OGH 10ObS119/94

OGH10ObS119/9414.6.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Carl Hennrich (Arbeitgeber) und Dipl.phil.Eberhard Piso (Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hedwig B***** , vertreten durch Dr.Otto Tuma, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Ghegastraße 1, 1031 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28.4.1989, GZ 34 Rs 269/88-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreis (Landes)gerichtes Krems als Arbeits- und Sozialgericht vom 21.9.1988, GZ 15 Cgs 149/88-7 bestätigt wurde,

1. den

Beschluß

gefaßt:

Das unterbrochene Verfahren wird wieder aufgenommen.

2. in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin einen mit 1.543,50 S bestimmten Anteil der Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 17.8.1925 geborene Klägerin erwarb bis Mai 1948 99 Versicherungsmonate nach dem ASVG. Am 23.11.1948 ehelichte sie vor dem Standesamt Langenlois den am 14.3.1922 geborenen Landwirt Edmund B*****. Mit Notariatsakt vom 18.3.1952 übernahmen die Klägerin und ihr Gatte von dessen Eltern die Landwirtschaft Nr.100 in Z***** ins gleichteilige Eigentum mit sofortiger Übernahme aller Rechte und Pflichten. Die Beitragszahlungen an die Landwirtschaftliche Zuschußrentenversicherungsanstalt bzw an die Bauernkrankenkasse erfolgten durch den Ehegatten der Klägerin, der am 3.11.1974 verstarb. Der Nachlaß wurde der Klägerin zur Gänze eingeantwortet. Am 10.12.1974 schloß die Klägerin mit ihrem Sohn Edmund B***** einen Übergabsvertrag hinsichtlich des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes Z***** 100. Der Übernehmer trat mit diesem Tag unter Übernahme von Nutzen, Gefahr, Last und Vorteil in den Besitz und Genuß des Vertragsobjektes. Ab 1.1.1975 wurde der Klägerin die Witwenpension gewährt.

Mit einem am 8.9.1987 bei der beklagten Partei eingelangten Schreiben beantragte die Klägerin die Zuerkennung einer Alterspension ab August 1985. Gegen den ablehnenden Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren, die beklagte Partei zur Leistung der Alterspension zu verpflichten. Die beklagte Partei habe zu Unrecht die Zeiten, während der sie gemeinsam mit ihrem Gatten den landwirtschaftlichen Betrieb geführt habe, nicht als Versicherungszeiten angerechnet.

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Die Zeiten der gemeinsamen Betriebsführung seien für die Klägerin nicht als Versicherungsmonate zu zählen; die außerhalb dieses Zeitraumes erworbenen Versicherungsmonate reichten jedoch zur Erfüllung der Wartezeit nicht aus. Dem Begehren auf Anrechnung von Versicherungsmonaten für die Dauer der gemeinsamen Betriebsführung komme keine Berechtigung zu, da die Klägerin aufgrund der jeweiligen Gesetzeslage keinerlei Versicherungsmonate habe erwerben können. Das am 1.1.1958 in Kraft getretene LZVG (BGBl 1957/293) habe im § 3 Abs 2 bestimmt, daß dann, wenn Ehegatten ein und denselben Betrieb auf gemeinsame Rechnung und Gefahr führen, die Ehegattin von der Landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung ausgenommen sei, sofern nicht für den Ehegatten ein Ausnahmsgrund nach Abs 1 vorliege. Entsprechende Bestimmungen seien im § 2 B-PVG (BGBl 1970/28) und im § 5 Abs 4 des am 1.1.1979 in Kraft getretenen BSVG enthalten gewesen. Erst mit der 4. Novelle zum BSVG BGBl 1981/284 sei eine geschlechtsneutrale Regelung eingeführt worden. Während der gesamten Dauer der gemeinsamen Betriebsführung habe die Klägerin nach der damals bestandenen Rechtslage Beitragszeiten nicht erwerben können, sodaß auch ihrem Vorbringen, daß tatsächlich sie die überwiegende persönliche Mitarbeit geleistet habe, keine Bedeutung zukomme.

