OGH 10ObS118/89

OGH10ObS118/899.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Otto Tiefenbrunner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingrid M***, Mitterstraße 26, 8111 Judendorf-Straßgengel, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. November 1988, GZ 7 Rs 200/88-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 26. Juli 1988, GZ 35 Cgs 1057/87-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, daß der Absatz 2 des Spruches zu lauten hat:

"Der beklagten Partei wird aufgetragen, der klagenden Partei ab 1.4.1987 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 6.000 S monatlich zu erbringen".

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.087 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 514,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei zur Leistung einer Berufsunfähigkeitspension zu verpflichten; wegen verschiedener Leidenszustände sei sie nicht mehr in der Lage, ihren bisherigen Beruf als Krankenschwester auszuüben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin statt, erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. April 1987 zu leisten und verpflichtete die beklagte Partei, eine vorläufige Leistung an die Klägerin von monatlich 6.000 S zu erbringen, ohne diesbezüglich einen Leistungsbeginn festzulegen.

Das Berufungsgericht gab der gegen die Zuerkennung der Pensionsleistung gerichteten Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es den Beginn der Verpflichtung zur Erbringung der vorläufigen Zahlung mit 26. Juli 1988 (Schluß der Verhandlung erster Instanz) bestimmte. Bei der vorläufigen Zahlung handle es sich nicht um eine Pensionsfestsetzung durch das Gericht in vorläufiger Höhe, sondern um eine sich nur an der voraussichtlichen Pensionshöhe orientierenden Überbrückungszahlung. Zweck der Leistung sei lediglich eine Überbrückung des Zeitraumes zwischen dem nach der Tatsachen- und Rechtslage am Schluß der Verhandlung in erster Instanz zu fällenden Gerichtsurteil (unter der Fiktion dessen Bestätigung im Instanzenzug) und der Festsetzung der Pensionsleistung durch den Versicherungsträger. Aus diesem Grund sei die vorläufige Leistung auch nicht 14mal jährlich, sondern nur 12mal jährlich in gleichbleibendenr Höhe zu erbringen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß der Beginn der vorläufigen Zahlung mit 1. April 1987 festgesetzt werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die aufgrund der §§ 96 und 147 Abs 5 des Angestelltenversicherungsgesetzes 1928 BGBl 232 vom Bundesminister für Soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz erlassene Verordnung vom 19.Oktober 1929 über die Schiedsgerichte für die Angestelltenversicherung, BGBl 1929/353 sah eine Entscheidung dem Grunde nach unter Auferlegung einer vorläufigen Leistung nicht vor. § 24 Abs 1 der zitierten Verordnung bestimmte, daß in dem Erkenntnis über Klagen auf Leistungen bestimmt auszusprechen war, was die Parteien in der Hauptsache und an Nebenforderung zu leisten haben und welche Ansprüche als unbegründet zurückgewiesen wurden.

Die Bestimmungen über die Fällung einer Entscheidung nur dem Grunde nach und die Auferlegung einer vorläufigen Leistung in diesem Fall geht auf § 1668 RVO zurück. Demzufolge hatte der Spruchsenat im Verfahren vor den Versicherungsämtern, wenn er den Anspruch für begründet erachtete, zugleich den Betrag und den Beginn der Leistung festzusetzen. In Fällen, in denen der Anspruch ausnahmsweise nur dem Grunde nach anerkannt wurde, war eine vorläufige Leistung anzuordnen. An dieser Regelung orientierte sich offenbar die aufgrund des Sozialversicherungsüberleitungsgesetzes BGBl 1947/142 erlassene Schiedsgerichtsverordnung BGBl 1948/18, nach deren § 18 Abs 1 das Schiedsgericht, wen es den Anspruch für begründet hielt, tunlichst den Betrag der Leistung und wenn diese fortlaufend war den Beginn derselben festzustellen hatte. In Fällen, in denen der Anspruch nur dem Grunde nach anerkannt wurde, war eine vorläufige Zahlung anzuordnen und deren Betrag festzusetzen. § 18 Abs 1 der Schiedsgerichtsverordnung war Vorbild für § 391 Abs 2 ASVG. Dort wurde bestimmt, daß das Schiedsgericht, wenn es den Anspruch für begründet hielt, tunlichst den Betrag der Leistung und wenn es sich um eine fortlaufende Leistung handelte, auch deren Beginn festzustellen hatte. Wurde ein Anspruch nur dem Grunde nach anerkannt, so hatte das Schiedsgericht eine vorläufige Zahlung anzuordnen und deren Betrag festzusetzen. Die Gesetzesmaterialien (599 BlgNR 7. GP, 114) führen dazu aus, daß mit dieser Bestimmung, abgesehen von einer stilistischen und terminologischen Änderung, die Vorschriften des § 18 Abs 1 Schiedsgerichtsverordnung unverändert übernommen wurden. Auf § 391 Abs 2 ASVG baut § 89 Abs 2 ASGG auf, der bestimmt, daß dann, wenn sich in einer Rechtsstreitigkeit nach § 65 Abs 1 Z 1, 6 oder 8, in der das Klagebegehren auf eine Geldleistung gerichtet und dem Grunde und der Höhe nach bestritten ist, ergibt, daß das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, das Gericht die Rechtsstreitigkeit dadurch erledigen kann, daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung zu erbringen, deren Ausmaß das Gericht unter sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO festzusetzen hat. In der Regierungsvorlage zum ASGG (§ 7 BlgNR 16. GP, 59 - dort zu § 80) wird ausgeführt, daß der Abs 2 erster Halbsatz des (nunmehrigen) § 89 ASGG § 391 Abs 2 Z 1 ASVG zum Vorbild habe.

