Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 9.1.1992 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 21.8.1991 auf Berufsunfähigkeitspension mangels Berufsunfähigkeit ab.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte im ersten und im zweiten Rechtsgang schuldig, der Klägerin ab 1.9.1991 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.
Im Urteil vom 16.12.1993 ON 64 traf es ua folgende Feststellungen:
Die am 6.9.1951 geborene Klägerin erlernte nach der Pflichtschule keinen Beruf. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag war sie bis Juni 1988 als angestellte Kassiererin in einem Verbrauchermarkt beschäftigt. Vom 1.3.1989 bis 28.2.1990 bezog sie eine befristete Berufsunfähigkeitspension. Wegen eines psychovegetativen Syndroms sind Arbeiten mit überdurchschnittlichem Zeitdruck ausgeschlossen. Mit Aufbrauchserscheinungen der Wirbelsäule verbundene Beschwerden machen es der Klägerin unmöglich, längere Zeit eine starre Haltung in einer bestimmten Stellung einzuhalten. Sie kann daher eine Zwangshaltung, wie sie etwa bei Bildschirmarbeiten oder bei Arbeiten mit Büromaschinen udgl erforderlich ist, pro Arbeitsstunde nur 15 Minuten einnehmen. Im übrigen kann die Klägerin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen leichte und halbzeitig auch mittelschwere Arbeiten im Stehen, Gehen, Sitzen und in gebückter Haltung verrichten. Bei jeder Arbeitshaltung sind nach einer Stunde Ausgleichsbewegungen notwendig.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil über Berufung der Beklagten mit Beschluß vom 6.4.1994, 32 Rs 34/94-71 insbesondere deshalb auf, weil das Erstgericht entgegen einem Antrag der Beklagten keinen weiteren Sachverständigen für Berufskunde beigezogen hatte.
Im Urteil vom 6.10.1994 ON 88 übernahm das Erstgericht die schon im aufgehobenen Urteil getroffenen Feststellungen, die es durch die folgenden ergänzte:
Die Klägerin war vom 12.5.1969 bis 30.4.1985 als Kassierin und Filialleiterstellvertreter beim K***** beschäftigt und in die Beschäftigungsgruppe III (des Kollektivvertrages) eingestuft. Vom 1.5.1985 bis 30.6.1988 war sie bei der S***** AG tätig. Sie wurde als Kassierin eingestellt und wegen ihrer guten Leistungen nach einem Jahr zur Substitutin bestellt. Als solche war sie in die Verantwortung des Marktleiters (Personal- und Bestellwesen, Inventurergebnisse, Erreichen des Umsatzzieles, Gesamtergebnis des Marktes) eingebunden und mit dessen Vertretung betraut. Sie wurde nach der Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte entlohnt. Das Leistungskalkül hat sich seit dem 30.4.1992 nicht geändert. Die Klägerin kann keine nach der Verwendungsgruppe III (richtig Beschäftigungsgruppe 3) des genannten Kollektivvertrages zu bewertende Tätigkeit mehr ausüben. Es kommt für sie aber auch kein Arbeitsplatz der Verwendungsgruppe II (richtig Beschäftigungsgruppe 2) in Frage. Solche Arbeitsplätze werden in rasch fortschreitendem Ausmaß vom EDV-Einsatz dominiert und erfordern daher eine hohe Belastung (etwa 70 % der täglichen Arbeitszeit) im Sitzen vor den Bildschirm bzw an (elektronischen) Schreibmaschinen. Dieses Sitzen ist einer Zwangshaltung zu vergleichen und kann nicht zu jeder vollen Stunde unterbrochen werden. Ein Wechsel zwischen Sitzen und Stehen bzw einige Schritte Gehen ist bei Angestelltentätigkeiten dieser Verwendungs(richtig Beschäftigungs)gruppe zwar fallweise möglich, aber nicht typisch. Das bedeutet für den allgemeinen Arbeitsmarkt, daß Angestelltentätigkeiten dieser Gruppe ohne jeden EDV-Einsatz, das heißt in weiterer Folge ohne die Forderung nach Maschinschreib- und Zwangshaltungen, nicht vorhanden sind, und zwar auch nicht in der Heimatregion der Klägerin. Es würden lediglich Verweisungstätigkeiten der Verwendungsgruppe I (richtig Beschäftigungsgruppe 1) in Frage kommen.
