OGH 10ObS177/90

OGH10ObS177/9026.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck (AG) und Franz Eckner (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth P***, Rentnerin, D-8990 Bodolz, Kirchstraße 57, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Feststellung von Versicherungszeiten, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. Oktober 1989, GZ. 34 Rs 119/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Oktober 1988, GZ. 9 Cgs 60/88-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit sie über ein Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin eine Alterspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, entschieden haben, ersatzlos aufgehoben.

Im übrigen werden aus Anlaß der Revision die Urteile der Vorinstanzen und das vorangegangene Verfahren erster und zweiter Instanz als nichtig aufgehoben. Das Klagebegehren auf Feststellung, daß die von der Klägerin in Österreich vom März 1949 bis August 1950 zurückgelegte Versicherungszeit und die Zeiten der Kindererziehung hinsichtlich der Kinder Renate, geb. 28.2.1946, Dietmar, geb. 21.6.1955, und Henriette, geb. 28.4.1952, bei der Bemessung der deutschen Rente als rentensteigernd zu berücksichtigen seien, wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Auf Grund ihres am 19.2.1986 in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrages bezieht die am 29.11.1921 geborene, in der Bundesrepublik Deutschland wohnhafte Klägerin (eine deutsche Staatsangehörige) seit 1.12.1986 eine Altersrente (Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 5 RVO) von der Landesversicherungsanstalt Oberbayern. Die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, bei der eine Ablichtung des Antrages der Klägerin am 8.4.1987 einlangte, wies mit Bescheid vom 1.2.1988 den Antrag auf Zuerkennung einer Alterspension ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitraum vom 1.3.1956 bis 28.2.1986 nur 24 Versicherungsmonate (statt der erforderlichen 180) und bis zum Stichtag insgesamt nur 124 Versicherungsmonate (statt der erforderlichen 228), davon nur 46 Beitragsmonate (statt der erforderlichen 180) erworben.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin fristgerecht Klage mit dem Begehren, die in Österreich zurückgelegte Versicherungszeit vom März 1949 bis August 1950 (Tätigkeit in der Franz. Schneiderei Klosterkaserne Innsbruck - Amt der Tiroler Landesregierung) werde als rentensteigernd anerkannt und der "entsprechende Übertragungsausgleich" sei mit dem deutschen Rentenversicherer abzustimmen. Zur Begründung verwies die Klägerin darauf, daß in Österreich zurückgelegte Versicherungszeiten bei der deutschen Rente rentensteigernd zu berücksichtigen seien; ein eigener "Rentenanspruch" sei in Österreich nie erworben worden. Mit Schriftsatz vom 15.6.1988 dehnte die Klägerin ihr Begehren dahin aus (§ 86 ASGG), daß weiters die Zeiten der Kindererziehung als rentensteigernd anerkannt werden mögen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Die Klägerin habe zwar unter anderem im April 1949, Juni 1949 bis Dezember 1949 und März 1950 bis August 1950 Versicherungsmonate in Österreich erworben, jedoch sei die Wartezeit nicht erfüllt. Die Monate März 1949, Mai 1949 und Jänner 1950 bis Feber 1950 hätten nicht als Versicherungszeiten nachgewiesen werden können. Das Erstgericht wies das (in dieser Form nicht gestellte) Klagebegehren auf Gewährung der Alterspension im gesetzlichen Ausmaß unter Anrechnung der Versicherungszeiten von März 1949 bis August 1950 "binnen 4 Wochen" und auf Berücksichtigung der Zeiten der Kindererziehung bei der Pensionsbemessung ab. Es stellte fest, daß die Klägerin in Österreich im Zeitraum von Jänner 1936 bis August 1950 insgesamt 99 Versicherungsmonate, in der Bundesrepublik Deutschland 24 für die Wartezeit zu berücksichtigende Versicherungsmonate und in Italien 1 Versicherungsmonat erworben habe. Davon ausgehend verneinte das Erstgericht die Erfüllung der Wartezeit.

