EGMR Bsw16112/15

EGMRBsw16112/1526.7.2018

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Fröhlich gg. Deutschland, Urteil vom 26.7.2018, Bsw. 16112/15.

 

Spruch:

Art. 8 EMRK - Kein Recht des mutmaßlichen biologischen Vaters auf Umgang und Auskunft.

Zulässigkeit der Beschwerde (einstimmig).

Keine Verletzung von Art. 8 EMRK (einstimmig).

 

Begründung:

Sachverhalt:

2004 begann der Bf. eine Beziehung mit einer verheirateten Frau, die weiterhin mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen sechs Kindern zusammenlebte. Im Oktober 2006 brachte sie ein Kind zur Welt, dessen Vater der Bf. zu sein behauptet. Kurz darauf endete die außereheliche Beziehung. Der Bf. bemühte sich um Kontakt zum Kind, scheiterte jedoch an der Abwehr der Mutter und ihres Ehemanns, der rechtlich als Vater gilt. Sie bestreiten, dass das Kind vom Bf. abstammt.

Ende 2010 beantragte der Bf. beim Familiengericht Obernburg die Gewährung von Umgang mit dem Kind. Das Gericht wies seinen Antrag mit der Begründung ab, seine Vaterschaft sei nicht festgestellt.

Eine dagegen erhobene Berufung des Bf. blieb erfolglos. Das OLG entschied am 13.12.2012 ebenfalls, den Antrag abzuweisen. Es stellte fest, dass sich der Bf. nicht auf § 1684 Abs. 1 BGB stützen könne, da er nicht der rechtliche Vater sei, und auch nicht auf § 1685 Abs. 2, weil er nie tatsächliche Verantwortung übernommen habe. Das OLG zog in Erwägung, § 1685 Abs. 2 BGB im Lichte der Judikatur des EGMR (Anayo/D; Schneider/D) auch auf leibliche Väter auszudehnen, die sich ernsthaft um eine Übernahme der Verantwortung bemüht hatten. Allerdings könne diese Frage offen bleiben, weil schon die Klärung der Vorfrage, ob der Bf. der biologische Vater des Kindes ist, dem Kindeswohl abträglich wäre. Denn sein stabiles familiäres Umfeld könne durch die Feststellung der Vaterschaft des Bf. und die Gewährung von Umgang zerstört werden. Der rechtliche Vater vertraue der Versicherung seiner Frau, das Kind gezeugt zu haben. Dieses Vertrauen würde durch die Feststellung der Vaterschaft des Bf. untergraben, wodurch die Familie zerbrechen könne. Auch wäre es dem Wohl des Kindes nicht dienlich, es mit den Zweifeln über seine Abstammung zu konfrontieren. Außerdem würde ein Umgang des Bf. mit dem Kind selbst unter der Annahme, er sei der biologische Vater, nicht im Kindeswohl liegen, weil die Gefahr bestünde, dass er dem Kind gegenüber seine Vaterschaft behaupten könnte. Das OLG stützte seine Begründung auf die Aussagen des rechtlichen Vaters, der Mutter, des Kindes selbst und des Bf. sowie auf die Stellungnahmen der für das Kind bestellten Verfahrenspflegerin. Auch das auf regelmäßige Information über die Entwicklung des Kindes gerichtete Begehren des Bf. wurde abgewiesen.

Das BVerfG lehnte die Behandlung der Beschwerde am 21.9.2014 ohne weitere Begründung ab.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptete eine Verletzung von Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Verweigerung von Kontaktrechten

(36) Der Bf. brachte vor, die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm den Umgang mit dem Kind zu verwehren, verletze ihn in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens [...]. [...]

(39) [...] Die Weigerung des OLG, dem Bf. Kontaktrechte einzuräumen, griff zumindest in das Recht des Bf. auf Achtung des Privatlebens ein. [...] Die Entscheidung des OLG hatte eine gesetzliche Grundlage und diente dem Schutz der Rechte und Freiheiten des Kindes.

(40) [...] Der GH erinnert daran, dass aus Art. 8 EMRK eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten abgeleitet werden kann zu prüfen, ob es im Kindeswohl liegt, einem biologischen Vater die Aufnahme einer Beziehung zu seinem Kind zu erlauben, insbesondere durch die Einräumung von Kontaktrechten. Dies kann in einem Umgangsverfahren die Feststellung der – von der rechtlichen abweichenden – biologischen Vaterschaft mit sich bringen, wenn unter den besonderen Umständen des Falls davon ausgegangen wird, dass Kontakt zwischen dem mutmaßlichen biologischen Vater – vorausgesetzt, er ist tatsächlich der biologische Vater des Kindes – und dem Kind dessen Wohl entspricht.

