OGH 10ObS161/93

OGH10ObS161/9321.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Ilona Gälzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Riepl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth G*****, Landarbeiterin, ***** vertreten durch Dr.Jörg Hobmeier und Dr.Hubertus Schuhmacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr.Anton Rosicki, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 18.Mai 1993, GZ 5 Rs 40/93-24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.Februar 1993, GZ 44 Cgs 210/91-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 21.7.1943 geborene Klägerin ist in der Lage, leichte bis zu einem Drittel der Tagesarbeitszeit auch mittelschwere Arbeiten im gelegentlichen Wechsel der Körperhaltung zwischen Gehen, Stehen und Sitzen nur mehr in geschlossenen Räumen zu verrichten. Ein normaler Achtstunden-Arbeitstag ist der Klägerin unter diesen Voraussetzungen zumutbar. Ihr müßte die Möglichkeit eingeräumt werden, jeweils am Vormittag und am Nachmittag eine kleine Zwischenmahlzeit zu sich zu nehmen, ohne daß hiezu die Arbeit eigens unterbrochen werden müßte. Vermieden werden soll das Heben und Tragen von Lasten, Arbeiten in ständig gebückter Körperhaltung oder häufiges Bücken, Arbeiten unter starkem Zeit- und Leistungsdruck und Streß. Bei manuellen Tätigkeiten, die mit einer gewissen Gefährdung verbunden sind, sind Schutzhandschuhe zu tragen. Die Klägerin war vorerst als Hausmädchen und ab 1977 bis 1990 als Gehilfin in der ländlichen Hauswirtschaft beschäftigt. Sie hat einen Winterkurs einer landwirtschaftlichen Haushaltungsschule absolviert. Sie ist in der Landwirtschaft aufgewachsen und hat alle Arbeiten verrichtet, die angefallen sind. Sie hat auf einem Hof mit 20 Stück Vieh mitgeholfen, dieses zu versorgen. Die Tiere wurden von der Klägerin gemolken, geputzt, gestriegelt. Sie hat auch den Stall ausgemistet. Mit dem Einkauf hatte sie nichts zu tun, sie half jedoch mit, die Felder zu bestellen, auf denen hauptsächlich Gras, Hafer, Gerste, Roggen und Kartoffel angebaut werden. Weiters hat sie im Haushalt alle Tätigkeiten verrichtet, die angefallen sind, insbesondere Putzen, Bügeln und Kochen.

Gehilfinnen der Landwirtschaftlichen Hauswirtschaft, die eine dreijährige Lehrzeit oder einen landwirtschaftlichen Fachschulbesuch hinter sich bringen müssen, helfen in qualifizierter Weise einerseits bei der Haushaltsführung des Anwesens und andererseits im Stall und am Feld mit. In diesem Sinne verarbeiten sie landwirtschaftliche Produkte lager- und konservierungsgerecht, sie halten aber auch Wohn- und Arbeitsräume sauber, waschen und bügeln. Des weiteren bestellen sie den Hausgarten in der Art, daß sie nicht nur umstechen, düngen und jäten, sondern auch Gemüse und Sträucher pflanzen und Früchte einholen. Sie füttern darüber hinaus Haus- und Nutztiere, erledigen Stallarbeiten, vor allem ausmisten, füttern, melken und führen gemeinsam mit anderen die jeweils anfallenden Feldarbeiten aus. Abgesehen von mehr mittelgrobem Handgeschick bei eher unempfindlicher Haut und einem gewissen Maß an Wendigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Witterungseinflüsse erfordern diese Aufgaben einen kräftigen Körperbau mit ausreichender Muskelkraft und weitgehend funktionstüchtigem Stütz- und Bewegungsapparat. Öfteres Heben und Tragen schwerer Lasten läßt sich dabei ebensowenig umgehen wie entsprechendes Vorbeugen, Bücken, gelegentliches Hocken und fallweise Überkopfarbeit. Gearbeitet wird großteils im Wechsel von Stehen und Gehen, nicht selten auch außer Haus auf unebenem Gelände und nur geringfügig im Sitzen. Erforderlich ist eine bis zu mittelschwer einzustufende muskuläre Dauerbelastung. Diese Anforderungen gelten auch für die verwandten Einsatzmöglichkeiten als landwirtschaftliche Facharbeiterin oder als Wirtschafterin in Privathaushalten oder in Beherbergungsbetrieben.