In der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung ging die Klägerin von der vom Erstgericht dargestellten Rechtslage aus, vertrat jedoch die Ansicht, daß diese Rechtslage den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz verletze. Mit Rücksicht auf die Behinderung ihres Mannes habe tatsächlich sie die Wirtschaft geführt. Im Hinblick darauf seien die Bestimmungen, die ungeachtet dessen die Versicherungspflicht ihres Mannes normiert hätten, verfassungswidrig gewesen. Da sie den Betrieb geführt habe, sei davon auszugehen, daß sie versichert gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es eine Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze durch die bis zur 4. BSVG-Novelle bestehenden Bestimmungen über die Versicherungspflicht im Fall der gemeinsamen Betriebsführung durch Ehegatten verneinte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache an eine der Vorinstanzen zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Darin wiederholte sie ihre bereits in der Berufung vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der die ausschließliche Versicherungspflicht des Ehegatten normierenden Bestimmungen vor der 4.BSVG-Novelle.

Der Oberste Gerichtshof unterbrach mit Beschluß vom 24. 10. 1989, 10 Ob S 268/89 das Verfahren gemäß § 74 Abs 1 ASGG und regte die Einleitung des Verfahrens vor der beklagten Partei über die Frage der Versicherungspflicht der Klägerin während des Zeitraumes, während dessen sie gemeinsam mit ihrem Ehegatten den landwirtschaftlichen Betrieb führte, an. Die Klägerin begründe das von ihr erhobene Begehren ausschließlich damit, daß vom Bestehen einer Pflichtversicherung während des fraglichen Zeitraumes bzw vom Bestehen der Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung für die Zeit vor Inkrafttreten des LZVG, die zur Berücksichtigung entsprechender Ersatzzeiten führen würden, auszugehen sei. Gemäß der nach § 182 BSVG auch für den Bereich dieses Bundesgesetzes anzuwendenden Bestimmung des § 355 Z 1 ASVG gehöre die Feststellung der Versicherungspflicht ebenso wie die der Versicherungsberechtigung zu den Verwaltungssachen. Gemäß § 74 Abs 1 ASGG sei in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (eine solche liege hier vor) dann, wenn die Versicherungspflicht, die Versicherungsberechtigung, der Beginn oder das Ende der Versicherung (§ 355 Z 1 ASVG), die maßgebende Beitragsgrundlage oder die Angehörigeneigenschaft (§ 410 Abs 1 Z 7 ASVG) als Vorfrage strittig sei, das Verfahren zu unterbrechen, bis über diese Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden sei und, sofern ein solches Verwaltungsverfahren noch nicht anhängig sei, dessen Einleitung anzuregen.

Mit Bescheid vom 12.1.1990 stellte die beklagte Partei im Verwaltungsverfahren fest, daß die Klägerin in der Zeit von 1958 bis 1970 von der Versicherung nach dem LZVG ausgenommen gewesen sei. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde die Ausnahme der Klägerin von der Pflichtversicherung nach dem B-PVG im Zeitraum Oktober 1970 bis einschließlich Oktober 1974 festgestellt. Der landwirtschaftliche Betrieb sei auf gemeinsame Rechnung und Gefahr der Ehegatten geführt worden. Ein Ausnahme- oder Befreiungsgrund sei nicht vorgelegen, so daß die Klägerin gemäß § 3 Abs 2 LZVG bzw § 3 Abs 2 B-PVG von der Pflichtversicherung ausgenommen gewesen sei. Der Landeshauptmann von Niederösterreich gab mit Bescheid vom 10.1.1991 den von der Klägerin gegen diese Bescheide erhobenen Einsprüchen nicht Folge, wobei er im wesentlichen der Begründung des Bescheides der beklagten Partei beitrat. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gab mit Bescheid vom 27.3.1991, Zl 120.980/2-7/91 der von der Klägerin erhobenen Berufung nicht Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes. Mit Beschluß vom 14.6.1993, Zl B 553/91-9 lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der von der Klägerin gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die Beschwerde rüge die Verletzung der Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Im Hinblick darauf, daß erst mit der Familienrechtsreform 1975 für den Gesetzgeber eine Pflicht zur Anpassung der anderen Rechtsvorschriften begann und diesem hiefür eine angemessene Frist zur Verfügung stand, lasse die Beschwerde die behaupteten Rechtsverletzungen aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Die Sache sei auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen. Mit Beschluß vom 30.11.1993, Zl 93/08/0195 stellte der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ein, nachdem die Klägerin eine an sie ergangene Aufforderung zur Mängelbehebung unbeachtet gelassen hatte.

Mit Bescheid vom 7.6.1990 stellte die beklagte Partei fest, daß die Klägerin in der Zeit vor dem 1.1.1958 in der Landwirtschaftlichen Zuschußrentenversicherung nicht pflichtversichert gewesen sei. Das LZVG sei erst am 1.1.1958 in Kraft getreten. Vor diesem Zeitpunkt gelegene Sachverhalte könnten daher nicht zu einer Pflichtversicherung führen. Der Landeshauptmann von Niederösterreich gab der von der Klägerin gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung nicht Folge. Er trat der Begründung des angefochtenen Bescheides bei und hielt den Berufungsausführungen der Klägerin entgegen, daß die Feststellung allfälliger Ersatzzeiten keine Verwaltungssache gemäß § 355 ASVG, sondern eine Leistungssache gemäß § 354 ASVG sei; ob Ersatzzeiten vorliegen, sei ausschließlich vom Gericht zu entscheiden. Mit Bescheid vom 12.7.1993, Zl 120.955-7/93 gab das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der von der Klägerin dagegen erhobenen Berufung nicht Folge und bestätigte den angefochtenen Bescheid und billigte dessen Begründung. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der von der Klägerin gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab (B 1579/93-5 vom 30.11.1993).

Im Hinblick auf die Amtswegigkeit des Verfahrens ist dieses nach Vorliegen der im § 74 Abs 1 ASGG normierten Fortsetzungsvoraussetzungen von Amts wegen fortzusetzen (Feitzinger-Tades, ASGG, Anm 5 zu § 74 ASGG; Kuderna ASGG, 397). In diesem Sinne war der Aufnahmebeschluß zu fassen.

Der Entscheidung über das in der vorliegenden Sozialrechtssache erhobene Begehren ist die rechtskräftige Entscheidung im Verwaltungsverfahren (Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 12.7.1993, Zl 120.980/2-7/91) zugrunde zu legen. Auszugehen ist also davon, daß die Klägerin in der Zeit von 1958 bis 1974 keine Zeiten der Pflichtversicherung erworben hat.

Dem Gericht ist durch § 74 Abs 1 ASGG die Vorfragenkompetenz nur bezüglich der dort erschöpfend angeführten Fragen entzogen. Die Frage, ob ein Versicherter Ersatzzeiten erworben hat, ist vom Gericht im Sozialrechtsverfahren selbständig zu beurteilen. Diese Frage war daher von der Unterbrechung des Verfahrens nicht erfaßt (idS auch der Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 12.7.1993). Dabei ist jedoch auch diesbezüglich die Entscheidung im Verwaltungsverfahren zu beachten.

Gemäß § 107 Abs 1 Z 1 BSVG gelten als Ersatzzeiten, soweit sie nicht als Beitragszeiten anzusehen sind, nach Vollendung des 15. Lebensjahres im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegte Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder Beschäftigung, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes über die Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung die Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz begründet hätten. § 2b BSVG wurde durch die 4.BSVG-Novelle in das Gesetz eingeführt und dadurch die frühere Regelung, die bei gemeinsamer Wirtschaftsführung von Ehegatten die alleinige Versicherung des Ehemannes vorsah, ersetzt. § 2b BSVG ist mangels einer Rückwirkungsbestimmung mit 1.6.1981 in Kraft getreten. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte gemäß der neuen Norm bei gemeinsamer Wirtschaftsführung durch Ehegatten bei Fehlen eines Ausnahmegrundes für den Ehemann die Ehefrau Versicherungszeiten nach dem BSVG erwerben. Die Frage, ob jemand durch eine Tätigkeit in der Zeit vor Inkrafttreten des BSVG gemäß § 107 Abs 1 Z 1 BSVG Ersatzzeiten erworben hat, kann zufolge der Lagerung der Zeiten (jedenfalls vor Inkrafttreten des BSVG am 1.1.1979 - siehe dazu BSVG MGA Anm 3 zu § 107 BSVG) nur ausgehend von der bei Inkrafttreten des BSVG geltenden Rechtslage geprüft werden. Bis 31.5.1981 stand jedoch die alte Rechtslage in Kraft, nach der die Ehegattin bei gemeinsamer Betriebsführung - wie dargestellt - keine Versicherungszeiten erwerben konnte. Fest steht aufgrund der oben zitierten Bescheide, daß für die Klägerin bis zum Tod ihres Mannes keine Versicherungspflicht bestand. Sie konnte daher für ihre Tätigkeit vor dieser Zeit auch keine Ersatzzeiten erwerben.

Dem Klagebegehren fehlt daher eine Grundlage.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die rechtlichen Schwierigkeiten, mit denen die Führung der Rechtssache, insbesondere die Verfassung der Revision belastet waren, rechtfertigen im Sinne der zitierten Gesetzesstelle den Zuspruch der halben Kosten des Revisionsverfahrens.

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