Daraus folgerte das Erstgericht rechtlich, daß die Klägerin als berufsunfähig iS des § 273 ASVG gelte. Sie könne nämlich weder eine Tätigkeit ihrer bisherigen Verwendungs(richtig Beschäftigungs)gruppe III (3) noch der nächstniedrigeren Gruppe II (2) ausüben und dürfe nicht auf Tätigkeiten der Gruppe I (1) verwiesen werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, die nur unrichtige rechtliche Beurteilung geltend machte und ausdrücklich unbekämpft ließ, daß die Klägerin (zuletzt) Tätigkeiten der Beschäftigungsgruppe 3 des Handelsangestellten-Kollektivvertrages ausgeübt hatte, Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Die Einstufung in die Beschäftigungsgruppe 1 erfolge lediglich in den ersten drei Angestelltendienstjahren, die von der Klägerin aber schon zurückgelegt worden seien. Im übrigen umfasse diese Beschäftigungsgruppe keine bestimmten Tätigkeiten. Sie sei nur eine Sammelbeschäftigungsgruppe für Angestellte ohne abgeschlossene Lehrzeit in einem kaufmännischen Lehrberuf in den ersten drei Angestelltenjahren. Länger als drei Jahre ausgeübte Angestelltentätigkeiten brächten eine Einstufung in höhere Beschäftigungsgruppen. Daher wäre jede Angestelltentätigkeit der Klägerin, zB als Bürobotin, Amtsgehilfin, Botengängerin, aber auch die im Kollektivvertrag beispielsweise aufgezählten Tätigkeiten der Hilfskräfte in der Datenverarbeitung, Dekoration, im technischen Kundendienst, im Lager und im Expedit, wenigstens in die Beschäftigungsgruppe II (richtig 2) des Kollektivvertrages für Handelsangestellte einzureihen.
In der Revision macht die Klägerin unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.
Die Beklagte erklärte, keine Revisionsbeantwortung zu erstatten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nach § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch bei Fehlen der
Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig; sie ist auch im Sinn
des Eventualantrages berechtigt. Mehrere Tatsachen, die dem
Revisionsgericht nach Inhalt der Prozeßakten erheblich scheinen,
wurden nämlich schon vom Erstgericht nicht ausreichend erörtert und
nicht festgestellt (§ 496 Abs 1 Z 3 und § 513 ZPO).
Nach § 273 Abs 1 ASVG gilt der (die) Versicherte als
berufsunfähig, dessen (deren) Arbeitsfähigkeit infolge seines (ihres) körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines (einer) körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.
Nach stRsp des erkennenden Senates handelt es sich bei der Pensionsversicherung der Angestellten um eine Berufs(gruppen)versicherung, deren Leistungen einsetzen, wenn der (die) Versicherte infolge seines (ihres) körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner (ihrer) Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von dem Angestelltenberuf auszugehen, den der (die) Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld. Darunter sind alle Berufe zu verstehen, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (SSV-NF 2/73 mwN uva).
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß die Klägerin zuletzt als Angestellte tätig war, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführte. Sie war nämlich als in die Beschäftigungsgruppe 3 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte einzustufende Kassierin und als Substitutin und Stellvertreterin des Marktleiters tätig.
