European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00096.15P.1215.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht wies die Anträge des Vaters
1. ihm ein (begleitetes) Kontaktrecht zu seinen Kindern einzuräumen, und
2. der Mutter die Obsorge für die Minderjährigen zu entziehen und auf ihn oder hilfsweise auf Dritte zu übertragen, ab.
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht diesen Beschluss.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage auf:
Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig; es kann ihr deshalb keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zuerkannt werden, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt werden und die Vorinstanzen sich ausreichend damit auseinandersetzten, welche Lösung dem Wohl des Kindes entspricht (RIS‑Justiz RS0097114, RS0087024, RS0048060). Weder die Ausführungen zur Zulässigkeit des Rechtsmittels noch die Mängelrüge und die Rechtsrüge zeigen eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts auf.
Bereits vom Rekursgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz bilden grundsätzlich keinen Revisionsrekursgrund (RIS‑Justiz RS0050037, RS0030748), sofern nicht eine Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0050037 [T4]). Dies ist hier nicht der Fall. Entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers führt ein Nichtaufgreifen der Mängelrüge nicht zu einer endgültigen Nichtausübung des Kontaktrechts. Ein Kontaktrecht kann immer nur bis auf weiteres, nie endgültig ausgesetzt werden (RIS‑Justiz RS0047950 [T10]).
Die Rüge einer überlangen Verfahrensdauer zeigt keinen Verfahrensmangel auf. Eine lange Verfahrensdauer widerstreitet dem Zweck jeder Sorgerechtsentscheidung (Kontaktrechtsentscheidung), die tunlichst auf rasche Anpassung der Pflegeverhältnisse und Erziehungsverhältnisse an die konkreten Gegebenheiten ausgerichtet sein muss. Hat aber nun einmal das Verfahren eine längere Zeitspanne beansprucht, dann müssen auch die innerhalb dieses Zeitraums eingetretenen Entwicklungen voll berücksichtigt werden (RIS‑Justiz RS0048815). Ein Verfahrensmangel kann immer nur in einem „zu wenig“, niemals in einem „zu viel“ an Verfahrensergebnissen liegen (RIS‑Justiz RS0037095 [T18]). Selbst wenn die Sache bereits früher entscheidungsreif gewesen wäre, ist in Bezug auf das Kontaktrecht dennoch auf die vorliegenden Tatsachen zum Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen und nicht auf einen anderen, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, in dem der Sachverständige ein Kontaktrecht uneingeschränkt empfohlen hatte. Es entspricht auch dem Kindeswohl, das Kontaktrecht entsprechend der im Entscheidungszeitpunkt aktuellen Situation und nicht anhand der historischen Gegebenheiten einzuräumen.
Nach § 107 Abs 3 AußStrG kann nur die Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer Beratung oder Schulung oder zur Information über alternative Formen der Streitbeilegung ausgesprochen werden, nicht aber die Verpflichtung zur Teilnahme an der Behandlung von psychosozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich‑psychotherapeutischen Methoden in einer Interaktion zwischen einem oder mehreren Behandelten und einem oder mehreren Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern und die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelnden zu fördern (RIS‑Justiz RS0129658). Dass die Vorinstanzen eine Therapie nicht verbindlich anordneten, kann schon allein deshalb keinen Verfahrensmangel darstellen. Der Sachverständige legte dar, dass der Umgang mit dem schwierigen Familiensystem therapeutische Eingriffe bei allen Beteiligten erfordert. Der Vater verweigerte dies; das Gericht kann ihn zwar nicht dazu zwingen, diese Einstellung und deren Folgen aber bei der Entscheidung würdigen.
Welchen Verfahrensmangel der Rechtsmittel-werber mit der Behauptung, das Rekursgericht habe sich mit der „Metaebene“ der Verfahrensmängel nicht auseinandergesetzt, geltend machen will, erhellen seine Ausführungen nicht. Die Entfremdung aufgrund der langen Verfahrensdauer ‑ wodurch auch immer diese bedingt ist ‑ kann kein Grund sein, dem Vater sofort das Kontaktrecht zu gewähren.
Den Eltern steht das Recht auf persönlichen Verkehr nur insoweit nicht zu, als die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet (RIS‑Justiz RS0047754). Die gänzliche Unterbindung des persönlichen Kontakts zwischen einem Elternteil und seinem Kind hat die Ausnahme zu sein; jede sich ohne Gefährdung des Kindeswohls bietende Möglichkeit einer Kontaktaufnahme muss genutzt werden (RIS‑Justiz RS0047754 [T15]). Sogar im unverschuldeten Konfliktfall hat aber der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils gegenüber dem Kindeswohl zurückzutreten (RIS‑Justiz RS0047754 [T16]).
