LVwG Wien VGW-131/036/8919/2023

LVwG WienVGW-131/036/8919/202314.9.2023

FSG 1997 §24 Abs1
FSG 1997 §26
FSG 1997 §29 Abs1
FSG 1997 §39
VwGVG §8 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:LVWGWI:2023:VGW.131.036.8919.2023

 

 

 

 

 

 

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Fritz über die Säumnisbeschwerde des (am ... 1969 geborenen) Herrn A. B., vertreten durch Rechtsanwalt, in Angelegenheit eines Antrages auf Widerruf der Sperre der Lenkberechtigung, den

 

BESCHLUSS

 

gefasst:

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Säumnisbeschwerde mangels Säumnis zurückgewiesen.

 

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe

 

Mit Schriftsatz vom 06.03.2023 beantragte Herr A. B. die erfolgte Sperre der Lenkberechtigung umgehend aufzuheben. Er brachte vor, am 21.02.2023 in C. seitens des SPK C. zur Ableistung eines Alkomattestes aufgefordert worden zu sein. Aufgrund einer Lungenerkrankung sei es ihm nicht möglich gewesen, das erforderliche Blasvolumen aufzubringen und sei dies als Verweigerung gewertet worden. Er habe ersucht, in das Krankenhaus C. zur Blutabnahme gebracht zu werden, was ihm verweigert worden sei, er habe dies auch aufgrund der Sprachbarriere nicht wirklich verstanden. Er lege die Bescheinigung zur elektronischen Abnahme des Führerscheines vor. Er habe den Führerschein nicht mitgehabt und sei daher die physische Abnahme nicht erfolgt. Er sei am nächsten Tag sofort zum Arzt gegangen und sei bestätigt worden, dass er an einer Reizhustenbronchitis leide und verstärkte Raschelgeräusche bei der Lunge bestehen. Er lege einen entsprechenden ärztlichen Befundbericht vom 22.02.2023 vor, es ergebe sich sohin, dass er nicht über das nötige Blasvolumen verfügt habe, einen Alkomattest abzulegen und somit könne kein Verweigerungsdelikt vorliegen. Diesem Schriftsatz war eine Bescheinigung gemäß § 39 Abs. 1 Führerscheingesetz 1997 (FSG) angeschlossen. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine physische Abnahme des Führerscheines nicht möglich gewesen sei (daher elektronisch abgenommen).

 

Über Aufforderung übermittelte der Beschwerdeführer (Bf) als Beilage zu seinem Schreiben vom 27.04.2023 einen ärztlichen Befundbericht vom 22.02.2023 sowie Aktenstücke aus dem Verwaltungsstrafverfahren bei der Landespolizeidirektion Niederösterreich zur Zl. ... (bezüglich einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 i.V.m. § 5 Abs. 2 StVO 1960).

 

Mit Schriftsatz vom 09.06.2023 brachte der Bf beim Verkehrsamt eine Säumnisbeschwerde ein (dort am 16.06.2023 eingelangt), die am 05.07.2023 dem Verwaltungsgericht Wien zur Entscheidung vorgelegt wurde. Der Bf brachte vor, die belangte Behörde habe über seinen Antrag vom 06.03.2023, die Sperre der Lenkberechtigung aufzuheben, bis dato nicht entschieden. Er habe der belangten Behörde nach einem Telefonat sämtliche Unterlagen des anhängigen Strafverfahrens bei der LPD Niederösterreich geschickt, er habe auch noch ein lungenfachärztliches Gutachten beigeholt, das seine Verantwortung entsprechend stütze. Nach Rückfrage bei der belangten Behörde lägen diese Unterlagen dort auch auf. Nichtsdestotrotz habe die Behörde über seinen Antrag vom 06.03.2023, innerhalb der Dreimonatsfrist des § 29 FSG nicht entschieden und sei daher säumig. Er stelle den Antrag auf Vorlage des Aktes beim zuständigen Landesverwaltungsgericht Wien.

 

Die hier maßgeblichen Vorschriften des Führerscheingesetzes 1997 (§§ 29 und 39) lauten wie folgt:

 

Besondere Verfahrensbestimmungen für die Entziehung:

 

§ 29.

