OGH 10ObS145/04b

OGH10ObS145/04b14.12.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und DDr. Wolfgang Massl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Heidrun L*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension bei langer Versicherungsdauer, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Mai 2004, GZ 25 Rs 30/04d-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 10. Dezember 2003, GZ 48 Cgs 17/03s-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 4. 4. 1944 geborene Klägerin, eine österreichische Staatsbürgerin, lebt seit 1968 in Berlin. Sie absolvierte von 1958 bis 1961 eine kaufmännische Lehre in Österreich. Von 1969 bis 31. 12. 1989 war sie bei verschiedenen Unternehmen in Deutschland beschäftigt. Seit 1. 1. 1990 ist sie arbeitslos, ohne jedoch entsprechende staatliche Leistungen zu beziehen.

Mit Bescheid vom 21. 11. 2002 lehnte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag der Klägerin vom 15. 11. 2001 auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer mangels der hiefür am Stichtag erforderlichen Versicherungs- bzw Beitragsmonate ab.

Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Ein Anspruch auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer für weibliche Versicherte nach Vollendung des 678. Lebensmonats setze voraus, dass zum einen die Wartezeit gemäß § 236 ASVG erfüllt sei und zum anderen am Stichtag - im Fall der Klägerin - 435 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate oder 420 Beitragsmonate der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung erworben worden seien. Nach Art 45 Abs 1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 sei für die Anrechnung mitgliedstaatlicher Zeiten und deren Umfang das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaats maßgebend, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt worden seien. Der danach zuständige Träger entscheide hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten. Nach einer Gesetzesänderung in der Bundesrepublik Deutschland würden Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug entweder als Anrechnungszeiten oder als Berücksichtigungszeiten gelten, je nachdem, aus welchem Grund kein Leistungsbezug erfolgt sei. Im gegenständlichen Fall seien die Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug von November 1991 bis Dezember 2001 als Berücksichtigungszeiten zu werten, die weder als Beitragsmonate noch als Versicherungsmonate gelten. Im Hinblick darauf habe die beklagte Partei die strittigen Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug vom 1. 11. 1991 bis 31. 12. 2001 zu Recht für die Anspruchsbegründung gemäß § 253b Abs 1 ASVG nicht berücksichtigt, weshalb kein Anspruch auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer bestehe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass sich nach Art 13 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 die von der Klägerin von 1969 bis 30. 11. 2001 erworbenen Versicherungszeiten nach deutschen Recht bestimmten, wobei die für die entsprechende Pensionsart geltenden Bestimmungen maßgeblich seien. Nach § 51 SGB VI würden auf die für die Erfüllung der Voraussetzungen der Altersrente für langjährig Versicherte (§ 33 Abs 2 Z 2 SGB VI, § 36 SGB VI) erforderliche Wartezeit von 35 Jahren alle Kalendermonate mit rentenrechtlichen Zeiten angerechnet, worunter nach § 54 Abs 1 SGB VI Beitragszeiten, beitragsfreie Zeiten und Berücksichtigungszeiten fielen. Zu den beitragsfreien Zeiten zählten gemäß § 54 Abs 4 SGB VI Kalendermonate, die ua mit Anrechnungszeiten belegt seien, wenn für sie nicht auch Beiträge gezahlt worden seien. § 58 Abs 1 Z 3 SGB VI bestimme als Anrechnungszeiten ua Zeiten, in denen Versicherte wegen Arbeitslosigkeit bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitssuchende gemeldet gewesen seien und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezogen oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen hätten.

Die im § 253b Abs 1 Z 2 lit a ASVG genannte Voraussetzung von - im Fall der Klägerin - 435 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten stelle auf eine grundsätzliche Bedeutung des Versicherungsmonats für die Pensionshöhe ab, sodass Versicherungsmonate, die auf die Bemessung der Leistung keinen Einfluss hätten, ausscheiden würden.

