OGH 10Ob17/06g

OGH10Ob17/06g28.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 20. Februar 2005 verstorbenen italienischen Staatsangehörigen Sophie O*****, zuletzt wohnhaft in *****, Italien, infolge des Revisionsrekurses der Antragstellerin L***** Tirol *****, vertreten durch Dr. Christoph Moser als Subistut des öffentlichen Notars Dr. Hanspeter Zobl, Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 20. Jänner 2006, GZ 1 R 11/06x-5, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 29. November 2005, GZ 3 A 394/05b-2, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die zuletzt ständig in Meran aufhältig gewesene italienische Staatsangehörige Sophie (Sofia) O***** ist am 20. 2. 2005 verstorben. Alleinerbin ist laut Erbschein des Landesgerichtes Bozen, Außenstelle Meran, vom 5. 5. 2005 Frau Evelyn K*****.

Mit notariellem Schenkungsversprechen auf den Todesfall vom 13. 9. 1988 und der notariellen Schenkungsannahme vom 17. 12. 1988 schenkte die Erblasserin ein Drittel eines Wertpapierdepots und eines Sparbuchs, je bei der *****bank *****, der nunmehrigen Antragstellerin „L***** Tirol *****" auf den Todesfall. Diese Vermögenswerte hat die Erblasserin zu Lebzeiten auf fünf Sparbücher bei der Bank ***** AG transferiert. Die Erbin hat unter anderem gegen die Antragstellerin beim Landesgericht Bozen, Außenstelle Meran im August 2005 eine Klage auf Feststellung der Zugehörigkeit dieser Sparbücher zur Verlassenschaft und deren Herausgabe eingebracht. Am 25. 11. 2005 stellte die Antragstellerin beim Bezirksgericht Klagenfurt Anträge auf 1. Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens,

2. Bewilligung der Nachlassseparation, 3. Bestellung eines Separationskurators, in eventu gerichtliche Verwahrung der Sparbücher und 4. deren gerichtliche Sperre. Weiters meldete sie 5. Herausgabeansprüche, hilfsweise eine Forderung von EUR 20.226,56 aus dem Titel des Schadenersatzes an. Die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung der Verlassenschaft ergebe sich aus § 106 Abs 1 Z 9 lit c JN, weil die Erbin behaupte, der Schenkungsvertrag auf den Todesfall sei nach italienischem Recht nichtig. Da der Anspruch der Antragstellerin negiert und versucht werde, die Wertgegenstände ins Ausland zu verbringen, sei die Nachlassseparation zu bewilligen. Das Erstgericht hat die inländische Gerichtsbarkeit für die Abhandlung verneint; die Anträge 1. - 4. wurden a limine abgewiesen und die Anmeldungen (5.) zurückgewiesen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerin nicht Folge und bestätigte den angefochtenen Beschluss mit der Maßgabe, dass alle Anträge zurückgewiesen wurden. Die für die Bejahung der inländischen Zuständigkeit in Betracht kommende Bestimmung des § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN sei tendenziell restriktiv auszulegen; sie lege die inländische Gerichtsbarkeit fest, wenn die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im Ausland verfahrensrechtlich (und nicht aus materiellrechtlichen Gründen) unmöglich sei. Da im vorliegenden Fall das italienische Gericht ein Verlassenschaftsverfahren nicht nur eingeleitet, sondern auch schon beendet habe, liege eine Unmöglichkeit iSd § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN nicht vor, weshalb die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen sei; die Anträge seien daher zurückzuweisen. Sicherungsmaßnahmen stünden der Antragstellerin im Rahmen der allgemeinen Regelungen über einstweilige Verfügungen ausreichend zu Gebot.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000,-- übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Bestimmung des § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im gänzlich antragsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt. Auch in Verlassenschaftssachen richtet sich die inländische Gerichtsbarkeit iSd internationalen Zuständigkeit primär nach entsprechenden Staatsverträgen. Nur wenn solche nicht bestehen, kommen die innerstaatlichen Regeln über die internationale Zuständigkeit zur Anwendung (eingehend Potyka in Burgstaller/Neumayr, IZVR, Verl Rz 2 ff [in Druck]).

