OGH 10ObS159/91

OGH10ObS159/9117.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Friedrich Stefan und Dr.Dietmar Strimitzer (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann L*****, nunmehr dessen eingeantworteten Erben Maria L*****, und Ing.Manfred L*****, vertreten durch Dr.Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr.Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung eines Überbezuges, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Mai 1989, GZ 32 Rs 86/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 25.Jänner 1989, GZ 15 b Cgs 310/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Gegenüber der beklagten Partei wird festgestellt, daß der Kläger nicht verpflichtet ist, ihr den mit Bescheid vom 20.7.1988 für die Zeit vom 1.5.1982 bis 31.12.1987 geltend gemachten Überbezug an Alterspension von 239.918,20 S rückzuersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die einschließlich 1.544,70 S Umsatzsteuer mit 9.268,20 S bestimmten Kosten der Revision zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezog seit 1974 eine Erwerbsunfähigkeitspension, die mit 1.1.1977 in eine Alterspension umgewandelt wurde.

Mit Bescheid vom 20.7.1988 stellte die beklagte Partei fest, daß die Pension des Klägers gemäß § 60 GSVG in der Zeit vom 1.5.1982 bis 31.12.1987 mit bestimmten, im einzelnen angeführten Beträgen ruhe und ab dem 1.1.1988 nicht mehr ruhe sowie, daß der Überbezug von 239.918,20 S rückgefordert und gegen die zu Unrecht bezogene Geldleistung aufgerechnet werde.

Der Kläger begehrte in der Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, von der Rückforderung des Überbezuges abzusehen und die bereits einbehaltenen Beträge nachzuzahlen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es kam zu dem Ergebnis, daß dem Kläger eine fahrlässige Verletzung der in § 20 GSVG normierten Meldepflichten (Pflichtversicherung nach dem BSVG) zur Last falle; die Rückforderung durch die beklagte Partei sei daher zu Recht erfolgt.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und gab der Berufung des Klägers keine Folge.

In der Revision bekämpft der Kläger die Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß ihm ein Verschulden an der Verletzung der Meldepflichten anzulasten sei und beantragt die Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes im Sinne einer Klagestattgebung, in eventu dessen Aufhebung.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Weil der erkennende Senat gegen die hier präjudizielle Ruhensbestimmung des § 60 GSVG in den mit Ablauf des 31.12.1989 außer Kraft getretenen bisherigen Fassungen bis zur 10. GSVGNov verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er mit Beschluß vom 29.5.1990, 10 Ob S 286/89, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auszusprechen, daß die genannte Gesetzesstelle verfassungswidrig war.

Mit dem auch andere Aufhebungsanträge erledigenden Erkenntnis vom 14.6.1991, G 145/90-19, sprach der Verfassungsgerichtshof ua aus, daß § 60 GSVG idFen der 3. bis 5., 8. bis 10. GSVGNov verfassungswidrig war.

An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes sind nach Art 140 Abs 7 Satz 1 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlaßfalles ist jedoch das Gesetz mangels eines gegenteiligen Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes nach dem 2. Satz des zit Absatzes weiterhin anzuwenden.

Anlaßfall ist ausschließlich die Rechtssache, die den Verfassungsgerichtshof zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bewogen hat (VfSlg 3103). Die Rückwirkung der Aufhebung auf den Anlaßfall besteht ausschließlich darin, daß dieser so zu entscheiden ist, als ob die aufgehobene Bestimmung im für die Entscheidung des Anlaßfalles maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr bestanden hätte (VfSlg 3961, 4072), so daß sie im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden ist (VfSlg 8934).

Weil die das Zusammentreffen eines Pensionsanspruches aus der Pensionsversicherung mit einem Erwerbseinkommen regelnde Ruhensbestimmung des § 60 GSVG bei der Entscheidung dieses Anlaßfalles nicht mehr anzuwenden ist, stellte die Erzielung von Erwerbseinkommen aus einer neben dem Anspruch auf die Alterspension ausgeübten Erwerbstätigkeit des Klägers keinen Ruhensgrund mehr dar.

Daher handelt es sich bei den von der beklagten Partei zurückgeforderten Pensionsleistungen nicht mehr um "zu Unrecht erbrachte" Geldleistungen iS der §§ 71 Abs 1 Z 2 und 76 Abs 1 GSVG, so daß sich das Klagebegehren schon wegen Fehlens dieser allgemeinen Rückforderungsvoraussetzung im Ergebnis als berechtigt erweist.

Deshalb war der Revision Folge zu geben und waren die Urteile der Vorinstanzen wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Hinsichtlich der Form des Urteilsspruches wird auf Fasching in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 728 FN 1, Kuderna, ASGG 450 Erl 11 zu § 89 und SSV-NF 4/37 verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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