OGH 10ObS103/89

OGH10ObS103/899.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Göstl (Arbeitgeber) und Otto Tiefenbrunner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hermann M***, 1030 Wien, Steingasse 24/3, vertreten durch Dr.Gustav Teicht, Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. November 1988, GZ 34 Rs 217/88-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 11.Juli 1988, GZ 3 Cgs 1268/87-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.087 bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen,

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab dem 1.Oktober 1987 eine Invaliditätspension in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Es stellte fest, daß der am 5.Juni 1940 geborene Kläger am 17.Juli 1986 einen Fersenbeinbruch rechts erlitten hat. Er ist für alle leichten und mittelschweren Tätigkeiten in überwiegend, jedoch nicht ausschließlich sitzender Position im Rahmen der üblichen Arbeitszeit geeignet. Langes Stehen auf exponierten Stellen ist ihm nicht zumutbar. Das Stehen auf Leitern und Gerüsten udgl. ist auszuschließen. Der Zustand ist nicht wesentlich besserungsfähig und bestand bereits bei Antragstellung.

Der Kläger hat den Beruf des Maurers erlernt und bis September 1959 ausgeübt. Anschließend wurde er im Betrieb der Dipl.Ing.F*** & Co Baugesellschaft als Schalungszimmerer angelernt. Er mußte nach Plänen Schalungen herstellen und in sehr geringem Ausmaß auch Maurertätigkeiten verrichten. Der Kläger hatte Pläne zu lesen und nach Plänen allein verantwortlich auch komplizierte Schalungen, nämlich solche für gedrehte Stiegenhäuser, gebogene Schalungen, Schalungen für einfache Flugdächer, für vorkragende Gebäude, für ovale Schwimmbecken und Bogenschalungen, herstellen. Er arbeitete im selben Betrieb bis zum Jahr 1987.

Dem Kläger sind sämtliche Zimmerer- und Maurerberufe nicht mehr zumutbar.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Tätigkeit des Klägers als Schalungszimmerer sei im Hinblick auf die Verantwortlichkeit und Kompliziertheit als angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG anzusehen. Da er diesen Beruf nicht mehr ausüben könne, sei er invalid im Sinne des § 255 Abs. 1 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und legte dieser eine vorläufige monatliche Zahlung auf. Ob die Tätigkeit eines Schalungszimmerers ein angelernter Beruf sei, sei hier nicht entscheidend. Der Kläger habe den Beruf eines Maurers erlernt. Der Berufsschutz gehe nicht verloren, wenn in der Praxis während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag nur mehr Teiltätigkeiten des erlernten Berufes ausgeübt worden seien, soferne es sich dabei nicht um ganz untergeordnete Teiltätigkeiten handle. Das Berufsbild eines Maurers umfasse auch das Herstellen von einfachen Schalungen. Daß es sich bei den vom Erstgericht beschriebenen Schalungsarbeiten nur um untergeordnete Teiltätigkeiten des Maurerberufes gehandelt habe, könne nicht gesagt werden. Das Urteil des Erstgerichtes erweise sich daher im Ergebnis als richtig.

Rechtliche Beurteilung

Der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision der beklagten Partei kommt keine Berechtigung zu.

Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß der Berufsschutz nicht verloren geht, wenn während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in der Praxis nur mehr Teiltätigkeiten des erlernten Berufes ausgeübt wurden, soferne diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (10 Ob S 324/88). Fordert die ausgeübte Tätigkeit nämlich auch Kenntnisse und Fähigkeiten, die Gegenstand der Ausbildung im erlernten Beruf und darüber hinaus auch nicht nur ganz unbedeutend sind, dann kann man davon ausgehen, dass der Versicherte den erlernten Beruf, wenn auch mit einer gewissen Spezialisierung, weiter ausgeübt hat, sodaß die Qualifikation im Sinne des § 255 Abs. 1 ASVG nicht verloren geht. Zum Berufsbild des Maurers (BGBl. 1979/291) gehört unter anderem nicht nur das Herstellen von einfachen Schalungen - eine Einschränkung auf ganz bestimmte Schalungsarten besteht nicht - sondern auch das Verlegen und Einmauern von Stahlträgern und deren Verankerung sowie von Holzbauteilen, das Aufstellen von Gerüsten aller Art und das Lesen von Bauzeichnungen sowie Material- und Stücklisten. Der Kläger konnte nicht nur diese Fertigkeiten bei seiner Arbeit als Schalungszimmerer, für welche er nur mehr die weiteren berufstypischen Fähigkeiten - komplizierte Schalungen - erwerben mußte, in der Praxis anwenden, er hat darüber hinaus, wenn auch im Verhältnis zu seiner überwiegenden Tätigkeit in geringerem Umfange, weiterhin als Maurer gearbeitet. Es ist daher im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß der als Maurer erworbene Berufsschutz durch die während der letzten 15 Jahre tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nicht verloren gegangen ist. Da hier nur diese Rechtsfrage zu prüfen war, ist es auch nicht entscheidend, daß sich die Tätigkeit eines Schalungszimmerers überwiegend als Teiltätigkeit des Lehrberufes Zimmerer darstellt, weil sich hier die Frage der Verweisbarkeit nicht stellt. Es ist nämlich unbestritten, daß dem Kläger sämtliche Zimmerer- und Maurerberufe nicht mehr zumutbar sind. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG.

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