Das Abkommen vom 16. November 1971 zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1974/524, ergänzt durch den Notenwechsel vom 7. 4. 1987, BGBl 1989/472), enthält in seinem Art 4 Zuständigkeitsregeln für Nachlassangelegenheiten. Diese Bestimmungen sind im Lichte des Art 1 des Abkommens zu sehen, wonach die von den Gerichten eines der beiden Vertragsstaaten gefällten rechtskräftigen Entscheidungen im anderen Staat im Wesentlichen dann als wirksam anerkannt werden, wenn die Gerichte des Staates, in dem die Entscheidung gefällt worden ist, iSd folgenden Artikel zuständig ist. Es erfolgt damit also keine grundsätzliche Zuweisung des Abhandlungsverfahrens zu einem bestimmten Staat, sondern es wird eine Bedingung aufgestellt, unter der Entscheidungen aus dem Abhandlungsverfahren im anderen Staat anzuerkennen sind.

Die innerstaatlichen Regelungen über die internationale Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen wurden durch das AußStr-BegleitG (BGBl I 2003/112) grundlegend reformiert, wobei das Gesetz in den §§ 106 - 107 JN entsprechend der auch sonst in der JN gängigen Terminologie für die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte den Ausdruck inländische Gerichtsbarkeit verwendet. Ausgehend vom Todeszeitpunkt der Erblasserin (20. 2. 2005) ist im vorliegenden Fall die neue Rechtslage anzuwenden (Art XXXII § 3 Abs 2 AußStr-BegleitG). Ob Österreich die internationale Zuständigkeit zur Verlassenschaftsabhandlung in Anspruch nimmt, richtet sich gemäß § 106 Abs 1 JN primär danach, ob das Vermögen der verstorbenen Person im Inland oder im Ausland gelegen ist und ob es sich um bewegliches oder unbewegliches Vermögen handelt. Beim beweglichen Vermögen können außerdem die Staatsangehörigkeit und der letzte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers sowie die Durchsetzbarkeit des Erbrechts im Ausland relevant sein. Besteht demnach keine inländische Abhandlungsgerichtsbarkeit, ist ein Ausfolgungsverfahren nach § 150 AußStrG (in concreto nach Italien) durchzuführen.

Über im Inland gelegenes bewegliches Vermögen ist gemäß § 106 Abs 1 Z 2 JN im Inland abzuhandeln, wenn der Verstorbene zuletzt entweder österreichischer Staatsbürger war (lit a) oder seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (lit b) oder wenn die Durchsetzung aus dem Erbrecht, Pflichtteilsrecht oder einer letztwilligen Erklärung abgeleiteter Rechte im - für die Durchsetzung sonst in Frage kommenden - Ausland unmöglich ist (lit c). Die Gesetzesmaterialien (RV 225 BlgNR 22. GP 9) geben keine Auskunft, was unter dem Tatbestand der lit c zu subsumieren ist. Allerdings wird in Bezug auf das im Ausland gelegene bewegliche Vermögen (§ 106 Abs 1 Z 3 lit b JN) ausgeführt, dass die Abhandlungsgerichtsbarkeit Österreichs möglichst eingeschränkt sein sollte, weil eine Abhandlung über ausländische Fahrnisse und Forderungen große praktische Probleme bereite und in aller Regel nicht so gut geeignet sei, die Interessen der Erben und sonstigen Beteiligten wahrzunehmen wie eine Abhandlung im Lagestaat (RV 225 BlgNR 22. GP 9). Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass es nur in besonderen Ausnahmefällen zu einer Abhandlung in Österreich kommen soll, was dafür spricht, bei der Beurteilung, ob die Durchsetzung des Erbrechts im Ausland unmöglich ist, einen strengen Maßstab anzulegen. Wegen des identischen Wortlauts von § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN muss für die dort geregelte Konstellation eines inländischen beweglichen Vermögens eines Ausländers ohne letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland dasselbe gelten (Potyka, Die inländische Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit in Verlassenschaftssachen nach dem Außerstreit-Begleitgesetz unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses zu Deutschland, RZ 2005, 6 [7]).

