OGH 10ObS105/88

OGH10ObS105/8810.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Herbert Vesely und Monika Fischer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Cäcilia H***, 8151 Hitzendorf 174, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei P***

DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Kurt Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschuß infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Jänner 1988, GZ 8 Rs 1137/87-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 1. September 1987, GZ 34 Cgs 1063/87-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin den Hilflosenzuschuß in der gesetzlichen Höhe ab 3. Dezember 1986 zu bezahlen, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Zufolge der freien Armbeweglichkeit ist der am 30. Oktober 1920 geborenen Klägerin das An- und Auskleiden weitgehend möglich. Durch ihr Hüftgelenksleiden kann sie aber nicht an den linken Fuß heranreichen. Sie kann sich daher nicht die Strümpfe anziehen und ausziehen und nicht die Schuhe zubinden. Ein entsprechendes Greifwerkzeug kann ihr jedoch zugemutet werden. Die Klägerin kann sich sitzend oder stehend waschen und die Körperreinigung durchführen, wobei jedoch eine Stielbürste erforderlich ist. Das Abtrocknen des linken Fußes ist der Klägerin nicht möglich und sie kann sich auch nicht die Zehennägel schneiden. Die Klägerin könnte den linken Fuß mit einem Fön bzw. mit einem Handtuch mit beiden Händen trocknen, wobei jedoch die Gefahr des Auftretens eines Fußpilzes besteht, weil die Abtrocknung nicht ganz erfolgen kann. Diese Methoden sind auch sehr mühsam und vom medizinischen Standpunkt nicht zumutbar. Die Klägerin kann in der Wohnung gehen, sie kann die Toilette aufsuchen und sich danach reinigen. Sie kann die Nahrung selbst aufnehmen und auch eine einfache warme Mahlzeit kochen. Sie kann einen Ofen einheizen und warten, kann die ganz leichte Wohnungspflege durchführen, das Bett aufbetten, jedoch nicht den Boden aufwischen und die Fenster putzen. Sie kann die kleine Wäsche waschen. Die Klägerin ist in der Lage, innerhalb einer Strecke von 500 bis 1000 m zu gehen und dabei Medikamente und Lebensmittel in ganz kleinen Mengen herbeischaffen. Das Herbeitragen von Lebensmitteln in großen Mengen oder Herbeitragen von Heizmaterialien ist der Klägerin nicht möglich. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung.

Die Klägerin begehrte, die beklagte Partei zur Leistung des Hilflosenzuschusses ab 3. Dezember 1986 zu verpflichten. Zufolge verschiedener Leidenszustände sei sie nicht in der Lage, die unbedingt erforderlichen täglichen Verrichtungen ohne fremde Hilfe zu besorgen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin statt. Die Klägerin bedürfe im Wartungsbereich insofern der Hilfe, als sie nicht in der Lage sei, den linken Fuß abzutrocknen. Damit fehle der Klägerin die Fähigkeit zur selbständigen Verrichtung von für ihr Fortkommen wesentlichen unaufschiebbaren täglichen Handreichungen. Sie sei auch nicht in der Lage, wichtige in größeren Abständen wiederkehrende Verrichtungen, wie etwa das Einkaufen von Lebensmitteln und die Herbeischaffung des Heizmaterials, zu bewältigen. Damit seien die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses erfüllt.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Hilflosigkeit im Sinn des § 105 a ASVG liege immer dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht in der Lage sei, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Dabei kämen jeweils nur jene Verrichtungen in Frage, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt werden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigen. Dazu zählten insbesondere die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Körperreinigung und Körperpflege, der Versorgung mit Speisen, Getränken und Medikamenten (Besorgung, Zubereitung und Verabreichung), dem Harnlassen und dem Stuhlgang, dem An- und Auskleiden, der Reinigung von Geschirr, Leib- und Bettwäsche, allenfalls auch der Kleidung, dem Aufräumen sowie der Belüftung und Beheizung des Aufenthaltsraumes, die Unterstützung beim Wechsel der Körperhaltung und bei der Fortbewegung sowie die Beaufsichtigung. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses folge allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden könne, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Rentners oder Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch seien, wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Die Klägerin könne ihren linken Fuß nicht abtrocknen, Lebensmittel nur in ganz kleinen Mengen und Heizmaterial überhaupt nicht herbeitragen, nur die ganz leichte Wohnungspflege durchführen, nicht aber Böden aufwischen und Fenster putzen und auch nur die kleine Wäsche waschen. Das Merkmal der Ständigkeit der Wartung und Hilfe, welche schon dann vorliege, wenn die Handreichungen täglich - auch nur für kurze Zeit - erfolgten, müsse daher als gegeben angesehen werden. Da die Klägerin überschlagsmäßig für die notwendigen von ihr nicht mehr ausübbaren Dienstleistungen im Monatsdurchschnitt Aufwendungen habe, die der Höhe des Hilflosenzuschusses entsprächen, habe das Erstgericht mit Recht dem Begehren der Klägerin stattgegeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. Die Revision ist berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß dem für die Inanspruchnahme fremder Hilfe erforderlichen Kostenaufwand maßgebliche Bedeutung zukomme. Im Urteil sind alle gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin und jene Verrichtungen, zu deren Vornahme sie fremder Hilfe bedarf, im einzelnen dargelegt. Die Einschätzung nach § 273 ZPO, welcher Kostenaufwand hiefür erforderlich ist, stellt aber rechtliche Beurteilung dar. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß der für von der Klägerin benötigte Unterstützung erforderliche Aufwand den Betrag des Hilflosenzuschusses im Monatsdurchschnitt erreiche, kann nicht beigetreten werden. Aus den Klagebehauptungen ergibt sich, daß die Klägerin über eine Elektroheizung verfügt. Heizmittel sind damit nicht herbeizuschaffen, sodaß Aufwendungen hiefür nicht anfallen. Die gründliche Reinigung der Wohnung und das Waschen der großen Wäsche wie auch das Schneiden der Zehennägel sind Verrichtungen, die nur fallweise in größeren Zeitabständen erforderlich sind. Schuhe und Strümpfe kann die Klägerin mit entsprechenden Hilfsmitteln allein anziehen und sie ist auch in der Lage, Lebensmittel und Medikamente in ganz kleinen Mengen nach Hause zu bringen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, daß die Klägerin zum Einkaufen teilweise auf die Hilfe dritter Personen angewiesen ist, weil sie nicht alle Bedarfsgüter nach Hause bringen kann, sind damit größere Aufwendungen nicht verbunden, weil wegen der heute üblichen Ausstattung der Haushalte mit einem Kühlschrank das Besorgen von Nahrungsmitteln nicht täglich erforderlich ist. Auch wenn berücksichtigt wird, daß die Klägerin zum Abtrocknen des linken Fußes einer Hilfsperson bedarf, erreichen die hiefür notwendigen Kosten unter Berücksichtigung der Aufwendungen für die Hilfsdienste, die nur in größeren Zeitabständen erforderlich sind, nicht annähernd den Betrag des durchschnittlichen monatlichen Hilflosenzuschusses. Die Voraussetzungen für die begehrte Leistung sind daher nicht erfüllt.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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