OGH 10ObS120/95

OGH10ObS120/955.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Helmut Szongott (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Pulkrab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria K*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.März 1995, GZ 9 Rs 3/95-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.September 1994, GZ 4 Cgs 231/93a-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 22.10.1993 wurde der Antrag der Klägerin vom 1.7.1993 auf Zuerkennung der Invaliditätspension abgelehnt, weil die Klägerin nicht invalid im Sinne des Gesetzes sei.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1.7.1993 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die am 29.5.1943 geborene Klägerin war in den letzten fünfzehn Jahren vor der Antragstellung überwiegend als Hausbesorgerin tätig. Ihren erlernten Beruf als Fleischhauerin hat sie in den letzten fünfzehn Jahren nur fünfzehn Monate in unselbständiger Erwerbstätigkeit ausgeübt. Insgesamt hat sie 409 Versicherungsmonate erworben, davon 39 Monate einer Ersatzzeit und "4 neutrale Monate". Auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Veränderung ist die Klägerin nur mehr in der Lage, leichte körperliche Arbeit im Sitzen, Stehen und Gehen zu verrichten. Mittelschwere Arbeiten kommen nur zur Hälfte der Arbeitszeit in Betracht, nicht aber in ununterbrochener Folge. Tätigkeiten unter andauerndem besonderem Zeitdruck, ständiges Stehen oder ständiges Sitzen scheiden aus. Tätigkeiten, die mit gehäuftem (mehr als fünfmal pro Stunde) Bücken, Knien und Hocken verbunden sind, sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind ausgeschlossen.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht das Vorliegen von Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG, weil ausgehend vom festgestellten Leistungskalkül verschiedene Verweisungstätigkeiten wie Portierin oder Abserviererin in Selbstbedienungsrestaurants in Frage kämen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der

Rechtsauffassung der Klägerin, sie sei in den letzten fünfzehn

Monaten (gemeint offenbar Jahren) vor Antragstellung überwiegend in

ihrem erlernten Beruf als Fleischhauerin - wenn auch selbständig -

tätig gewesen, könne deshalb nicht gefolgt werden, weil nach § 255

Abs 2 Satz 2 ASVG nur Berufstätigkeiten nach dem ASVG in Betracht

kämen. Die Klägerin habe zwar zwischen Juni 1983 und Dezember 1988

67 Versicherungsmonate nach dem GSVG erworben (neben der

gleichzeitigen Tätigkeit als Hausbesorgerin), doch könnten nur

Beitragsmonate nach dem ASVG bei Beurteilung der überwiegenden

Tätigkeiten herangezogen werden. Der Auffassung der Klägerin, auch

ihre selbständige Tätigkeit als Fleischhauerin sei zu

berücksichtigen, könne daher nicht gefolgt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

In Ausführung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache verweist die Klägerin darauf, daß sie ihren erlernten Beruf als Fleischhauerin im Beobachtungszeitraum sowohl als selbständig wie auch als unselbständig Erwerbstätige ausgeübt habe; die Tätigkeit als Hausbesorgerin habe sie nebenbei aufgenommen und dadurch Beitragsmonate nach dem ASVG erworben. Bei Prüfung der Versicherungsfälle der geminderten Arbeitsfähigkeit komme es auf den Inhalt der ausgeübten Tätigkeit an. Der Leistungszugehörigkeit nach § 245 ASVG komme hingegen keine entscheidende Rolle zu. Bei Prüfung des Anspruches auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit seien vielmehr jene Normen anzuwenden, die der ausgeübten Tätigkeit entsprechen. Die Fälle einer Mehrfachversicherung seien ebenso zu beurteilen. Mit den Vorschriften über die Wanderversicherung in § 251 a ASVG habe der Gesetzgeber nicht die materielle Beurteilung von Versicherungsfällen regeln wollen. Da die Klägerin in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate während der letzten fünfzehn Jahre vor dem Stichtag ihre erlernte Berufstätigkeit als Fleischhauerin ausgeübt habe, könne sie nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden.

Dieser Rechtsauffassung ist nicht zu folgen.

Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit tritt in den einzelnen Systemen der österreichischen Pensionsversicherung jeweils unter verschiedenen Bezeichnungen auf, wobei auch der Begriffsinhalt jeweils ein anderer ist. Wenn auch die verschiedenen Sozialversicherungsgesetze im Aufbau einem einheitlichen Schema folgen, schaffen sie doch jeweils eigenständige Regelungssysteme, die an sehr unterschiedliche Sachverhalte anknüpfen. Durch die Bestimmungen über die Wanderversicherung (§ 251 a ASVG, § 129 GSVG, § 120 BSVG) hat der Gesetzgeber eine Regelung geschaffen, die

eine weitgehende Gleichbehandlung der in verschiedenen Sozialversicherungssystemen erworbenen Versicherungszeiten sicherstellt. Das Wesen der Wanderversicherungsregelung besteht darin, daß alle erworbenen Versicherungszeiten vom zuständigen Träger so behandelt werden, als ob sie bei ihm erworben worden wären (Abs 7 Z 1 der zit Gesetzesstellen). Hat ein Versicherter Versicherungsmonate sowohl nach dem ASVG als auch in der Pensionsversicherung nach dem GSVG oder nach den BSVG erworben, so kommen für ihn gemäß Abs 1 der zit Gesetzesstellen die Leistungen aus der Pensionsversicherung in Betracht, der er zugehörig ist. Dies ist nach Abs 3 der zit Bestimmungen die Pensionsversicherung, in der die größere oder die größte Zahl von Versicherungsmonaten vorliegt. Die Leistungen bestimmen sich dabei nach den Regelungen, die im Bereich der Pensionsversicherung bestehen, die der zuständige Träger zu administrieren hat. Bei Feststellung der Leistungsansprüche hat

dieser nur eigenes Recht anzuwenden (181 BlgNR 14.GP 74; MGA ASVG

56. ErgLfg 1263; SSV-NF 8/25; zuletzt ausführlich 14.2.1995, 10 ObS

11/95 mit eingehender Darstellung der historischen Entwicklung).

Die Klägerin ist unstrittig der Pensionsversicherung der Arbeiter

leistungszugehörig; für sie kann daher hier nur der Versicherungsfall

der Invalidität, nicht aber jener der Erwerbsunfähigkeit in Frage

kommen, weil der letztgenannte Versicherungsfall im Leistungsrecht

nach dem ASVG nicht vorgesehen ist. Gegenstand der

Pensionsversicherung nach dem ASVG sind unselbständige

Erwerbstätigkeiten, im Falle der Klägerin ihre Tätigkeiten als

Hausbesorgerin und als unselbständige Fleischhauerin. Folgte man dem

von der Klägerin vertretenen Standpunkt, es sei bei Prüfung der

Invalidität auf ihre (nach dem GSVG versicherte) Tätigkeit als

selbständige Fleischhauerin abzustellen, so würde damit für einen

Leistungsanspruch aus der Pensionsversicherung der Arbeiter auf eine

in diesem Versicherungszweig nicht versicherte Tätigkeit abgestellt,

die zufolge ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit (hier

fremdbestimmte Arbeit unter Eingliederung in ein hierarchischen

System, dort selbständige Tätigkeit ausgezeichnet durch ein hohes Maß

an Autonomie und Selbstgestaltung) auch nach § 255 ASVG gar nicht

beurteilt werden könnte. Dem bereits dargestellten Grundsatz, daß

jeder Versicherungsträger nur eigenes Recht anzuwenden hat,

entspricht es, daß er für die Prüfung eines Pensionsanspruches wegen

geminderter Arbeitsfähigkeit, was die Frage des Berufsschutzes

betrifft, nur die in seinem Versicherungszweig erworbenen

Versicherungszeiten zu berücksichtigen hat. § 251 a Abs 7 Z 1

ASVG gilt nicht für die Frage des Berufsschutzes, sondern nur für die

Wartezeit und die Bemessung von Leistungen (10 ObS 11/95; in diesem

Sinne auch bereits OLG Wien SSV 22/13 und 76).

Da die Klägerin in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag in

mehr als der Hälfte der Beitragsmonate als Hausbesorgerin tätig war,

ist ihr Pensionsanspruch nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen.

Daß sie ungeachtet der verschiedenen Einschränkungen ihres Leistungskalküls noch auf Verweisungstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann, wird in der Revision gar nicht mehr bestritten.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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