OGH 10ObS14/02k

OGH10ObS14/02k26.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Rudolf Schallhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. Helmut D*****, vertreten durch Dr. Elfriede Dämon, Rechtsanwältin in Vorchdorf, und dessen Nebenintervenienten Oliver D*****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Kinderzuschuss, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2001, GZ 11 Rs 317/01v-49, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Februar 2001, GZ 17 Cgs 304/98d-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht von der Beklagten eine Berufsunfähigkeitspension und Pflegegeld. Er stellte am 2. 4. 1996 an die Beklagte den Antrag, den Kinderzuschuss für seinen am 11. 4. 1978 geborenen Sohn Oliver, den Nebenintervenienten, der eine Maturaschule besuche, über dessen vollendetes 18. Lebensjahr hinaus zu gewähren. Mit Bescheid vom 6. 9. 1996 sprach die Beklagte aus, dass dem Kläger zu seiner Pension ein Kinderzuschuss für den Nebenintervenienten für die Dauer der dessen Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Ausbildung bis längstens Juni 1998 gebührt.

Unter Bezugnahme auf einen Antrag vom 9. 7. 1998 auf Weitergewährung des Kinderzuschusses sprach die Beklagte mit Bescheid vom 16. 12. 1998 aus, dass der Kinderzuschuss für den Nebenintervenienten ab 1. 7. 1998 wegfällt.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Weitergewährung des Kinderzuschusses für den Nebenintervenienten auch nach dem 30. 6. 1998 gerichteten Klage brachte der Kläger vor, die Mutter des Nebenintervenienten habe sich immer geweigert, dem Kläger Nachweise über die Schulausbildung seines Sohnes zukommen zu lassen. Sie habe direkt mit der Beklagten Kontakt aufgenommen. Der Nebenintervenient sei derzeit nicht selbsterhaltungsfähig.

Die Beklagte bestritt und beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Nebenintervenient besuche nur sporadisch die Schule bei verschiedenen privaten Institutionen, nehme allerdings an keinem Schulunterricht teil. Er sei nicht in der Lage, die Matura in absehbarer Zeit zu absolvieren. Er sei auch nicht erwerbsunfähig. Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung folgenden festgestellten Sachverhalt zu Grunde:

Der Nebenintervenient schrieb sich am 28. 2. 1997 bei der Maturaschule Dr. R***** als Fernschüler zur Vorbereitung auf die Externistenreifeprüfung ein. Vom 28. 2. 1997 bis 4. 9. 1998 bezog er regelmäßig Unterlagen zur Prüfungsvorbereitung. Er wurde am 20. 3. 1997 zur Ablegung der Zulassungsprüfungen zur Externistenreifeprüfung zugelassen. Der Umfang der abzulegenden Prüfungen umfasst in den Fächern Deutsch, Englisch, Latein, Mathematik, Biologie und Physik jeweils eine schriftliche und mündliche Prüfung, in den Fächern Geschichte, Geografie, Chemie, Bildnerische Erziehung und Informatik nur eine mündliche Prüfung.

Im Herbst 1997 begann der Nebenintervenient mit der tatsächlichen Prüfungsvorbereitung. Der dazu erforderliche Lernaufwand beträgt in etwa drei Stunden täglich, einschließlich Samstag und Sonntag. Bei der Prüfungsvorbereitung wird er von seiner Mutter unterstützt. Den von der Maturaschule Dr. R***** angebotenen Unterricht in Wien besuchte der Nebenintervenient nie. In sehr unregelmäßigen Abständen kam es vor, dass er von einem Betreuungsangebot in Wien Gebrauch machte. Kam er in seinem Selbststudium nicht mehr weiter, wandte er sich hilfesuchend an die dort angestellten Lehrer. Dabei handelte es sich nicht um die Inanspruchnahme eines Unterrichts mit vorgegebenem, konkreten Stundenplan. Der Nebenintervenient hat bisher sämtliche erforderlichen Prüfungen mit Ausnahme jener aus den Fächern Latein und Physik abgelegt. Ob die abgelegten Prüfungen positiv beurteilt wurden, kann nicht festgestellt werden.

