LVwG Wien VGW-152/065/3325/2022VGW-152/065/3326/2022VGW-152/065/3327/2022VGW-152/065/3328/2022VGW-152/065/3329/2022

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StbG 1985 §10 Abs1b
StbG 1985 §10 Abs1 Z7
StbG 1985 §11a Abs6
StbG 1985 §17 Abs1
StbG 1985 §18
StbG 1985 §20 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGWI:2022:VGW.152.065.3325.2022.

 

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Eidlitz über die Beschwerde der Frau A. B., geb. am ...1984, Staatsangehörigkeit: Serbien sowie der minderjährigen Kinder C. B., geb. am ...2006, Staatsangehörigkeit: Serbien, D. B., geb. am ...2009, Staatsangehörigkeit: Serbien, E. B., geb. am ...2010, Staatsangehörigkeit: Serbien und F. B., geb. am ...2016, Staatsangehörigkeit: Serbien, alle vertreten durch Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 31.01.2022, Zl. ..., mit welchem der Antrag auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sowie der Antrag auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf die minderjährigen Kinder vom 31.05.2021 gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 in Verbindung mit § 10 Abs. 5 StbG abgewiesen wurde,

nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.09.2022

zu Recht erkannt und v e r k ü n d e t:

 

 

I. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird den Beschwerden stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

 

II. Gemäß § 11a Abs. 6 Z 1 und § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) wird der Erstbeschwerdeführerin, Frau A. B., geb. am ...1984, in G., auf ihren Antrag vom 31.05.2021 die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass diese innerhalb von zwei Jahren ab Zusicherung das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband (Serbien) nachweist.

 

III. Gemäß §§ 17 Abs. 1 und 18 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) wird der Zweitbeschwerdeführerin, C. B., geb. am ...2006 in Wien, der Drittbeschwerdeführerin, D. B., geb. am ...2009 in Wien, dem Viertbeschwerdeführer, E. B., geb. am ...2010 in Wien und der Fünftbeschwerdeführerin, F. B., geb. am ...2016 in Wien, auf deren Antrag vom 31.05.2021 die Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall zugesichert, dass sie innerhalb von zwei Jahren ab Zusicherung, ihr Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband (Serbien) nachweisen.

 

IV. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die belangte Behörde stellte am 22.09.2022 den Antrag auf Vollausfertigung des am 20.09.2022 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

 

 

Festgestellter Sachverhalt und Beweiswürdigung:

 

Die unbescholtenen Erst- bis Fünftbeschwerdeführer sind serbische Staatsangehörige und verfügen über gültige serbische Reisedokumente. Ihre Identität steht unstrittig fest.

 

Die Erstbeschwerdeführerin ist zumindest seit 18.09.2006 in Österreich ununterbrochen und rechtmäßig aufhältig bzw. niedergelassen, die minderjährigen Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind seit ihren Geburten in Wien durchgehend und rechtmäßig niedergelassen und verfügen alle über gültige Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU".

 

Die Erstbeschwerdeführerin wies am 18.02.2021 B2-Deutschkenntnisse sowie am 07.09.2022 Geschichtskenntnisse nach. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind Schüler.

 

Die Erst- bis Fünftbeschwerdeführer bezogen unmittelbar vor der Antragstellung und beziehen heute noch Bedarfsorientierte Mindestsicherung.

 

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an Multiple Sklerose. Laut dem durch die belangte Behörde eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 23.08.2021 der Magistratsabteilung 15 der Stadt Wien liegt bei der Beschwerdeführerin eine chronische schubhaft verlaufende Erkrankung in Form einer Multiplen Sklerose vor. Aufgrund dieser chronisch schubhaft verlaufenden Erkrankung ist „keine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit mehr gegeben“. Die Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit ist „dauerhaft“ anzunehmen. Laut der durch die belangte Behörde eingeholten „ergänzende Stellungnahme“ vom 27.09.2021 liegen „keinerlei Arbeits- und Erwerbsfähigkeit auf Dauer mehr“ vor. Es lagen bereits im Zeitraum 2015 Zeichen der dauerhaft schwerwiegenden Krankheit Multiple Sklerose vor. Eine Aussicht auf Besserung des Gesundheitszustandes ist unwahrscheinlich.

 

Die Feststellungen beruhen auf den unstrittig gebliebenen Akteninhalt, auf die Wiederholung von Behördenabfragen und Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung.

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 7 StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann.

 

§ 10 Abs. 1 Z 7 StbG sieht zwei (alternative) Verleihungsvoraussetzungen vor: So darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist (erster Fall) oder (alternativ) der Fremde seinen Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann (zweiter Fall; arg.: „oder“). Das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z 7 StbG ist zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen (vgl. VwGH 04.05.2022, Ra 2020/01/0238-7).

 

Nach § 10 Abs. 1b StbG hat der Fremde seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt insbesondere dann nicht zu vertreten, wenn dieser auf einer Behinderung oder auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit beruht, wobei dies durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen ist.

 

Nach dem klaren Wortlaut des § 10 Abs. 1b StbG hat der Verleihungswerber seinen nicht gesicherten Lebensunterhalt dann nicht zu vertreten, wenn eine Behinderung oder dauerhafte schwerwiegende Krankheit des Verleihungswerbers dafür ursächlich ist (arg.: „auf ... beruht“). Auf den Zeitpunkt des Eintritts einer solchen Behinderung oder dauerhaften schwerwiegenden Krankheit kommt es dabei nicht an (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/01/0289 bis 0292, Rn. 19).

 

Wesentlich für das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG ist vielmehr, dass im Entscheidungszeitpunkt - durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen - Gründe iSd § 10 Abs. 1b StbG vorliegen.

 

Die vorliegend wesentliche Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 7 zweiter Fall StbG ist somit erfüllt, wenn die Erstbeschwerdeführerin als Verleihungswerberin im Entscheidungszeitpunkt ihren Lebensunterhalt aus tatsächlichen, von ihr nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft nicht oder nicht in ausreichendem Maße sichern kann.

 

Dass der nicht hinreichend gesicherte Lebensunterhalt auf einer dauerhaften schwerwiegenden Krankheit der Erstbeschwerdeführerin beruht, wurde unstrittig durch das amtsärztliche Gutachten vom 23.08.2021 der Magistratsabteilung 15 der Stadt Wien, bekräftigt durch deren (durch die belangte Behörde aufgetragene) ergänzende Stellungnahme vom 27.09.2021, nachgewiesen.

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es dabei nicht – wie von der belangten Behörde rechtsirrtümlich angenommen - auf den Zeitpunkt des Eintritts einer solchen Behinderung oder dauerhaften schwerwiegenden Krankheit an, sondern vielmehr darauf, dass diese im Entscheidungszeitpunkt durch ein amtsärztliches Gutachten nachgewiesen wird. Dies war bzw. ist gegenständlich unstrittig der Fall.

 

Da die übrigen Verleihungsvoraussetzungen des hier maßgeblichen Verleihungstatbestandes nach § 11a Abs. 6 Z 1 StbG bereits im Verfahren vor der belangten Behörde – mit Ausnahme des Nachweises der Ablegung der Geschichtsprüfung – erfüllt waren und die sog. Geschichtsprüfung im Beschwerdeverfahren nachweislich durch die Erstbeschwerdeführerin erfolgreich absolviert wurde und im Beschwerdeverfahren keine Verleihungshindernisse aufgekommen sind (letzte Abfragen im September 2022 durchgeführt), war den serbischen Beschwerdeführern die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 20 Abs. 1 StbG zuzusichern bzw. gemäß §§ 17 Abs. 1 und 18 StbG die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft auf die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin zu erstrecken.

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

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