OGH 10ObS202/97x

OGH10ObS202/97x19.8.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Gerhard Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Ernst Löwe (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ernestine Sch*****, vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.März 1997, GZ 7 Rs 288/96v-8, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2.August 1996, GZ 25 Cgs 29/96h-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben; die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

Der Anspruch der Klägerin auf Witwenpension ab dem 1.10.1995 besteht dem Grunde nach zu Recht.

Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin vom 1.10.1995 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von S 1.000,-- monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen vorläufigen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils am Monatsersten im vorhinein.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen die mit S 4.058,88 (hierin enthalten S 676,48 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 12.5.1951 von der Klägerin mit Johann Anton Titus Sch***** geschlossene Ehe wurde mit Urteil des (damals) Kreisgerichtes Leoben vom 27.1.1976 aus dem Alleinverschulden des Mannes rechtskräftig geschieden. Vor Auflösung der Ehe wurde zwischen den damaligen Eheleuten keine vertragliche Vereinbarung über einen monatlichen Unterhaltsbeitrag des Mannes an die Klägerin geschlossen. Erst nach Auflösung der Ehe trafen diese eine mündliche Vereinbarung dahingehend, daß Johann Sch***** an die Klägerin monatlich S 1.000,-- bezahlt. Diese Vereinbarung wurde bis zum Tod des geschiedenen Mannes am 20.2.1990 eingehalten. Zum Zeitpunkt seines Todes bezog Johann Sch***** eine Invaliditätspension von monatlich S 10.428,-- netto, die Klägerin eine vorzeitige Alterspension von monatlich S 8.546,80 netto. Im Zeitpunkt der Scheidung hatte die berufstätige Klägerin rund S 6.500,-- monatlich verdient, Johann Sch***** rund S 10.000,--.

Mit dem bekämpften Bescheid vom 26.1.1996 lehnte die beklagte Partei den Antrag auf Zuerkennung einer Witwenpension nach dem Verstorbenen ab. Mit ihrer Klage stellte die am 24.4.1932 geborene Klägerin das Begehren, die beklagte Partei zur Leistung der Witwenpension in der gesetzlichen Höhe sowie zur Erbringung einer vorläufigen Zahlung von S 1.000,-- zu verurteilen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs - zusammengefaßt - wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahingehend, daß weder die Voraussetzungen nach § 258 Abs 4 Z 1 lit c noch lit d ASVG erfüllt seien. Die zwischen den (geschiedenen) Eheleuten getroffene Unterhaltsvereinbarung sei erst nach Auflösung ihrer Ehe geschlossen worden; in Anwendung der 40 % Regel sei der Klägerin auch kein Unterhaltsbedarf zugestanden.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei. Diese ist gemäß § 46 Abs 3 ASGG auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig und auch berechtigt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Eingangs ist zu bemerken, daß sich die Anspruchsvoraussetzungen der Klägerin zufolge ihrer Antragstellung am 28.9.1995 ab dem 1.10.1995 trotz des (vom Todestag des Versicherten am 20.2.1990 abhängigen) Stichtages 1.3.1990 (§ 223 Abs 2 iVm Abs 1 Z 3 ASVG) zufolge der Übergangsbestimmung des § 551 Abs 4 ASVG (idF des SRÄG 1993 BGBl 335) nach dem § 258 Abs 4 ASVG idF des Art I Z 86 leg cit richten.

Die Anspruchsvoraussetzung nach § 258 Abs 4 Z 1 lit c (aufgrund einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung mit dem verstorbenen Mann) wird nach den gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichtes (mündliche Vereinbarung der geschiedenen Eheleute erst nach Auflösung der Ehe) nicht mehr releviert. Der Klägerin steht allerdings nach diesen für den Obersten Gerichtshof maßgeblichen Feststellungen der Tatsacheninstanzen entgegen deren rechtlicher Beurteilung der von ihr reklamierte rechtsbegründende Tatbestand der lit d leg cit zur Verfügung. Der Frage, ob der Verstorbene auch über die festgestellte Invaliditätspension von monatlich S 10.428,-- hinaus noch sonstiges Einkommen gehabt hat, kommt keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, so daß Feststellungen hiezu entbehrlich waren.

