OGH 10ObS164/94

OGH10ObS164/9419.7.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ludwig R*****, ohne Beschäftigung, ***** , vertreten durch Dr. Kurt Martschitz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens (auf Gewährung einer Versehrtenrente), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12. April 1994, GZ 5 Rs 31/94-19, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 28. Oktober 1992, GZ 35 Cgs 25/92d-8, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 18.6.1991 lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt dem Kläger die Gewährung einer Versehrtenrente für die von ihm behaupteten Folgen seiner Atemwegserkrankung gemäß § 177 Abs 1 ASVG ab. Mit der rechtzeitig beim Erstgericht zu 35 Cgs 65/91 eingebrachten Klage begehrte der Kläger aus Anlaß seiner Berufskrankheit die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente. Das Erstgericht wies mit Urteil vom 10.12.1991 das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß die geltend gemachte Gesundheitsstörung nicht Folge einer Berufskrankheit sei. Dieses Urteil wurde dem damaligen Klagevertreter (einem Angestellten der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg) am 3.2.1992 zugestellt. Am 19.3.1992 erhob der Kläger gegen dieses Urteil Berufung; das Rechtsmittelverfahren wurde bis zum Abschluß des Wiederaufnahmsverfahrens unterbrochen.

Mit der am 17.3.1992 beim Erstgericht eingebrachten Klage beantragte der Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens unter Geltendmachung des Wiederaufnahmsgrunds nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO. Er brachte dazu im wesentlichen vor, daß ihm erst am 19.2.1992 ein kurz zuvor verfaßtes Gutachten der Universitätsklinik für Innere Medizin in Innsbruck zur Kenntnis gelangt sei, aus dem sich im Gegensatz zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen das Vorliegen einer nach dem ASVG relevanten Berufskrankheit ableiten lasse. Gestützt werde das Wiederaufnahmsbegehren darauf, daß bereits vor Schluß der Verhandlung erster Instanz in dem wiederaufzunehmenden Verfahren eine Änderung des Gesundheitszustandes gegenüber dem Gerichtsgutachten eingetreten sei.

Mit Urteil vom 28.10.1992, dem damaligen Klagevertreter am 18.10.1993 zugestellt, wies das Erstgericht das Wiederaufnahmsbegehren ab.

Am 11.11.1993, zur Post gegeben am 12.11.1993, beantragte der Kläger die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Berufung gegen das genannte Urteil. Gleichzeitig übermittelte er ein Schreiben folgenden Inhaltes: "Nehme gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch 35 Cgs 25/92d vom 28.10.1992, zugestellt am 18.10.1993, Berufung. Hochachtungsvoll Rudolf R*****".

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 17.11.1993, sowohl dem damaligen Klagsvertreter (am 29.11.1993) als auch dem Kläger selbst (am 26.11.1993) zugestellt, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, daß der Kläger ohnehin qualifiziert nach § 40 Abs 1 Z 2 ASGG vertreten sei und weitere Kosten nicht zu befürchten habe. Dieser Beschluß blieb unbekämpft und ist damit in Rechtskraft erwachsen.

Mit weiterem Beschluß des Erstgerichtes vom 16.12.1993, dem damaligen Klagevertreter und dem Kläger zugestellt am 20.1.1994, setzte das Erstgericht zur Verbesserung der Berufungsschrift vom 11.11.1993 unter Angabe der zu verbessernden Punkte eine Verbesserungsfrist von einer Woche. Am 26.1.1994 überreichte der Kläger, vertreten durch zwei Angestellte der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg, eine Berufungsschrift. Mit Schriftsatz vom 27.1.1994 zeigten die beiden Vertreter die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses an und beantragten neuerlich die Bewilligung der Verfahrenshilfe. Dieser Antrag wurde vom Erstgericht am 14.3.1994 abgewiesen.

Das Berufungsgericht wies sowohl die vom Kläger selbst verfaßte als auch die von seinen Vertretern eingebrachte Berufung im Vorprüfungsverfahren zurück. Die vierwöchige Berufungsfrist habe am 18.10.1993 zu laufen begonnen und sei zu dem Zeitpunkt, als der Kläger die Bewilligung der Verfahrenshilfe und damit offensichtlich auch die Beigebung eines Anwaltes beantragte, noch nicht abgelaufen gewesen. Nach § 464 Abs 3 ZPO habe die Berufungsfrist mit der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem die Bewilligung der Verfahrenshilfe verweigert wurde, neuerlich zu laufen begonnen. Daraus ergäbe sich zunächst, daß die vom qualifizierten Vertreter eingebrachte Berufung vom 26.1.1994 außerhalb der gesetzlichen Berufungsfrist überreicht worden sei. So bleibe die Frage, ob durch den Verbesserungsauftrag des Erstgerichtes die Frist zur Erhebung der Berufung noch offen gewesen sei. Dies hänge davon ab, ob es sich bei der "Berufung" des Klägers vom 11.11.1993 um einen verbesserungsfähigen Schriftsatz handle. § 85 ZPO bewirke eine Fristenänderung nämlich nur bezüglich solcher Schriftsätze, die mit verbesserungsfähigen Form- und Inhaltsmängeln behaftet seien. Um bei Rechtsmitteln der Gefahr vorzubeugen, daß durch bewußt unvollständige Erhebung des Rechtsmittels (leere Berufung) eine Verbesserungsfrist erschlichen und damit eine im österreichischen Zivilprozeß grundsätzlich abgelehnte Teilung von Anmeldung des Rechtsmittels und späterer Ausführung desselben in eigener Frist auf diesem Umweg doch erreicht werde, dürfe eine inhaltliche Verbesserung eines Rechtsmittels nur dann verfügt werden, wenn sich der Schriftsatz nicht in der bloßen Benennung des Rechtsmittels oder in der Erklärung erschöpfe, die Entscheidung zu bekämpfen. Von einem Rechtsmittel als Gegenstand eines Verbesserungsverfahrens könne nämlich nur dann gesprochen werden, wenn darüber hinaus wenigstens erkennbar wäre, welche Fehler der Entscheidung vorgeworfen und wodurch sich die Partei als benachteiligt erachtet; dies insbesondere dann, wenn eine Partei anwaltlich und in Sozialrechtssachen qualifiziert vertreten sei. Der Kläger sei noch zu einem Zeitpunkt qualifiziert vertreten gewesen, zu dem er die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragte. Die qualifizierte Vertretung sei auch noch aufrecht gewesen, als nach Abweisung seines Verfahrenshilfeantrags die Rechtsmittelfrist neu zu laufen begonnen habe. Die inhaltsleere Berufung des Klägers sei daher nicht verbesserungsfähig, so daß auch durch die Setzung einer Verbesserungsfrist keine weitere Berufungsfrist neu zu laufen begonnen habe. Die leere und daher einer inhaltlichen Erledigung nicht zugängliche Berufung sei zurückzuweisen, die des qualifizierten Vertreters wegen Verspätung.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß vom Kläger erhobene Rekurs ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt.

