B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W280.2227196.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Wolfgang BONT über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX .1997, Staatsangehörigkeit Serbien, vertreten durch Rechtsanwälte Mag. Nikolaus RAST und Mag. Mirsad MUSLIU, Alser Straße 23/14, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 11.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein serbischer Staatsangehöriger, wurde am XXXX 2019 vom Landesgericht XXXX wegen Verbrechen gegen fremdes Vermögen für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, im Ausmaß von 12 Monaten verurteilt. Aufgrund dieser Verurteilung wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend als BFA oder belangte Behörde bezeichnet) ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den BF eingeleitet.
2. Das BFA erließ folglich den im Spruch genannten Bescheid mit welchem gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem BF eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den BF zudem ein auf die Dauer von 5 (fünf) Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde, mit welcher der Bescheid zur Gänze angefochten wurde.
4. Nach Vorlage derselben zusammen mit dem bezughabenden Verwaltungsakt an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) fanden am 03.05.2021 und am 09.06.2021 vor dem BVwG mündliche Verhandlungen statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein gewillkürter Vertreter teilnahm.
5. Mit dem am 9.06.2021 mündlich verkündeten und am 25. Juni schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des BVwG, GZ W280 2227196-1/25E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.
6. Der mit der gegen das oa. Erkenntnis erhobenen Revision gleichzeitig beantragten Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss des BVwG vom 10.08.2021, GZ W280 2227196-1/29E keine Folge gegeben.
7. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 5.10.2021 wurde der Antrag des BF auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen und die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
8. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30.03.2023, Ra 2021/21/0264, erkannte dieser die gegen die Entscheidung des BVwG erhobene ao. Revision als berechtigt an und hob das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX 1997 in XXXX in Serbien geboren. Er ist serbischer Staatsangehöriger und im Besitz eines gültigen Reisepasses seines Herkunftsstaates. Seine Identität steht fest.
Die Mutter des BF, geboren am XXXX 1971, ist serbische Staatsangehörige, der Vater des BF, geboren am XXXX 1969, ist – ebenso wie der am XXXX 2000 geborene Bruder des BF – im Besitze der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Im Juli 2008 zog der BF, zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder von Serbien nach Österreich, wo er sich bis wenige Wochen nach der Entscheidung des BVwG vom Juni 2021, sohin über einen Zeitraum von ca. 13 Jahren, aufhielt.
2. Nach Absolvierung von vier Jahren Volksschule in seinem Herkunftsstaat besuchte der BF in Österreich zwei Jahre eine Hauptschule und fünf Jahre das Gymnasium, welches er in der letzten Klasse ohne Abschluss abgebrochen hat. Auch der im Februar 2016 begonnenen Besuch einer Abendschule wurde vom BF wenig später, sohin im April 2016, abgebrochen und verfügte dieser bis Juni 2021 auch über keine Berufsausbildung.
Der BF hat neben seiner serbischen Muttersprache Kenntnis der deutschen und der englischen Sprache.
3. Festgestellt wird, dass der BF im Zeitraum vom XXXX .07.2008 bis XXXX .02.2017 an der Wohnadresse seiner Eltern amtlich gemeldet war. Im Zeitraum XXXX .02.2017 bis zu seiner Festnahme am XXXX .04.2018 verfügte der BF über keinen ordentlichen Wohnsitz. Der Grund für den auf den BF zurückgehenden und von diesem gewollten Auszug aus der elterlichen Wohnung in diesem Zeitraum gründete in der Kritik seiner Eltern, wonach dieser trotz seiner Volljährigkeit, keiner Erwerbstätigkeit nachging.
Im Zeitraum XXXX .04.2018 bis XXXX .07.2019 war der BF in der Justizanstalt XXXX gemeldet. Seit der BF aus der Haft entlassen wurde, sohin ab XXXX .07.2019, wohnte dieser wiederum bis zu seiner, aufgrund der im ersten Verfahrensgang ergangenen Entscheidung des BVwG bedingten, Ausreise aus Österreich im Juli 2021 bei seinen Eltern.
