OGH 10ObS137/01x

OGH10ObS137/01x11.12.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Bernhard Rupp (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria M*****, Berufsschullehrerin, *****, vertreten durch Zamponi - Weixelbaum & Partner, Rechtsanwälte OEG in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. Februar 2001, GZ 11 Rs 26/01z-9, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Oktober 2000, GZ 7 Cgs 189/00w-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1991 als Vertragslehrerin an einer Berufsschule tätig. 1994 ersuchte sie ihren Dienstgeber um die Genehmigung der Zulassung zur einjährigen Ausbildung an der pädagogischen Akademie. Anders als bei anderen Lehrern erfolgt bei Berufsschullehrern die Ausbildung an der pädagogischen Akademie erst nach Einstellung als Vertragslehrer. Im Rahmen dieser Ausbildung werden pädagogische Fächer gelehrt und Lehrauftritte absolviert, das Ausbildungsziel ist die Ablegung der Lehramtsprüfung für Berufsschullehrer. Die Klägerin wurde im Studienjahr 1994/1995 zu dieser Ausbildung zugelassen und war an der Pädagogischen Akademie als ordentliche Studentin immatrikuliert. Sie erhielt von ihrem Dienstgeber weiterhin Gehalt, war vollversichert, aber vom Dienst als Lehrerin freigestellt. Um auch das Fach Leibesübungen unterrichten zu können, absolvierte sie an der Pädagogischen Akademie auch eine Sportausbildung. Im Zuge des Turnunterrichtes erlitt die Klägerin am 18. 10. 1994 einen Unfall, bei dem sie sich den Kleinfinger der linken Hand verletzte. Die beklagte Partei anerkannte mit dem angefochtenen Bescheid den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 4 ASVG und gewährte ihr gemäß § 212 Abs 3 ASVG Versehrtengeld entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Versehrtenrente von mindestens 20 vH. Der Umfang sei in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung als Berufsschullehrerin gestanden und sei daher als Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs 1 ASVG zu beurteilen, sodass ihr nicht Versehrtengeld nach § 212 Abs 3 ASVG, sondern eine Rentenleistung gemäß § 203 ASVG zustehe.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Unfall der Klägerin habe sich im Rahmen der Ausbildung der Klägerin an der Pädagogischen Akademie ereignet, die Klägerin sei daher gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG der Unfallversicherung unterlegen, sodass im Hinblick auf das bestehende Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur die Gewährung von Versehrtengeld gemäß § 212 Abs 3 ASVG in Frage komme.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es dem Rechtsstandpunkt der beklagten Partei folgte. Die Klägerin habe den Unfall im Rahmen ihrer Ausbildung an der Pädagogischen Akademie als Studentin erlitten und sei nach § 8 Abs 1 Z 3 lit i in der Unfallversicherung teilversichert gewesen. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 vH gebühre der Klägerin gemäß § 212 Abs 3 ASVG nur ein Versehrtengeld, aber keine Versehrtenrente. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Ein Dienstnehmer, der gemäß § 4 Abs 1 ASVG der Vollversicherung unterliegt, könne gleichzeitig auch gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG als Student in der Unfallversicherung teilversichert sein. Bei Vorliegen eines Arbeitsunfalles im Sinne der §§ 175 ff ASVG könne ein Versicherter, der auch vollversichert sei, bei Vorliegen der Voraussetzungen die entsprechenden Leistungen nach § 173 ASVG in Anspruch nehmen. Die einjährige Ausbildung der Klägerin an der Pädagogischen Akademie sei weder eine betriebliche Berufsausbildung noch ein Schulungs- oder Fortbildungskurs gewesen, sodass weder ein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 1 noch des § 176 Abs 1 Z 5 ASVG vorliege. Die Ausbildung habe ausschließlich persönlichen Interessen gedient, weil sie sich dem Studium nur deshalb unterzogen habe, um bessere Verdienstmöglichkeiten und Pragmatisierung zu erreichen. Die Klägerin habe den Unfall als Studentin und damit als gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG Teilversicherte erlitten, so dass es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 4 ASVG gehandelt habe. Einen Anspruch auf Versehrtenrente hätte sie gemäß § 203 Abs 2 ASVG nur dann, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 50 vH betragen hätte. Da dies nicht der Fall sei, habe die Beklagte zu Recht der Klägerin lediglich ein Versehrtengeld nach § 212 Abs 3 ASVG gewährt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt. In Frage stehen hier die Bestimmungen der § 175 Abs 1, § 176 Abs 1 Z 5 und § 175 Abs 4 ASVG.

Während der Erwerb beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und Erfahrungen im Rahmen einer betrieblichen Berufsausbildung schon nach § 175 Abs 1 ASVG im Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung zu sehen ist, wird nach § 176 Abs 1 Z 5 ASVG jede Form der unsystematischen beruflichen Aus- und Fortbildung sowie die berufliche Umschulung außerhalb der schulischen und beruflichen Berufsausbildung umfasst, weshalb es unerheblich ist, ob sich der Kursteilnehmer der beruflichen Aus- und Fortbildung pflichtgemäß oder freiwillig unterzieht. Die Einbeziehung der Schulung für berufliche Zwecke erfolgte durch die 9. ASVG-Nov, mit der § 176 Abs 1 Z 5 in das ASVG eingefügt wurde. Nach den Gesetzesmaterialien (517 BlgNR 9.GP 77) sollte damit der Besuch von beruflichen Schulungs(Fortbildungs)kursen erfasst werden, wenn er die Einsatzfähigkeit des Versicherten in seinem Beschäftigungsverhältnis fördert und mit diesem in engem Zusammenhang steht. Dies könnte darauf hinweisen, dass vorgesehen war, nur Schulungsmaßnahmen zu erfassen, die eine Verbesserung der Qualifikation für den konkret vom Versicherten ausgeübten Beruf im aktuellen Arbeitsverhältnis bewirken. Der Gesetzestext ist aber weiter gefasst und bietet keine Grundlage für eine so enge Auslegung. Nach § 176 Abs 1 Z 5 ASVG genießt dementsprechend nach herrschender Meinung derjenige einen den Arbeitsunfällen gleichgestellten Schutz, der sich nebenher, also auch ohne mittelbaren Bezug zu seinem Dienstverhältnis einer beruflichen Aus- oder Fortbildung unterzieht. Dies entspricht gerade heute einem allgemein verfolgten Ziel, die berufliche Ausbildung zu verbessern und die Mobilität der Arbeitnehmer zu fördern. Dass der Versicherte mit der Weiterbildungsmaßnahme das Ziel verfolgt, seine berufliche Stellung zu verbessern und auch gehaltsmäßige Vorteile zu erreichen, steht der Annahme der Voraussetzungen des § 176 Abs 1 Z 5 ASVG nicht entgegen; es ist dies regelmäßig die Motivation für Weiterbildungsmaßnahmen.

Zur Abgrenzung der Versicherungsfälle nach § 175 Abs 1 und § 176 Abs 1 Z 5 ASVG vertrat das Oberlandesgericht Wien als damals zuständiges Höchstgericht in Leistungsstreitsachen den Standpunkt, dass jede dem konkreten bedarf des Betriebes dienende Schulung nach § 175 Abs 1 ASVG geschützt sei, weshalb die Sondernorm einen weiteren Umfang haben müsse (SSV 4/50; 11/115). Dem hielt Tomandl (SV-System 13. ErgLfg 289 f) zutreffend entgegen, dass es für die Frage, ob eine Ausbildung gemäß § 175 Abs 1 ASVG geschützt sei, nicht auf den Bedarf des Betriebes ankomme, sondern einzig und allein darauf, ob die Teilnahme an Schulungsmaßnahmen im Rahmen der Ausübung der Erwerbstätigkeit erfolge; das werde dann der Fall sein, wenn die Teilnahme vom Dienstgeber angeordnet oder unterstützt werde. Hier ist von Bedeutung, dass die Ausbildung der Klägerin an der Pädagogischen Akademie während ihres Beschäftigungsverhältnisses als Lehrerin im Rahmen einer von ihrem Dienstgeber gewährten Dienstfreistellung erfolgte. Gemäß § 4 Landesvertragslehrergesetz 1966, BGBl 1966/72 in der im hier maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung war Vertragslehrern an Berufsschulen für die Ausbildung zum Zweck der Ablegung der Lehramtsprüfung für Berufsschulen auf ihr Ansuchen ein Sonderurlaub bis zu einem Jahr zu gewähren, wenn die Voraussetzungen für eine solche Ausbildung gegeben waren und wichtige dienstliche Gründe nicht entgegenstanden. Berufsschullehrer hatten damit einen Rechtsanspruch auf die Gewährung eines Sonderurlaubes für die Ausbildung zur Nachholung der Lehramtsprüfung. Die Ausbildung der Klägerin erfolgte während eines aufgrund dieser Bestimmung gewährten Sonderurlaubes. Das Studium der Klägerin stand damit in einem so engen Zusammenhang mit ihrem Dienstverhältnis, dass der Besuch der Pädagogischen Akademie der versicherten Tätigkeit als Berufsschullehrerin zuzurechnen ist. Bei dem Unfall, den die Klägerin während dieser Ausbildung erlitt, handelte sich damit um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 1 ASVG.

§ 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG wurde in das Gesetz durch die 32. ASVG-Nov BGBl 1976/704 eingefügt. Nach den Gesetzesmaterialien (388 BlgNR 14. GP 52) sollte durch die Einbeziehung ua auch der Studenten in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung ein durchgehender Versicherungsschutz von der Schule bis zum Betrieb, von der lernenden bis zur beruflichen Tätigkeit erreicht werden. Ziel dieser Regelung war es, eine Lücke zu schließen, indem Personen, die bisher der Unfallversicherung nicht unterlagen, in die Versicherung einbezogen wurden. Besteht hingegen aufgrund eines anderen Tatbestandes für einen Studierenden bereits Unfallversicherungsschutz, so geht dies der Schüler- bzw Studentenunfallversicherung vor, selbst wenn daneben auch die Voraussetzungen des § 8 Abs 1 Z 3 lit i ASVG bzw des § 175 Abs 4 ASVG erfüllt wären.

Der Standpunkt der Klägerin, dass der Unfall nach § 175 Abs 1 ASVG zu beurteilen sei, ist daher zutreffend. Da die Vorinstanzen ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht die Prüfung des Ausmaßes und der Dauer der bei der Klägerin als Folge des Unfalles bestehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ungeprüft gelassen haben, ist der Sachverhalt ergänzungsbedürftig. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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