OGH 10Nc8/24v

OGH10Nc8/24v16.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer, Mag. Schober, Dr. Annerlund Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj M*, geboren * 2023, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100NC00008.24V.0416.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Akt wird dem Bezirksgericht Floridsdorf zurückgestellt.

 

Begründung:

[1] Mit dem an das Bezirksgericht Schwaz gerichteten Antrag vom 14. Dezember 2023 beantragte das Land Tirol als Kinder‑ und Jugendhilfeträger sowie Vertreterin der damals noch minderjährigen Mutter von M*, den Vater zur Leistung eines Unterhalts von 150 EUR monatlich zu verpflichten.

[2] Mit Beschluss vom 16. Februar 2024 übertrug das Bezirksgericht Schwaz die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache gemäß § 111 JN mit der Begründung dem Bezirksgericht Floridsdorf, dass sich die (mittlerweile) volljährige Mutter und M* nunmehr ständig in dessen Sprengel aufhielten (ON 9). Das Bezirksgericht Floridsdorf lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab (ON 10).

[3] Das Bezirksgericht Schwaz veranlasste daraufhin die Zustellung des Beschlusses vom 16. Februar 2024 an die Parteien (die am 5. März 2024 und 7. März 2024 erfolgte) und bereitete die Vorlage des Akts nach § 111 Abs 2 JN an den Obersten Gerichtshof vor (ON 11 und 12).

[4] Nachdem das Bezirksgericht Floridsdorf dem Bezirksgericht Schwaz einen bei ihm am 6. März 2024 (von der Mutter) eingebrachten weiteren Unterhaltsantrag, in dem der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes und der Mutter mit * Wien angegeben wurde, übermittelt hatte, sprach das Bezirksgericht Schwaz mit Beschluss vom 12. März 2024 gemäß § 44 JN aus, zur weiteren Führung des Unterhaltsverfahrens nicht zuständig zu sein. Unter einem überwies es das Verfahren an das Bezirksgericht Floridsdorf (ON 14 und 15).

[5] Der Beschluss vom 12. März 2024 wurde (entgegen § 44 Abs 2 JN) vom Bezirksgericht Schwaz zugestellt und ist mittlerweile in Rechtskraft erwachsen.

[6] Das Bezirksgericht Floridsdorf legte den Akt dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Aktenvorlage ist verfehlt.

[8] 1. Voranzustellen ist, dass das Bezirksgericht Floridsdorf die Akten zwar unter Verweis auf die noch vom Bezirksgericht Schwaz vorbereitete Aktenvorlage nach § 111 Abs 2 JN vorlegte. In seiner Stellungnahme dazu führt das Bezirksgericht Floridsdorf allerdings aus, die Vorgangsweise des Bezirksgerichts Schwaz erwecke den Eindruck, dass es den Beschlusses vom 12. März 2024 nur deshalb erlassen habe, weil es den Akt „nicht mittels Übertragung nach § 111 JN 'losgeworden'“ sei. Das sei weder kollegial noch berechtigt.

[9] Das Bezirksgericht Floridsdorf erachtet daher nicht bloß die Übertragung nach § 111 Abs 1 JN als nicht zweckmäßig, sondern offensichtlich auch die Überweisung nach § 44 JN als unberechtigt, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien. Insofern liegt daher (auch) ein negativer Kompetenzkonflikt nach § 47 JN vor, sodass die Entscheidung – anders als bei Angelegenheiten nach § 7 Abs 1 Z 4 OGHG – im Fünfersenat zu erfolgen hat (RS0126085).

2. Zum Beschluss vom 12. März 2024

[10] Voraussetzung für eine Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof nach § 47 JN ist, dass zwei einander widersprechende rechtskräftige Beschlüsse vorliegen, mit denen die in Betracht kommenden Gerichte ihre Zuständigkeit verneint haben (RS0118692; RS0046354; RS0046299 ua).

[11] Das ist hier nicht der Fall, weil sich nur das Bezirksgericht Schwaz beschlussmäßig als unzuständig erklärt hat. Ein Beschluss, mit dem das Bezirksgericht Floridsdorf seine Unzuständigkeit ausgesprochen hätte, liegt dagegen nicht vor.

3. Zum Beschluss vom 16. Februar 2024

[12] Da der (mittlerweile in Rechtskraft erwachsene) Beschluss vom 12. März 2024 des Bezirksgerichts Schwaz das Adressatgericht bindet (RS0046315; RS0002439), hat das Bezirksgericht Floridsdorf das weitere Verfahren unabhängig davon zu führen, ob der Überweisungsbeschluss zu Recht oder zu Unrecht erging (RS0046391). Ob der noch in Schwebe stehende (vgl RS0047109 [T4]) Zuständigkeitswechsel infolge des Beschlusses vom 16. Februar 2024 durch die notwendige Genehmigung iSd § 111 Abs 2 JN (vgl 10 Nc 27/23m Rz 5; 3 Nc 1/23m vom 9. Februar 2023 Rz 6 ua) wirksam wird oder nicht, kann daran nichts ändern: Würde die Übertragung genehmigt, ergäbe sich die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Floridsdorf nur aus einem weiteren Grund. Würde sie nicht genehmigt, würde sich das auf den (damit nicht im Zusammenhang stehenden) Beschluss nach § 44 JN nicht auswirken. Die vom Obersten Gerichtshof zu prüfende Frage, ob die Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 Abs 1 JN zweckmäßig ist oder nicht (vgl RS0047074), hat daher bloß theoretische Bedeutung. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (vgl RS0111271 [T2]; RS0002495).

[13] 4. Zusammenfassend besteht in der vorliegenden Konstellation daher kein Raum für eine Beschlussfassung des Obersten Gerichtshofs nach § 47 JN oder nach § 111 Abs 2 JN. Zur Klarstellung wird das vorlegende Gericht jedoch den Beschluss vom 16. Februar 2024 zu widerrufen haben (vgl allg RS0128772 [T1]; Beck, Glosse zu 10 Nc 27/23m, iFamZ 2024/12; Fucik in Fasching/Konecny 3 § 111 JN Rz 14 und 19).

[14] 5. Zur Vermeidung weiterer Verzögerungen wird noch darauf hingewiesen, dass das Bezirksgericht Floridsdorf eine von ihm angenommene Unzuständigkeit aufgrund der Bindung an den Beschluss des Bezirksgerichts Schwaz vom 12. März 2024 (vgl oben 2.) nicht – wie das in seinen Stellungnahmen zum Ausdruck kommt – darauf stützen kann, dieses sei zuständig (RS0046391 [T11]; RS0081664 [T3]). Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Schwaz gemäß § 111 JN liegen nach der derzeitigen Aktenlage nicht vor.

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