4. Das Verhältnis zu seinen Eltern hat sich seit der Verbüßung seiner Strafhaft normalisiert und wird dieses als gut empfunden. Er unterstützt - ebenso wie sein Bruder - seine Eltern im Haushalt und bei der Rückzahlung eines Wohnungskredites. Eine Abhängigkeit der Eltern von dieser finanziellen Unterstützungsleistung besteht nicht.
Es konnten keine Anhaltspunkte festgestellt werden, die eine, das übliche Verhältnis zwischen erwachsenen Kindern und deren Eltern übersteigende, Intensität belegen.
5. Auch hinsichtlich seines Verhältnisses zu seinem Bruder, der ebenfalls noch in der elterlichen Wohnung gemeldet ist, kann keine, das übliche Ausmaß der Beziehung von zwei Geschwistern, die gemeinsam im selben Haushalt aufgewachsen sind und verschiedene Interessen gemeinsam teilen, übersteigende Intensität festgestellt werden.
6. Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder und bestehen auch keine sonstigen Sorgepflichten.
7. Folgende Aufenthaltstitel wurden dem BF im Laufe seines Aufenthaltes im Bundesgebiet erteilt: am XXXX .06.2008 eine Niederlassungsbewilligung-beschränkt – gültig bis XXXX 03.2009; am XXXX .03.2011 eine Niederlassungsbewilligung-unbeschränkt – gültig bis XXXX 03.2012; am XXXX .03.2012 eine Rot-Weiß-Rot Karte plus – gültig bis XXXX .03.2015; am XXXX .03.2015 den Aufenthaltstitel Daueraufenthalt-EU – gültig bis XXXX .03.2020. Am XXXX .02.2020 beantragte der BF fristgerecht eine Verlängerung seiner, den Aufenthaltstitel dokumentierenden, Karte.
8. Für den Zeitraum der Vollendung seines 18. Lebensjahres bis zum XXXX .02.2020, sohin in einem Zeitraum von über 4 Jahren, scheinen in den Sozialversicherungdaten lediglich 14 Tage auf, für die der BF Arbeitslosengeld bezogen hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF sich in diesem Zeitraum wirtschaftlich selbst erhalten konnte. Ab XXXX .02.2020 übte der BF eine Erwerbstätigkeit aus, die er kurz vor seiner Ausreise nach Serbien, sohin am XXXX .07.2021 beendete.
9. Der BF und seine Familie haben nach wie vor Bindungen und Kontakte zu ihrem Herkunftsland. Der Vater des BF besitzt zusammen mit seinen Brüdern und dem Großvater des BF nach wie vor jenes, derzeit nicht bewohnbare, Haus in Serbien, in welchem der BF aufgewachsen ist. Darüber hinaus besitzt der Großvater des BF zusammen mit dessen Onkeln ein überwiegend leerstehendes Haus in der Stadt Tutin / Serbien, welches fallweise auch von der Familie des BF, wie auch von diesem selbst, im Urlaub oder auf der Fahrt in den Urlaub benutzt wird. Der Großvater mütterlicherseits sowie dessen zweite Ehefrau leben in der Ortschaft XXXX unweit der Stadt XXXX . Der BF hielt sich zumindest zuletzt 2019 nach seiner Haftentlassung bzw. unmittelbar vor seiner Verhaftung im Jahr 2017 in seinem Herkunftsstaat auf.
10. Die Freizeitaktivitäten des BF bestehen insbesondere aus sportlichen Aktivitäten, Fernsehen und dem Betrachten von YouTube Videos. Weitere Aktivitäten betreffend Spaziergänge mit seinem Bruder und Freunden.
Er ist kein Mitglied in einem Verein und hat sich noch nie ehrenamtlich engagiert. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
11. Festgestellt wird, dass der BF, der nach den Regeln des Islam erzogen wurde, sich im Alter von 13 Jahren begonnen hat sich näher mit dem Islam zu befassen und sich für Predigten des islamistischen deutschen Predigers XXXX und des ebenfalls als Vordenker der radikal islamistischen Szene in Österreich geltenden XXXX interessierte.