Wenn in der Berufungsschrift das Urteil nicht angegeben ist, wider welches Berufung erhoben wird, wenn die Berufungsschrift keinen oder keinen bestimmten Berufungsantrag enthält oder wenn die Berufungsgründe weder ausdrücklich noch durch deutliche Hinweisung einzeln angeführt sind (§ 471 Z 3 ZPO) ist die Berufung zu verwerfen, jedoch nur dann, wenn ein Auftrag zur Verbesserung (§§ 84, 85 ZPO) fruchtlos geblieben ist (§§ 474 Abs 2, 495 ZPO). Daraus folgt, daß auch eine Zurückweisung wegen eines Inhaltsmangels nur dann zulässig ist, wenn vorher ein Verbesserungsauftrag erteilt wurde und dieser erfolglos geblieben ist. Sogenannte "leere Rechtsmittel", die keine Begründung und/oder Anfechtungserklärung enthalten, sind freilich nur dann verbesserungsfähig, wenn durch diesen Mangel nicht rechtsmißbräuchlich eine Fristverlängerung erzielt werden soll (Fasching ZPR2 Rz 514, 518 und 1691 mwN). Das Einbringen "leerer" Rechtsmittelschriftsätze durch einen Rechtsanwalt wird gewöhnlich als Verbesserungsmißbrauch angesehen, der zur sofortigen Zurückweisung des Rechtsmittels führt; wird das Rechtsmittel ohne Rechtsanwalt erhoben, ist eine Verbesserung jedenfalls dann aufzutragen, wenn der Rechtsmittelwerber zum Ausdruck bringt, daß er eine bestimmte Entscheidung bekämpfen will (Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozeßrecht4 204 mwN; Petrasch, ÖJZ 1985, 300 unter Hinweis auf EvBl 1985/29 = RZ 1985/25 = EFSlg 46.641/8). Der erkennende Senat stimmt dieser Ansicht zu. Geht man davon aus, daß es Zweck des novellierten § 84 Abs 3 ZPO war, den Parteien einen verbesserten Zugang zum Recht zu gewähren, dann kann diese Bestimmung

Im vorliegenden Fall fehlen alle Hinweise, daß der Kläger versucht hätte, Verbesserungsvorschriften zu mißbrauchen. Nach ständiger Rechtsprechung hat das Prozeßgericht eine durch einen Rechtsanwalt (hier durch eine qualifizierte Person) vertretene Partei, die die Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragt, über die allfällige Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter zu befragen; es könnte nämlich sein, daß der genannte Antrag der Partei auch die Anzeige des Erlöschens des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem bisherigen Rechtsvertreter in sich schließt (RZ 1992/72 mwN). Daß der Kläger nach Zustellung des erstgerichtlichen Urteils ungeachtet seiner bisherigen qualifizierten Vertretung eine selbst geschriebene, wenn auch inhaltsleere Berufung erhob und gleichzeitig die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragte, deutete wohl eher darauf hin, daß er von seiten der Kammer für Arbeiter und Angestellte nicht mehr vertreten wurde, wenngleich die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses noch nicht angezeigt worden war. Die vorliegenden Umstände des Einzelfalls verbieten geradezu die Annahme, daß der Kläger durch die Einbringung der "leeren" Berufung eine Verlängerung der Berufungsfrist durch ein Verbesserungsverfahren erschleichen wollte. Liegt aber ein Rechtsmißbrauch im dargestellten Sinn nicht vor, dann erweist sich der Verbesserungsauftrag, den das Erstgericht dem Kläger erteilte, als zutreffend. Der Kläger hatte erklärt, Berufung erheben zu wollen und auch die angefochtene Entscheidung genau bezeichnet. Ebensowenig konnte ein Zweifel daran bestehen, welches Ziel der Kläger mit seiner Berufung anstrebte, nämlich die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Gewährung einer Versehrtenrente. War aber diese Berufung des Klägers verbesserungsfähig, dann erweist sich auch die von den qualifizierten Vertretern eingebrachte Berufungsschrift (ON 14) als rechtzeitig.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG.

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