihre am 16. Jänner 1956 geborene Tochter Mila Z***** besuchte nach der Pflichtschule ein Gymnasium, wo sie 1975 maturierte. Am 1. Oktober 1975 nahm sie an der Universität Kragujevac das Studium der Biologie auf, das sie am 26. September 1990 mit der Diplomprüfung erfolgreich beendete. Seit der Inskription hatte sie sich nur dem Studium gewidmet und keine Erwerbstätigkeit nebenher ausgeübt.

Die Tochter der Klägerin leidet seit ihrem 12. Lebensjahr an Diabetes, der seither mit Insulin behandelt wurde. Die Einstellung der Stoffwechsellage war nicht ideal, weshalb es zu diversen Komplikationen und Durchblutungsstörungen kam. Dadurch konnte sie die Vorlesungen und sonstigen Lehrveranstaltungen ihrer Studienrichtungen nicht regelmäßig besuchen. Sie war in dieser Zeit ständig in ambulanter Behandlung und musste auch zwei bis drei Wochen im Jahr stationär im Krankenhaus behandelt werden. Aus diesem Grund verzögerte sich die Studiendauer, die durchschnittlich sieben Jahre beträgt.

Auf Grund der diabetischen Erkrankungen allein und deren Folgeerscheinungen wäre die Tochter der Klägerin grundsätzlich arbeitsfähig. Zum Zeitpunkt der Beendigung des Studiums im Herbst 1990 war sie mit größter Wahrscheinlichkeit noch in der Lage, leichte Arbeiten hauptsächlich im Sitzen zu verrichten. Ab 1991 traten auf Grund des Diabetes manifestere Komplikationen auf. Im Jahr 1992 erlitt sie am rechten Bein ein Gangrän, weshalb ihr ein Bypass gesetzt werden musste. Auf Grund der Durchblutungsstörungen musste bei ihr im März 1995 eine Zehenamputation vorgenommen werden. Am 23. 12. 1995 erlitt sie einen Herzinfarkt, wobei als Komplikationen ein Vorhofflimmern sowie eine hochgradig herabgesetzte Pumpleistung des Herzens auftraten. Seit ihrem Herzinfarkt ist sie nicht mehr in der Lage, leichte Arbeiten zu erbringen.

Mit Bescheid vom 27. 2. 1997 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung des Kinderzuschusses über das 18. Lebensjahr hinaus für deren Tochter M***** ab.

Das Erstgericht wies unter Zugrundelegung der eingangs wiedergegebenen Feststellungen, das von der Klägerin dagegen erhobene Klagebegehren auch im zweiten Rechtsgang ab. Die Tochter der Klägerin habe das 18. Lebensjahr vor dem 31. 12. 1987 vollendet, weshalb auf sie § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF vor der 44. Novelle zum ASVG anzuwenden sei. Danach bestehe die Kindeseigenschaft nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befinde, die seine Arbeitskraft überwiegend beanspruche, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres. Bei Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Ereignis bestehe die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum. Das Gebrechen nach § 252 Abs 2 Z 2 ASVG müsse nicht vor dem 18. Lebensjahr, sondern könne auch noch während der Zeit eintreten, in der die Person wegen der Schul- oder Berufsausbildung nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG noch als Kind gelte. Bei der Tochter der Klägerin habe sich durch den Diabetes und die daraus resultierenden Komplikationen die Berufsausbildung erheblich verzögert und die Kindeseigenschaft entsprechend verlängert. Mit Abschluss der Diplomprüfung am 26. 9. 1990 habe sie ihre Ausbildung zur Diplombiologin beendet. Da sie damals mit größter Wahrscheinlichkeit noch leichte Arbeiten im Sitzen verrichten habe können, sei sie nicht erwerbsunfähig gewesen; daher sei ihre Kindeseigenschaft erloschen. Die erst Ende 1995 infolge des Herzinfarktes eingetretene Erwerbsunfähigkeit führe nicht zum Wiederaufleben der Kindeseigenschaft, weshalb die Klägerin keinen Anspruch auf Kinderzuschuss zu ihrer Alterspension habe.

Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des gerügten Verfahrensmangels, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung der Sache. Die Tochter der Kläger habe ihre Kindeseigenschaft mit Abschluss des Studiums im Herbst 1990 verloren. Ein Wiederaufleben der Kindeseigenschaft durch später eintretende Erwerbsunfähigkeit sei nicht vorgesehen. Dass die Tochter der Klägerin unter anderem auf Grund ihrer Krankheit keine Arbeitsstelle bekommen konnte und ihr gesunde Studienkollegen vorgezogen worden seien, sei ähnlich der Situation bei den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit zu sehen. Es liege daher ein Risiko vor, dass in die Arbeitslosenversicherung falle und nicht in die Pensionsversicherung. Das Gesetz sehe wohl eine Berücksichtigung der krankheitsbedingten Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung vor, nicht aber eine krankheitsbedingte Verzögerung der Erlangung eines Arbeitsplatzes und schon gar nicht im erlernten Beruf. Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit komme es nur darauf an, ob das Kind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw als Selbständiger einem Erwerb nachgehen könne. Dies sei bei der Tochter der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt (Herbst 1990) der Fall gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der in der Revision behauptete Verfahrensmangel (Abweisung des neuerlichen Fristerstreckungsantrages der Klägerin zur Vorlage der ärztlicher Unterlagen) betrifft ausschließlich das erstgerichtliche Verfahren und wurde bereits in der Berufung gerügt, vom Berufungsgericht jedoch als nicht gegeben angesehen. Solche Verfahrensmängel können aber nach ständiger Rechtsprechung nicht mit Erfolg neuerlich in der Revision geltend gemacht werden (SSV-NF 7/74 mwN ua).

Gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der 44. ASVG-Novelle (Art VI Abs 13 SozRÄG 1988, BGBl 1987/609; vgl SSV-NF 5/54; 4/62 ua; RIS-Justiz RS0085068) besteht auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Kindeseigenschaft weiter, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum.

Die Klägerin räumt in ihren Revisionsausführungen selbst ein, dass die Kindeseigenschaft ihrer Tochter gemäß § 252 Abs 2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden Fassung jedenfalls mit Beendigung des Studiums am 26. 9. 1990 erloschen ist. Als Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Leistung kommt daher nur die Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG in Betracht, wonach die Kindeseigenschaft auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres besteht, wenn und solange das Kind seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechen erwerbsunfähig ist. Nach dieser Gesetzesstelle muss daher die Erwerbsunfähigkeit bereits vor den beiden genannten Zeitpunkten (Vollendung des 18. Lebensjahres oder Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes) eingetreten sein und über diese Zeitpunkte hinaus andauern. Die ständige Judikatur sieht die Absicht des Gesetzgebers darin, Versorgungsansprüche eines Kindes zu erhalten, nicht aber Versorgungsansprüche für Personen neu zu schaffen, die erst später ihre Erwerbsfähigkeit verloren haben (vgl Schrammel in Tomandl, SV-System 7. Erg-Lfg 129 mwN).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Erwerbsunfähigkeit der Tochter der Klägerin erst nach dem am 23. 12. 1995 erlittenen Herzinfarkt eingetreten. Die Tochter der Klägerin war somit weder seit der Vollendung ihres 18. Lebensjahres erwerbsunfähig, was auch die Tatsache des erfolgreichen Abschlusses des Gymnasiums und eines Universitätsstudium belegt, noch seit der Beendigung ihres Universitätsstudiums am 26. 9. 1990. Denn selbst wenn man davon ausginge, dass bei der Tochter der Klägerin die Kindeseigenschaft bis zur Beendigung des Studiums am 26. 9. 1990 vorgelegen wäre, wären die Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Leistung nur erfüllt, wenn zum 26. 9. 1990 eine Erwerbsunfähigkeit ihrer Tochter vorgelegen wäre. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war die Tochter der Klägerin zu diesem Zeitpunkt "mit größter Wahrscheinlichkeit" aber noch in der Lage, leichte Arbeiten hauptsächlich im Sitzen zu verrichten. Damit ist jedoch davon auszugehen, dass die Tochter der Klägerin auch noch im Zeitpunkt der Beendigung des Studiums erwerbsfähig war und der Klägerin daher der Beweis, dass ihre Tochter zu diesem Zeitpunkt bereits erwerbsunfähig war, nicht gelungen ist.

Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn jemand wegen des nicht nur vorübergehenden Zustandes der körperlichen und geistigen Kräfte und nicht etwa nur wegen der ungünstigen Lage des Arbeitsmarktes oder wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw als Selbständiger einen nennenswerten Erwerb zu erzielen. Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach der hier maßgeblichen Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG kommt es somit darauf an, ob das Kind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw als Selbständiger einem Erwerb nachgehen kann (SSV-NF 8/42; 7/119; 6/102 mwN; vgl auch Schrammel aaO 5. Erg-Lfg 130 f, wonach die Judikatur im Bereich der Angehörigeneigenschaft einen eigenständigen Erwerbsunfähigkeitsbegriff entwickelt habe, der mit dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit in der Pensionsversicherung der Selbständigen nur den Namen gemeinsam habe und beim Schutz der Angehörigen, die selbst in keinem Versicherungsverhältnis stehen, ein strengerer Maßstab angelegt werden könne und der Betreffende verpflichtet werden könne, alle seine Kräfte einzusetzen, um durch Ausübung einer zumutbaren Beschäftigung selbst gegen drohende Risken geschützt zu sein).

Es ist daher nicht entscheidend, ob es der Tochter der Klägerin auf Grund der konkreten Situation am Arbeitsmarkt möglich gewesen wäre, ihren erlernten Beruf als Biologin auszuüben. Da sie nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch nach Beendigung ihres Studiums vorerst noch zur Verrichtung leichter Arbeiten vorwiegend im Sitzen imstande war und ihre Erwerbsunfähigkeit erst als Folge des am 23. 12. 1995 erlittenen Herzinfarktes eingetreten ist, war zu diesem Zeitpunkt auch der im § 252 Abs 2 Z 1 ASVG genannte Zeitraum bereits abgelaufen, sodass ihre für eine Bejahung des Klagsanspruches erforderliche Kindeseigenschaft zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr gegeben war und damit auch späterhin nicht mehr aufleben konnte (SSV-NF 11/84).

Die Vorinstanzen haben daher das Begehren der Klägerin zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da Rechtsfragen im Sinn des § 46 Abs 1 ASGG zu beurteilen waren, entspricht es auch im Hinblick auf die bescheidenen Einkommensverhältnisse der Klägerin der Billigkeit, ihr die Hälfte ihrer Revisionskosten zuzusprechen (SSV-NF 8/42 mwN uva).

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