Das Berufungsgericht gab der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte die geltend gemachten Verfahrensmängel, übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und billigte auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Da mangels ausreichender Versicherungszeiten kein Anspruch auf Alterspension nach österreichischem Recht bestehe, sei die beklagte Partei auch nach dem AbkSozSi-BRD nicht zu gesonderter bescheidmäßiger Absprache über bestimmte Versicherungszeiten verpflichtet oder zuständig. Anhaltspunkte für einen nachträglichen Einkauf von Versicherungszeiten für Zeiten der Kinderpflege (Art. VII der 33. ASVGNov.) wie Wohnsitz in Österreich im Antragszeitpunkt usw. fehlten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen von der Klägerin erhobene Revision ist teilweise berechtigt.

Der von der Klägerin bei einer zulässigen Stelle im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gestellte Antrag auf Altersruhegeld (wegen Vollendung des 65. Lebensjahres), also auf eine Leistung nach den deutschen Rechtsvorschriften, galt gemäß Art. 39 Abs. 2 AbkSozSi-BRD auch als Antrag auf eine entsprechende Leistung nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften in Österreich, die unter Berücksichtigung dieses Abkommens in Betracht kommt. Nach Art. 39 Abs. 3 AbkSozSi-BRD sind Anträge, Erklärungen und Rechtsbehelfe von der Stelle, bei der sie eingereicht wurden, unverzüglich an die zuständige Stelle des anderen Vertragsstaates weiterzuleiten. Die beklagte Partei hatte daher über den Antrag der Klägerin auf eine Alterspension (§ 253 ASVG) zu entscheiden, ohne daß es darauf ankam, daß die Klägerin einen solchen ausdrücklichen Antrag in Österreich nie stellte.

Mit dem gegenständlichen Bescheid wurde, wie oben dargestellt, der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Alterspension (mangels Erfüllung der Wartezeit) abgewiesen. Die vorliegende Klage (in ihrer ausgedehnten Fassung) ist nun nicht auf die Gewährung einer Alterspension von der beklagten Partei gerichtet, sondern nach ihrem ausdrücklichen und unmißverständlichen Begehren auf die "Anerkennung" von in Österreich zurückgelegten Versicherungszeiten und Zeiten der Kindererziehung als für das deutsche Altersruhegeld rentensteigernd. Es handelt sich also um ein Begehren im Sinne des § 247 ASVG, wonach der Versicherte berechtigt ist, frühestens zwei Jahre vor Vollendung eines für eine Leistung aus einem Versicherungsfall des Alters maßgebenden Lebensalters beim leistungszuständigen Pensionsversicherungsträger einen Antrag auf Feststellung der Versicherungszeiten zu stellen; solche Rechtsstreitigkeiten über den Bestand von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung sind Sozialrechtssachen nach § 65 Abs. 1 Z 4

ASGG.

In einer solchen Leistungssache darf gemäß § 67 Abs. 1 ASGG eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger 1. darüber bereits mit Bescheid entschieden hat oder 2. den Bescheid nicht innerhalb von sechs Monaten (lit. b) nach dem Eingang des Antrags auf Feststellung von Versicherungszeiten der Pensionsversicherung erlassen hat (sogenannte Säumnisklage). Der Bescheid hingegen, der gemäß § 71 Abs. 1 ASGG außer Kraft tritt, ist jener Bescheid, der zur Erhebung der Klage Anlaß gibt und der somit über jenen Leistungs(Feststellungs)anspruch entschieden hat, welcher der Klage zugrundeliegt (vgl. Kuderna ASGG 382; Fasching in Tomandl, SV-System