Zur Ablegung einer Facharbeiterprüfung für den Beruf einer ländlichen Hauswirtschaftsgehilfin sind mehrere Spezialwissensgebiete mit außerordentlichem Stoffumfang zu beherrschen. Eine derartige Prüfung kann nur nach intensiver theoretischer und praktischer Vorbereitung abgelegt werden. Die Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin in diesem Prüfungsgebiet sind nur in den Fächern "Schnittzeichnen, Tierhaltung, Staatsbürgerkunde und Standeskunde" mit "nicht genügend" einzustufen. Die Klägerin ist mit ihrem Wissen im Bereich der ländlichen Hauswirtschaft, verglichen mit dem Niveau fertig ausgebildeter Hauswirtschaftsgehilfinnen gleichen Alters, im unteren Drittel der die gesamte Streubreite umfassenden Wissensskala zu siedeln. Sie ist auf Grund ihrer Fähigkeiten aber in der Lage, eine ländliche Hauswirtschaft inklusive einer entsprechenden Kleintierversorgung so zu führen, daß schwerwiegende Mängel vermieden werden.

Das Erstgericht bejahte den Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab Stichtag (1.7.1991). Die Klägerin sei imstande, eine ländliche Hauswirtschaft ohne schwerwiegende Mängel zu führen. Der Wissensmangel der Klägerin in der Tierhaltung, im Schnittzeichnen, in der Staatsbürgerkunde und Standeskunde sei für die Praxis einer landwirtschaftlichen Hausgehilfin nicht relevant.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Die Klägerin habe nur die Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die jeder im ländlichen Bereich aufgewachsene und in der Landwirtschaft mitarbeitende Mensch erwirbt. Daß sie mit ihren Kenntnissen in den untersten Streubereich des Wissens hineinreicht, den auch Absolventen dieses Lehrberufes aufweisen, vermöge daran nichts zu ändern. Die Klägerin habe nur Hilfstätigkeiten in der Landwirtschaft verrichtet, die jedermann ohne irgendeine Ausbildung bewältigen könne, wenn er am Land aufgewachsen ist und in der Landwirtschaft oder im Haushalt mitgearbeitet habe. Damit habe sie aber keine Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die üblicherweise von Absolventen eines Lehrberufes erwartet werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Ein angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG liegt vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Dabei ist nicht der Nachweis des Vorliegens aller Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild eines Lehrberufes zählen und damit einem Lehrling zu vermitteln sind. Es kommt vielmehr darauf an, daß ein angelernter Arbeiter über die Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten verlangt werden. Es reicht nicht aus, wenn sich die Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein oder mehrere Teilgebiete eines Berufes erstrecken, die von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht werden (SSV-NF 1/48, 2/78, 4/80, 6/69 ua).

In Ausführung des § 138 LandarbeitsG wurde die Berufsausbildung in der Land- und Forstwirtschaft durch das land- und forstwirtschaftliche Berufsausbildungsgesetz BGBl 177/1952 in der Fassung BGBl 114/1977 in den Grundsätzen geregelt. In dessen Ausführung erging das Landesgesetz für die Berufsausbildung in der Land- und Forstwirtschaft für Tirol (LGBl 12/1966 in der Fassung LGBl 11/1977), das für den hier maßgeblichen Zeitraum der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag Geltung hatte und erst durch das Tiroler land- und forstwirtschaftliche Berufsausbildungsgesetz LGBl 97/1991 abgelöst wurde. Gemäß § 9 des Tiroler landwirtschaftlichen Schulgesetzes (LGBl 32/1977) sind die Lehrpläne der Berufs- und Fachschulen durch Verordnung zu erlassen. Nach den Lehrplanbestimmungen für Berufs- und Fachschulen (zuletzt landwirtschaftliche Lehrplanverordnung LGBl 41/1981 Anl 1, 6) bezweckt die Ausbildung die Vorbereitung auf die selbständige Berufstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft bzw das selbständige Führen eines Betriebes oder Haushaltes. Die Ausbildung zum Gehilfen erfolgte durch die Lehre bzw war zur Gehilfenprüfung auch zuzulassen, wer das 21.Lebensjahr vollendet hatte und insgesamt eine mindestens dreijährige praktische Tätigkeit in dem Ausbildungszweig nachweisen konnte, in dem die Ablegung der Prüfung angestrebt wurde (Art I Pkt. 12 Tiroler LGBl 11/1977). Schon daraus ist zu entnehmen, daß auch die gesetzlich vorgesehene Berufsausbildung das Schwergewicht auf die praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten legt. Damit sind die mangelnden Kenntnisse der Klägerin auf den Gebieten der theoretischen Schnittzeichnung, der Staatsbürgerkunde und der Standeskunde nicht entscheidend.

