European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E119158
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt zu lauten haben:
„1. Der dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau, 3 Pu 96/09f‑45, vom 16. Jänner 2012 für die Zeit von 1. Februar 2012 bis 31. Jänner 2017 gewährte monatliche Unterhaltsvorschuss von zuletzt 290 EUR (laut Beschluss des Bezirksgerichts Pongau vom 4. September 2015, ON 87) wird ab 1. Oktober 2016 auf monatlich 196 EUR herabgesetzt. Höchstgrenze bleibt der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 Buchstabe c bb erster Fall, 108f des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG).
2. Der Präsident des Oberlandesgerichts Linz wird um Auszahlung der Vorschüsse an den Zahlungsempfänger ersucht.“
Begründung:
Der mj M* wurden Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährt, zuletzt mit Beschluss des Erstgerichts vom 4. 9. 2015 für die Zeit ab 1. 6. 2015 in Höhe von 290 EUR.
Das Erstgericht setzte mit Beschluss vom 10. 10. 2016, GZ 38 Pu 5/15i‑109, die Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats August 2016 auf monatlich 196 EUR herab, ersuchte den Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz um die Auszahlung der Vorschüsse und ordnete an, dass der Einbehalt der zu Unrecht ausbezahlten Vorschussbeträge in Höhe von 188 EUR von den in Zukunft zur Auszahlung gelangenden Vorschüssen in zwei monatlichen Raten zu je 94 EUR zu erfolgen habe. Als Begründung wurde ausgeführt, dass das Kind seit 1. 9. 2016 ein monatliches, bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigendes Eigeneinkommen von 554,42 EUR (inklusive der anteiligen Sonderzahlungen) habe. Mit dem Eigeneinkommen (abzüglich von monatlich 8 EUR für eine Bahnkarte), der Betreuungsleistung durch den betreuenden Elternteil und den herabgesetzten Unterhaltsvorschüssen stehe dem Kind ein Betrag zur Verfügung, der im Bereich der Mindestpensionshöhe nach § 293 Abs 1 lit a bb ASVG liege und mit dem die Bedürfnisse angemessen gedeckt werden könnten. Gemäß § 19 Abs 1 UVG sei die Herabsetzung mit dem auf den Eintritt des Herabsetzungsgrundes folgenden Monatsersten anzuordnen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Kindes, mit dem die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 10. 2016 begehrt wird, nicht Folge. § 19 Abs 1 UVG sei derart zu verstehen, dass für den Fall des Antritts einer Lehrstelle an einem Monatsersten bereits mit diesem Monatsersten und nicht erst am nächstfolgenden Monatsersten die Herabsetzung anzuordnen sei. Verfüge das Kind – wie im vorliegenden Fall – bereits seit 1. 9. 2016 über die Lehrlingsentschädigung (wenngleich diese nach dem Rekursvorbringen erst am 30. 9. 2016 erstmals ausbezahlt worden sei), habe es auch bereits mit Beginn dieses Monats zu einer Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse zu kommen.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs infolge Zulassungsvorstellung im Hinblick auf die Entscheidung 10 Ob 23/14a nachträglich zu.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts mit der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht in Einklang steht; er ist auch im Sinne des Abänderungsantrags berechtigt.
1.1 Nach § 20 Abs 2 UVG ist die Einstellung gegebenenfalls rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist. In der – die Einstellung von Unterhaltsvorschüssen nach § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG betreffenden – Entscheidung 10 Ob 23/14a = RIS‑Justiz RS0129679 hat sich der Oberste Gerichtshof bereits mit der Frage der Auswirkungen eines am Ersten eines Monats angetretenen Lehrverhältnisses auf den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss befasst. Es wurde ausgeführt, dass das materielle Erlöschen der Unterhaltspflicht sowohl bei Titelvorschüssen als auch bei Richtsatzvorschüssen zur Einstellung der Unterhaltsvorschüsse führe. Sei daher der Unterhaltsberechtigte aufgrund eines entsprechenden Eigeneinkommens als selbsterhaltungsfähig anzusehen und falle die im Titel festgesetzte Unterhaltspflicht materiell weg, liege ein Einstellungsgrund im Sinne des § 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG vor. Die Formulierung, die Einstellung sei rückwirkend mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten sei, werde so interpretiert, dass bei Eintritt des Einstellungsgrundes sozusagen spätestens mit 0 Uhr des Monatsersten bereits zu diesem Monatsersten die Einstellung zu verfügen sei. Lagen etwa die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung materiell von vornherein nicht vor, sei demnach die Einstellung bereits ab dem ersten Tag der Vorschussgewährung anzuordnen. Werde aber ein Lehrverhältnis mit dem Monatsersten angetreten, die Lehrlingsentschädigung jedoch erstmals am 30. dieses Monats ausgezahlt, sei der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit erst mit Ablauf des Monats anzunehmen, weil eine Selbsterhaltungsfähigkeit in der Regel erst dann eingetreten sei, wenn das Kind über die für eine Deckung des angemessenen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel verfüge. Eine Einstellung der Vorschüsse wegen Eigeneinkommens habe daher erst mit Ablauf desjenigen Monats zu erfolgen, in dem die erste Lohnauszahlung getätigt werde. Eine ungerechtfertigte Doppelversorgung des Kindes sei nicht vorgelegen.
1.2 Gegenstand der – zum Unterhaltsrecht ergangenen – Entscheidung 10 Ob 30/15g = RIS‑Justiz RS0111944 [T2] war die Frage der Anrechnung einer vom Unterhaltsberechtigten tatsächlich bezogenenen Lehrlingsentschädigung auf seinen Geldunterhaltsanspruch. Die Aussagen dieser Entscheidung lassen sich dahin zusammenfassen, dass das Datum der Auszahlung der Lehrlingsentschädigung an den Unterhaltsberechtigten relevant sei, weil im Unterhaltsrecht die tatsächliche Verfügbarkeit der Mittel zur Deckung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten im Vordergrund stehe; der Unterhaltsberechtigte solle „keinen Mangel leiden“. Als weiteres Argument wurde die Parallelität des Unterhaltsrechts mit dem Unterhaltsvorschussrecht ins Treffen geführt (vgl ErläutRV 5 BlgNR 14. GP 18) und unter Hinweis auf § 19 Abs 2 UVG davon ausgegangen, dass sich ein Änderungsgrund (etwa das Zurverfügungstellen der Mittel), der nicht am Monatsersten eintritt, erst ab dem folgenden Monatsersten auswirke.
2.1 Im vorliegenden Fall ist Verfahrensgegenstand nicht die Einstellung, sondern die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse. Nach § 19 Abs 1 Satz 2 UVG ist die Herabsetzung gegebenenfalls rückwirkend, mit dem auf den Eintritt des Herabsetzungsgrundes folgenden Monatsersten anzuordnen.
2.2 Nach der bisherigen Rechtsprechung kann sowohl die Herabsetzung als auch die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse gegebenenfalls auch rückwirkend angeordnet werden, jedoch in beiden Fällen – bei unterschiedlicher, aber gleichbedeutender Diktion – erst mit Ablauf des Monats, in dem der Herabsetzungs‑ bzw Einstellungsgrund eingetreten ist (§ 19 Abs 1 UVG und § 20 Abs 2 UVG; 5 Ob 523/94). Eine Herabsetzung nach § 19 UVG ist demnach – ähnlich wie die gänzliche Einstellung – monatsbezogen ab Eintritt des Grundes möglich, etwa nach rückwirkender Unterhaltsherabsetzung oder nach erfolgreichem Antrag nach § 35 EO. Bis zum maßgeblichen Monatsletzten gelten Vorschüsse als rechtmäßig bezogen und können keinen Anlass für einen Einbehalt oder Rückersatz nach § 22 UVG bilden (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 19 UVG Rz 3 mwN).
3. Die in der Entscheidung 10 Ob 23/14a enthaltenen Aussagen zum Zeitpunkt der Einstellung von Unterhaltsvorschüssen (§ 20 UVG) wegen Antritt eines Lehrverhältnisses am Monatsersten und erst am Letzten des Monats erfolgender erstmaliger Auszahlung der Lehrlingsentschädigung sind demnach sinngemäß auch auf den Zeitpunkt der Herabsetzung von Unterhaltsvorschüssen (§ 19 UVG) zu übertragen.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidung der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass eine Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse erst mit Ablauf des Monats September 2016 auszusprechen war.
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