Die von den Vorinstanzen zur Ermittlung eines Unterhaltsanspruches der Klägerin herangezogene (und aus dem Ehegattenunterhaltsrecht entnommene) 40-%-Formel entspricht zwar einer offensichtlich geübten "Praxis" (so ausdrücklich auch Teschner/Widlar, MGA ASVG Anm 10a zu § 258, freilich ohne weitere Nachweise), kann sich jedoch auf keine gesetzliche Grundlage, aber auch keine Rechtsprechung insbesondere des Obersten Gerichtshofes stützen. Nach § 258 Abs 4 Z 1 lit d ASVG kommt es vielmehr - neben den sonstigen, hier nicht strittigen Voraussetzungen - darauf an, ob der Versicherte zum Zeitpunkt seines Todes dem Überlebenden regelmäßige Zahlungen "zur Deckung des Unterhaltsbedarfs" leistete. Nach dem Willen des Gesetzgebers in der RV 932 BlgNR 18. GP, 49 (zum SRÄG 1993 BGBl 335) sollte "der Zweck der formalen Erfordernisse des § 258 Abs 4 einerseits darin liegen, daß den Sozialversicherungsträgern die materielle Prüfung des Grundes, insbesondere aber der Höhe des Unterhaltsanspruches erspart bleiben soll; andererseits sollen damit Manipulationsmöglichkeiten zu Lasten der Sozialversicherung verhindert werden." Gerade durch die von der "Praxis" (so ihr folgend auch die Vorinstanzen) gepflogene Methode würde aber - was der Gesetzgeber nach dem Vorgesagten gerade vermeiden wollte - ein Rückgriff auf das materielle Unterhaltsrecht (des Ehegesetzes) erneut eingeführt, der aber durch diese vorgeschlagene und Gesetz gewordene Novelle hintangehalten werden sollte. Dazu kommt, daß auch in den übrigen drei Fällen der lit a bis c leg cit (Urteil, Vergleich, vertragliche Verpflichtung) nicht auf einen - nach der 40-% - oder allfälligen sonstigen Regeln zu berechnenden und materiell-rechtlich zu beurteilenden - Unterhaltsanspruch abgestellt wird. Der Senat legt daher das nomen legale (Unterhalts-)"Bedarf" einschränkend dahin aus, daß es nur auf den faktischen (tatsächlichen: Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales 968 BlgNR 18. GP, 1) Leistungsbetrag, nicht aber auf den (gar nicht weiter zu prüfenden) rechtlichen Anspruch ankommt; jede andere Beurteilung führte auch zu einer gravierenden Einschränkung über den Wortlaut der Bestimmung hinaus, welche auch mit den Grundsätzen einer sozialen Rechtsanwendung (vgl Fink, Sukzessive Zuständigkeit, 90 ff; SSV-NF 10/38) nicht vereinbar wäre. Daß der Gesetzgeber hiebei selbst den Begriff des "Bedarfs" nicht gleichsinnig mit jenem des "Anspruches" verstanden hat, ist schließlich auch daraus abzuleiten, daß er etwa in § 264 ASVG (betreffend das Ausmaß einer Witwen/Witwerpension) sehr wohl den letzteren Ausdruck mehrfach verwendet hat. Der in der Anm 10a der MGA zum ASVG zu § 258 genannten "Praxis" (vereinzelter Untergerichte oder Versicherungsträger) vermag der Senat daher aus den vorgenannten Gründen nicht zu folgen.

Aus diesen Erwägungen war der Revision daher Folge zu geben, wobei unter Bedachtnahme auf § 89 Abs 2 ASGG auch eine vorläufige Zahlung aufzuerlegen war, deren Höhe sich an der früheren Unterhaltsleistung des Versicherten an die Klägerin orientierte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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