(42) Wie der GH zunächst feststellt, ging das OLG davon aus, dass der Bf. nach dem damals geltenden deutschen Zivilrecht kein Umgangsrecht geltend machen konnte, weil er weder der rechtliche Vater des Kindes war, noch tatsächliche Verantwortung übernommen hatte. Er bemerkt weiters, dass das OLG im Hinblick auf die Möglichkeit, im Lichte der Urteile des GH in den Fällen Anayo/D und Schneider/D ein Umgangsrecht auf die behauptete biologische Vaterschaft zu stützen, feststellte, dass es dem Kindeswohl widersprechen würde, gegen den Willen der rechtlichen Eltern die biologische Vaterschaft des Bf. zu klären. Es ließ diese Frage jedoch offen, weil der Umgang des Bf. mit dem Kind dessen Wohl wegen dem Konflikt zwischen den Eltern und dem Bf. und der Gefahr, die sich aus der Tatsache ergab, dass der Bf. nicht ausgeschlossen hatte, dem Kind zu erzählen, er wäre dessen biologischer Vater, auf jeden Fall gefährden würde. Das OLG brachte somit relevante und ausreichende Gründe vor, um seine Entscheidung zu rechtfertigen.

(43) Zum Prozess der Entscheidungsfindung bemerkt der GH erstens, dass der Bf. persönlich am Verfahren beteiligt war und von einem Anwalt beraten wurde. Zweitens befragte das OLG nicht nur den Bf., sondern auch das Kind und dessen rechtliche Eltern. Außerdem bezog sich das OLG in seiner Entscheidung, den Umgang zu verwehren, auf die gesamte Familiensituation und es stützte sich auf eine ausführliche Stellungnahme der Verfahrenspflegerin, bei der es sich um eine erfahrene Psychologin handelte. Es gibt somit keinen Hinweis darauf, dass die Richter des OLG ihre Feststellungen auf Standardargumente zugunsten der sozialen Familie gestützt hätten. Auch wenn es zutrifft, dass das OLG den Antrag des Bf. auf Vaterschaftsfeststellung ablehnte, trifft es außerdem auch zu, dass ein Gericht von der Anordnung eines Vaterschaftstests absehen kann, wenn die weiteren Voraussetzungen für den Umgang nicht erfüllt sind. Der GH ist daher davon überzeugt, dass die prozessuale Vorgangsweise des OLG in dieser Hinsicht angemessen war.

(44) Angesichts des Vorstehenden ist der GH davon überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidung, dem Bf. kein Umgangsrecht zu gewähren, ausreichend begründeten und dem Bf. den erforderlichen Schutz seiner Interessen boten.

(45) Die Rügen des Bf. sind daher offensichtlich unbegründet und müssen [als unzulässig] zurückgewiesen werden (einstimmig).

Zur behaupteten Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Verweigerung von Informationen über das Kind

(46) Der Bf. brachte vor, die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm kein Recht auf Auskunft über die persönlichen Umstände des Kindes einzuräumen, verletze sein [...] Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. [...]

Zulässigkeit

(48) Der GH stellt fest, dass dieser Beschwerdepunkt nicht offensichtlich unbegründet [...] ist. Er ist auch aus keinem anderen Grund unzulässig und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

In der Sache

(57) [...] Die Parteien sind sich darin einig, dass die umstrittene Entscheidung einen Eingriff in das Recht des Bf. auf Achtung des Privatlebens begründete. [...]

(59) Das OLG stützte seine Entscheidung, dem Bf. keinen Anspruch auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kinds einzuräumen, auf § 1686 BGB und ließ die Frage offen, ob eine Auslegung dieser Bestimmung im Lichte der Judikatur des GH zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Die Entscheidung zielte darauf ab, die Interessen des Kindes und der rechtlichen Eltern zu schützen [...] und diente damit einem legitimen Ziel iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK.

(60) [...] Der GH erinnert insbesondere daran, dass die nationalen Behörden von direktem Kontakt zu den betroffenen Personen profitieren und es nicht seine Aufgabe ist, sich selbst an die Stelle der nationalen Behörden bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben betreffend das Umgangsrecht oder Angelegenheiten hinsichtlich der Information über die persönliche Entwicklung des Kindes zu setzen. Seine Rolle besteht vielmehr darin, die von diesen Behörden in Ausübung ihres Ermessens getroffenen Entscheidungen im Lichte der Konvention zu überprüfen. Zudem verdienen die bestehenden familiären Bindungen zwischen einem Ehepaar und den Kindern, um die es sich tatsächlich kümmert, den Schutz der Konvention.