Der Nebenintervenient litt zum Zeitpunkt 29. 12. 1997 an einer erheblichen Beeinträchtigung der bihändischen Feinmotorik. Darüber hinaus bestand ein enormes systemisches Problem, das auch aus der Abhängigkeit des Nebenintervenienten zu seiner Mutter und demnach auch gegenüber der Unterhaltsverpflichtung des Klägers konserviert wurde. Die tatsächliche Behinderung, die offensichtlich zunehmend vom Nebenintervenienten Besitz ergriff, bestand hauptsächlich aus psychischen Symptomen. Der Nebenintervenient war zu diesem Zeitpunkt nicht selbsterhaltungsfähig, daher nicht in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Verdienst zu erzielen. Ob dieser Mangel der Selbsterhaltungsfähigkeit zum Zeitpunkt 1. 7. 1998 noch andauerte, kann nicht festgestellt werden. In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht - der Rechtsansicht des Berufungsgerichts in dessen im ersten Rechtsgang ergangenen Aufhebungsbeschluss folgend - die Auffassung, eine Schulausbildung im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG liege beim Nebenintervenienten nicht vor. Dessen Erwerbsunfähigkeit im Sinn des § 252 Abs 2 Z 2 ASVG zum 1. 7. 1998 habe nicht festgestellt werden können. Diesbezüglich treffe den Kläger die Beweislast.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und führte zur Rechtsrüge aus, Schulausbildung im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG erfordere den Besuch einer öffentlichen oder privaten Schule und die Erteilung von Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen. Das Tatbestandsmerkmal der Schul- oder Berufsausbildung erfülle der Nebenintervenient nicht, weil er weder am Unterricht noch an einer Ausbildung teilnehme. Er habe bloß Unterlagen zur Prüfungsvorbereitung bezogen und sich ab und zu hilfesuchend an Lehrer der Maturaschule gewandt. Das Erstgericht sei auch nicht an den Beschluss des Bezirksgerichtes Freistadt vom 9. 2. 1999 gebunden gewesen, mit dem der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Klägers mit der Begründung abgewiesen worden sei, der Nebenintervenient sei nicht selbsterhaltungsfähig und werde wahrscheinlich nie selbsterhaltungsfähig werden. Eine Bindungswirkung würde nur den Spruch der Entscheidung umfassen. Grundsätzlich würden weder die Tatsachenfeststellungen noch die rechtliche Beurteilung von der Rechtskraft erfasst. Ob der Nebenintervenient im Unterhaltsherabsetzungsverfahren als selbsterhaltungsfähig bezeichnet worden sei, sei für die Frage, ob dem Kläger zu seiner Pension ein Kinderzuschuss gebühre, rechtlich nicht relevant. Davon abgesehen sei der Begriff der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht mit dem der Erwerbsunfähigkeit völlig gleichzusetzen. Dass der Mangel der Selbsterhaltungsfähigkeit auch zum Zeitpunkt 1. 7. 1998 noch angedauert habe, habe nicht festgestellt werden können. Diese negative Feststellung gehe zu Lasten des Klägers.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger macht in seiner Revision geltend, der vom Nebenintervenienten bei der Maturaschule Dr. R***** belegte Fernlehrgang zur Vorbereitung auf die Externistenreifeprüfung sei eine Schul- oder Berufsausbildung. Die Lehrpläne für Fernschüler seien nämlich schulbehördlich genehmigt und berechtigten zur Ablegung der Externistenmatura. Auf Grund der sich in letzter Zeit entwickelten enormen Kommunikationsmöglichkeiten sei die Teilnahme an einem herkömmlichen Schulunterricht nicht mehr erforderlich, um Ausbildungsziele zu erreichen. Es werde auch immer mehr von Ausbildungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht, die eine persönliche Anwesenheit des Schülers im Schulunterricht nicht mehr erforderlich erscheinen ließen, aber trotzdem die Gewähr für die ordnungsgemäße Ausbildung böten. Der Nebenintervenient sei seit der Vollendung seines 18. Lebensjahres infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig. An den Beschluss des Bezirksgerichtes Freistadt vom 9. 2. 1999, mit dem der Antrag des Klägers, den Unterhalt für den Nebenintervenienten auf Null herabzusetzen, unter anderem mit der Begründung abgewiesen worden sei, dass der Nebenintervenient nicht selbsterhaltungsfähig sei und wahrscheinlich auch nicht selbsterhaltungsfähig werden werde, seien die Arbeits- und Sozialgerichte gebunden. Damit stehe fest, dass der Kläger weiter für den Nebenintervenienten unterhaltspflichtig sei. Zweck des Kinderzuschusses sei, dem Bezieher einer Pension die gesetzlich bestehende Unterhaltsbelastung zumindest in geringem Ausmaß zu mildern. § 252 Abs 2 ASVG habe offensichtlich den Zweck, sicherzustellen, dass diese Milderung nur dort gewährt werde, wo tatsächlich eine gesetzliche Unterhaltspflicht über das 18. Lebensjahr eines Kindes hinaus bestehe.

