Spruch:
Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK - Anonymität von Zeugen und fair trial.
Keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK iVm. Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK (7:2 Stimmen).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Der Bf. wurde von der Polizei festgenommen, nachdem ihn mehrere Drogenabhängige auf einem Foto als Drogendealer identifiziert hatten. Der Untersuchungsrichter vernahm zwei anonyme Zeugen, der Anwalt des Bf. war nicht anwesend. In der Verhandlung vor dem Gericht erster Instanz waren die Zeugen R und N geladen, R aber nicht erschienen und N zog seine Aussagen zurück. Der Bf. wurde verurteilt. Das angerufene Rechtsmittelgericht wies den Fall an den Untersuchungsrichter zur neuerlichen Vernehmung der beiden anonymen Zeugen zurück. Eine Gegenüberstellung mit dem Bf. fand nicht statt, jedoch wurden sie diesmal auch von seinem Anwalt befragt. Eine zwangsweise Vorführung der Zeugen R und N scheiterte. Das erstinstanzliche Urteil wurde aufgehoben und der Bf. erneut verurteilt, wobei das Gericht seiner Entscheidung im wesentlichen die Aussagen der anonymen Zeugen vor dem Untersuchungsrichter zugrunde gelegt hatte. Ein dagegen erhobenes Rechtsmittel blieb erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. rügt eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 (1) iVm. (3) (d) EMRK durch die Ladung und Vernehmung der Zeugen sowie die Würdigung ihrer Aussagen während des gesamten Strafverfahrens.
Soweit es die Aussagen der beiden anonymen Zeugen betrifft ist festzuhalten, dass die nationalen Gerichte in ausreichender Weise eine Abwägung zwischen den Interessen des Bf. (Bekanntgabe ihrer Identität) und der Schutzwürdigkeit der Zeugen (befürchtete Repressalien durch den Bf.) vorgenommen haben. Die gerügte Würdigung der Zeugenaussagen von R und N sowie die Ablehnung eines von der Verteidigung beantragten Sachverständigen sind mit Art. 6 EMRK vereinbar. Keine Verletzung von Art. 6 (1) iVm. (3) (d) EMRK (7:2 Stimmen).
Anm: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 11.10.1994 keine Verletzung von Art. 6 (1) iVm. (3) (d) EMRK festgestellt (16:1 Stimmen).
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 26.3.1996, Bsw. 20524/92, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1996,82) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/96_3/Doorson.pdf
Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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