OGH 10ObS125/21m

OGH10ObS125/21m16.11.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Stögerer Preisinger Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kostenerstattung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. April 2021, GZ 12 Rs 26/21 m‑9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 25. November 2020, GZ 18 Cgs 144/20i‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00125.21M.1116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger war am 12. 5. 2020 bei einem Facharzt für Neurochirurgie aufgrund akuter Wirbelsäulenbeschwerden (Lumboischialgie) in Behandlung. Aufgrund seiner Beschwerden war eine Operation erforderlich, die bereits am nächsten Tag stattfinden sollte. Der Facharzt schickte den Kläger umgehend zur COVID‑19‑Teststation der Privatklinik * (in Folge: Privatklinik). Der Arzt sagte dem Kläger, dass die Operation, sollte der Test negativ sein, am nächsten Tag wie geplant stattfinden könne. Der PCR‑Test war negativ, der Kläger wurde am 13. 5. 2020 in der Privatklinik operiert. Er zahlte für den PCR‑Test 90 EUR.

[2] Mit Bescheid vom 7. 8. 2020 wies die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau den Antrag des Klägers auf Kostenerstattung für die Honorarnote der Privatklinik vom 27. 5. 2020 über 90 EUR für einen PCR‑Test (COVID‑19) ab, weil es sich bei dem Test nicht um eine Krankenbehandlung im Sinn des § 62 B‑KUVG handle.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner Klage von der Beklagten die Erstattung der Kosten von 90 EUR für den PCR‑Test. Der Test sei Voraussetzung für die bei ihm durchgeführte Krankenbehandlung gewesen und auf ärztliche Anordnung erfolgt. Hätte der Kläger den Test verweigert, wäre er nicht behandelt worden, sodass ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Operationszweck wie bei präoperativen Untersuchungen bestanden habe.

[4] Die Beklagte wandte ein, dass sich der PCR‑Test nur auf die Aufnahme im Spital, nicht aber auf die beim Kläger durchgeführte Krankenbehandlung bezogen habe.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Kläger hätte den PCR‑Test nicht in der Privatklinik durchführen müssen. Er hätte andere Möglichkeiten für einen kostenfreien Test, etwa in einer Teststraße, gehabt.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Kläger habe eine Anstaltspflege im Sinn des § 66 B‑KUVG in Anspruch genommen. Eine prästationäre Untersuchung wie der beim Kläger durchgeführte PCR‑Test sei Voraussetzung für die Durchführung der medizinisch indizierten Wirbelsäulen‑Operation gewesen. Die Privatklinik gehöre zum Kreis der PRIKRAF‑Krankenanstalten (Anlage 1 zum Privatkrankenanstalten‑FinanzierungsfondsG [PRIKRAF‑G], BGBl I 2004/165). Die Abrechnung der im stationären Bereich erbrachten Leistungen erfolge mit einem nach dem PRIKRAF‑G von den Sozialversicherungsträgern an den PRIKRAF zu überweisenden Betrag gemäß §§ 68, 68a B‑KUVG iVm § 149 Abs 3 und Abs 3a ASVG. Die Direktverrechnung der Pflegekostenzuschüsse setze gemäß § 5 Abs 1 PRIKRAF‑G das zusätzliche Bestehen eines Einzelvertrags voraus. Bestehe wie hier ein solcher Vertrag, bezahle der Privatkrankenanstalten‑Finanzierungsfonds (PRIKRAF) die Gebühren für die Behandlung des Versicherten direkt an den Träger der Krankenanstalt. Eine Verrechnung mit dem Versicherten gegen Vorlage der saldierten Rechnung komme – abgesehen von Sonderklassegebühren – nur außerhalb solcher Verträge in Betracht. Pkt VIII des zwischen der Privatklinik und der Beklagten abgeschlossenen Einzelvertrags verweise auf den PRIKRAF‑Gesamtvertrag (avsv Nr 35/2015). Gemäß § 4 Abs 2 des Gesamtvertrags seien mit den Zahlungen an den Fonds abgesehen von den ausschließlich aufgrund der Unterbringung in der Sonderklasse zu leistenden Sondergebühren und Arzthonoraren grundsätzlich sämtliche erforderlichen medizinischen Leistungen im Rahmen der Anstaltspflege abgegolten. Dies umfasse auch prästationäre Untersuchungen wie Befundungen, Aufnahmeuntersuchungen und dergleichen, sofern diese von der Fonds‑Krankenanstalt oder einem von ihr zugelassenen Belegarzt angeordnet wurden. Dazu gehöre der beim Kläger durchgeführte PCR‑Test, sodass er mit dem von der Beklagten an den PRIKRAF geleisteten Pauschalbetrag abgegolten sei. Da die Beklagte damit ihrer Sachleistungspflicht entsprochen habe, komme ein weiterer Kostenzuspruch an den Kläger nicht in Betracht. Die Revision sei zulässig, weil die Fragen, ob ein Versicherter einen Anspruch auf Kostenerstattung für einen für die Durchführung einer medizinisch indizierten Operation erforderlichen PCR‑Test (COVID‑19) habe und ob die Kosten eines solchen für die Spitalsbehandlung erforderlichen Tests vom Begriff der Anstaltspflege umfasst sei, erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO seien.

[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung des Klagebegehrens anstrebt.

[8] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

[9] 1.1 Beim Kläger ist unstrittig der Versicherungsfall der Krankheit gemäß § 51 Abs 1 Z 2 B‑KUVG eingetreten. Aus dem Versicherungsfall der Krankheit wird als Leistung der Krankenversicherung ua die Anstaltspflege (§§ 66 bis 68 B‑KUVG) gewährt (§ 52 Z 2 B‑KUVG).

[10] 1.2 Unter dem im Gesetz nicht näher definierten Begriff „Anstaltspflege“ wird die durch die Art der Krankheit erforderte, durch die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung bedingte „einheitliche und unteilbare“ Gesamtleistung der stationären Pflege in einer Krankenanstalt verstanden (10 Ob 34/10p mwH zum Parallelrecht des ASVG). Es werden mit den vom Versicherungsträger gezahlten Pflegegebühren grundsätzlich alle Leistungen der Krankenanstalt abgegolten. Die Teilleistungen, die von dieser Abgeltung umfasst sind, sind die Kosten der Unterkunft, der ärztlichen Untersuchung und Behandlung, Beistellung von allen erforderlichen Heilmitteln, Arzneien usw, Pflege und Verköstigung (RIS‑Justiz RS0085807). So wie die Krankenbehandlung bezweckt die Anstaltspflege die Wiederherstellung, Festigung oder Besserung der Gesundheit, Arbeitsfähigkeit oder Selbsthilfefähigkeit. Sie tritt aber insofern hinter die Krankenbehandlung zurück, als sie als Leistung der Krankenversicherung erst beansprucht werden kann, wenn eine ambulante Krankenbehandlung nicht mehr ausreicht, um eine Krankheit durch ärztliche Untersuchung festzustellen und sodann durch Behandlung zu bessern oder zu heilen (RS0106685). Nach diesem Verständnis setzt auch die Anstaltspflege die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung voraus (10 ObS 50/11t SSV‑NF 25/69 mwH).

[11] 2.1 Die gesetzliche Krankenversicherung hat aus dem Versicherungsfall der Krankheit (nur) die Leistungen der Krankenbehandlung oder der Anstaltspflege (erforderlichenfalls der medizinischen Hauskrankenpflege) zu erbringen. Jenseits dieser gesetzlichen Aufgaben darf die Krankenversicherung nach den dargestellten gesetzlichen Regelungen keine Leistungen erbringen (Windisch‑Graetz in SV‑Komm [284. Lfg] § 116 ASVG Rz 7). Da der Revisionswerber selbst davon ausgeht, dass der PCR‑Test nicht Teil der bei ihm durchgeführten Krankenbehandlung war, kann sich eine Leistungspflicht der Beklagten daher nur bei Vorliegen von Anstaltspflege ergeben.

[12] 2.2 Der Kläger führt in der Revision aus, dass der PCR‑Test (COVID‑19) für die bei ihm vorzunehmende Wirbelsäulen‑Operation medizinisch nicht notwendig war, weil er mit dieser in keinem direkten medizinischen Zusammenhang stehe. Der Test diene allein dem Schutz der Mitarbeiter und Patienten der Privatklinik. Er stelle keine „klassische“ Voruntersuchung zu einer Operation dar und sei daher nicht mit der Zahlung des Pauschalbetrags durch die Beklagte an den PRIKRAF abgegolten. Der PCR‑Test sei „nichtsdestotrotz“ eine Voraussetzung für die Aufnahme in die Krankenanstalt gewesen. Er sei eine angeordnete diagnostische Behandlung gewesen, deren Kosten durch die Beklagte zu ersetzen seien.

[13] 2.3 Die gesetzmäßige Ausführung des Revisionsgrundes nach § 503 Z 4 ZPO setzt voraus, dass der Revisionswerber konkret ausführt, aus welchen Gründen das Berufungsgericht die Sache rechtlich unrichtig beurteilt hat (10 ObS 111/21b mwN; RS0043654 ua). Diesen Anforderungen wird die außerordentliche Revision des Klägers nicht gerecht: Denn das Berufungsgericht ist ohnehin – zugunsten des Klägers – vom Vorliegen von Anstaltspflege ausgegangen. Wäre der PCR‑Test dem entgegen, wie man die Ausführungen in der Revision verstehen könnte, weder Teil der Krankenbehandlung des Klägers noch der von ihm in Anspruch genommenen Anstaltspflege gewesen, so wäre die Beklagte schon deshalb nicht leistungspflichtig. Geht man aber mit dem Berufungsgericht davon aus, dass der PCR‑Test Teil der Anstaltspflege gewesen sei, so legt der Kläger in der Revision nicht dar, warum die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte in diesem Fall ihrer Sachleistungspflicht bereits mit der von ihr an den PRIKRAF geleisteten Pauschalzahlung entsprochen habe, unrichtig sei.

[14] Mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

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