OGH 10ObS107/87

OGH10ObS107/8712.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Trabauer und Peter Pulkrab in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ingeborg H***, Angestellte, 6060 Mils, Schützenstraße 79/2, vertreten durch Dr. Dietrich Roschmann-Hörburg, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1987, GZ 5 Rs 1062/87-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 24.Februar 1987, GZ 42 Cgs 66/87-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab dem Stichtag (d.i. der 1.Oktober 1985) die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die am 29.Oktober 1933 geborene Klägerin besuchte nach Absolvierung einer Fachoberschule eine kaufmännische Wirtschaftsschule und arbeitete sodann von Februar 1952 bis 1962 im Betrieb ihrer Eltern als Büroangestellte, wobei sie mit zwei weiteren Mitarbeitern alle anfallenden Büroarbeiten zu erledigen hatte. 1963 besuchte sie die einjährige Familienhelferinnenschule der C*** und übte von 1964 bis September 1966 mit einer halbjährigen Unterbrechung den Beruf einer Familienhelferin aus. Ab 1966 war sie als Pfarr- und Seelsorgehelferin in einer Pfarre tätig. Dabei hatte sie gelegentlich Hausarbeiten bei Pfarrangehörigen zu verrichten. Hauptsächlich war sie jedoch mit organisatorischen Arbeiten, mit dem Abwickeln des Parteienverkehrs, mit Büroarbeiten, mit dem Erledigen der Korrespondenz der Pfarre und mit Karteiarbeiten beschäftigt. Ab 1969 übte sie den Beruf nur mehr halbtags aus. 1981 wurde das Arbeitsverhältnis gelöst, weil die Klägerin sich den Anforderungen nicht mehr gewachsen fühlte. Von 1979 bis 31.August 1985 war die Klägerin als Heimkrankenpflegerin tätig. Dabei hatte sie einige Gelähmte zu pflegen und deren Familienangehörige zu betreuen. Sie verrichtete ferner die anfallenden Hausarbeiten.

Die Klägerin ist aus neurologischer Sicht imstande, leichte Arbeiten ohne besondere Einschränkungen zu verrichten. Aus orthopädischer Sicht kann sie noch leichte und mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung vorwiegend in geschlossenen Räumen ausführen. Häufiges Bücken, Heben und Tragen schwerer Lasten sind ihr jedoch nicht mehr zuzumuten.

Die Tätigkeit einer Familienhelferin entspricht überwiegend und jene einer Heimkrankenpflegerin entspricht allgemein einem mittelschweren Kalkül. Die Tätigkeit einer Seelsorgehelferin, wie sie heute am Arbeitsmarkt gefragt ist, erfordert eine Ausbildung an der Sozialakademie. Einfache kaufmännische Tätigkeiten, wie die einer Telefonistin oder einer Hilfskraft in der Buchhaltung, Lohnverrechnung oder Statistik, und ferner Registraturarbeiten erfordern bloß ein leichtes Leistungskalkül. Diese Arbeiten lassen das Wechseln der Körperhaltung jederzeit zu.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Klägerin, die im Hinblick auf ihr Leistungskalkül nur mehr ganztägig leichte Arbeiten in abwechselnder Körperhaltung verrichten könne, den von ihr ausgeübten Beruf einer Krankenpflegerin nicht mehr ausüben könne. Ebensowenig könne sie als Familien- oder Seelsorgehelferin tätig sein, weil ihr hiefür entweder die körperliche Belastbarkeit oder die Ausbildung fehle. Da sie eine kaufmännische Ausbildung genossen habe und fast 12 Jahre als kaufmännische Angestellte tätig gewesen sei, müsse sie sich jedoch auf den Beruf einer kaufmännischen Angestellten verweisen lassen. Tätigkeiten, die ihrer Ausbildung und ihrem Leistungskalkül entsprechen, seien auf dem Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vorhanden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die Klägerin habe sich in ihrer langjährigen Tätigkeit als Pfarrhelferin die Qualifikation als Büroangestellte erhalten können. Der Erwerb bzw Wiedererwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten, der sich im Rahmen einer erforderlichen Einarbeitung hält, könne ihr zugemutet werden. Die Tätigkeit einer Telefonistin, bei der ununterbrochener Zeitdruck bis zu 2 Stunden auftreten könne, sei ihr zwar wegen ihrer verminderten psychischen Belastbarkeit nicht mehr generell, sondern nur mehr bei Arbeitsplätzen, bei denen solche Belastungsspitzen nicht auftreten, zuzumuten. Die anderen im Ersturteil angeführten Berufstätigkeiten könne sie jedoch noch ausüben. Mit ihnen sei in den Augen der Umwelt kein wesentlich geringeres Ansehen als mit den bisher von ihr ausgeübten Tätigkeiten verbunden, weshalb sie sich hierauf verweisen lassen müsse. Weder höheres Alter noch eine allfällige Unvermittelbarkeit könnte die Annahme von Berufsunfähigkeit rechtfertigen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei erstatte keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist rechtzeitig.

Die Klägerin beantragte innerhalb der ihr gegen das Berufungsurteil zustehenden Revisionsfrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe, wobei ihr Antrag erkennbar auch das Begehren auf Beigebung eines Rechtsanwalts enthielt. Dadurch wurde gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 464 Abs 3 und § 505 Abs 2 ZPO die Revisionsfrist unterbrochen. Sie beginnt nach § 464 Abs 3 ZPO mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an ihn wieder zu laufen. Auf Grund des Akteninhalts und der vom Obersten Gerichtshof veranlaßten ergänzenden Erhebungen steht fest, daß dem Rechtsanwalt, der zum Vertreter der Klägerin bestellt wurde, am 14.7.1987 zwar der über die Bestellung ergangene Bescheid, nicht aber auch eine Ausfertigung des Berufungsurteils zugestellt wurde. Dies wäre aber Voraussetzung dafür gewesen, daß die unterbrochene Revisionsfrist wieder zu laufen begonnen hätte. Dabei muß nicht erörtert werden, welchen Einfluß es gehabt hätte, wenn die Klägerin die ihr zugekommene Urteilsausfertigung dem für sie bestellten Vertreter ausgefolgt hätte. Diese Frage konnte nämlich durch die vom Obersten Gerichtshof veranlaßten Erhebungen nicht eindeutig geklärt werden, weshalb jedenfalls von der Rechtzeitigkeit der Revision auszugehen ist (vgl EvBl 1974/30).

Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil hiezu nur Feststellungsmängel geltend gemacht werden, die mit der rechtlichen Beurteilung der Sache im Zusammenhang stehen. Die entsprechenden Ausführungen gehören daher zur Rechtsrüge (SZ 23/175; EFSlg 34.501; JBl 1982, 311 ua) und werden im folgenden behandelt, zumal die unrichtige Benennung des Revisionsgrundes gemäß § 2 Abs 1 ASGG iVm § 84 Abs 2 ZPO unerheblich ist.

Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 2 Abs 1 und § 48 ASGG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

In der Rechtsrüge wendet sich die Klägerin ebenso wie schon in den Ausführungen zur Aktenwidrigkeit gegen die - in der rechtlichen Beurteilung des Ersturteils zum Ausdruck kommende - Annahme, daß für die Berufstätigkeiten, welche die Klägerin auf Grund ihres Leistungskalküls noch ohne Gefahr für ihre Gesundheit ausüben kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze in entsprechender Anzahl vorhanden seien. Dieser Annahme liegt zwar eine Tatsachenfeststellung nicht zugrunde. Es bedurfte ihrer aber auch nicht, weil sie eine offenkundige Tatsache zum Gegenstand hat (§ 2 Abs 1 ASGG iVm § 269 ZPO).

Ähnliches gilt für die von der Klägerin unrichtig zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erstatteten Ausführungen, mit denen sie darzutun versucht, daß Feststellungen darüber erforderlich gewesen wären, ob sie sich der Ein- und Umschulung unterziehen könne, die für die Berufstätigkeiten, auf die sie verwiesen wird, notwendig sind. Weder ihr Vorbringen noch das Beweisverfahren haben ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, daß sie nicht imstande sein könnte, sich die für den Wechsel des Berufes erforderlichen, im Hinblick auf die Einfachheit in Betracht kommenden Berufstätigkeiten offenkundig nicht besonders umfangreichen zusätzlichen Kenntnisse zu erwerben. Es bedurfte daher der von der Klägerin hiezu geforderten Feststellungen nicht.

In ihrem Einwand gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß weder ein höheres Alter noch eine allfällige Unvermittelbarkeit die Annahme von Berufsunfähigkeit rechtfertigen könnten, verkennt die Klägerin die Bedeutung dieser Auffassung. Das Berufungsgericht wollte damit nämlich ganz offensichtlich zum Ausdruck bringen, daß es nicht darauf ankomme, ob der Versicherte die Möglichkeit hat, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen. Diese Möglichkeit gehört aber nicht zu den Tatbestandsmerkmalen der Berufsunfähigkeit (so schon zum vergleichbaren Begriff der dauernden Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 1 GSVG, 10 Ob S 21/87 und ferner allgemein 10 Ob S 112/87).

Im übrigen wird in der Revision gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes nichts vorgebracht. Es muß daher hierauf nicht weiter eingegangen werden, zumal der Oberste Gerichtshof sie für zutreffend hält (vgl § 48 ASGG).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 2 Z 1 lit b ASGG. Die Billigkeit erfordert schon deshalb nicht den Zuspruch von Kosten, weil der Rechtsanwalt, der die Revision verfaßte, der Klägerin im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegeben wurde.

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