§ 74 SGB VI, der die für die Rentenhöhe relevante Bestimmung der begrenzten Gesamtleistungsbewertung enthalte, lege ua fest, dass Kalendermonate nicht bewertet würden, die nur deshalb Anrechnungszeiten seien, weil Arbeitslosigkeit nach dem 30. 6. 1978 vorgelegen sei, für die nicht Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe gezahlt worden sei. § 74 SGB VI idgF sei mit dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. 9. 1996 (WFG) eingeführt worden, das am 1. 1. 1997 in Kraft getreten sei. Soweit Arbeitslose nach dem 30. 6. 1978 aus dem Leistungsbezug ausgeschieden seien, würden Zeiten der Arbeitslosigkeit nur noch unter den Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Z 3 SGB VI als Anrechnungszeiten in der Rentenversicherung berücksichtigt. Diese Zeiten hätten daher nur mehr "anwartschaftserhaltenden" Charakter. Um die begrenzte Gesamtleistungsbewertung aus Gründen des Vertrauensschutzes abzufedern, sei durch die Übergangsbestimmung des § 263 Abs 2a dritter Satz SGB VI iVm Anlage 18 zum SGB VI die Bewertung dieser Zeiten bei einem Rentenbeginn vom 1. 1. 1997 bis zum 1. 12. 2000 von 80 % auf 1,75 % "abgeschmolzen" worden, sodass das Gesetz erst bei einem Rentenbeginn ab 1. 1. 2001 voll wirksam sei. Ab diesem Stichtag wirkten sich Kalendermonate, die nur deshalb Anrechnungszeiten seien, weil die Arbeitslosigkeit, für die weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe gezahlt worden sei, nach dem 30. 6. 1978 gelegen sei, nicht mehr auf die Bemessung der Rente aus, sodass sie auch bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht als "für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate" iSd § 253b Abs 2 Z 2 lit a ASVG zu werten seien. Die korrigierte Mitteilung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin, wonach zum Stichtag 1. 12. 2001 nur 278 Berechnungsmonate vorlägen, entspreche daher der dargestellten deutschen Gesetzeslage.

Die ordentliche Revision sei zulässig, da nach Inkrafttreten bzw Wirksamwerden des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) eine höchstgerichtliche Entscheidung über die Berücksichtigung beitragsfreier Anrechnungszeiten nicht vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil es an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage fehlt, wie im Kontext des Gemeinschaftsrechts die in § 253b Abs 1 Z 2 lit a ASVG enthaltene Wortfolge zu verstehen ist, dass Versicherungsmonate für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigen sein müssen.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

Da sich die Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen für die von der Klägerin begehrten Leistung vorliegen, auch nach dem EWR-Beitritt der Republik Österreich nach österreichischem Sachrecht richtet (vgl RIS-Justiz RS0076040; 10 ObS 19/97k = DRdA 1997/49, Eichenhofer), ist im vorliegenden Fall maßgeblich, ob die Klägerin eine bestimmte Mindestanzahl von Versicherungsmonaten erworben hat, die "für die Bemessung der Leistung" zu berücksichtigen sind, wie § 253b Abs 1 Z 2 lit a ASVG in der hier noch anzuwendenden Fassung (vor Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2003, BGBl I 2003/71) fordert. Es spielt grundsätzlich keine Rolle, ob die Klägerin Versicherungsmonate dieser Qualität in Österreich oder in Deutschland zurückgelegt hat, sieht doch Art 45 der Verordnung (EWG) 1408/71 in seinem Abs 1 vor, dass dann, wenn "nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats der Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Anspruchs auf die Leistungen" davon abhängt, dass Versicherungs- oder Wohnzeiten zurückgelegt worden sind, auch die nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten wie eigene Versicherungszeiten berücksichtigt werden (soweit erforderlich und soweit keine zeitliche Überschneidung vorliegt). Maßgeblich bleibt auch bei der Zusammenrechnung, dass alle dafür herangezogenen Versicherungsmonate für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigen sind.

Da die Klägerin die strittigen Zeiten der Arbeitslosigkeit ab 1. 1. 1990 in ihrem Wohnsitzstaat Deutschland zurückgelegt hat, ist für die Frage, ob (und in welchem Umfang) diesbezüglich Zeiten vorliegen, die für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigen sind, nach den Kollisionsnormen der Art 13 ff der Verordnung (EWG) Nr 1408/71, die sich nach ihrem klaren Wortlaut nicht nur auf beschäftigte Arbeitnehmer beziehen, deutsches Pensionsrecht (Rentenrecht) heranzuziehen (10 ObS 357/99v = SZ 73/18; RIS-Justiz RS0113189). Der zuständige deutsche Träger entscheidet hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedsstaaten.

Wie bereits das Berufungsgericht ausführlich dargestellt hat, hat der deutsche Träger (entsprechend der deutschen Rechtslage) nur 278 Berechnungsmonate bekanntgegeben. Wenn die Klägerin in ihrer Revision erneut darauf hinweist, dass nicht die Gesamtversicherungszeit für die Rentenberechnung (278 Monate) maßgeblich sei, sondern diejenige für die Begründung des Anspruchs auf vorzeitige Altersrente für Langzeitversicherte (400 Monate), lässt sie außer Acht, dass die von ihr in Österreich begehrte Leistung eben eine bestimmte Mindestanzahl von "für die Bemessung der Leistung" zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten verlangt (und nicht bloß eine bestimmte Anzahl von insgesamt zurückgelegten Versicherungsmonaten).

Der Revision der Klägerin ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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