Grundsätzlich kann eine solche Unmöglichkeit der Rechtsdurchsetzung entweder auf rechtliche (vor allem auf eine mangelnde internationale Zuständigkeit) oder auf faktische Umstände (zB Untätigkeit der zuständigen Behörde) zurückzuführen sein. Wie der OGH bereits mehrmals zur vergleichen Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 JN ausgeführt hat, erfüllt eine zu erwartende Ab- bzw Zurückweisung eines Anspruches durch ein ausländisches Gericht aus materiellen Gründen nicht den Tatbestand der genannten Bestimmung (9 Nc 109/02g = SZ 2003/55; RIS-Justiz RS0117751). Insbesondere darf die Ordination nicht dazu dienen, dass der Antragsteller einer bestimmten materiellen Rechtslage zu entrinnen vermag, die er subjektiv als Härte oder als ungerecht empfindet (10 Nc 19/05h = EvBl 2006/5 = RIS-Justiz RS0117751 [T1]). Vielmehr muss ein unabweisbares Bedürfnis für die Gewährung gerade inländischen Rechtsschutzes bestehen. Dieses ist dann zu bejahen, wenn das zuständige Gericht im Ausland aller Voraussicht nach das Begehren aus Gründen zurück- oder abweisen wird, die gegen Grundwertungen des österreichischen Rechts, den österreichischen ordre public verstoßen, weshalb eine ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkennungsfähig wäre (Burgstaller/Neumayr, Beobachtungen zu Grenzfragen der internationalen Zuständigkeit: Von forum non conveniens bis Notzuständigkeit, FS Peter Schlosser [2005] 119 [132 f]). Die Nichtanerkennungsfähigkeit einer zu erwartenden ausländischen Entscheidung wegen ordre-public-Widrigkeit würde dann - gemeinsam mit einem Inlandsbezug - das unabweisbare Bedürfnis nach inländischem Rechtsschutz begründen (in diesem Sinn auch Bajons, Die OGH-Judikatur zur internationalen Nachlassabwicklung im Lichte des neuen AußStrG und AußStr-BegleitG II, NZ 2005, 43 [54]).

Einen ordre public-Vorbehalt sieht auch das auch für Abhandlungssachen geltende Abkommen vom 16. November 1971 zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1974/524, ergänzt durch den Notenwechsel vom 7. 4. 1987, BGBl 1989/472), in seinem Art 7 Z 1 vor. Grundsätzlich geht aber dieses Abkommen von einer Verpflichtung zur wechselseitigen Anerkennung auch von Entscheidungen in Verlassenschaftssachen aus.

Die Antragstellerin sieht die ordre public-Widrigkeit einer potenziell in Italien ergehenden Entscheidung darin, dass in Italien - im Gegensatz zu Österreich - die Geltung des Grundsatzes „pacta sunt servanda" zumindest eingeschränkt sei, weil laut dem Klagsvorbringen der Erbin Schenkungsverträge auf den Todesfall in Italien gemäß Art 458 Codice civile (ZGB) nichtig seien; damit werde auch der Wille des Erblassers nicht „in gebotener Form" umgesetzt. Die undifferenzierte Wiedergabe einer bloßen Prozessbehauptung in einem ausländischen Verfahren (über die dortige Rechtslage), die zu einem nachteiligen Ergebnis für die gegnerische Partei führen kann, vermag aber keineswegs die inländische Gerichtsbarkeit nach § 106 Abs 1 Z 2 lit c JN zu begründen. Abgesehen davon, dass daraus noch nicht hervorgeht, dass auf die Schenkung auf den Todesfall materielles italienisches Erbrecht anzuwenden ist, unterscheidet das italienische Sachrecht zwischen einer Schenkung von Todes wegen (donatio mortis causa) und einer Schenkung unter Lebenden auf den Todesfall; nur bei ersterer kommt ein Verstoß gegen das Verbot erbvertraglicher Verfügungen iSd Art 458 Satz 1 Codice civile in Betracht (näher dazu Kruis, Das italienische internationale Erbrecht [2005] 134 ff, und Schömmer/Reiß, Internationales Erbrecht Italien2 [2005] Rz 291 ff). Der Grund für das - nicht unumstrittene - Verbot solcher Verträge liegt einerseits darin, unerwünschte Bindungen des Erblassers zu vermeiden, andererseits darin, Spekulationen auf den Tod des Verfügenden vorzubeugen (Kindler, Einführung in das italienische Recht [1993] 232 mwN).

So wie aber umgekehrt die Zulässigkeit von Schenkungen auf den Todesfall nicht dem italienischen ordre public widerspricht (vgl Kruis aaO 138), ist nicht ersichtlich, warum ein - noch dazu nicht durchgehendes - Verbot solcher Verträge dem österreichischen ordre public widersprechen sollte. So enthält bspw auch die österreichische Zivilrechtsordnung Regeln über die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften (zB als Zentralnorm § 879 ABGB). Außerdem vermögen auch zahlreiche Bestimmungen im materiellen Erbrecht (wie etwa Formanordnungen) einen potenziellen Willen eines Erblassers zu konterkarieren. Die Vorinstanzen haben daher zu Recht die inländische Gerichtsbarkeit verneint, sodass zwingend die oben mit 1. - 4. bezeichneten Anträge zurückzuweisen sind. Damit entfällt aber auch eine Grundlage für eine Anmeldung von Forderungen oder Ansprüchen vor einem österreichischen Verlassenschaftsgericht.

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