Entscheidend ist aber, daß die festgestellten praktischen Kenntnisse und Fähigkeiten, deren Unvollständigkeit die Revisionswerberin nicht rügt, tatsächlich nicht über die von ungelernten Arbeitskräften hinausgehen.

Der Ausbildungsplan zum ländlichen Hauswirtschaftsgehilfen, der auf Grund der Verordnung der Lehrlings- und Fachausbildungsstelle der Landeslandwirtschaftskammer für Tirol vom 12.7.1967 erging und auf § 105 der Landarbeitsordnung für Tirol beruht, sieht bestimmte namentlich aufgezählte Kenntnisse und Fertigkeiten in der Hauswirtschaft (Wohnung, Haushaltspflege, Haushaltstechnik), Ernährung (Ernährungslehre, Kochlehre und Kochen), Vorratshaltung, Bekleidung (Materialienkunde, Schnittzeichnen, Nähen und Stricken), Gesundheits- und Krankenpflege einschließlich Erster Hilfe, Gartenbau und Tierhaltung, Staatsbürgerkunde, Standeskunde, Lebenskunde, beruflicher Schriftverkehr und berufliches Rechnen vor.

In der Fachrichtung ländliche Hauswirtschaft sind daher unter anderem Kenntnisse der Grundlagen der pflanzlichen und tierischen Produktion sowie ein Einblick in die Arbeit des Landwirtes erforderlich. Darunter fällt aber nicht nur das Versorgen der Tiere, das Melken, Putzen, Striegeln und Ausmisten des Stalles, sondern, um überhaupt qualifizierte und nichtqualifizierte Arbeitnehmer unterscheiden zu können, sind auch die Kenntnisse der Grundlagen der Fütterung, der Aufzucht und der sonstigen Grundlagen der Nutzviehhaltung (Kleintierhaltung) aber auch der Düngung und des Pflanzenschutzes, der Fruchtbarkeit des Bodens sowie im Bereich der Haushaltsführung die Vorratshaltung sowie kleine Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten im Haushalt, die Herstellung und Ausbesserung von Wäsche- und Kleidungsstücken etc von grundlegender Bedeutung. Ziel der Ausbildung ist die selbständige Berufstätigkeit in der Land- und Forstwirtschaft. Hiezu stellte das Erstgericht lediglich fest, daß die Klägerin bei der Versorgung von Vieh wie auch der Bestellung von Feldern mitgeholfen hat. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in der Haushaltsführung erschöpfen sich nach den Feststellungen insbesondere in Putzen, Bügeln und Kochen.

Diese tatsächlich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sind nicht jenen im Lehrberuf ländliche Hauswirtschaft gleichzuhalten, sondern umfassen nur Kenntnisse auf Teilgebieten des Lehrberufes, die jeder Unqualifizierte in der ländlichen Hauswirtschaft Tätige beherrscht, während gelernte Gehilfen umfangreichere Tätigkeitsbereiche in der Praxis zu beherrschen haben.

Daß die Klägerin mit ihrem Wissen im Bereich der ländlichen Hauswirtschaft eine solche so zu führen vermag, daß schwerwiegende Mängel vermieden werden ist eine Schlußfolgerung, die der Sachverständige auf Grund seiner theoretischen Abprüfung des Wissens der Klägerin zieht, ändert aber an den dargelegten Überlegungen nichts.

Für die Qualifikation nach § 255 Abs 2 ASVG ist nicht das jetzige theoretische Wissen, sondern sind die durch Praxis erworbenen und dort erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten entscheidend. Die in der Praxis erworbenen und festgestellten Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin sind aber nicht denjenigen im Lehrberuf ländliche Hauswirtschaftsgehilfin gleichzuhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 2 Z 1 lit b ASGG.

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