Die Klägerin kann daher grundsätzlich auf alle ihrer Arbeitsfähigkeit entsprechenden Angestelltentätigkeiten ihrer Berufsgruppe in der Beschäftigungsgruppe 3 verwiesen werden. Aber auch eine Verweisung auf Angestelltentätigkeiten der nächstniedrigeren Beschäftigungsgruppe 2 würde iS der stRsp des erkennenden Senates keinen unzumutbaren sozialen Abstieg bedeuten (SSV-NF 4/97; 5/34; 7/25 uva). Hingegen dürfte die Klägerin nicht auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, durch deren Ausübung sie den Berufsschutz des § 273 Abs 1 ASVG verlieren würde, also nicht auf Hilfsarbeiterinnentätigkeiten. Eine Verweisung auf die vom Berufungsgericht genannten Tätigkeiten einer Bürobotin, einer Amtsgehilfin und einer Botengängerin ist daher jedenfalls unzulässig, weil es sich dabei um keine Angestellten-, sondern um einfache Arbeitstätigkeiten handelt (SSV-NF 3/123 ua). Hingegen wäre eine Verweisung auf einfache Angestelltentätigkeiten, wie sie im Beschäftigungsgruppenschema des Kollektivvertrages unter der Beschäftigungsgruppe 2 beispielsweise aufgezählt sind, grundsätzlich zulässig (SSV-NF 7/44 mwN ua).
Ob die Klägerin noch Angestelltentätigkeit der Beschäftigungsgruppen 3 oder 2 ausüben kann, kann erst dann verläßlich beurteilt werden, wenn ihre Arbeitsfähigkeit und die Anforderungen in diesen Tätigkeiten ausreichend erörtert und festgestellt sind.
Schon das Berufungsgericht hat in seinem Aufhebungsbeschluß vom 6.4.1994, 32 Rs 34/94-71 zutreffend auf die Arbeitsfähigkeit betreffende Feststellungsmängel hingewiesen, die jedoch nicht behoben wurden. Daher werden eindeutige Feststellungen über die Arbeitsfähigkeit (das Leistungskalkül) der Klägerin (jedenfalls seit dem Stichtag) zu treffen sein. Dabei wird zu klären sein, was im konkreten Fall unter "Arbeiten mit überdurchschnittlichem Zeitdruck" und unter einer "starren Haltung in einer bestimmten Stellung" bzw einer "Zwangshaltung" zu verstehen ist. Auch die bisherige Feststellung, daß "bei jeder Arbeitshaltung zwischenzeitig Ausgleichsbewegungen nach jeder Stunde notwendig sind", ist undeutlich und unvollständig. Sie läßt offen, ob diese Ausgleichsbewegungen nur dann erforderlich sind, wenn eine Arbeitshaltung während einer Stunde ununterbrochen eingehalten wurde. Weiters steht nicht fest, welcher Art und welcher Dauer die nach einer Stunde notwendigen Ausgleichsbewegungen sein müssen.
Aber auch die Anforderungen in den grundsätzlich in Frage kommenden Angestelltentätigkeiten der Beschäftigungsgruppen 3 und 2 des Kollektivvertrages sind im einzelnen so genau festzustellen, daß beurteilt werden kann, ob die Arbeitsfähigkeit der Klägerin für diese Tätigkeiten ausreicht.
Wegen dieser bei Erledigung der Rechtsrüge wahrzunehmenden wesentlichen Feststellungsmängel sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben; die Sozialrechtssache ist an das Prozeßgericht erster Instanz zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückzuverweisen.
Sollte sich ergeben, daß das Klagebegehren in einer zahlenmäßig noch
nicht bestimmten Höhe gerechtfertigt ist, dann könnte das Erstgericht
die Rechtsstreitigkeit nach § 89 Abs 2 ASGG dadurch erledigen,
daß es das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend
erkennt und dem Versicherungsträger aufträgt, der Klägerin bis zur
Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine
vorläufige Zahlung zu erbringen; deren Ausmaß hätte es unter
sinngemäßer Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO festzusetzen.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Revisionskosten
beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen
anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.
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