Beide Kinder haben das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht. Wenngleich auch § 108 AußStrG auf noch nicht 14‑jährige nicht Anwendung findet, kommt dennoch der Verweigerung des Kontakts mit dem Vater durch unmündige Minderjährige ein gewisses Gewicht bei der Beurteilung zu, inwieweit gegen ihren feststehenden Willen die Ausübung des Kontaktrechts ermöglicht werden soll, weil dadurch die ablehnende Haltung des Kindes vertieft und verstärkt werden kann (RIS‑Justiz RS0047981 [T12]). Der Umstand, dass ein 10‑jähriger Minderjähriger den Besuchskontakten zum Vater eher ablehnend gegenübersteht, rechtfertigt für sich allein nicht die Einschränkung des Kontaktrechts (RIS‑Justiz RS0047981 [T8]).
Steht bloß der Verdacht eines dem Kindeswohl widersprechenden Fehlverhaltens des nicht betreuenden Elternteils im Raum, der trotz eines umfangreichen und eingehenden Verfahrens nicht verifiziert werden konnte, haben Gerichte nach ihrem ‑ am Kindeswohl zu orientierenden ‑ Ermessen zu beurteilen, ob dennoch verbliebene Verdachtsmomente im Sinn eines „qualifizierten“ Verdachts so groß sind, dass es eher angezeigt erscheint, Elternrechte des betroffenen Elternteils durch erhebliche Beschränkungen des Kontaktrechts zu reduzieren, als das Risiko eines neuerlichen (gleichartigen) Fehlverhaltens zum Nachteil des Kindes in Kauf zu nehmen (9 Ob 55/11d; 1 Ob 207/10p). Der Verdacht hinsichtlich eines Kindesmissbrauchs anlässlich einer Ausübung des Kontaktrechts reicht aber nur dann für die Aufrechterhaltung einer Besuchsbegleitung auf Dauer aus, wenn zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür verbleibt, dass die erhobenen Beschuldigungen zutreffen (1 Ob 207/10p). Umso mehr muss dies auch für den gänzlichen Entfall des Kontaktrechts gelten. Gerade im Kontaktrechtsverfahren spricht nämlich auch für den nicht betreuenden Elternteil im Zweifelsfall die Unschuldsvermutung (9 Ob 201/02b).
Der vorliegende Sachverhalt ist in Bezug auf das Kontaktrecht durch folgende Umstände geprägt:
Der Sachverständige sah es zwar zunächst als sinnvoll an, relativierte aber in der Folge dahin, dass die ersten Kontakte erst nach einer dreimonatigen Therapie beider Eltern und der Kinder angebahnt werden könnten. Der Kinder- und Jugendhilfeträger spricht sich in seiner fachlichen Stellungnahme ausdrücklich gegen ein Kontaktrecht aus. Die unmündigen Kinder lehnen den Vater vehement ab. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass derzeit mit einer freiwilligen Anbahnung der Kontakte durch die Kinder nicht zu rechnen und daher davon auszugehen ist, dass bei der Erzwingung von entsprechenden Kontakten zwischen den Kindern und dem Vater das Kindeswohl gefährdet ist, ist jedenfalls vertretbar. Nach den konkreten Umständen des Falls bedarf die Beurteilung der Vorinstanzen, dass dem Vater derzeit kein Kontaktrecht einzuräumen ist, keiner Korrektur.
Entscheidungen über die Kindesobsorge stellen, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde, solche des Einzelfalls dar, denen keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 AußStrG zukommt (RIS‑Justiz RS0115719 [T7]). Das Erstgericht stellte zwar fest, dass die Mutter nicht in der Lage war, sämtliche Kriterien des § 138 ABGB zu erfüllen (insbesondere im Hinblick auf das Bestehen verlässlicher Kontakte der Kinder zu beiden Elternteilen sowie der Vermeidung von Loyalitätskonflikten), jedoch keine Umstände einer Gefährdung des Kindeswohls vorliegen, die eine Entziehung der Obsorge und Übertragung auf einen Dritten rechtfertigten. Dass die Mutter ihre Erziehungspflichten vernachlässigt, ihre Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (vgl RIS‑Justiz RS0048633 [T14]; RS0047916 [T12]; RS0047841 [T18]), wurde nicht festgestellt. Vielmehr trägt sie für die Therapie der Kinder Sorge und lässt sich auch selbst entsprechend behandeln. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass der Mutter die Obsorge nicht zu entziehen ist, ist jedenfalls vertretbar.
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