(61) [...] Zur Zeit der Entscheidung des OLG sah das deutsche Familienrecht keine Möglichkeit einer gerichtlichen Prüfung der Frage vor, ob eine Beziehung durch Umgang zwischen einem – mutmaßlichen – biologischen Vater und seinem Kind oder durch die Weitergabe von Information über das Kind in dessen Wohl liegen würde, wenn ein anderer Mann der rechtliche Vater war und der biologische Vater noch nicht tatsächliche Verantwortung getragen hatte.

(62) Allerdings stützte das OLG seine Verweigerung von Auskunftsrechten nicht auf das Fehlen einer Rechtsgrundlage [...], sondern auf seine Ansicht, schon die Klärung der Vaterschaft als Vorfrage würde für sich dem Wohl des Kindes widersprechen, das nichts von den Behauptungen des Bf. wusste. Es führte aus, dass die Feststellung der biologischen Vaterschaft des Bf. möglicherweise eine Zerstörung der Familie des Kindes nach sich ziehen würde, weil dadurch der Ehemann der Mutter sein Vertrauen in diese verlieren könnte.

(63) [...] Das OLG hielt die biologische Vaterschaft des Bf. für wahrscheinlicher als jene des Ehemanns der Mutter. Dieser mag nach den Feststellungen des OLG Zweifel an seiner biologischen Vaterschaft gehabt haben, aber er konnte mit dieser Unsicherheit leben und seine Haltung hatte keine negativen Auswirkungen auf das Kind. Das OLG war überzeugt von einer Gefahr des Auseinanderbrechens der Ehe im Fall der Feststellung der Vaterschaft des Bf. gegen den Willen des Ehepaars, was eine Gefährdung des Wohls des Kindes bedeutete, da dieses seine Familie und seine Beziehungen verlieren würde. Zu dieser Schlussfolgerung kam das OLG nach einer eingehenden Prüfung der Einbindung des Kindes in die Familie, wo es sich geschützt und sicher fühlte, der Rolle des Ehemanns der Mutter als Vater und unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten des Ehepaares und seiner früheren Krise, die mit dem Bf. zusammenhing.

(64) [...] Dem OLG war die Bedeutung bewusst, die der Frage der Vaterschaft für das Kind in Zukunft zukommen konnte, wenn es beginnen würde, Fragen über seine Herkunft zu stellen. Es sprach jedoch aus, dass es derzeit nicht dem Wohl des sechs Jahre alten Kindes entsprechen würde, wenn es mit der Angelegenheit der Vaterschaft konfrontiert würde.

(65) Was den Prozess der Entscheidungsfindung betrifft, verweist der GH auf seine obigen Ausführungen (siehe Rn. 43). [...]

(66) Der GH ist daher der Ansicht, dass die Entscheidung des OLG im Kindeswohl getroffen wurde und er ist überzeugt, dass es relevante und ausreichende Gründe vorgebracht hat, um [...] die Entscheidung zu rechtfertigen, die Eltern nicht dazu zu verpflichten, dem Bf. Auskunft über das Kind zu erteilen. Es trifft zu, dass sich das OLG in diesem Kontext nicht spezifisch mit dem Recht auf Auskunft befasst hat. Insbesondere maß es der Frage keine Bedeutung bei, ob die Verpflichtung, dem Bf. Informationen über das Kind zukommen zu lassen, irgendeine erhebliche Auswirkung auf das Recht des Ehepaars auf Achtung seines Familienlebens gehabt hätte. Allerdings kann der GH unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls die Argumentation des OLG akzeptieren, die auf den negativen Folgen beruhte, die eine für die Gewährung von Auskunftsrechten notwendige Vaterschaftsfeststellung für das Kind gehabt hätte.

(67) Angesichts dieser Überlegungen und eingedenk der subsidiären Rolle des GH und des Ermessensspielraums des Staates ist der GH überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidung, dem Bf. kein Auskunftsrecht zu gewähren, ausreichend begründet und die Interessen des Bf. angemessen geschützt haben.

(68) Folglich hat keine Verletzung von Art. 8 EMRK stattgefunden (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Anayo/D v. 21.12.2010 = NLMR 2011, 6 = EuGRZ 2011, 124

Schneider/D v. 15.9.2011 = NLMR 2011, 271 = EuGRZ 2011, 565

Ahrens/D und Kautzor/D v. 22.3.2012 = NLMR 2012, 88

I. S./D v. 5.6.2014 = NLMR 2014, 213

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 26.7.2018, Bsw. 16112/15, entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NLMR 2018, 352) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/18_4/Froehlich.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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