Der BF hielt sich im Zeitraum XXXX .02.2017 bis zu seiner Festnahme am XXXX .04.2018 überwiegend bei verschiedenen Freunden, die der radikalislamischen Szene zuzuordnen sind, sowie in verschiedenen Moscheen, bei denen es sich um Zentren der österreichischen dschihadistischen Szene gehandelt hat, auf.
12. Der BF wurde am XXXX .07.2019 vom Landesgericht XXXX gemäß §§ 146, 147 (1) Z 1, 147 (2), 148 2. Fall StGB § 15 StGB, sohin wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betruges, zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 12 Monaten, welche unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Die Tathandlungen erfolgten in einer Vielzahl von Angriffen im Zeitraum von XXXX .11.2017 bis XXXX 03.2018, wobei es ihm darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung von derartig schweren Betrügereien über einen mehrmonatigen Zeitraum ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen. Mildernd gewertet wurde der bisher ordentliche Lebenswandel, das umfassende Geständnis, das Alter unter 21 Jahren, die teilweise Schadensgutmachung sowie dass es teilweise beim Versuch geblieben ist. Erschwerend wurde hingegen die wiederholte Tatbegehung im Rahmen der Gewerbsmäßigkeit gewertet.
13. Vom Vorwurf der Mitgliedschaft zu einer terroristischen Vereinigung gem. § 278b Abs. 3 StGB wurde der BF freigesprochen.
14. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stellt keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
2. Beweiswürdigung
1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakte des BFA, und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.
Beweise wurden erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, in die Beschwerde vom XXXX .12.2019, in die vom BF vorgelegten Urkunden, in das Zentrale Melderegister, in das Informationsverbundsystem zentrales Fremdenregister, in das Strafregister, in das Sozialversicherungssystem und durch Einsichtnahme in den vom BVwG amtlicherseits angeforderten Strafakt des Landesgerichtes XXXX und den daraus zum Akt genommenen Kopien betreffend Haftentscheidungshilfe XXXX die Anklageschrift ( XXXX ), Beschluss des XXXX sowie die Beschlüsse über die Fortsetzung der U-Haft XXXX ) sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers sowie zeugenschaftlichen Befragung der Eltern und des Bruders des BF.
2. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), Staatsangehörigkeit und Familienstand des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde, auf den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung sowie auf der vom BF vorgelegten – im Akt enthaltenen – Kopie seines gültigen Reisepasses.
Die Staatsangehörigkeit der Eltern und des Bruders des BF gründen in deren Angaben gegenüber dem Gericht und den damit übereinstimmenden, im Melderegister angeführten Daten.
3. Die Feststellungen zur Einreise des BF in das Bundesgebiet sowie zu seinem Aufenthalt als auch Sprachkenntnissen gründen in dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung, die mit den Feststellungen des bekämpften Bescheides, denen der BF in der Beschwerde nicht entgegengetreten ist korrelieren.
Dass der Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ besaß, sowie die Feststellung, dass der BF die Verlängerung der entsprechenden, den Aufenthaltstitel dokumentierenden, Karte beantragte, ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Fremdenregister. Aus diesem sind ebenso die bereits abgelaufenen Aufenthaltstitel des BF ersichtlich.
4. Die Feststellung zur schulischen Bildung des Beschwerdeführers fußt auf seinen diesbezüglich glaubhaften Schilderungen gegenüber dem Gericht sowie auf den vom BF vorgelegten Schulzeugnissen (OZ XXXX ). Dass der BF abseits seiner Schulausbildung keine Berufsausbildung abgeschlossen hat, ergibt sich, ebenso wie dessen Sprachkenntnisse, ebenfalls aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben gegenüber dem Gericht.