Hiezu wurde erwogen:

Der geltend gemachte Anspruch (§ 270 iVm § 262 ASVG) ist davon abhängig, dass sich der Nebenintervenient seit 1. 7. 1998 in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, oder der Nebenintervenient seit der Vollendung seines 18. Lebensjahres oder am Ende der Schul- oder Berufsausbildung infolge einer Krankheit oder eines Gebrechens erwerbsunfähig ist (§ 252 Abs 2 ASVG).

Voraussetzung für die Annahme der Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr hinaus ist nach § 252 Abs 2 Z 2 ASVG die Erwerbsunfähigkeit auf Grund geistiger oder körperlicher Gebrechen. Bürgerlich-rechtliche Vorschriften über die Unterhaltsberechtigung des Kindes sind zur Auslegung dieser Gesetzesbestimmung nicht heranzuziehen (SSV-NF 6/102). Erwerbsunfähigkeit im Sinn der genannten Gesetzesstelle liegt vor, wenn das Kind wegen des nicht nur vorübergehenden Zustandes der körperlichen und geistigen Kräfte und nicht etwa nur wegen der ungünstigen Lage des Arbeitsmarktes oder wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Erwerb zu erzielen (SSV-NF 6/102; RIS-Justiz RS0085536). Hiebei muss es sich keineswegs um eine "dauernde" Erwerbsunfähigkeit handeln (10 ObS 144/00z).

Entgegen der Auffassung des Klägers entfaltet die materielle Rechtskraft des Beschlusses des Bezirksgerichtes Freistadt keine Bindungswirkung im vorliegenden Fall. Die materielle Rechtskraft wirkt als Bindungswirkung im Fall der Präjudizialität, dh wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch Vorfrage (bedingendes Rechtsverhältnis) für den neuen Anspruch ist (SZ 48/142; ecolex 1996, 600 uva; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1518). Die für die Abweisung des Unterhaltsherabsetzungsantrags auf Null maßgebliche Verneinung der Vorfrage der Selbsterhaltungsfähigkeit des Nebenintervenienten und damit die Bejahung der Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber dem Nebenintervenienten ist keine Vorfrage für den geltend gemachten Kinderzuschuss, daher nicht präjudiziell. Der Kinderzuschuss für ein Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres ist nämlich nicht durch eine Unterhaltspflicht des Pensionsbeziehers gegenüber dem Kind bedingt. Die Frage der Erwerbsunfähigkeit des Nebenintervenienten war somit ohne Bindung an den Beschluss im Unterhaltsverfahren selbständig zu prüfen. Auch im Verfahren vor dem Sozialgericht gelten die Regeln der objektiven Beweislast. Ein Anspruch kann nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind (10 ObS 21/01p; RIS-Justiz RS0086050). Da die anspruchsbegründende Tatsache, dass der Nebenintervenient wegen des nicht nur vorübergehenden Zustandes seiner körperlichen und geistigen Kräfte infolge Krankheit oder Gebrechens seit dem 1. 7. 1998 nicht imstande ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen nennenswerten Erwerb zu erzielen, nicht erwiesen ist, kann der Anspruch auf § 252 Abs 2 Z 2 ASVG nicht erfolgreich gestützt werden.

