OGH 10ObS19/89

OGH10ObS19/8924.1.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (Arbeitgeber) und Eduard Giffinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert P***, Karnergasse 4, 7301 Deutschkreutz, vertreten durch Dr. Günther Steiner, Dr. Hanspeter Herle und Dr. Anton Krautschneider, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***

U***, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Werner Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeitsund Sozialrechtssachen vom 22. August 1988, GZ 32 Rs 126/88-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeitsund Sozialgerichtes vom 14. März 1988, GZ 17 Cgs 1564/87-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.829,75 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 29. September 1987 anerkannte die beklagte Partei den Unfall des Klägers vom 21. Jänner 1987 als Arbeitsunfall und gewährte nach kurzfristiger Vollrente ab 17. August 1987 eine vorläufige Versehrtenrente von 20 % der Vollrente.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 % der Vollrente zu gewähren (eine ausdrückliche Abweisung des Mehrbegehrens auf Gewährung einer Versehrtenrente von weiteren 20 % der Vollrente samt Zusatzrente unterblieb unbekämpft). Es stellte im wesentlichen fest, daß der Kläger am 21. Jänner 1987 auf dem Weg zur Arbeit stürzte und auf die rechte Schulter fiel. Er zog sich einen Knorpelabriß am vorderen Pfannenrand zu, wobei das abgerissene Knorpelstück disloziert ist. Als Unfallfolge leidet der Kläger an Schulterschmerzen bei bestimmten Bewegungen und hochgradiger Schultersteife mit therapieresistenter Bewegungseinschränkung und deutlicher Verschmächtigung des Schulterhebers. Die medizinische Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 30 %. Rechtlich führte das Erstgericht aus, eine Abweichung von der medizinischen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit erscheine im vorliegenden Fall nicht geboten, weil im Gutachten nicht nur medizinische sondern auch wirtschaftliche, juristische und soziale Gesichtspunkte berücksichtigt seien.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei, soweit die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mehr als 20 % eingeschätzt wurde, keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, das die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, dem Kläger eine vorläufige Versehrtenrente im Ausmaß von 30 % der Vollrente infolge seines Arbeitsunfalles vom 21. Jänner 1987 zu gewähren.

Die vom Sachverständigen herangezogenen Richtlinien der Literatur zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit seien nur Hilfsmittel, keineswegs aber bindend für den Sachverständigen oder das Gericht. Stütze sich ein Sachverständiger auf deutsche Literatur so sei dies als Anhaltspunkt für die Einschätzung ebenso geeignet, wie österreichische Literatur, in den meisten Fällen sei jene sogar detaillierter und umfangreicher. Das Gericht habe die Einschätzung unter Zuhilfenahme des gerichtsärztlichen Sachverständigen vorzunehmen, folge es den schlüssigen und begründeten Ausführungen des Sachverständigen so sei darin keine unrichtige rechtliche Beurteilung zu sehen.

Rechtliche Beurteilung

Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der beklagten Partei kommt keine Berechtigung zu.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist zutreffend (§ 48 ASGG).

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung zur Minderung der Erwerbsfähigkeit (SSV-NF 1/64) ausführlich dargelegt hat, ist Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen wobei der Sachverständige sich auch über den Umfang der Erwerbsminderung zu äußern hat. Dem Gericht bleibt dann die Aufgabe, auf Grund des Befundes, der Beurteilung und der Antworten des Sachverständigen nachzuprüfen, ob diese Schätzung und dieses Ergebnis zutreffen können oder ob dabei wichtige Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden und ein Abweichen von dieser ärztlichen Einschätzung daher richtig und begründet ist. Die in Jahrzehnten entwickelten und angewendeten Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Unfallverletzten bilden zwar regelmäßig Grundlage und Ausgangspunkt der Schätzung weil sie nicht nur den Grad der Versehrtheit, sondern auch die Verhältnisse auf dem Gebiet des Erwerbslebens berücksichtigen. Dies bedeutet aber nicht, daß ein medizinischer Sachverständiger, der ja einen individuellen Fall zu beurteilen hat, sich nun sklavisch an solche nur generell gehaltene Richtlinien, die selbstverständlich nicht alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigen und immer nur ein Hilfsmittel, eine zusätzliche Entscheidungsgrundlage darstellen können, zu halten hätte, oder gar, daß er nur österreichische und nicht auch deutsche Literatur bei seiner immer eigenverantwortlichen Schätzung heranziehen dürfte. Folgt daher das Gericht einem medizinischen Sachverständigengutachten und legt dessen Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit seinen Feststellungen zugrunde, so stellt dies einen Akt der irrevisiblen Beweiswürdigung dar. Der Revision war daher keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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