5. Die Feststellungen hinsichtlich seiner Hauptwohnsitzmeldungen sowie zur Obdachlosenmeldung beruhen auf dem unbedenklichen Auszug aus dem Zentralen Melderegister. Der für den Auszug aus der elterlichen Wohnung maßgebliche Grund ergibt sich einerseits aus der diesbezüglichen Aussage der Mutter des BF und dem im angeforderten Strafakt enthaltenen Bericht über die Haftentscheidungshilfe.
6. Dass in der Beziehung zwischen BF und seinen Eltern zwischenzeitig wiederum eine Normalisierung eingetreten ist, ergibt sich aus den im Kern übereinstimmenden Angaben der in der Verhandlung einvernommenen Zeugen und der vom BF glaubhaft dargelegten persönlichen Einschätzung.
Die vom BF angeführte finanzielle Unterstützung seiner Eltern bei der Kreditrückzahlung wird durch eine gleichgerichtete Angabe seines Bruders, als auch seines Vaters in der Verhandlung bestätigt und ist glaubhaft.
Dass die Eltern hinsichtlich des vom BF monatlich unterstützend geleisteten finanziellen Beitrags im Ausmaß von EUR XXXX nicht abhängig sind und sohin ohne diesen Beitrag nicht in eine Notsituation geraten würden, ergibt sich für das erkennende Gericht daraus, dass diese den Kredit für die Wohnung im Jahre 2007 oder 2008 aufgenommen haben und diese sohin zumindest 12 Jahre (der BF geht erst seit Februar 2020, der Bruder erst seit ca. Anfang Juni 2021 einer Erwerbstätigkeit nach) neben der Tragung der Kosten für den familiären Lebensunterhalt den Kredit bedienen konnten. Darüber hinaus wurde weder vom BF noch von den Zeugen Gegenteiliges vorgebracht.
Die Feststellung zur Beziehungsintensität zwischen dem BF zu seinen Eltern gründet darin, dass im Laufe des Verfahrens keine Anhaltspunkte für eine gegenteilige Bewertung zu Tage getreten sind. Beide Elternteile sind berufstätig und verdienen ihren Lebensunterhalt selbständig. Der BF wuchs bis zu seinem 12 Lebensjahr, zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder getrennt von seinem Vater, der zu dieser Zeit bereits in Österreich lebte, in Serbien auf.
Aufgrund von Auffassungsunterschieden über die Lebensführung zog der BF mit 19 Jahren aus der elterlichen Wohnung aus und verbüßte sodann ab XXXX .04.2018 eine Haftstrafe. Im Anschluss daran zog der BF wiederum zu seinen Eltern und hat sich das Verhältnis zu diesen nach den entsprechenden Angaben in der mündlichen Verhandlung wiederum normalisiert.
7. Auch, wenn der BF und sein Bruder in ihrer Befragung bestrebt waren, ein besonders inniges Verhältnis zueinander in den Vordergrund zu stellen, so misst das erkennende Gericht den diesbezüglichen Aussagen der Eltern, die beide übereinstimmend das Vorliegen eines besonderen, das normale Verhältnis von Brüdern zueinander übersteigenden, Verhältnisses in Abrede stellten, mehr Glaubhaftigkeit bei. Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass die beiden Brüder gemeinsam aufgewachsen sind, in der elterlichen Wohnung ein gemeinsames Zimmer teilen und gemeinsame Interessen, insbesondere bei der Ausübung von sportlichen Aktivitäten haben, womit ein enger Kontakt verbunden ist. Aus den gemeinsamen Interessen bezüglich der Gestaltung der arbeitsfreien Zeit allein ist ein, die Bandbreite der Normalität übersteigendes, Verhältnis nicht erkennbar.
8. Die Feststellungen, dass der BF keine Kinder hat und ihn auch sonst keine Sorgepflichten treffen, sowie dieser ledig ist gründet in den entsprechenden Angaben des BF gegenüber dem Gericht und den diesbezüglichen Feststellungen im angefochtenen Bescheid.
9. Dass der BF in den festgestellten Zeiträumen über Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügte und zuletzt fristgerecht einen Verlängerungsantrag für die den Aufenthaltsstatus dokumentierende Karte stellte ergibt sich aus den im Zentralen Fremdenregister gespeicherten und unbedenklichen Daten.
10. Die Feststellung zu der vom Beschwerdeführer seit XXXX .02.2020 ausgeübten Beschäftigungen und deren Dauer gründet auf dem bei der Österreichischen Sozialversicherung eingeholten Versicherungsdatenauszug sowie auf den vom BF vorgelegten Gehalts- bzw. Lohnzettel. In Ermangelung des Vorliegens einer legalen Erwerbstätigkeit zwischen der Vollendung des 18. Lebensjahres und seiner Arbeitsaufnahme im letzten Jahr kann dem BF für diesen Zeitraum das Vorliegen einer wirtschaftlichen Selbsterhaltungsfähigkeit nicht attestiert werden. Dass der BF zuletzt bis kurz vor der Abschiebung nach Serbien wiederum einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, gründet gleichfalls in dem erwähnten Datenauszug.
11. Die Feststellungen zu den bestehenden Bindungen und Kontakten im Herkunftsstaat des BF in seinem Herkunftsstaat, gründen insbesondere auf den glaubhaften, weil konkret und mit der notwendigen Detailliertheit versehenen, Aussagen des Vaters des BF.
Während der BF und dessen Mutter bemüht waren, etwaige Berührungs- und Anknüpfungspunkte zum Herkunftsstaat möglichst gering bzw. als nichtexistierend darzustellen, bestätigte der Vater des BF, dass dessen Familie nach wie vor im Besitze jenes, wenngleich derzeit unbewohnbaren, Hauses ist in dem der BF aufwuchs, als auch in der Stadt XXXX ein Haus besitzt, das überwiegend leer steht und – auch vom BF und seiner Familie – gelegentlich für kurze Aufenthalte genutzt wird. Auf dessen Angaben gründen auch die Feststellungen zu den noch immer in der Umgebung von Tutin lebenden engeren Verwandten des BF.
Demgegenüber gab der BF zu in Serbien lebenden Verwandten an, dass lediglich entfernte Verwandte dort wohnen würden um auf Nachfrage Cousins dritten Grades zu nennen. Auch die Existenz jenes Hauses, in welchem der BF aufgewachsen ist, wurde von diesem verneint. Auch die Mutter des BF negierte - auf entsprechende Fragen nach Vorhandensein von Vermögen, wie beispielsweise einem Grundstück oder einem Haus, im Herkunftsstaat - solches und gab auch an, dass das Haus, in welchem diese bis zum Wegzug nach Österreich mit den Kindern gelebt hat, nicht „uns“ gehört hätte.
Die festgestellten Aufenthalte des BF in seinem Herkunftsstaat sowie die Existenz von nach wie vor dort wohnenden Freunden aus seiner dort verbrachten Kindheit und die damit verbundenen Anknüpfungspunkte abseits des Verwandtenkreises gründet in dessen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach der Kontakt zu diesen abgebrochen sei, er aber den einen oder anderen sehe, wenn er sich dort auf Urlaub befinde.
12. Die Feststellung zur rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers und zu den Strafzumessungsgründen entsprechen dem Amtswissen des BVwG durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich, das im Verfahrensakt einliegende Urteil des Landesgerichtes XXXX sowie in den amtswegig angeforderten Strafakt sowie die daraus angefertigten und zum Akt genommenen Kopien.
Die Feststellungen zum Interesse des BF hinsichtlich des Islam und den beiden, der radikal islamistischen Szene zuzurechnenden Predigern beruht auf den diesbezüglichen Feststellungen des zu XXXX ergangenen Strafurteiles des Landesgerichtes XXXX
Dass der BF in jenem Zeitraum, in welchem er als obdachlos gemeldet war, überwiegend Kontakt zu Freunden hatte, die der radikalislamistischen Szene zuzuordnen sind und Moscheen besuchte, die als Zentren der der österreichischen dschihadistischen Szene gelten, gründet ebenfalls in den Feststellungen des Strafgerichtes zu oa. Urteil, dem im Strafakt enthaltenen Bericht über die Haftentscheidungshilfe betreffend den BF vom 30.04.2018 sowie in dem im Strafakt enthaltenen und in den gegenständlichen Verfahrensakt eingebrachten Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .05.2018, XXXX , betreffend die Verlängerung der U-Haft des BF.
14. Die Feststellungen zum Freizeitverhalten des BF beruhen auf dessen - diesbezüglich glaubhaften – Angaben, die in ihrem Kern auch von den übrigen zeugenschaftlich einvernommenen Familienmitgliedern bestätigt wurden, jene betreffend die nichtvorhandene Mitgliedschaft zu einem Verein sowie das Fehlen eines ehrenamtlichen Engagements auf den Angaben des BF und den Feststellungen im angefochtenen Bescheid.
15. Dass der BF an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Krankheiten leidet ergibt sich aus seinen Angaben in der Verhandlung, die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit aus dem Umstand, dass dieser zuletzt seit Februar 2020 einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist.
16. Die der Verurteilung durch das Landesgericht XXXX zugrundeliegenden Straftaten und Begleitumstände beruhen auf dem im Verfahrensakt einliegenden Strafurteil.
17. Dass seitens des BF aktuell keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgeht gründet im Umstand, dass dieser einerseits vom Vorwurf einer terroristischen Vereinigung freigesprochen wurde und er ab der Haftentlassung bis zur Entscheidung des BVwG im ersten Verfahrensgang, was einem Zeitraum von ca. zwei Jahren entspricht, ein Wohlverhalten an den Tag gelegt hat.
3. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche – zulässige und rechtzeitige – Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen, Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides:
1. Die belangte Behörde hat ihre Rückkehrentscheidung auf die Bestimmung des § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG gestützt.
Demnach hat das Bundesamt gemäß § 52 Abs. 5 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügte, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 leg.cit. die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
2. § 9 Abs. 6 BFA-VG normiert des Weiteren, dass eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, nur mehr bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 FPG zulässig ist.
3. Ist mit einer Rückkehrentscheidung auch ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Fremden verbunden, so ist eine solche nur zur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8), und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9) (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre (§ 9 Abs. 3 BFA-VG).
5. Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 29.03.2019, Ra 2018/18/0539).
6. An die der Rückkehrentscheidung zugrunde gelegte Bestimmung des § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG ist sohin zu prüfen, ob sich aus seinem strafrechtlich relevanten Verhalten, eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ableiten lässt. Dafür ist es notwendig eine den Beschwerdeführer betreffende Gefährdungsprognose anzustellen. Fällt diese Prognoseentscheidung zulasten des Beschwerdeführers aus, ist die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme – vorbehaltlich der anderen Voraussetzungen – grundsätzlich zulässig.
7. Wie beweiswürdigend ausgeführt ist beim BF eine aktuelle Gefährdungsprognose zu verneinen weshalb die von leg. cit. geforderte Tatbestandsvoraussetzung nicht gegeben ist.
8. Wird eine Rückkehrentscheidung gegenstandslos, so erfasst dies nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch die damit in Zusammenhang stehenden Aussprüche. Dies gilt auch für das an die Rückkehrentscheidung anknüpfende Einreiseverbot, zumal es nach der insoweit umgesetzten Richtlinie 2008/115/EG , keine von der Rückkehrentscheidung losgelösten Einreiseverbote gibt (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151).
Dem folgend waren auch Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (Einreiseverbot) zu beheben. Da sich sohin der angefochtene Bescheid insgesamt als rechtswidrig erwiesen hat, war der Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 iVm. § 27 VwGVG zur Gänze zu beheben.
Zu B)
Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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