Die sich in der Wortverbindung "Schul- oder Berufsausbildung" findenden Begriffe Schulausbildung und Berufsausbildung sind im Gesetz nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung dieses Begriffs vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen (SSV-NF 11/92 = SZ 70/158). Danach ist unter diesem Begriff der Besuch öffentlicher oder privater allgemeinbildender und weiterführender Schulen zu verstehen, wenn der Unterricht nach staatlich genehmigten Lehrplänen erteilt wird (SSV-NF 11/92 = SZ 70/158). Auch Abendschulen und Maturaschulen, die dazu dienen, auf die Ablegung der Matura vorzubereiten, vermitteln in diesem Sinn Schulausbildung (SSV-NF 11/92 = 70/158; vgl SSV-NF 3/26, 4/62; BSGE 65/48).

In der Entscheidung SSV-NF 1/57 erkannte der Senat, dass die Kindeseigenschaft einer Schülerin, die vor der Beendigung der Abschlussklasse den Schulbesuch abbricht und sich in der Folge im Selbststudium auf die Abschlussprüfung vorbereitet, für einen der Vorbereitung auf diese Prüfung angemessenen, den normalen Prüfungsterminen bei Schulbesuch entsprechenden Zeitraum besteht. Dem lag die damals anzuwendende Regelung des § 252 Abs 2 Z 1 erster Satz, zweiter Halbsatz ASVG zu Grunde, wonach zur Schul- oder Berufsausbildung auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlussprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades zählte. Diese Bestimmung wurde im Zuge der Neufassung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG durch Art IV Z 10 der 44. ASVG-Novelle, BGBl 1987/609, aus dem Gesetzestext gestrichen. Die dortige Klägerin hatte nach dem Nichtbestehen der Maturanachprüfungen den Besuch der 8. Klasse eines Bundesgymnasiums Mitte Jänner abgebrochen. Unmittelbar danach war sie zur Externistenreifeprüfung zugelassen worden, wobei als frühestmöglicher Termin der Hauptprüfung Mai (schriftlich) und Juni (mündlich) des Jahres unter der Voraussetzung festgesetzt worden war, dass die Schülerin bis dahin alle vorgeschriebenen Vorprüfungen erfolgreich abgelegt hatte. Die Klägerin war ab 9. Mai des Jahres zur schriftlichen Reifeprüfung angetreten, hatte jedoch die vier schriftlichen Klausurarbeiten nur in einem Fall positiv abgeschlossen, sodass sie die Reifeprüfung nicht hatte fortsetzen können. Als Wiederholungstermin war ihr ein Nebentermin im Feber des folgenden Jahres genannt worden. Seit der Schulabmeldung hatte sich die Schülerin auf die einzelnen Prüfungen privat (teils mit Nachhilfe) vorbereitet, ohne eine Schule zu besuchen.

In der Entscheidung SSV-NF 6/47 sprach der Senat aus, der Besuch einer Abendschule für Berufstätige als sogenannter "Privatist" stelle eine Schulausbildung im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG dar. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die in Vorarlberg wohnhafte Klägerin hatte einen neun Semester umfassenden Studiengang als Privatistin der Abendschule des Bundesgymnasiums/Bundesrealgymnasiums für Berufstätige in Innsbruck belegt, der mit der Reifeprüfung abschließen sollte. Um auch Vorarlbergern diesen zweiten Bildungsweg zugänglich zumachen, hatte die Schule ein eigenes System des Fernstudiums entwickelt. Die Vorarlberger Studenten wurden am Beginn jedes Semesters über dessen Lehrstoff informiert und am Ende des Semesters darüber geprüft. Für die einzelnen Unterrichtsgegenstände wurden Lehrstoffangaben, Ratschläge oder Skripten verfasst, die das Studium ermöglichten. Außerdem wurden mehrmals im Jahr Beratungsgespräche durchgeführt. Für gewisse Fächer fand jeden Mittwoch und zusätzlich jeden zweiten Freitag von 18 bis 22 Uhr in Feldkirch der Unterrricht statt. Wegen der geringen Anzahl von Unterrrichtsstunden musste der Lehrstoff größtenteils im Selbststudium erarbeitet werden. Die dortige Klägerin war neben einer durchschnittlichen wöchentlichen Unterrrichtszeit von 5 Stunden noch zwischen 4 und 6 Stunden täglich mit der Aneignung des Lehrstoffs beschäftigt. Der Senat führte damals aus, ein "Privatist" einer Arbeitermittelschule sei ein "ordentlicher" Besucher der Arbeitermittelschule, dem die regelmäßige Teilnahme an den Unterrichtsveranstaltungen nicht vorgeschrieben sei. Er erarbeite den Lehrstoff der einzelnen Halbjahreslehrgänge und Gegenstände in anderer Weise, etwa durch Teilnahme an nicht an der Schule stattfindenden Unterrichtsveranstaltungen, vor allem aber durch selbständiges Studium und bereite sich weniger durch intensiven Besuch der Schule, sondern mehr "privat" auf die Ablegung der Abschlussprüfungen und der Reifeprüfungen vor. Ein "Privatist" stehe jedoch als ordentlicher Schüler in einem entsprechenden Rechtsverhältnis zur aufnehmenden Schule. Dadurch unterscheide er sich von Personen, die sich ohne vorangegangenen Schulbesuch auf eine Externistenprüfung im Sinn des § 42 SchUG vorbereiteten. Berufsausbildung ist nach der Rechtsprechung des Senats der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, die für Ausübung eines zukünftig gegen Entgelt auszuübenden Berufs erforderlich sind. Unter Beruf ist eine für Dauer vorgesehene Arbeit zu verstehen, die der Existenzsicherung dient und die geeignet ist, materielle oder geistige, in der Gesellschaft auftretende Bedürfnisse zu befriedigen und zu der die Befähigung durch Ausbildung erworben wird. Die Berufsausbildung betrifft alle staatlich anerkannten Ausbildungsberufe, für die rechtsverbindliche Vorschriften bestehen. Wenn es keine Ausbildungsordnungen gibt, so ist Berufsausbildung anzunehmen, sofern die Ausbildung allgemein üblich und anerkannt ist. Wenn auch der Begriff Berufsausbildung nicht zu eng zu sehen ist, muss sich doch aus dem Programm der Ausbildung klar der Zweck, nämlich die Vermittlung der Grundlage für eine Berufslaufbahn ergeben. Die Ausbildung muss auf einen tatsächlich existierenden und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Beruf oder Spezialbereiche davon vorbereiten (zum Ganzen SSV-NF 11/92 = SZ 70/158 mwN).

Binder (ZAS 1979, 232 ff und ZAS 1981, 70 ff), auf den sich der Revisionswerber beruft, lehrt, die Wortfolge "Schul- oder Berufsausbildung" sei als ein in sich geschlossenes Begriffsgebilde anzusehen. Die Schulausbildung stelle in aller Regel nur eine Vorstufe und Grundlage zur späteren Berufsausübung dar. Ihr sei neben der Berufsausbildung nur insoweit selbständige Bedeutung beizumessen, als für den Schüler eine künftige Berufsausübung aus irgendwelchen Gründen nicht ins Auge gefasst werde bzw in Betracht komme. "Berufausbildung" sei in diesem Zusammenhang weit zu fassen und nicht auf jene Ausbildung beschränkt, die gelegentlich der Arbeitsleistung erfolge. Diese Ansicht entspreche den in der 29. ASVG Novelle zum Ausdruck gekommenen Intentionen des Gesetzgebers, außerhalb der üblichen Norm absolvierte Ausbildungen gleichfalls unter sozialversicherungsrechtlichen Schutz zu stellen, und ermögliche es, besondere Ausbildungsformen dem Tatbestandsmerkmal "Schul- oder Berufsausbildung" zwanglos zu subsumieren, ohne den herkömmlichen Schulbegriff dehnen zu müssen. Daher verlängere Fernunterrricht, Hausunterrricht aber auch das Selbststudium die Kindeseigenschaft, sofern es sich dabei um Ausbildungen handle, die die Berufsaufnahme oder den Berufswechsel vorbereiten sollen und die Arbeitskraft des Auszubildenden "überwiegend" beanspruchen.

Der Auffassung Binders, das Tatbestandsmerkmal "Schul- oder Berufsausbildung" sei "ein in sich geschlossenes Begriffsgebilde" ist der Senat - ohne dies ausdrücklich auszusprechen - in seiner Entscheidung SSV-NF 11/92 = SZ 70/158 nicht gefolgt, wird doch darin bei der Auslegung des Begriffs Schulausbildung vom allgemeinen Sprachgebrauch ausgegangen und zwischen den Begriffen Schulausbildung und Berufsausbildung unterschieden. Daran ist festzuhalten:

Binder gibt die Kriterien, die das "in sich geschlossene Begriffsgebilde" konkretisieren, nicht an. Zu einer Trennung der Begriffe sieht er sich in dem von ihm genannten Fall gezwungen, wobei unklar bleibt, nach welchen Merkmalen der Begriff Schulausbildung dann bestimmt werden soll. Nach der vor der 29. ASVG Novelle geltenden Fassung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG verlängerte sich die Kindeseigenschaft "wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung" bis zur ordnungsgemäßen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres, wenn während dieser Zeit der Präsenzdienst absolviert wird, bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Ausweislich der Materialien (404 BlgNR 13. GP 88) war Grund der Neuregelung, dass diese zeitliche Begrenzung nicht ausreichte, um eine Mitversicherung der in Hochschulausbildung stehenden Angehörigen für die gesamte Studiendauer sicherzustellen. Die Neuregelung ("wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht") sollte den praktischen Bedürfnissen Rechnung tragen und auch so flexibel sein, dass durch sie der künftigen Entwicklung Rechnung getragen wird. Um diesen Intentionen des Gesetzgebers gerecht zu werden, muss nicht auf ein "in sich geschlossenes Begriffsgebilde" abgestellt werden. Die Zusammenfassung der Begriffe Schulausbildung und Berufsausbildung in der Wortfolge "Schul- oder Berufsausbildung" deutet schon darauf hin, dass zwischen den beiden Begriffen nicht immer getrennt werden muss und auch solche Ausbildungen erfasst werden, die Elemente einer Schul- und einer Berufausbildung in sich vereinigen (vgl BSGE 39/41). Eine vom allgemeinen Sprachgebrauch ausgehende, auf den bildungspolitischen Zweck der Regelung (Tomandl, Grundriss des österreichischen Sozialrechts5 Rz 54) Bedacht nehmende Auslegung des Begriffs Schulausbildung ist durchaus in der Lage, dem Wandel der Ausbildungsformen und der Flexibilisierung des Bildungswesens Rechnung zu tragen, wie die oben angeführten Entscheidungen des Senats zeigen.

Im vorliegenden Fall ist nicht zu beurteilen, ob Fernunterricht mit Hilfe von Kommunikationsmitteln und dem Ziel der Ablegung einer staatlichen Reifeprüfung, unter Schulausbildung einzuordnen ist. Eine solche Form des Unterrrichts nahm der Nebenintervenient nach den Feststellungen nicht in Anspruch. Zu beurteilen ist vielmehr, ob eine ausschließlich selbstbestimmte private (jahrelange) Vorbereitung auf die Zulassungsprüfungen zur Externistenreifeprüfung, Schulausbildung ist. Dies ist zu verneinen. Während bei einem Besuch einer allgemeinbildenden Schule mit Erteilung des Unterrichts schon durch die Organisation der Schule die Art und Dauer der Ausbildung nachgewiesen wird, sodass die Zweckerfüllung des Kinderzuschusses gewährleistet ist, ist ein gleicher Nachweis bei einem ausschließlichen Selbststudium des Lehrstoffs zur Vorbereitung auf Zulassungsprüfungen zu einer Externistenreifeprüfung im Sinn des § 42 SchUG, die keinen vorangegangenen Schulbesuch verlangt, kaum zu erbringen. Hier liegt es nämlich in der Hand des Schülers, die Ausbildung beliebig lange zu strecken. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall von jenen Sachverhalten die den Entscheidungen SSV-NF 6/47, 3/26 und 4/62 zu Grunde lagen. In dem zu SSV-NF 3/62 entschiedenen Fall besuchte der Schüler ein Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium für Berufstätige, an dem am Abend Unterrricht mit 20 Stunden in der Woche erteilt wurde. In dem in SSV-NF 4/62 beurteilten Fall bereitete sich der Schüler im Nachmittagsunterrricht (20 Stunden wöchentlich) im Rahmen eines Lehrgangs einer privaten Maturaschule auf die Ablegung der Externistenreifeprüfung vor. In all diesen Fällen entsprach die Ausbildung annähernd derjenigen an (weiterführenden) Schulen im herkömmlichen Sinn, nahmen doch die Schüler an einem Unterricht teil. Dass der Gesetzgeber die Förderung einer allein vom Belieben des Auszubildenden abhängigen Dauer der Ausbildung im Rahmen der Regelung des § 252 Abs 2 Z 1 wollte, kann nicht unterstellt werden, verlangt er doch in dieser Bestimmung für das Hochschulstudium, dass ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird. Schließlich wird in § 252 Abs 1 Z 5 ASVG von einer "schulmäßigen (beruflichen) Ausbildung" gesprochen. Der erkennende Senat hält daher die in SSV-NF 11/92 = SZ 70/158 vertretene Auffassung aufrecht. Danach muss - um eine "Schulausbildung" annehmen zu können - es sich in der Regel um eine Ausbildung im Rahmen einer im weiteren Sinn als Schule ansprechbaren Einrichtung handeln, wozu mindestens die Erteilung von Unterricht an mehrere Schüler gehört. In diese Richtung weist auch das Schulunterrichtsgesetz für Berufstätige -SchUG-B. Nach § 4 Z 4 dieses Gesetzes ist unter Unterricht unter Einbeziehung von Formen des Fernunterrichts das selbständige Erarbeiten von Lerninhalten durch die Studierenden in Individualphasen sowie das gemeinsame Erarbeiten von Lerninhalten im Klassenverband (Sozialphasen) zu verstehen. Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Abschnitt der Ausbildung des Nebenintervenienten ist durch die völlige Lernfreiheit gekennzeichnet. Es war ihm selbst überlassen, den Lehrstoff durchzuarbeiten, mag er auch ab und zu von einem Betreuungsangebot der Maturaschule Gebrauch gemacht haben. An einem Unterricht nahm er nicht teil. Ein zeitlicher Rahmen für die Ablegung der Zulassungsprüfungen war nicht abgesteckt. Eine stetige Kontrolle des Leistungsstands war nicht gewährleistet. Unter diesen Umständen lag eine Schulausbildung im Sinn des Gesetzes nicht vor. Ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem zeitlichen Ausmaß ein ausschließliches Selbststudium zur Vorbereitung auf eine Abschlussprüfung - etwa Externistenreifeprüfung - zu einer Schul- oder Berufsausbildung zu zählen ist, muss hier nicht erörtert werden, weil sich der Nebenintervenient bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz nicht in dieser Phase, sondern erst in der Phase der Vorbereitung auf die Zulassungsprüfungen befand.

Eine Berufsausbildung im Sinn der Rechtsprechung lag nach den Feststellungen ebenfalls nicht vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte