OGH 10Ob2350/96b

OGH10Ob2350/96b3.9.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer, Dr.Pimmer und Dr.Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Harald E***** Bankangestellter, ***** vertreten durch Dr.Siegfried Dillersberger und Dr.Helmut Atzl, Rechtsanwälte in Kufstein, wider die beklagte Partei Land Tirol, 6020 Innsbruck, Neues Landhaus, vertreten durch Dr.Walter Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 1,200.000 sA und Feststellung (Streitwert S 200.000), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 11.Oktober 1995, GZ 3 R 179/95-54, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25.April 1995, GZ 6 Cg 317/93s-48 in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmitttelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung

Der am 25.12.1973 geborene Kläger wurde am 30.11.1987 an der Universitätsklinik Innsbruck, deren Rechtsträger das beklagte Land ist, an einem Rückenmarktumor operiert. Seit dieser Operation ist er querschnittgelähmt.

Mit der am 24.12.1990 eingebrachten Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von S 1,200.000 sA; überdies begehrt er die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Ansprüche des Klägers aus seiner Querschnittslähmung. Dazu brachte er im wesentlichen vor: Der Operateur Dr.F***** habe nicht kunstgerecht operiert, sondern einen Gutteil des gesunden Rückenmarkgewebes mitentfernt und damit jene Grenze überschritten, die in funktionsfähiges Gewebe hineingehe. Die einzig sachgerechte Operationstechnik wäre eine Biopsie gewesen, die sich auf die namenreinen Bereiche des Tumorgewebes beschränkt und damit dem Kläger die Funktionsfähigkeit des restlichen Rückenmarkgewebes belassen hätte. Der Kläger wäre dann zumindest für Jahre von einer Querschnittslähmung verschont geblieben. Die Haftung der Beklagten werde auf diesen ärztlichen Kunstfehler gestützt. Ferner sei die ärztliche Aufklärungspflicht verletzt worden. Weder der Kläger noch seine Eltern seien auf die mit dieser Operation verbundenen Gefahren hingewiesen worden. Wären die Eltern des Klägers über das hohe Risiko einer Querschnittslähmung infolge der Operation aufgeklärt worden, hätten sie sich zur Operation nicht entschlossen. In diesem Fall hätte der Kläger noch jahrelang ohne Querschnittslähmung gelebt und sein Leben mit höherer Lebensqualität genießen können. Die Querschnittslähmung und die damit verbundenen Beschwerden und Folgen würden ein Schmerzengeld von S 1,000.000 rechtfertigen; aus dem Titel der Verunstaltung würden S 200.000 begehrt. Aufgrund der Querschnittslähmung seien Spätfolgen nicht auszuschließen, weshalb ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Schäden bestehe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Operation und Behandlung des Klägers seien kunstgerecht durchgeführt worden. Bei der Ausschälung eines Tumors der vorliegenden Art sei ein zusätzlicher neurologischer Schaden nicht immer zu verhindern. Aufgrund der Lage des Tumors sei auf jeden Fall ein gewisses Operationsrisiko gegeben gewesen, was auch dem Kläger bzw seinen Eltern erläutert worden sei. Auch ohne Operation wäre die Querschnittslähmung aufgrund des bereits weit fortgeschrittenen Krankheitsbildes in relativ kurzer Zeit eingetreten und es hätte sich auch die zum Operationszeitpunkt bereits bestehende Beeinträchtigung kurzfristig weiter erheblich verschlechtert. Die Operation sei daher jedenfalls indiziert gewesen. Das Klagebegehren sei auch überhöht.

Das Erstgericht gab dem Leistungs- und dem Feststellungsbegehren statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger entwickelte im 13. Lebensjahr etwa im Sommer 1986 eine Fehlstellung des Beines, die vor allem zum Jahreswechsel 1986/1987 und deutlicher im Übergang Jänner/Februar 1987 objektiv erkennbar wurde. Es kam zu einer Fußdeformität vorwiegend rechts im Sinne eines Pes equinovarus mit Atrophie der kleinen Fußmuskulatur und Unterschenkelmuskeln, die nach Zuweisung im Sommer 1987 an die neurologische Universitätsklinik Innsbruck aufgrund dieses charakteristischen Erscheinungsbildes auf die sogenannte peronaeale Muskelatrophie nach Charcot-Marie-Tooth hinwies. Trotz des charakteristischen Krankheitsbildes konnte die Vermutung durch keine Untersuchung erhärtet werden. Zu diesem Zeitpunkt bestand weder klinisch noch anamnestisch eine Querschnittsymptomatik. Im Oktober 1987 wurde die Situation unter Beiziehung eines Kinderneurologen neu analysiert und durch die nicht invasive Methode einer Kernspintomographie versucht, einen raumfordernden Prozeß des Rückenmarkes auszuschließen. Aufgrund des positiven Befundes wurde schließlich die Myelographie durchgeführt und das Vorliegen eines Astrozytoms Grad I im sogenannten Conus medullaris festgestellt. Diese Tumorart entsteht aus dem Rückenmarkgewebe selbst und breitet sich diffus infiltrierend und schlecht abgegrenzt intramedulär, also innerhalb des Rückenmarkes, aus. Der Tumor war 7 cm lang und nach links besser abgegrenzt als nach rechts; er hatte offensichtlich in der rechten Hälfte des Rückenmarks seinen Ausgang genommen. Ein derartiger Tumor entwickelt sich über Jahre und nicht akut innerhalb von Wochen oder Monaten. Dies erklärt auch, daß sich trotz der schwierigen Lage dieses Tumors im sogenannten Conus medullaris, der äußerst empfindlich ist, keine entsprechende Störung vor allem der Blasen- und Mastdarmentleerung über diese Monate hinweg eingestellt hatte. Außerdem erklärt die Lage des Tumors - er befand sich in der Tiefe von etwa 1,5 bis 2 cm von der Oberfläche des Rückenmarks - daß sich im August ein unauffälliger Liquorbefund ergeben hatte. Durch die über drei Monate verzögerte Diagnose wurde keine Tumorprogredienz verursacht. Auch bei rascher Abklärung etwa im August oder September und einer dort durchgeführten Operation wäre kein Tumor mit geringerer Ausdehnung gefunden worden.

Das Ergebnis der Untersuchungen wurde den Eltern des Klägers mitgeteilt. Univ.Doz.Dr.J***** W***** auf der neurologischen Universitätsklinik erklärte den Eltern die Röntgenbilder und sagte, daß der Kläger einen Tumor im Rückenmark habe und sobald als möglich operiert werden solle, weil er sonst in spätestens einem halben Jahr querschnittsgelähmt wäre. Die Eltern des damals mj. Klägers stimmten einer Operation zu. Der Kläger und seine Eltern stellten sich auf der neurochirurgischen Universitätsklinik bei Univ.Prof.Dr.H***** K***** vor, der dem Kläger erklärte, daß er "heuer nicht mehr schifahren könne, aber nächstes Jahr alles wieder gehe". Weder die beiden genannten Ärzte noch Dr.F*****, der schließlich die Operation durchführte, hatten den Kläger oder seine Eltern darauf hingewiesen, daß es eine schwierige Operation sei, die aber in Innsbruck schon öfter durchgeführt worden sei. Wenn die Eltern aufgeklärt worden wären, daß ein Risiko einer Querschnittslähmung mit der Operation verbunden sei, dann hätten sie sich noch anderweitig infomiert und hätten die Operation allenfalls in einer anderen Klinik vornehmen lassen. Sie hatten sich erwartet, daß durch die Operation die drohende Querschnittslähmung verhindert werden könnte.

Die Operation selbst wurde nach dem Stand der derzeitigen Technik mit Zuhilfenahme des Operationsmikroskops durchgeführt. Es war des Ziel des Operateurs, den Tumor, soweit er unter dem Operationsmikroskop eindeutig zu identifizieren war, zu entfernen. Dort, wo er Schwierigkeiten zeigte, wurde dies laut den Unterlagen auch erkannt und entsprechend weniger radikal operiert. Es liegt in der Art des Astrozytoms, daß es nicht scharf begrenzt wächst, sondern infiltrierend, wobei im histologischen Bild eindeutig zugrunde gegangene Rückenmarkszellen zu erkennen waren. Beim Vergleich mit dem vorliegenden histologischen Präparat kann nicht festgestellt werden, daß der Operateur über die Grenzen des für ihn unter dem Operationsmikroskop sichtbaren Tumorgewebes in die gesunden Rückenmarksbereiche hinein opereriert hat. Eine Vorgangsweise, die nicht dem Stand der ärztlichen Kunst entspricht, kann in der durchgeführten Operationstechnik nicht erkannt werden. Der Kläger ist seit der Operation querschnittgelähmt, Spätfolgen sind nicht auszuschließen. Auch bei Unterlassung bzw Verweigerung der Operation wäre aber eine Querschnittslähmung als weitere Folge in der Erkrankung zu erwarten gewesen.

Diesen Sachverhalt würdigte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht wie folgt:

Der Operateur sei entsprechend der ärztlichen Technik und Kunst sorgfältig vorgegangen, weshalb ihm kein Kunstfehler angelastet werden könne. Es sei jedoch die Aufklärung unterblieben, daß mit der Operation das Risiko einer Querschnittslähmung verbunden sei. Im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung hätten die Eltern des Klägers anderweitige Erkundigungen eingezogen und allenfalls die Operation in einer anderen Klinik durchführen lassen. Daß auch in diesem Fall dieselben Operationsfolgen eingetreten wären, sei nicht erwiesen, zumal feststehe, daß 30 bis 40 % der niedriggradigen Astrozytome total exstirpierbar seien. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis, daß im Falle einer ausreichenden Aufklärung dieselben Folgen eingetreten wären, nicht erbracht; sie hafte daher gemäß §§ 1299, 1313a ABGB für den Schaden des Klägers. Der Kläger könne sich aufgrund der Querschnittslähmung nur mehr im Rollstuhl fortbewegen; hiezu käme eine Blasen- und Darmlähmung, sodaß er bei einem Großteil der Verrichtungen des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sei. Das begehrte Schmerzengeld und die begehrte Verunstaltungsentschädigung seien dem Grunde und der Höhe nach angemessen. Da Spätfolgen nicht auszuschließen seien, komme auch dem Feststellungsbegehren Berechtigung zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei in der Hauptsache keine Folge. Es nahm eine Beweisergänzung vor und stellte folgenden weiteren Sachverhalt fest:

In der nicht datierten vorbereiteten schriftlichen Zustimmungserklärung, in welcher der Kläger als Patient angeführt wird, erklärte sich sein Vater mit den von den behandelnden Ärzten nach deren bestem Wissen und Gewissen vorgeschlagenen Operation einverstanden; er erklärte weiters, von den behandelnden Ärzten eingehend in einer ihm verständlichen Form über mögliche Folgen und Nebenwirkungen der vorgeschlagenen Untersuchungen, Behandlungen und Operationen belehrt worden zu sein. In seiner rechtlichen Beurteilung bejahte auch das Berufungsgericht eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Auf typische Risiken einer Operation sei ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit, hinzuweisen. Insoweit sei die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr also verschärft. Die Typizität ergebe sich dabei nicht nur aus der Komplikationshäufigkei, sondern auch daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhafte und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden sei und den nicht informierten Patienten überrasche, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechne. Auch das typische Risiko müsse allerdings stets erheblich und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Das Erstgericht habe zwar nicht ausdrücklich festgestellt, daß eine Querschnittslähmung das typische Risiko der am Kläger durchgeführten Rückenmarkoperation darstelle, doch sei jedenfalls von einem solchen Risiko auszugehen. Über dieses Risiko sei weder der Kläger noch seine Eltern bei den Gesprächen aufgeklärt worden. Auch die vom Vater unterfertigte vorgedruckte Zustimmungserklärung enthalte keinerlei Aufklärung in dieser Richtung, sondern nur allgemein gehaltene Formulierungen. Die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis, daß der Kläger oder dessen Eltern die Operation auch bei einer entsprechenden Aufklärung über die Möglichkeit des Eintrittes einer Querschnittslähmung als Operationsfolge dennoch an der Universitätklinik von Dr.F***** hätten durchführen lassen, nicht erbracht. Damit liege aber eine rechtswirksame Zustimmung zur Operation nicht vor, was zur Folge habe, daß die Beklagte als Krankenhausträger für den aus dem rechtswidrigen Verhalten des Operateurs als ihres Erfüllungsgehilfen entstandenen Schaden des Klägers zu haften habe. Das Erstgericht habe wohl festgestellt, daß auch bei Unterlassen bzw Verweigerung der Operation eine Querschnittslähmung als weitere Folge der Erkrankung zu erwarten gewesen wäre, doch rechtfertige dies nicht die Kürzung des Schmerzengeldes und der Verunstaltungsentschädigung, weil nicht feststellbar gewesen sei, wann es beim Kläger zu einer solchen Querschnittslähmung gekommen wäre. Dies gehe zu Lasten der beklagten Partei, welche nicht einmal behauptet habe, daß auch ohne Operation beim Kläger innerhalb eines kurzen Zeitraumes mit einer Querschnittslähmung zu rechnen gewesen wäre, weshalb sich die diesbezüglichen Ausführungen der Rechtsrüge als unzulässige Neuerungen erwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei, weil die Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende erhebliche Bedeutung habe und sich an der oberstgerichtlichen Rechtsprechung orientiere.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Sie beantragt die Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragte in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus den weiter unten darzustellenden Gründen zulässig, sie ist auch im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Ein den Spitalsärzten anzulastendes Fehlverhalten, für welches der Krankenhausträger dem Patienten als Partner des abgeschlossenen Behandlungsvertrages zu haften hat (§ 1113a ABGB), liegt dann vor, wenn die Ärzte nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen sind oder die übliche Sorgfalt eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt haben. Dabei ist der Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität in bezug auf den eingetretenen Schaden im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln

grundsätzlich vom Patienten zu führen (JBl 1996, 181 = RdM 1996, 54;

JBl 1995, 453 [Steiner] = RdM 1995, 91 [Kopetzki] = EvBl 1995/149

jeweils mwN). Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen ist dem Kläger der ihm obliegende Beweis des Vorliegens eines kausalen Behandlungsfehlers nicht gelungen. Er hat, wie oben dargestellt, sein Begehren aber auch auf eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht gestützt.

Der mit dem Arzt oder dem Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag umfaßt auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Grundsätzlich ist nämlich jede ärztliche Heilbehandlung, die mit einer Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, als Körperverletzung und damit als Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes zu werten und somit rechtswidrig, weshalb erst die Zustimmung des Patienten den Eingriff zu rechtfertigen vermag. Die Zustimmung setzt aber zu ihrer Rechtswirksamkeit eine vorangegangene entsprechende Aufklärung voraus, weshalb bei einem Unterbleiben der Aufklärung der Arzt bzw Krankenhausträger auch bei kunstgerechter Operation für die dadurch

entstandenen Schäden zu haften haft (JBl 1995, 453 [Steiner] = RdM

1995, 91 [Kopetzki] = EvBl 1995/149 mwN). Ist der ärztliche Eingriff

an einem Minderjährigen in urteilsfähigem Alter vorzunehmen, dann muß sowohl die Einwilligung des Minderjährigen selbst als auch die Zustimmung des sorgeberechtigten gesetzlichen Vertreters eingeholt werden (3 Ob 645/86 = ÖA 1987, 108).

In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß, damit dieser die Tragweite seiner Erkärung, in die Operation einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, ist keine feststellungsfähige Tatfrage, sondern eine stets anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (SZ 63/152 ua). Auf typische Risiken einer Operation ist jedenfalls ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes hinzuweisen; insoweit ist die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr also verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet. Auch das typische Risiko muß allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung der Operation erteilt hätte, geht es doch darum, daß der Arzt bzw Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffes ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat (neuerlich JBl 1995, 453 mwN, zuletzt 10 Ob 1530/96).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß der ärztlichen Aufklärungspflicht keinesfalls Genüge getan wurde, weil der Kläger und seine Eltern über das typische Operationsrisiko der Querschnittslähmung nicht aufgeklärt wurden. Die ärztliche Aufklärungspflicht reicht nämlich umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich ist. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. Die Aufklärungspflicht nimmt mit dem Maße zu, in dem die unbedingte und lebensnotwendige Indikation des beabsichtigten Eingriffes abnimmt (RdM 1994, 27 [Kopetzki] mwN ua). Da sich der Tumor des Klägers nach den Feststellungen über Jahre und nicht akut innerhalb von Wochen oder Monaten entwickelte, ist zunächst von einer solchen ganz besonderen Dringlichkeit der Operation nicht auszugehen, wenngleich einer der Ärzte nach den Feststellungen zu den Eltern des Klägers meinte, ohne Operation wäre der Kläger spätestens in einem halben Jahr querschnittsgelähmt. Nach den Feststellungen hatten die Eltern sich erwartet, daß gerade durch die Operation die drohende Querschnittslähmung verhindert werden könnte. Schon daraus ergibt sich, daß sie mit dem Risiko, durch die Operation könne unmittelbar die Querschnittslähmung auftreten, in keiner Weise rechneten. Weiters steht fest, daß die Eltern im Falle einer Aufklärung über das Risiko einer Querschnittslähmung keine Zustimmung zu der dann tatsächlich durchgeführten Operation gegeben hätten, sondern sich vorerst anderweitig informiert und die Operation allenfalls in einer anderen Klinik hätten vornehmen lassen. Der beklagte Krankenhausträger haftet daher für den aus dem rechtswidrigen Verhalten des Operateurs (Erfüllungsgehilfen) entstandenen Schaden des Klägers. Damit ist aber noch nichts über das Ausmaß dieses Schadens gesagt.

Auszugehen ist von der Feststellung, daß auch bei Unterbleiben der Operation die Querschnittslähmung des Klägers als weitere Folge seiner Erkrankung zu erwarten gewesen wäre. Damit wird das Problem der sogenannten "überholenden oder hypothetischen Kausalität" angesprochen. Von überholender Kausalität spricht man, wenn ein Ereignis zunächst real den Schadenseintritt herbeiführte, das andere Ereignis später aber denselben Schaden verusacht hätte, wäre das erste Ereignis nicht zuvorgekommen (SZ 57/51; SZ 55/28 uva; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 I 76; Koziol/Welser, Grundriß10 I 470; Mayrhofer, Schuldrecht, AT 263; Harrer in Schwimann, Praxiskommentar, Rz 32 zu § 1301 ABGB; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 14 zu § 1302). Nach heute überwiegender Ansicht handelt es sich bei der Konkurrenz zwischen realer und hypothetischer Verursachung nicht um ein Kausalitätsproblem, sondern um eines der Schadenszurechnung (JBl 1993, 663 unter Hinweis auf Grunsky in MünchKomm2 Rz 79 vor § 249 BGB; Larenz, LB des Schuldrechts I14, 525; Lange, Schadensersatz2 179; Medicus in Staudinger12 Rz 98 zu § 249 BGB und Heinrichs in Palandt15 257).

In der Praxis spielt das Problem der überholenden Kausalität vor allem bei den sogenannten Anlagefällen eine Rolle: Bei Vorhandensein einer krankhaften Anlage kann sich der Schädiger grundsätzlich auf überholende Kausalität berufen: Seine Ersatzpflicht beschränkt sich auf jene Nachteile, die durch die zeitliche Vorverlagerung des Schadens entstanden sind (Koziol/Welser aaO; Reischauer aaO Rz 15). Dem Schädiger werden derartige Folgen bis zu dem Zeitpunkt zugerechnet, bis zu dem die Erkrankung auch sonst eingetreten wäre (Mayrhofer aaO unter Hinweis auf ältere Rechtsprechung, insbesondere EvBl 1956/272 = JBl 1956, 503; Bydlinski, JBl 1967, 130, 135 ff; Lange aaO 189 f). Für die Berücksichtigung der überholenden Kausalität muß allerdings feststehen, daß der gleiche Erfolg auch ohne das schädigende Ereignis eingetreten wäre; der maßgebende Zeitpunkt muß mit einiger Sicherheit bestimmt werden können (so schon JBl 1956, 504; ZVR 1978/165; Harrer aaO Rz 39). Die Behauptungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der überholenden Kausalität trägt der Schädiger. Daß der Schade möglicherweise auch ohne die schadenbringende Handlung eingetreten wäre, reicht nicht aus (JBl 1956, 258; ZVR 1979/99; ZVR 1980/151; 8 Ob 85/86).

Die beklagte Partei hat ausdrücklich vorgebracht (Protokoll vom 7.11.1994, ON 43), daß beim Kläger auch ohne Operation die Querschnittslähmung aufgrund des bereits weit fortgeschrittenen Krankheitsbildes "in relativ kurzer Zeit" eingetreten wäre. Während sich das Erstgericht mit diesem Einwand nicht weiter auseinandersetzte, sondern ohne jede Begründung meinte, es habe nicht festgestellt werden können, zu welchem Zeitpunkt die Querschnittslähmung ohne Operation aufgetreten wäre, führte das Berufungsgericht (aktenwidrig) aus, die beklagte Partei habe derartiges im Verfahren erster Instanz "nicht einmal behauptet", weshalb sich die diesbezüglichen Ausführungen als unzulässige Neuerung erwiesen. Allein die aktenwidrige Annahme des Berufungsgerichtes, die Beklagte habe einen erheblichen Einwand in erster Instanz unterlassen, begründet die Zulässigkeit der vorliegenden Revision. Die Feststellung des ungefähren Zeitpunktes (oder die Abgrenzung des ungefähren Zeitraumes), zu dem die Querschnittslähmung auch ohne Operation eingetreten wäre, ist aber nach den obigen Ausführungen für den Umfang des zugesprochenen Schadenersatzes wie auch für das Feststellungsbegehren von Bedeutung, weil, wie ausgeführt, der Schadenersatzpflichtige im Fall der überholenden Kausalität nur den durch die Vorverlegung des Schadenseintrittes entstehenden Nachteil zu ersetzen hat. Würde also etwa feststehen, daß die Querschnittslähmung ohne Operation ein Jahr später aufgrund des anlagebedingten Leidens eingetreten wäre, so müßte die beklagte Partei nur den durch die Vorverlegung des Schadenseintrittes um ein Jahr entstehenden Nachteil ersetzen. Geht man davon aus, daß das Schmerzengeld prinzipiell eine einmalige Abfindung ist und für alles Ungemach entschädigen soll, daß der Verletzte erduldet hat und in Zukunft zu erdulden haben wird, wobei zukünftige Folgen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu beurteilen sind (für viele: Reischauer aaO Rz 49 zu § 1325 mit zahlreichen Judikaturnachweisen), dann liegt auf der Hand, daß das von den Vorinstanzen als angemessen erachtete Schmerzengeld von S 1,000.000 für die bloße Vorverlegung der Querschnittslähmung um ein Jahr unangemessen hoch wäre. Ähnliches gilt auch für die Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB, die schon nach dem Gesetzestext auf die Verhinderung des besseren Fortkommens abstellt. Bei vorübergehender Verunstaltung ist Ersatz jedenfalls zu gewähren, wenn sie während ihrer Dauer das bessere Fortkommen verhindert hat oder zumindest die Möglichkeit einer solchen Behinderung bestand (Reischauer aaO Rz 7 zu § 1326 unter Hinweis auf SZ 36/37 und ZVR 1980/151). Schließlich wäre auch beim Feststellungsbegehren auf eine bloße Vorverlegung des Schadenseintrittes entsprechend Bedacht zu nehmen. Sollte sich der frühere Schadenseintritt nur innerhalb eines größeren Zeitraumes feststellen lassen ("von ... bis"), so würde mit Rücksicht auf die genannte Beweislast die für den Kläger günstigere Variante gelten. Nur dann, wenn sich überhaupt nicht feststellen ließe, wann die Querschnittslähmung auch ohne Operation eingetreten wäre (vgl ZVR 1980/151), könnte sich die beklagte Partei nicht auf die überholende Kausalität berufen.

Die Frage der Vorverlegung des Schadenseintrittes wurde bisher in erster Instanz überhaupt nicht erörtert. Während sich einerseits nach den Feststellungen ein derartiger Tumor über Jahre und nicht akut innerhalb von Wochen oder Monaten entwickelt, erklärte ein den Kläger untersuchender Arzt, ohne Operation wäre er spätestens in einem halben Jahr querschnittgelähmt. Mangels jeglicher Erörterung der entscheidenden Fragen wurden hiezu auch keine Beweise aufgenommen, weshalb eine Zurückverweisung der Sache an das Prozeßgericht erster Instanz zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung erforderlich ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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