OGH 10Ob103/98i

OGH10Ob103/98i17.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr, Dr.Steinbauer, Dr.Danzl und Dr.Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei Elisabeth R*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Roswitha Ortner, Rechtsanwältin in Villach, wider den Antragsgegner Friedrich R*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Viktor Michitsch, Rechtsanwalt in Villach, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO, infolge Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 11.Dezember 1997, GZ 2 R 399/97x-11, womit infolge Rekurses der Antragstellerin der Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 7.Oktober 1997, GZ 2 C 73/97f-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Antragstellerin ist die Ehegattin des Antragsgegners; ein Ehescheidungsverfahren ist anhängig. Der Antragsgegner lebt seit dem Jahr 1989 nicht mehr in der gemeinsamen Ehewohnung im Haupthaus auf der Liegenschaft L***** 23, sondern in einem Nebengebäude, daß sich in ca 5,5 m Entfernung vom Haupthaus befindet. Er bewohnt dort im Parterre ein ca 12 m2 großes Zimmer, das mit Kochgelegenheit, Kühlschrank, Boiler und eigener Heizung ausgestattet ist. Neben dem Zimmer befindet sich eine Dusche und ein WC sowie eine Garage und ein Heizraum, von dem aus auch sein Zimmer beheizt werden kann. Die Antragstellerin wohnt seit 1989 im Haupthaus allein in einer ca 75 m2 großen Wohnung. Berührungspunkte für die Ehegatten ergeben sich (derzeit) nur außerhalb der Gebäude, und zwar beim gleichzeitigen Betreten oder Verlassen der Unterkünfte. Seit 1.4.1997 ißt der Antragsgegner nicht mehr bei der Antragstellerin; sie wäscht und kocht seit Mai 1997 auch nicht mehr für ihn. Seither erhält sie von ihm nur mehr eine Betriebskostenpauschale von S 1.000,-- monatlich; bis zum April 1997 hatte er ihr ein monatliches Wirtschaftsgeld von S 5.000,-- für Waschen, Kochen usw bezahlt.

Am 25.6.1997 stellte die Antragstellerin beim Erstgericht den Antrag, dem Antragsgegner mittels einstweiliger Verfügung aufzutragen, die Liegenschaft L***** 23 zu verlassen und auf die Dauer von 6 Monates nicht mehr zu betreten. Dazu brachte sie vor, ihr Mann beschimpfe sie seit Jahren auf das Ordinärste, er belästige sie in Gegenwart dritter Personen und bedrohe sie in betrunkenem Zustand. Dieses Verhalten beeinträchtige ihre psychische und physische Gesundheit erheblich und mache ihr das weitere Zusammenleben mit dem Antragsgegner unzumutbar. Die Ehe sei zwar aufrecht, doch die eheliche Lebensgemeinschaft seit Jahren aufgehoben.

Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Sicherungsantrages und wendete im wesentlichen ein, die Ehe der Streitteile sei nicht zerrüttet, allerdings drohe die Antragstellerin immer wieder, den Antragsgegner in eine geschlossene Anstalt zu bringen. Die erwiesenen Kränkungnen hätten zu einem fallweisen Alkoholkonsum geführt. Bereits 1989 habe die Antragstellerin den Antragsgegner aus dem Schlafzimmer verwiesen, weshalb er nun im Nebenhaus wohne. Seit Mai 1997 wasche und koche sie nicht mehr für ihn.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab und führte in rechtlicher Hinsicht aus, eine Voraussetzung für die Ausweisung aus der gemeinsamen Ehewohnung nach § 382b Abs 1 EO sei, daß die Antragstellerin mit dem Antragsgegner in häuslicher Gemeinschaft lebe oder innerhalb der letzten drei Monate gelebt habe. Selbst wenn man davon ausgehe, daß die Antragstellerin für ihren Ehegatten noch bis Ende April 1997 gekocht und gewaschen und dafür auch Wirtschaftsgeld erhalten habe, sei die 3-monatige Frist nicht gewahrt, weil die häusliche Gemeinschaft bereits 1989 aufgehoben worden sei. Bei dieser Rechtslage sei auf die Frage einer allenfalls unzumutbaren Beeinträchtigung nicht weiter einzugehen.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung. Von einer häuslichen Gemeinschaft der Parteien innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung könne nicht gesprochen werden. Seit 1989 habe keine räumliche Gemeinschaft mehr in dem Sinn bestanden, daß die Parteien in denselben Räumlichkeiten wohnten, noch habe es eine familiäre Gemeinschaft in dem Sinn gegeben, daß die Parteien gemeinsam wirtschafteten oder ihr Leben gemeinsam gestalteten. Die für die Anwendung des § 382b EO notwendig erscheinende Voraussetzung der engen familiären Berührungspunkte (des Zusammenlebens) sei nicht mehr gegeben gewesen. Ob der Antragsgegner die Möglichkeit einer anderweitigen Unterbringung habe, sei rechtlich nicht relevant und es erübrigten sich Feststellungen zu den Behauptungen der Antragstellerin, ein vom Mann ausgeübter Psychoterror mache ihr das weitere Zusammenleben unzumutbar.

Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu § 382b EO, insbesondere zur Auslegung des Begriffes "häusliche Gemeinschaft" im Sinn dieser Gesetzesstelle nicht vorliege.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Antragstellerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß die beantragte einstweilige Verfügung erlassen werde.

Der Antragsgegner beantragte in seiner Revisionsrekursbeantwortung dem gegnerischen Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne seines hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsgrundlage für die beantragte einstweilige Verfügung ist § 382b EO, der durch das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie - GeSchG, BGBl 1996/759 eingeführt wurde und mit 1.5.1997 in Kraft getreten ist. Danach hat das Gericht einer Person, die einen nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf dessen Antrag 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient (Abs 1). Nahe Angehörige in diesem Sinne sind nach § 382b Abs 3 EO unter anderem Ehegatten und Lebensgefährten, Geschwister und Verwandte in gerader Linie, deren Ehegatten und Lebensgefährten, aber auch Verwandte in gerader Linie und Geschwister des Ehegatten oder Lebensgefährten, wenn sie mit dem Antragsgegner in häuslicher Gemeinschaft leben oder innerhalb der letzten drei Monate vor Antragstellung gelebt haben. Der Personenkreis, für den diese Regelungen gelten, umfaßt daher nunmehr alle nahen Angehörigen. Einbezogen wurden Personen, die in einem solchen Naheverhältnis zueinander stehen, in dem Gewalt in der Familie vorkommt. Aus der Tatbestandsumschreibung ergibt sich, daß mit dem Angehörigenbegriff in Abs 3 das Opfer der Gewalt definiert wird. Die Angehörigeneigenschaft muß demgemäß im Zeitpunkt der umschriebenen Handlungen gegeben sein. Als Voraussetzung ist aber jedenfalls das Zusammenleben in einer Wohnung oder zumindest das frühere Zusammenleben gefordert. Da nicht jedes frühere Zusammenleben die Maßnahmen rechtfertigen kann, darf der letzte Zeitraum des Zusammenlebens nicht länger als drei Monate vor dem die einstweilige Verfügung auslösenden Verhalten liegen (so die Gesetzesmaterialien 252 BlgNR 20. GP, 8; vgl dazu auch Mottl, Alte und neue rechtliche Instrumente gegen Gewalt in der Familie, ÖJZ 1997, 542 ff; Neuhauser,

Der gesetzliche Schutz vor Gewalt in der Familie und dessen Auswirkungen auf den Jugendwohlfahrtsträger, ÖA 1997, 45 ff).

Die Vorinstanzen haben den Sicherungsantrag nur deshalb abgewiesen, weil sie der Antragstellerin die Qualifikation einer nahen Angehörigen des Antragsgegners mit der Begründung absprachen, sie habe mit ihm innerhalb der letzten drei Monate nicht in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Das Gesetz umschreibt nicht näher, was unter Leben in häuslicher Gemeinschaft zu verstehen ist. Als Anknüpfungspunkt bietet sich die Bestimmung des § 55 Abs 1 EheG an, wonach jeder Ehegatte wegen tiefgreifender unheilbarer Zerrüttung der Ehe deren Scheidung begehren kann, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben ist. Über das Wesen der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nach dieser Gesetzesstelle bestanden seit jeher erhebliche Auffassungsunterschiede. Einerseits wurde nahezu kein Unterschied zwischen häuslicher Gemeinschaft und ehelicher Lebensgemeinschaft gemacht und eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft erst dann angenommen, wenn zwischen den Partnern weder Wohnungs- noch Wirtschafts- noch Geschlechtsgemeinschaft mehr bestanden hat, also in keinem dieser drei Teilbereiche noch eine gemeinsam gestaltete Lebensführung vorlag (vgl RIS-Justiz RS0057116). Demgegenüber hat das Schrifttum mehr das lokale Element der Wohnungsgemeinschaft betont und gemeint, die häusliche Gemeinschaft sei dann aufgehoben, wenn zumindest mit dem Willen eines Ehegatten sowohl die Wohn- als auch die Wirtschaftsgemeinschaft ehelichen Umfanges zu bestehen aufgehört habe (Schwimann ABGB2 Band 1 525 Rz 7 zu § 55 EheG mwN; Pichler in Rummel ABGB2 zweiter Band 1551 Rz 2 zu § 55 EheG mwN). Nach überwiegender Auffassung ist die häusliche Gemeinschaft im Sinne des § 55 Abs 1 EheG dann aufgehoben, wenn zwischen den Ehegatten alle wesentlichen Gemeinschaftskontakte abgebrochen sind, die persönliche Berührung daher weitestgehend ausgeschaltet ist (Schwimann aaO Rz 9 mwN). Umgekehrt zieht aber räumliche Trennung der Ehegatten die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft jedenfalls dann nicht nach sich, wenn noch volle Haushalts- oder Wirtschaftsgemeinschaft besteht (Schwimann aaO Rz 10 mwN). So hat der Oberste Gerichtshof bereits in einer älteren Entscheidung (SZ 24/101) zutreffend ausgeführt, daß die häusliche Gemeinschaft nicht aufgehoben ist, wenn die Ehegatten zwar getrennt wohnen, jedoch die Frau für den Mann kocht und mit diesem regelmäßig die Hauptmahlzeiten einnimmt (weitere Nachweise RIS-Justiz RS0057036; vgl auch Pichler aaO).

Das dargelegte Verständnis der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten im Sinne des § 55 Abs 1 EheG kann auch als Grundlage für die Auslegung des Begriffes Leben in häuslicher Gemeinschaft im Sinne des § 382b Abs 3 EO angesehen werden. Allerdings mit der wesentlichen Einschränkung, daß im § 55 EheG nur die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten angesprochen ist, während § 382b EO den Kreis der nahen Angehörigen viel weiter versteht und darunter insbesondere auch Lebensgefährten, Geschwister und Verwandte in gerader Linie sowie deren Ehegatten und Lebensgefährten und auch Verwandte in gerader Linie und Geschwister des Ehegatten oder Lebensgefährten einschließt. Die in bezug auf Ehegatten immer hervorgehobene Geschlechtsgemeinschaft kommt also bei einem Großteil des im § 382b Abs 3 EO umschriebenen Personenkreises von vornherein nicht in Betracht. Nicht entscheidend sein kann aber auch die Wirtschaftsgemeinschaft im Sinne eines gemeinsamen Wirtschaftens naher Angehörigen, weil es hier um den Bereich einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt in der Familie geht und alle die Personen einbezogen werden sollten, die in einem solchen Naheverhältnis zueinander stehen, in dem Gewalt in der Familie vorkommt. Insoweit wird im allgemeinen gemeinsames Wohnen in einem Haus oder in einer Wohnung vorausgesetzt sein, worauf - wie das Rekursgericht an sich zutreffend dargelegt hat - auch der in der genannten Bestimmung selbst verwendete Begriff "Zusammenleben" deutet. Geht man aber vom Zweck des Gesetzes aus, jede Art von Gewalt in der Familie zu verhindern, dann ist eine häusliche Gemeinschaft auch dann anzunehmen, wenn die Angehörigen zwar nicht im selben Haus oder in derselben Wohnung, aber doch in einem solchen Naheverhältnis leben, daß es zu regelmäßigen, insbesondere sogar zu täglichen Kontakten kommt.

Gerade dies ist hier aber der Fall. Der Antragsgegner ist zwar 1989 aus der gemeinsamen Ehewohnung "ausgezogen", wohnt aber seither in einem nur wenige Meter von dem Haus der Antragstellerin entfernten Nebengebäude. Ob das Wohnen in einer solchen räumlichen Nähe noch einem Leben in häuslicher Gemeinschaft entsprechen würde, kann hier dahingestellt bleiben. Der Antragsgegner hatte zumindest bis Mai 1997 insoweit regelmäßigen wenn nicht täglichen Kontakt mit der Antragstellerin, als sie für ihn wusch und kochte, also wesentliche Funktionen eines gemeinsamen ehelichen Wirtschaftens ausübte. Bis vor dem 1.4.1997 nahm er auch mit seiner Frau gemeinsam die Mahlzeiten ein, es ergaben sich also regelmäßige, wenn nicht sogar tägliche intensivere Kontakte zwischen den Streitteilen, die gerade durch oben dargestellten gesetzlichen Maßnahmen vor Gewaltausübung geschützt werden sollten. Daraus folgt aber, daß die Antragstellerin mit dem Antragsgegner jedenfalls bis April 1997, zumindest aber bis Ende März 1997 und damit innerhalb der letzten drei Monate vor der Antragstellung in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Daraus folgt weiter, daß die Antragstellerin eine nahe Angehörige des Antragsgegners im Sinne des § 382b Abs 1 EO ist, sodaß der alleinige Grund für die Abweisung des Sicherungsantrages durch die Vorinstanzen in Wahrheit nicht besteht.

Da ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht über die Qualifikation der Antragstellerin als nahe Angehörigen schon das Erstgericht die übrigen Voraussetzungen für die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung nicht geprüft hat, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung des Revisionsrekurses aufzuheben und dem Erstgericht die neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO.

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