4. ErgLfg 728/1; 10 Ob S 71/90 - bisher nicht veröffentlicht). Das Ausmaß, in dem der Bescheid nach § 71 Abs. 1 ASGG außer Kraft tritt, ist nach herrschender Auffassung verhältnismäßig weit anzunehmen; bei Erhebung der Klage wird nur jener Teil des Bescheides rechtskräftig, der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen läßt, weil die darin behandelten Fragen auf einem anderen Rechtsgrund beruhen oder jedenfalls nicht eng zusammenhängen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist ein möglichst weitgehendes Betroffensein des Bescheides durch das Klagebegehren anzunehmen (Kuderna aaO; Fasching aaO 728/8 mwH; 10 Ob S 71/90 ua). Bei Vergleich des vorliegenden Bescheides der beklagten Partei und dem gesamten Inhalt der Klage, also der Klagserzählung und dem Klagebegehren ergibt sich aber, daß die Klägerin den Bescheid gar nicht bekämpft hat und nach wie vor auf dem Standpunkt steht, von der beklagten Partei eine Pensionszahlung gar nicht zu begehren. Die Vorinstanzen haben demzufolge ein von der Klägerin gar nicht gestelltes Klagebegehren abgewiesen. Im Ergebnis wird dies auch von der Revisionswerberin bemängelt, wenn sie ausführt, die Vorinstanzen seien auf ihre Anträge nicht eingegangen. Darin liegt allerdings kein solcher Mangel des Berufungsverfahrens, der eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern gewesen wäre, sondern ein der Überschreitung des Klagebegehrens nach § 405 ZPO (vgl. Fasching ZPR2 Rz 1452 und die dort dargestellte herrschende Auffassung der Rechtsprechung) vergleichbarer Verfahrensmangel eigener Art. Wird ein Klagebegehren abgewiesen, das der Kläger gar nicht gestellt hatte, aber grundsätzlich stellen könnte, dann ist er hiedurch beschwert: Die das Rechtsschutzbedürfnis begründende Beschwer ist nämlich auch bei der Möglichkeit eines verfahrensrechtlichen Nachteils gegeben (vgl. SZ 57/23; EvBl. 1984/84 ua). Ein solcher Nachteil könnte der Klägerin aber drohen, wenn das Urteil des Berufungsgerichtes rechtskräftig würde, weil diese Rechtskraft es allenfalls hindern würde, den abgewiesenen Anspruch neu einzuklagen (10 Ob S 71/90; ähnlich 3 Ob 199/88, 91/89; die E. 4 Ob 29/89 betraf eine andere Sachlage). Selbst unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der sukzessiven Kompetenz würde die Rechtskraft des berufungsgerichtlichen Urteils zu einer unzumutbaren Unsicherheit über die Wirkung dieses Urteils führen. Nach Ansicht des erkennenden Senates ist es aher angebracht, den im vorliegenden Fall über ein von der Klägerin gar nicht gestelltes Klagebegehren absprechenden Teil des Urteils in teilweiser Stattgebung der Revision ersatzlos aufzuheben (ebenso 10 Ob S 71/90).

Soweit die Vorinstanzen (erkennbar) über das wirkliche

Klagebegehren abgesprochen haben (".... unter Anrechnung der

Versicherungszeiten von März 1949 bis August 1950, .... die Zeiten

der Kindererziehung .... bei der Bemessung der Pension zu

berücksichtigen"), liegt der aus Anlaß der zulässigen Revision von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund der Unzulässigkeit des Rechtswegs vor, weil die Klage erhoben wurde, obwohl die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 ASGG, nämlich das Vorliegen eines Bescheides über diesen Anspruch oder ein Säumnisfall, nicht vorliegen (§ 73 ASGG; Kuderna, ASGG 370 Erl. 5 zu § 67, 394 Erl. 2 zu § 73). Daß der angefochtene Bescheid über ein Begehren, weitere Versicherungszeiten als die deutsche Rente rentensteigernd festzustellen, nicht abgesprochen hat, wurde schon oben dargelegt; ob ein solches Begehren zulässig wäre, braucht hier nicht erörtert zu werden. Ein Säumnisfall liegt deshalb nicht vor, weil sich ein diesbezüglicher Antrag der Klägerin, über den die beklagte Partei innerhalb von sechs Monaten bescheidmäßig abzusprechen gehabt hätte, in den Akten nicht findet und von der Klägerin auch nicht behauptet wird.

Aus Anlaß der Revision waren daher die Urteile der Vorinstanzen und das vorangegangene Verfahren insoweit als nichtig aufzuheben und die Klage mangels Zulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG.

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