Aus dieser Übersicht ergibt sich, daß der Gesetzgeber auch in Rechtsstreitigkeiten, die Leistungssachen aus der Sozialversicherung zum Gegenstand haben, davon ausgeht, daß grundsätzlich durch die Entscheidung über den erhobenen Anspruch dem Grund und der Höhe nach abgesprochen werden soll. Dies zeigt ganz klar § 1668 RVO, der als Stammbestimmung der hier zu behandelnden Regelung angesehen werden kann, wo vorrangig die Zuerkennung der Leistung auch der Höhe nach angeordnet wird; die Entscheidung nur dem Grunde nach soll (arg. "ausnahmsweise") auf Einzelfälle beschränkt bleiben. In der Folge setzte sich offenbar dann die Einsicht durch, daß die Bestimmung der Höhe einer dem Grunde nach zuerkannten Leistung durch die Schiedsgerichte der Sozialversicherung mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden ist. Dies bildete offenbar den Grund, weshalb im weiteren der Vorrang der Entscheidung durch die Gerichte auch hinsichtlich der Anspruchshöhe etwas zurückgenommen wurde, doch enthielten sowohl § 18 Abs 1 Schiedsgerichtsverordnung wie auch § 391 Abs 2 ASVG die Bestimmung, daß im Urteil tunlichst auch der Betrag der Leistung festzusetzen sei. Die Entscheidung dem Grunde nach wird jedoch nicht mehr auf Ausnahmsfälle beschränkt. Die Fassung des § 89 Abs 2 ASGG weicht wohl im Wortlaut von den früheren Bestimmungen ab. Dagegen, daß damit jedoch grundsätzliche inhaltliche Änderungen vorgenommen wurden, sprechen die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien, die die Vorbildfunktion der früheren Bestimmung hervorheben. Das Fehlen einer Anordnung des Primates der Entscheidung auch der Höhe nach bei Ansprüchen, die dem Grund und der Höhe nach strittig sind, erklärt sich offenbar damit, daß, insbesondere seit dem Zeitpunkt der Einführung der EDV-unterstützten Pensionsberechnung, bei den Versicherungsträgern, die Entscheidung der Höhe nach durch die Schiedsgerichte praktisch obsolet wurde, zumal mit den den Gerichten zur Verfügung stehenden Mitteln der Berechnungsvorgang kaum zu bewältigen war. Die geübte Vorgangsweise - Entscheidung dem Grunde nach durch das Gericht und nachfolgende Entscheidung über die Höhe der Leistung durch den Versicherungsträger - führte auch zu einer nicht unwesentlichen Verfahrensverkürzung, zumal nach Zuerkennung einer Leistung dem Grunde nach die technischen Einrichtungen der Sozialversicherungsträger eine Bestimmung der Leistungshöhe in kürzester Zeit ermöglichen. Dies ändert jedoch nichts daran, daß die Entscheidung nur dem Grunde nach eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, daß im gerichtlichen Verfahren über geltend gemachte Leistungsansprüche endgültig und damit auch der Höhe nach abzusprechen ist. Die Regelung, daß die Entscheidung durch das Gericht auf den Anspruchsgrund beschränkt bleiben kann, trägt nur den mit der Ermittlung der Höhe der Leistung durch das Gericht verbundenen Schwierigkeiten Rechnung, wobei der für den Kläger - der bezüglich der Festsetzung der Leistungshöhe auf eine weitere Entscheidung des Versicherungsträgers verwiesen wird - verbundene Nachteil durch die Anordnung einer vorläufigen Zahlung ausgeglichen wird. Die vorläufige Zahlung, die sich an der Höhe der endgültigen Leistung zu orientieren hat, ohne daß eine genaue Berechnung erforderlich ist - das Gesetz verweist diesbezüglich auf § 273 ZPO -, stellt damit ein vorläufiges Sorrugat für die ansonst vom Gericht ziffernmäßig zu ermittelnde Pensionsleistung dar. Der auf Kuderna in FS Schnorr 381 ff insbes. 399 gestützten Meinung des Berufungsgerichtes, daß es sich bei der vorläufigen Zahlung nur um eine vorläufige Überbrückungsleistung, nicht jedoch um eine gerichtliche Pensionsfestsetzung handle, und daher vom Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz an zu erbringen sei, kann daher nicht beigetreten werden. Die gesetzliche Regelung über die Form der Entscheidung in Verfahren, in denen Grund und Höhe des Anspruches strittig sind, verfolgt nur das Ziel, das Gericht von der genauen Ermittlung der Leistungshöhe zu entlasten; dem Kläger soll bis zur Festsetzung der genauen Höhe der Leistung eine provisorische Leistung in Form eines schätzungsweise ermittelten Betrages zufließen, wobei aber der Rechtsgrund der Leistung durch diese Regelung keine Änderung erfährt. Es handelt sich um die dem Grund nach zuerkannte Leistung, die bloß der Höhe nach vorerst nur annäherungsweise zu ermitteln ist. Damit ist aber die vorläufige Zahlung in allen Punkten (Leistungsbeginn, Aufrechnung, Verhältnis zum Pensionsvorschuß und Übergang des Anspruches gemäß § 23 Abs 2 AlVG) gleich zu behandeln wie eine der Höhe nach endgültig zuerkannte Leistung; sie unterscheidet sich von dieser nur der Höhe nach.

Die vorläufige Leistung ist damit ab dem Zeitpunkt zu erbringen, ab dem die Leistung dem Grunde nach zuerkannt wurde und es sind entsprechend § 105 ASVG in dieser Höhe auch die Pensionssonderzahlungen zu leisten.

Das angefochtene Urteil war daher in dem aus dem Spruch ersichtlichen Sinn abzuändern.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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