(1) Im Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung sind die Behörden und Verwaltungsgerichte verpflichtet, über Anträge von Parteien und Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber drei Monate nach deren Einlangen einen Bescheid zu erlassen oder zu entscheiden. Im Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung kann ein Rechtsmittelverzicht nicht wirksam abgegeben werden.

(2) Von der vollstreckbaren Entziehung der Lenkberechtigung hat die Behörde zu verständigen:

1. den Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges, mit dem das Delikt begangen wurde, wenn er nicht selbst der betroffene Lenker war, und

2. bei Berufslenkern den Dienstgeber, wenn dieser nicht Zulassungsbesitzer des Kraftfahrzeuges war.

(3) Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Entziehungsbescheides ist der über die entzogene Lenkberechtigung ausgestellte Führerschein, sofern er nicht bereits abgenommen wurde, unverzüglich der Behörde abzuliefern. Dies gilt auch für die Fälle des § 30, sofern sich der Lenker noch in Österreich aufhält.

(4) Wurde der Führerschein gemäß § 39 vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt, so ist die Entziehungsdauer ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen.

 

 

Vorläufige Abnahme des Führerscheines:

 

§ 39.

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, dass er insbesondere infolge Alkohol- oder Suchtmittelgenusses, Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein, den Mopedausweis oder gegebenenfalls beide Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Weiters haben die Organe die genannten Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr festgestellt wurde oder der Lenker eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 begangen hat, wenn der Lenker ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, in Betrieb genommen hat oder versucht hat, es in Betrieb zu nehmen, auch wenn anzunehmen ist, dass der Lenker in diesem Zustand kein Kraftfahrzeug mehr lenken oder in Betrieb nehmen wird. Außerdem haben diese Organe Personen, denen die Lenkberechtigung mit Bescheid vollstreckbar entzogen wurde oder über die ein mit Bescheid vollstreckbares Lenkverbot verhängt wurde und die der Ablieferungsverpflichtung der Dokumente nicht nachgekommen sind, den Führerschein, den Mopedausweis oder gegebenenfalls beide Dokumente abzunehmen. Ebenso können diese Organe bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abnehmen. Bei der vorläufigen Abnahme ist eine Bescheinigung auszustellen, in der die Gründe für die Abnahme und eine Belehrung über die zur Wiedererlangung des Führerscheines oder Mopedausweises erforderlichen Schritte enthalten sind.

(1a) Wurde der Führerschein vorläufig abgenommen, so ist diese Abnahme in das Führerscheinregister durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Organe der Straßenaufsicht einzutragen. Liegen die Voraussetzungen zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines vor (Abs. 1) und ist die Abnahme nicht möglich, weil der Führerschein nicht mitgeführt wird, so ist dieser Umstand ins Führerscheinregister einzutragen und darüber eine Bescheinigung gemäß Abs. 1 auszustellen. Durch die ausgefolgte Bescheinigung gilt der Führerschein auch in diesen Fällen als vorläufig abgenommen und es sind dieselben Rechtsfolgen daran geknüpft, wie im Falle einer physischen Abnahme.

(2) Der vorläufig abgenommene Führerschein oder Mopedausweis ist unverzüglich der Behörde vorzulegen, in deren örtlichem Wirkungsbereich er abgenommen wurde; wurde der Führerschein oder Mopedausweis jedoch wegen eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes vorläufig abgenommen, so ist er dem Besitzer wieder auszufolgen, wenn dieser die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper vor Ablauf von zwei Tagen, gerechnet vom Tage der vorläufigen Abnahme, wiedererlangt hat.

(3) Die im Abs. 2 angeführte Behörde hat den vorläufig abgenommenen Führerschein dem Besitzer auf Antrag binnen drei Tagen, gerechnet vom Tage der vorläufigen Abnahme, auszufolgen, sofern nicht ein Entziehungsverfahren eingeleitet wird.

(4) Wird kein Entziehungsverfahren eingeleitet oder der vorläufig abgenommene Führerschein nach Ablauf der dreitägigen Frist nicht ausgefolgt, ist er unverzüglich der Behörde zu übermitteln, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Führerscheinbesitzer seinen Wohnsitz hat.

