Spruch:
Zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache wird anstelle des Landesgerichts St. Pölten das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz bestimmt.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Äußerung zum Delegierungsantrag selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der in 8058 Graz/Straßgang wohnhafte Kläger begehrt mit seiner beim Landesgericht St. Pölten, als dem nach § 75 Abs 1 JN zuständigen Gericht eingebrachten Klage die Aufhebung des mit der Beklagten geschlossenen PKW-Kaufvertrags, in eventu die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des gekauften Kfz und gegen Rückgabe der beiden zurückgenommenen Gebraucht-PKW des Klägers.
Als Beweismittel beantragten die Streitteile die Vernehmung des Klägers, des Geschäftsführers der Beklagten, von insgesamt zehn (sieben in Graz und drei im Sprengel des Landesgerichts St. Pölten ansässigen) Zeugen, die Beiziehung eines Kfz-Sachverständigen und einen Ortsaugenschein.
Der Kläger begründet seinen Delegierungsantrag damit, dass mit einer Verfahrensführung vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eine wesentliche Verkürzung des Prozesses, eine Erleichterung der Amtstätigkeit und eine wesentliche Verbilligung des Verfahrens zu erreichen sei. Die Beklagte habe nämlich (nur) die Parteienvernehmung ihres Geschäftsführers und dreier Zeugen (Mitarbeiter) beantragt. Demgegenüber wohnten der Kläger und die sieben von ihm beantragten Zeugen in Graz oder seien dort beschäftigt und auch der - nicht mehr fahrbereite - PKW sei inzwischen zum „Anwesen“ des Klägers transportiert worden, wo die Befundaufnahme für die Kfz-technische Begutachtung und der Lokalaugenschein durchgeführt werden könnten. Vier der vom Kläger beantragten Zeugen seien Mitarbeiter eines Unternehmens in Graz, welches über insgesamt (nur) zehn Beschäftigte verfüge und daher im Fall einer gemeinsamen Anreise zu einer Verhandlung in St. Pölten einen ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb nicht aufrechterhalten könnte. Außerdem seien der Kläger zu 90 % und der Zeuge P***** zu 60 % (geh-)behindert und benötigten daher für eine Anreise nach St. Pölten jeweils eine Begleitperson.
Die Beklagte sprach sich gegen eine Delegierung aus und verwies auf die Möglichkeit einer Einvernahme per Videokonferenz oder im Rechtshilfeweg. Sie machte geltend, dass auch von ihrer Seite Mitarbeiter vorgeladen werden müssten, was ebenfalls zu einem teilweise eingeschränkten Betrieb führen würde. Außerdem seien der Kläger und der Zeuge P***** mehrmals im Betrieb der Beklagten gewesen, sodass eine entsprechende Mobilität durchaus gegeben sei. Durch Durchführung einer Videokonferenz sei das Argument der Prozessökonomie bereits erfüllt.
Das Landesgericht St. Pölten wies in seiner Äußerung zum Delegierungsantrag darauf hin, dass sich sowohl der Augenscheinsgegenstand (das Fahrzeug) als auch der Wohnort des Klägers und die Mehrzahl der Zeugen im Sprengel des Landesgerichts Graz befänden. Eine Delegierung an dieses Gericht erscheine daher zweckmäßig, weil maßgebliche Teile des Beweisverfahrens [kostengünstiger] vor diesem Gericht durchgeführt werden könnten.
Rechtliche Beurteilung
Der Delegierungsantrag ist berechtigt.
Eine Delegierung nach § 31 JN setzt voraus, dass klare und überwiegende Zweckmäßigkeitsgründe dafür sprechen (Ballon in Fasching² I § 31 JN Rz 6 f mwN). Sie ist zweckmäßig, wenn die Zuständigkeitsübertragung an das andere Gericht zu einer wesentlichen Verkürzung des Prozesses, zu einer Erleichterung des Gerichtszugangs und der Amtstätigkeit oder zu einer wesentlichen Verbilligung des Rechtsstreits beitragen kann (vgl RIS-Justiz RS0046333). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Beweisverfahren oder der maßgebliche Teil davon vor dem erkennenden Gericht durchgeführt werden kann, weil die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes bedeutsamer ist als die Einhaltung der örtlichen Zuständigkeitsordnung (RIS-Justiz RS0046333 [T3]; 4 Nc 14/11p).
Für die Zweckmäßigkeit der Zuweisung einer Rechtssache an ein anderes Gericht ist vor allem der Wohnsitz der Parteien und der namhaft gemachten Zeugen oder die Lage des Augenscheingegenstands maßgebend (Mayr in Rechberger, ZPO³ § 31 JN Rz 4 mwN), während dem Kanzleisitz eines Parteienvertreters dabei keine Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0046540; 10 Nc 22/09f; 4 Nc 14/11p mwN). Die Delegierungsmöglichkeit aus Gründen der Zweckmäßigkeit setzt voraus, dass die Übertragung der Sache vom zuständigen an ein anderes Gericht im Interesse aller am Verfahren Beteiligten liegt (vgl RIS-Justiz RS0046589 ua); kann die Frage der Zweckmäßigkeit nicht eindeutig zugunsten beider Parteien beantwortet werden und widerspricht eine von ihnen, so ist von der Delegierung abzusehen (RIS-Justiz RS0046333 [T7]; RS0046589).
Im vorliegenden Fall wohnt bzw arbeitet der überwiegende Teil der zu vernehmenden Personen nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts (vgl 5 Nc 11/11d), sondern im Sprengel des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz, in dem sich auch der Augenscheinsgegenstand (ein nicht fahrbereiter PKW) befindet. Außerdem wurde die Durchführung eines Ortsaugenscheins und die Beiziehung eines Sachverständigen beantragt, welcher an einem (allfälligen) Ortsaugenschein teilzunehmen und dort jedenfalls (auch) die Befundaufnahme durchzuführen haben wird. Die weit überwiegende Mehrheit der beantragten Beweise ist daher zweckmäßigerweise vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz aufzunehmen, während dieser Aspekt nur auf die Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten und seiner Mitarbeiter nicht zutrifft.
Die beantragte Delegierung nach Graz liegt somit im wohlverstandenen Interesse beider Parteien, weil die Sache aller Voraussicht nach rascher und mit geringerem Kostenaufwand vor diesem Gericht durchgeführt werden kann. Da die für eine Zweckmäßigkeit der Delegierung sprechenden Umstände deutlich überwiegen, ist gemäß § 31 Abs 2 JN die Delegierung anzuordnen (vgl 10 Nc 20/08k; 5 Nc 11/11d).
Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die Delegierung unterlegen und hat daher die von ihr verzeichneten Kosten ihrer (ablehnenden) Äußerung selbst zu tragen (10 Nc 22/09f mwN).
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