(5) Das Lenken von Kraftfahrzeugen, für die der Besitz einer Lenkberechtigung vorgeschrieben ist, vor der Wiederausfolgung des vorläufig abgenommenen Führerscheines oder das Lenken von Motorfahrrädern, Invalidenkraftfahrzeugen oder vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen vor der Wiederausfolgung des vorläufig abgenommenen Mopedausweises ist unzulässig.

(6) Die in den in Abs. 1 bis 5 beschriebenen Amtshandlungen oder Verbote beziehen sich auch auf vorläufige Führerscheine oder Besitzer von vorläufigen Führerscheinen.

 

 

Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.

 

Im Verfahren über eine Säumnisbeschwerde vor dem Verwaltungsgericht ist die Säumnis der Behörde eine Prozessvoraussetzung. Erweist sich eine Säumnisbeschwerde mangels Ablauf der sechsmonatigen Frist des § 8 VwGVG (bzw. eine in einem Materiengesetz davon abweichend vorgesehenen Frist) als verfrüht, ist sie mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen (siehe dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.11.2018, Zl. Ra 2018/08/0225).

 

Aus dem Akteninhalt (und den eigenen Angaben des Bf) ergibt sich, dass dem Bf am 21.02.2023 der Führerschein gemäß § 39 Abs. 1 FSG 1997 (iVm Abs. 1a) abgenommen worden ist (der Bf hatte den Führerschein nicht mit, es erfolgte die Abnahme also nicht physisch, sondern wurde dieser Umstand ins Führerscheinregister eingetragen und darüber eine Bescheinigung gemäß § 39 Abs. 1 FSG ausgestellt). Mit Schriftsatz vom 06.03.2023 stellte der Beschwerdeführer beim Verkehrsamt einen Antrag auf Widerruf der Sperre der Lenkberechtigung (wäre dem Bf der Führerschein physisch abgenommen worden, dann hätte er einen Antrag auf Wiederausfolgung des ihm vorläufig abgenommenen Führerscheines gestellt). Im vorliegenden Fall trifft das Verwaltungsgericht Wien, weil keine Säumnis bei der belangten Behörde vorliegt, weder eine meritorische Entscheidung über den Antrag auf Widerruf der Sperre der Lenkberechtigung noch über die Entziehung der Lenkberechtigung oder den zugrundeliegenden Tatvorwurf. Es geht nur um die Rechtsfrage, ob das Verwaltungsgericht Wien bei seiner Beurteilung die jeweiligen gesetzlichen Entscheidungsfristen zutreffend angewendet hat. Die Beurteilung dieser Rechtsfrage erfordert auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK nicht zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Im vorliegenden Fall konnte daher die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

 

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.11.2005, 2005/11/0188 wurde ausdrücklich festgehalten, dass unter einem „Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung“ nur ein solches zu verstehen ist, welches von Amts wegen (vgl. § 24 Abs. 1 und § 26 FSG) eingeleitet wurde und in dem von der Behörde zu prüfen ist, ob eine Entziehung der Lenkberechtigung vorzunehmen ist. Folglich wurde im zitierten Erkenntnis die Entscheidungsfrist des § 29 Abs. 1 FSG sogar auf einen Antrag auf Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Entziehungsverfahrens, und zwar ungeachtet des inhaltlichen Zusammenhanges, für nicht anwendbar erachtet (vgl. in diesem Sinne auch das Erkenntnis des VwGH vom 28.06.2001, Zl. 2001/11/0079, zum Verfahren betreffend die Befristung der Lenkberechtigung).

 

Das Verwaltungsgericht weicht daher nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wenn es die Entscheidungsfrist ausschließlich in Bezug auf das Verfahren zur Entziehung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für maßgebend ansieht.

 

Aus diesen Überlegungen folgt, dass die Säumnisbeschwerde mangels Säumnis des Verkehrsamtes als unzulässig zurückzuweisen ist.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil sich keine über die Bedeutung des Einzelfalls hinausgehenden Rechtsfragen stellten.

 

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte