AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W272.2245787.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Iran, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.07.2021, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2022, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 4 leg cit. AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von drei Jahren erteilt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Spruchpunkte II. bis VI des angefochtenen Bescheides werden gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in Folge BF), ein iranischer Staatsangehöriger, reiste im April 2021 über Istanbul mit einem Visum legal nach Österreich und stellte am 19.04.2021 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am nächsten Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, dass er sich in Iran wegen Armut und Hunger der Bevölkerung an Demonstrationen beteiligt habe. Er sei im Zuge einer Demonstration gemeinsam mit weiteren Demonstranten verhaftet worden und unter körperlicher Misshandlung befragt worden. Er sei beschuldigt worden, die Leute in Iran dazu zu motivieren gegen das System in Iran zu demonstrieren. Daraufhin sei der BF drei Tage in Einzelhaft gewesen und in der anschließenden Gerichtsverhandlung sei er gezwungen worden einen Strafantrag zu akzeptieren. Seine Frau habe dann ihr gemeinsames Haus als Kaution hinterlegt. Ca. 6 Monate vor der Flucht habe der BF eine neue Ladung als Beschuldigter bekommen. Er habe sich einen Anwalt genommen und ihm drohe eine Strafe von 6 oder mehr Jahren. Der BF habe Angst ins Gefängnis zu kommen.
Der BF legte im Rahmen seiner Asylantragstellung seinen iranischen Führerschein vor, welcher von den Sicherheitsbehörden sichergestellt wurde.
2. Am 26.05.2021 übermittelte die Österreichische Botschaft Teheran die Kopie des Visumantrags des BF dem Bundesministerium für Inneres, welches es am 24.06.2021 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Folgend: Bundesamt oder belangte Behörde) weiterleitete.
3. Am 15.07.2021 wurde der BF von der nunmehr belangten Behörde, dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er in Teheran geboren sei und 9 Jahre die Grundschule besucht habe. Zuletzt habe er als Verkäufer in seinem Lebensmittelgeschäft gearbeitet sowie als Taxifahrer. Vom Militärdienst sei er befreit worden. In seinem Heimatland leben noch seine ganze Verwandtschaft (Mutter, fünf Brüder, Ehegattin und zwei Töchter). Sein Vater sei bereits verstorben. Mit seiner Frau und seinen Kindern habe er über WhatsApp täglich Kontakt. Er habe 2002 traditionell und standesamtlich in Teheran geheiratet. Befragt zu seinen fluchtauslösenden Gründen gab der BF zusammengefasst an, dass er in Folge einer Demonstration gegen die Anhebung der Kraftstoffpreise festgenommen worden sei und ihm vorgeworfen worden sei, dass er diese Proteste angezettelt und geleitet habe. Er sei ins Gefängnis gebracht worden und gegen eine Kaution freigelassen worden. Später habe er eine Vorladung von der Staatsanwaltschaft zwecks Anhörung und Verhör erhalten und über das elektronische Benachrichtigungssystem SANA ein Urteil zugestellt bekommen. Danach habe er einen Rechtsanwalt konsultiert, der ihm mitgeteilt habe, dass es sich um ein Abwesenheitsurteil handle und er könne nur eine um zwei Jahre geringere Strafe aushandeln. Er sei dann auch auf Anraten seines Anwaltes legal noch aus Iran ausgereist, bevor noch ein Endurteil gefällt worden sei.
Im Zuge der Einvernahme legte der BF ein iranisches Gerichtsurteil in Kopie, samt unbeglaubigter Übersetzung vor.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.07.2021 (zugestellt am 30.07.2021) wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran (Spruchpunkt II.) ab. Es erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erlies gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Iran zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Unter Spruchpunkt VI. gab es an, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.
Begründend führte das Bundesamt aus, dass es keine Gefährdung des BF bei einer Rückkehr in den Iran festgestellt habe. Der BF sei in Iran auch keinen Verfolgungshandlungen durch iranische Regierungsstellen ausgesetzt oder habe solche in Zukunft zu befürchten. Der BF sei gesund und arbeitsfähig. Er könne im Falle der Rückkehr in Teheran leben und dort seinen Lebensunterhalt bestreiten. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation geraten könne. Den Angaben zur Gefährdungslage des BF habe das Bundesamt keinen Glauben geschenkt, weil die Angaben dazu des BF in höchstem Maße vage, widersprüchlich und auch in keiner Weise plausibel seien. Der BF sei nicht aus eigenen Antrieb auf die näheren Umstände der von ihm angeblich besuchten Demonstration, seiner Rolle bei der genannten Demonstration oder gar auf die näheren Umstände seiner unmittelbaren Verhaftung eingegangen, sondern habe sich lediglich auf eine völlig vage und nicht nachvollziehbare Erklärung in Bezug auf die von ihm angeblich stattgefundenen Verhaftung und Anhaltung in Iran beschränkt. Der BF habe zwar den Begleitumständen vor der Demonstration, sowie den Zeitraum nach seiner Freilassung breiten Raum eingeräumt, jedoch seine vermutlich einzige und erstmalige Verhaftung in Iran völlig außer Acht gelassen, als wäre er selbst auch nie von einem solchen Vorfall betroffen gewesen. Widersprüchlich habe sich der BF auch zum Verfahrensstand in Iran geäußert. Für das Bundesamt seien die widersprüchlichen Behauptungen des BF, samt dazu vorgelegten „Beweismittel“ jedoch völlig unglaubhaft, zumal das vorgelegte „Urteil“ lediglich ein „Juristisches Schreiben des Generalsjustizamtes in der Provinz Teheran“ darstelle, wo als Datum der Erstellung der 23.09.2019 angeführt worden sei und eine Zustellung des genannten „Urteils“ am 07.11.2020, nahezu 14 Monate, selbst für iranische Verhältnisse, als sehr unwahrscheinlich erscheine. Darüber hinaus sei auffällig, dass das angeführte „Urteil“ bereits am 23.09.2019 erstellt worden sei, der vom BF behauptete Vorfall in Teheran, aber erst am 15.11.2019 eingetreten sei. Dem Vorbringen des BF werde nicht geglaubt. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass es sich bei dem vorgelegten Schriftstück lediglich um ein zum Zwecke der Asylerlangung hier in Österreich beschafftes Schreiben handle, welchem keine weitere Beweiskraft zuerkannt werde. Weiters gehe das Bundesamt davon aus, dass es niemals zu den vom BF behaupteten Vorfällen gegen seine Person in Iran gekommen sei, weil ihm weder sein iranischer Reisepass abgenommen, noch ein Ausreiseverbot erteilt worden sei, sondern ganz im Gegenteil der BF legal mit einem Visum ausgereist sei, was sicherlich nicht der Fall wäre, wenn der BF ein von einer langjährigen Haftstrafe in Iran bedrohter Straftäter gewesen wäre. Völlig widersprüchlich habe sich der BF auch zu seiner Festnahme geäußert, zum einen habe er in der Einvernahme nicht gewusst durch welche Behörde die Festnahme erfolgte, zum anderen sei er bei der Erstbefragung noch in der Lage gewesen, die ihn verfolgende Behörde in Iran klar anzusprechen. Auch habe der BF bei der Erstbefragung angegeben, dass er zu Fuß von der Polizei zu einem Haus gebracht worden sei, im krassen Widerspruch dazu habe der BF bei der Einvernahme erklärt, dass er per Minibus weggebracht worden sei. Auch hinsichtlich der Haft und Freilassung habe der BF widersprüchliche Angaben gemacht. Schließlich sei es nahezu ausgeschlossen, dass jemand, der von den iranischen Sicherheitsbehörden gesucht werde, mit eigenen Papieren über einen iranischen Flughafen ausreisen habe können, was ebenfalls den Länderfeststellungen zum Iran zweifelsfrei entnommen werden könne. Auch sei auf die aus touristischen Zwecken stattgefundenen Auslandsaufenthalt des BF in der Türkei zu verweisen, welche der BF im Zeitraum Juli 2019 bis Anfang 2020 absolviert haben soll, welche jedoch gerade in den Zeitraum gefallen sei, als der BF angeblich an einer Demonstration teilgenommen habe und von den iranischen Behörden verhaftet und misshandelt worden sei. Für die Behörde erscheine das Vorbringen über eine Verfolgung in Iran weder glaubhaft noch nachvollziehbar und sei auch mit der allgemeinen Lebenserfahrung nicht einmal ansatzweise zu vereinbaren. Bestärkt werde die Behörde in dieser Ansicht auch dadurch, dass der BF trotz des angeblichen Vorfalls am 15.11.2019 bis zu seiner Ausreise am 19.04.2021 offensichtlich völlig unbehelligt in Iran frei bewegen und leben habe können. Ebenso leben die Ehegattin und die Kinder des BF weiterhin in Iran unbehelligt.
5. Mit Schriftsatz vom 23.08.2021 (eingebracht am 23.08.2021) erhob der BF binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, wegen mangelhafter Beweiswürdigung und wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Diese begründete er zusammengefasst damit, dass in Folge einer Demonstration verhaftet worden sei und gegen den BF ein Abwesenheitsurteil ergangen worden sei. Aufgrund der Durchsetzbarkeit der Entscheidung habe der Anwalt dem BF geraten bereits vor der Urteilsfällung das Land zu verlassen. Am 07.11.2020 sei das erste Urteil in dem Verfahren ergangen, das mittlerweile rechtskräftig geworden sei. Außerdem sei der BF in Österreich vom Glauben abgefallen und wolle nun nichts mehr mit Religion zu tun haben, weil er von der religiösen Führung seines Landes enttäuscht sei und sich innerlich davon distanziert habe. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig, beinhalten zwar allgemeine Aussagen über den Iran, befassen sich jedoch kaum mit dem konkreten Fluchtvorbringen des BF. Beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit eines Fluchtvorbringens dürfen jedoch nicht nur auf das Vorbringen eines Asylwerbers beschränkt werden, sondern bedürfe es vielmehr auch einer Betrachtung der konkreten Lage im Herkunftsstaat, weil die Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich seien. Das Vorbringen des BF zu seiner Haft und seinem Gerichtsverfahren decke sich inhaltlich mit den herangezogenen Länderberichten der belangten Behörde des Bescheides. Auch das Vorbringen des BF zu seiner Anhaltung in einem ihm unbekannten Gebäude und der Ablauf seines Verhörs decken sich mit den Länderberichten im Bescheid. Auch vor dem Hintergrund eines Berichtes von Amnesty International decke sich die Behandlung der Demonstranten durch die Sicherheitskräfte der iranischen Regierung weitgehend mit den Schilderungen des BF, wonach Demonstranten willkürlich und gewaltsam festgenommen, unter unmenschlichen Bedingungen in Haft genommen werden sowie in unfairen Verfahren zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt werden. Auch die Vereinte Nation bestätige diese Vorgangsweise. Dass der BF ohne weiters aus dem Iran ausreisen habe können, stehe nicht im Widerspruch zu seiner Verurteilung als politischer Gegner, weil nach einem Bericht des Danish Immigration Service vom Juli 2020, sei es politischen Häftlinge nach einer Freilassung gegen Kaution, durchaus möglich auszureisen, sofern kein Ausreiseverbot bestehe. Die Länderberichte bestätigen das Vorbringen des BF, das er lebensnah und durch das gesamte Verfahren hindurch konsistent vorgebracht habe. Darüber hinaus habe die belangte Behörde den BF mit ihrer Beweiswürdigung überrascht, indem sie Widersprüche festgestellt bzw. konstruiert habe, welche sich sehr einfach hätten auflösen lassen, wenn sie den BF darüber befragt hätte, wozu sie aufgrund der Rechtsprechung verpflichtet gewesen wären. Dem BF wäre daher aus den genannten Gründen Asyl zu gewähren oder zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen und könne die dringliche Gebotenheit der Ausweisung des BF nicht begründet werden.
6. Mit Schriftsatz vom 24.08.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 16.12.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
7. Mit Eingabe vom 08.06.2022 übermittelte der BF in Vorbereitung auf die anberaumte mündliche Verhandlung die Eigentumsurkunde betreffend die Wohnung der Ehefrau des BF, die als Kaution für dessen Freilassung gegeben worden sei, vor und verwies auf das bisherige Vorbringen.
Mit Eingabe vom 14.06.2022 übermittelte der BF ein Gerichtsurteil vom Revolutionsgericht, Ladung von der Staatsanwaltschaft Teheran und Übersetzung sowie die Bescheinigung über den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.06.2022 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF sowie dessen Rechtsberater als gewillkürter Vertreter teilnahmen. Ergänzend brachte das Bundesverwaltungsgericht die aktuelle Länderinformation der Staatendokumentation – Iran aus dem COI-CMS (Country of Origin Information – Content Management System), vom 22.12.2021, Version 4 sowie die Covid-19-Risikogruppen-Verordnung (BGBl. II Nr. 203/2020) zum Parteiengehör. Im Zuge der Verhandlung wurden weitere Dokumente betreffend sein Fluchtvorbringen und seine Integration in Österreich vorgelegt (Urteil in iranische Sprache vom Revolutionsgericht, eine Ladung in iranische Sprache samt Übersetzung, Besitzurkunde bezüglich des Hauses sowie Stempel der Beschlagnahme samt Übersetzung, Empfehlungsschreiben vom XXXX , Bestätigung der Teilnahme am Lernportal VHS, Empfehlungsschreiben von Frau XXXX und Bestätigung einer Tätigkeit bei der Stadtgemeinde XXXX ).
Der erkennende Richter beauftragte den BF die Gerichtsurteile aus dem System SANA bzw. ein Screenshot auch von dem Computerbildschirm sowie den Kaufvertrag der Wohnung seiner Frau vorzulegen.
9. Mit Eingabe vom 05.07.2022 brachte der BF stellungnehmend vor, dass der BF in Iran einer Vertrauensperson, am besten einem Anwalt, eine Vollmacht erteilen müsse, damit dieser im Namen des BF ins Sana System einsteigen kann, um Zugang zu den behördlichen Dokumenten, die an den BF zugestellt waren, zu erhalten. Um jemanden aus dem Ausland eine Vollmacht zu erteilen, müsse diese Person in die iranische Botschaft gehen, dies sei aber dem BF nicht zumutbar.
8. Mit Schreiben vom 26.07.2022 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Iran vom 21.07.2022 und forderte zur Abgabe einer Stellungnahme sowie zur Vorlage der Originalunterlagen bzw. hochwertige Kopien, sowie des endgültigen Kaufvertrages auf.
9. Seitens der belangten Behörde erfolgte keine Stellungnahme.
10. Mit Stellungnahme vom 17.08.2022 zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 21.07.2022 brachte der BF vor unter anderem vor, dass es sich bei dem vorgelegten Kaufvertrag um den „endgültigen Kaufvertrag“ iSd Anfragebeantwortung handle. Die Endgültigkeit ergebe sich aus der ebenso bereits vorgelegten Besitzurkunde. Die Qualität der der Vertrauensperson der Österreichischen Botschaft übermittelten Urkunden sei in der gegenständlichen Anfragebeantwortung moniert worden, weshalb die Kopien des Kaufvertrags in zweifacher Ausführung bzw. der Besitzurkunde postalisch an das Bundesverwaltungsgericht versandt worden seien. Die Qualität der Kopien sei ausgezeichnet und sehr gut leserlich. Es ergeben sich somit keinerlei Hinweise an der Echtheit der vorgelegten Urkunden zu zweifeln. Auch die weiteren Angaben in der Anfragebeantwortung zur Frage der Beschlagnahme von Immobilien decken sich mit dem Fluchtvorbringen des BF. Dass eine Freilassung auf Kaution bei Anklage wegen sogenannten „Sicherheitsdelikte“ sehr selten vorkommen stehe den Angaben des BF nicht entgegen. Zum Gerichtsurteil lasse sich der Form nach kein Urteil über echt/gefälscht bilden und somit lasse darauf schließen, dass der Form nach keinerlei Zweifel am vorgelegten Dokument vorliegen. Dass der kurze Text der Verurteilung „auffällig“ sei, sei nur eine vage Annahme und nicht geeignet, um Zweifel an der Echtheit des Gerichtsurteils zu begründen. Dass die vorgelegte Ladung des BF online ähnlich vorzufinden sei, was für eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Dokumentenfälschung spreche, sei zu entgegnen, dass die formelle Ähnlichkeit von Ladungen zum einen in der Natur der Sache liege und zum anderen würde die Annahme, die bloße Auffindbarkeit von Ladungen des entsprechenden Untersuchungsrichters online würde eine Dokumentenfälschung nahelegen, zur Folge haben, dass alle Ladungen ebendieses Richters oder aller iranischer Richter überhaupt als potentielle Fälschungen angesehen werden müssen. Im Resultat wäre die Erbringung eines Beweises für den BF in diesem Zusammenhang unmöglich. In Zusammenschau mit den weiteren Vorlagen im gegenständlichen Verfahren ergebe sich kein Zweifel an der Echtheit der Ladung. Zusammenfassend unterstreiche die vorliegende Anfragebeantwortung das bisherige Vorbringen des BF. Konkrete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des BF, die über unsubstantiierte Spekulationen hinausgehen, seien der Anfragebeantwortung nicht zu entnehmen.
11. Mit Eingabe vom 26.09.2022 legte der BF ein Empfehlungsschreiben sowie den Bescheid vom AMS über die Erteilung der Arbeitserlaubnis vor.
12. Mit Eingabe vom 29.09.2022 legte der BF ein Video und zweite Seite der Urkunde, auf Anforderung des Gerichtes vor. Eine gewährtes Parteiengehör an das BFA, zugestellt am 05.10.2022 verstrich ohne Stellungnahme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Unterlagen, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Betreuungsinformationssystem und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person des BF:
Der BF ist ein volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Er heiß Hossein XXXX und ist am XXXX geboren. Seine Identität steht fest.
Er gehört der Volksgruppe der Perser an und ist gebürtiger Muslim. Seine Erstsprache ist Farsi. Der BF ist verheiratet und hat zwei Töchter im Alter von 17 und 7 Jahren.
Der BF ist in Iran in der Hauptstadt Teheran geboren, wo er im elterlichen Haushalt aufwuchs, bis zur 8. Klasse die Grundschule besuchte und bis zu seiner Ausreise im Jahr 2021 in verschiedenen Bezirken, zuletzt gemeinsam mit seiner Ehefrau, Kindern und Schwiegereltern in einem Haus, lebte. Der BF hat keinen Militärdienst geleistet. Der BF finanzierte den Familienlebensunterhalt als Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft des Schwiegervaters und zuletzt auch als Taxifahrer.
In Iran in Teheran leben weiterhin die Ehefrau des BF mit den gemeinsamen Töchtern sowie die Schwiegereltern des BF. Außerdem wohnen vier Brüder des BF sowie seine Mutter in der alten Familienwohnung in Teheran, ein weiterer Bruder ist in der Stadt XXXX aufhältig. Der Vater des BF und eine Schwester sind bereits verstorben. Seinen Familienmitgliedern geht es gut und der BF hat regelmäßig über WhatsApp mit seiner Familie, insbesondere mit seiner Ehefrau und Kindern bis zu täglich Kontakt.
Der BF reiste legal mit einem Visum und einem Flugzeug von Iran aus und weiter über Istanbul nach Österreich, wo er am 19.04.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Visum wurde gegen Bezahlung und anhand von gefälschten Unterlagen in Iran ausgestellt.
Das Bundesamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 26.07.2021 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran ab. Unter einem erteilte es keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des BF in den Iran zulässig ist. Dagegen erhob der BF rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.
Der BF ist hohen Blutdruck und eine fette Leber gesund und leidet an keiner schweren (lebensbedrohenden) psychischen oder physischen Erkrankung. Er nimmt aktuell keine Medikamente ein, noch ist er in medizinischer Behandlung. Der BF gehört auch keiner Covid-19 Risikogruppe an. Es besteht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr, dass der BF aufgrund der Corona-Pandemie in Iran eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden wird. Er ist zweifach gegen Corona geimpft.
Der BF wohnt im Bundesgebiet in einem Quartier der Grundversorgung in XXXX und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch Leistungen aus der Grundversorgung. Mit Bescheidausfertigung vom 22.09.2022 wurde dem BF eine Beschäftigungsbewilligung für die berufliche Tätigkeit als Abteilungskoch, für die Zeit vom 22.09.2022 bis 21.09.2023, für eine Ganztagsbeschäftigung im Ausmaß von 40 Stunden pro Woche und mit einem monatlichen Entgelt von € 1768,- Brutto erteilt. Außerdem verfügt der BF auch über eine unverbindliche Einstellungszusage als Helfer im XXXX und absolvierte als Koch ein ehrenamtliches Schnupperpraktikum im XXXX . Der BF ist arbeitsfähig und bemüht einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen und war auch im Ausmaß von 9 Stunden am städtischen Bauhof von XXXX in der Grünpflege am Friedhof tätig.
Der BF hat kaum Deutschkenntnisse und absolvierte seit dem 08.04.22 im A1-Deutschkurs des Online-VHS-Lernportals drei von zwölf Lektionen. Er lernte etwas Deutsch in einem von freiwilligen geleiteten Deutschunterricht.
Der BF verfügt über keine familiären oder sonstigen familienähnlichen sozialen Bindungen in Österreich. Der BF lebt hier in keiner Lebensgemeinschaft. Die sozialen Kontakte beschränken sich auf Freunde und Bekannte namens XXXX , aus der Nachbarschaft, die er zum Kaffeetrinken trifft oder auch beim Einkaufen hilft.
Der BF ist mit den iranischen Gepflogenheiten und Kultur vertraut. Er praktiziert im Bundesgebiet seinen muslimischen Glauben nicht mehr. Der BF ist aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten.
Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen:
Der BF beteiligte sich im November 2019 in Iran an einer Demonstration gegen die hohen Kraftstoffpreise in seiner Arbeitsumgebung. Er wurde in der Folge gemeinsam mit weiteren Demonstranten von den iranischen Behörden mit Gewalt angehalten und unter körperlicher Misshandlung befragt, zu einem Geständnis gezwungen sowie für mehrere Tage auch im Evin-Gefängnis in Teheran festgehalten. Er kam auf Kaution und Beschlagnahmung einer Immobilie seiner Ehefrau frei. Der BF wurde ohne einem fairen Verfahren durch ein Abwesenheitsurteil durch das Revolutionsgericht zu mehreren Jahren Haft und Peitschenhieben verurteilt.
Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Iran strafgerichtliche Verfolgung durch staatliche Akteure sowie eine mehrjährige Haftstrafe mit Folter oder anderen Misshandlungen droht, weil ihm in Folge der Teilnahme an einer Demonstration eine regimekritische Einstellung und Propagandaaktivitäten unterstellt und strafgerichtlich verfolgt wurde.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationen der Staatendokumentation zu Iran aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System) vom 22.12.2021, Version 4, ergibt sich wie folgt: Die Version zum Zeitpunkt der Entscheidung vom 23.05.2022 (Version 5) brachte keine wesentliche Änderung, und ist eingefügt sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran Dokumentenüberprüfung; Hausbeschlagnahme vom 21.07.2022:
Politische Lage:
Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 14.9.2021b; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der ’velayat-e faqih’, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage ist, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten wird. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel ’Revolutionsführer’ (GIZ 12.2020a; vgl. BS 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer, Oberster Rechtsgelehrter, religiöser Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AA 14.9.2021b). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt (AA 14.9.2021a; vgl. FH 28.2.2022), ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und die höchste Autorität des Landes (FH 28.2.2022). Er steht somit höher als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran bzw. IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022, US DOS 12.4.2022). Doch obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 28.1.2022).
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: An der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (ÖB Teheran 11.2021). Am 18.6.2021 fanden in Iran Präsidentschaftswahlen statt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 14.9.2021a). Gewonnen hat die Wahl der konservative Hardliner und vormalige Justizchef Ibrahim Raisi mit mehr als 62% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50% und war somit niedriger als jemals zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. In der Hauptstadt Teheran lag die Wahlbeteiligung bei nur 26%. Zudem wurden mehr als 3,7 Millionen Stimmzettel für ungültig erklärt (Standard.at 19.6.2021; vgl. DW 19.6.2021). Wie bei jeder Wahl hat der Wächterrat die Kandidaten im Vorhinein ausgesiebt (Tagesschau.de 18.6.2021; vgl. AA 28.1.2022). Raisi wurde mehr oder weniger von Revolutionsführer Khamenei ins Amt gehievt (ZO 23.6.2021). Raisi ist seit 5.8.2021 Staatspräsident. Am 25.8.2021 hat das Parlament seinen Vorschlag für das Kabinett gebilligt, und damit hat die neue Regierung ihr Amt angetreten (AA 14.9.2021a.). In Folge der Präsidentschaftswahlen vom Juni 2021 befindet sich die gesamte Befehlskette in konservativer bzw. erzkonservativer Hand (Oberster Führer, Präsident/Regierungschef, Leiter der religiösen Judikative, Regierung, Parlament, Wächterrat, Expertenrat) (ÖB Teheran 11.2021).
Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Amtsträger im Staat (FH 28.2.2022). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive, zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt (GIZ 12.2020a), da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 12.2020a; vgl. OD 19.1.2022).
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 11.2021). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren (GIZ 12.2020a). Bei den Parlamentswahlen vom 21.2.2020 haben (ultra-)konservative Kandidaten knapp 80% der Sitze im Parlament gewonnen (AA 28.1.2022). Vor der Abstimmung disqualifizierte der Wächterrat mehr als 9.000 der 16.000 Personen, die sich für eine Kandidatur angemeldet hatten, darunter eine große Anzahl reformistischer und gemäßigter Kandidaten (FH 28.2.2022). Die Wahlbeteiligung lag bei 42,6%, was als die niedrigste Wahlbeteiligung in die Geschichte der Islamischen Republik einging (FH 28.2.2022; vgl. AA 28.1.2022) mit einem Rekord an ungültigen Stimmen. Es herrscht breite Politikverdrossenheit aufgrund nicht eingelöster Versprechen der vorigen Regierung Rohani zu wirtschaftlichen Reformen, Westöffnung und Korruptionsbekämpfung (ÖB Teheran 11.2021).
Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern, davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte (klerikale) Juristen, die vom Parlament bestätigt werden müssen. Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt unter anderem auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. GIZ 12.2020a, FH 28.2.2022, BS 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 12.2020a). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der ’Gesamtinteressen des Systems’ zu achten (AA 14.9.2021a; vgl. GIZ 12.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden.
Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 12.2020a).
Präsident, Parlament und Expertenrat werden also in geheimen und direkten Wahlen vom Volk gewählt. Den OECD-Standards entspricht das Wahlsystem jedoch schon aus dem Grund nicht, dass sämtliche Kandidaten im Vorfeld durch den von Revolutionsführer und Justizchef ernannten Wächterrat zugelassen werden müssen (AA 28.1.2022; vgl. FH 28.2.2022).
Das Regime reagierte auch unter der moderaten Regierung von Ex-Präsident Rohani in den letzten Jahren auf die wirtschaftliche Krise und immer wieder hochkommenden Unmut und Demonstrationen mit hartem Vorgehen gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivisten, religiöse und ethnische Minderheiten und Umweltaktivisten. Die Regierung Raisi ist noch dabei, ihre Machtstruktur auf allen Ebenen zu festigen. Sie hat jedoch bereits stärkere Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Sinne der ’islamischen Gesellschaftsordnung’ (Rolle der Frauen fokussiert auf Gebärfunktion), der Ablehnung ’westlicher’ Kultur, der Unterdrückung von Kritik (Internetzensur) und eine stärkere Ausrichtung auf Russland und China und deren politische Modelle angekündigt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 4.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021a): Politisches Portrait - Iran, https://www.auswae rtiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/politisches-portrait/202450, Zugriff 4.3.2022
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.9.2021b): Steckbrief - Iran, https://www.auswaertiges-a mt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/steckbrief/202394, Zugriff 4.3.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 4.3.2022
DW – Deutsche Welle (19.6.2021): Raeissi wird neuer Präsident im Iran, https://www.dw.com/de/ raeissi-wird-neuer-pr%C3%A4sident-im-iran/a-57961660, Zugriff 4.3.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068632.html, Zugriff 4.3.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/ , Zugriff 4.3.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 4.3.2022
OD – Open Doors (19.1.2022): Weltverfolgungsindex 2022 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2020 – 30. September 2021), https://www.opendoors.de/sites/default/files/copyright_ope n_doors_2022_wvi_bericht_signiert.pdf , Zugriff 4.3.2022
Standard.at (19.6.2021): Hardliner Raisi gewann Präsidentenwahl im Iran, https://www.derstandar d.at/story/2000127545908/kleriker-raisi-fuehrt-laut-medienberichten-bei-praesidentenwahl-im-iran, Zugriff 4.3.2022
Tagesschau.de (18.6.2021): Keine Macht dem Volk? https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-wahlen-kandidaten-stimmung-101.html , Zugriff 4.3.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 4.3.2022
ZO – Zeit Online (23.6.2021): Wofür steht Ebrahim Raissi? https://www.zeit.de/2021/26/iran-praes identenwahl-ebrahim-raissi-ali-chamenei, Zugriff 4.3.2022
Sicherheitslage:
Iran verfügt über eine stabile politische Ordnung und Infrastruktur. Es bestehen jedoch gewisse Spannungen, die periodisch zunehmen. Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage in Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latente Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten sowie mit Straßenblockaden gerechnet werden. Zum Beispiel haben im Juli 2021 Proteste gegen die Wasserknappheit in der Provinz Khuzestan und im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 19.5.2022).
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 19.5.2022). In Iran kommt es, vor allem in Regionen mit einem hohen Anteil an Minderheiten in der Bevölkerung, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zum Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 19.5.2022b).
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrt Sicherheits- und Personenkontrollen (AA 19.5.2022b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie verüben immer wieder Anschläge und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 19.5.2022).
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, Personal der Justiz und Angehörige des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen sowie Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 19.5.2022b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte im Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet.
Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen, kriminellen Banden und den Sicherheitskräften (EDA 19.5.2022). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 11.2021). Gelegentlich kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Auch für unbeteiligte Personen besteht das Risiko, unversehens in einen Schusswechsel zu geraten (EDA 19.5.2022).
Obwohl die iranische Führung den Taliban in Afghanistan misstrauisch gegenübersteht, begrüßte sie im August 2021 nicht nur das Ende des Bürgerkriegs in Afghanistan, sondern auch den Abzug der US-geführten Koalition aus dem Land, insbesondere von den Ostgrenzen Irans. Iranische Beamte haben Taliban-Vertretern im April 2022 erlaubt, in die afghanische Botschaft in Teheran zurückzukehren. Dennoch sind die Taliban-Mitarbeiter nur befugt, konsularische Aufgaben wahrzunehmen, da Iran, wie alle anderen Regierungen auch, die Taliban nicht offiziell als Regierungsbehörde Afghanistans anerkannt hat. Das Misstrauen Irans gegenüber den Taliban besteht weiterhin, was zum Teil durch mehrere Bombenanschläge auf afghanische schiitische Moscheen, die von den Sicherheitskräften der Taliban nicht verhindert werden konnten, sowie durch angebliche Misshandlungen von Schiiten durch die Taliban genährt wurde. Ende April 2022 kam es im Bezirk Islam Qala westlich von Herat zu Zusammenstößen zwischen iranischen Grenzschützern und afghanischen Streitkräften, weil die Afghanen in der Nähe der Grenze Straßen gebaut hatten. Die afghanischen Behörden reagierten darauf mit der Beschlagnahmung eines iranischen Militärfahrzeugs, woraufhin Iran zusätzliche reguläre Boden- und Hubschrauber-Militäreinheiten (keine Kräfte der Islamischen Revolutionsgarden) an die Grenze entsandte. Iran schloss den Grenzübergang vorübergehend und spielte die militärische Aufstockung als Teil der routinemäßigen Grenzsicherheitsmaßnahmen herunter. Beamte des iranischen Außenministeriums kritisierten gleichzeitig die Afghanen wegen ’möglicher mangelnder Fähigkeiten’ und der Unfähigkeit, die Grenzpunkte zwischen den beiden Ländern zu unterscheiden. Beide Seiten versuchten daraufhin, die Spannungen zu entschärfen, indem sie ankündigten, dass der amtierende Taliban-Minister für Flüchtlinge und Rückführungen Anfang Mai eine Delegation nach Iran führt, um die Grenzzusammenstöße und die angebliche iranische Misshandlung afghanischer Flüchtlinge zu besprechen (SC 4.5.2022)
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396 , Zugriff 19.5.2022
EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (19.5.2022, unverändert gültig seit 7.4.2022): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html , Zugriff 19.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 19.5.2022
SC – Soufan Center (4.5.2022): IntelBrief: Border Clashes Mar the Taliban’s Regional Relationships, https://thesoufancenter.org/intelbrief-2022-may-4/ , Zugriff 19.5.2022
Allgemeine Menschenrechtslage
Die iranische Verfassung (IRV) vom 15. November 1979 enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Der Generalvorbehalt des Einklangs mit islamischen Prinzipien des Art. 4 IRV lässt jedoch erhebliche Einschränkungen zu. Der im Jahr 2001 geschaffene ’Hohe Rat für Menschenrechte’ untersteht unmittelbar der Justiz. Das Gremium erfüllt allerdings nicht die Voraussetzungen der 1993 von der UN-Generalversammlung verabschiedeten ’Pariser Prinzipien’ (AA 28.1.2022).
Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen ratifiziert:
- Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (CESCR)
- Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) (ICCPR)
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD)
- Übereinkommen über die Rechte des Kindes (unter Vorbehalt des Einklangs mit islamischem Recht) (CRC)
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie (CRC-OP-SC)
- Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD)
- Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes
- UNESCO Konvention gegen Diskriminierung im Unterrichtswesen
- UN-Apartheid-Konvention
- Internationales Übereinkommen gegen Apartheid im Sport (AA 28.1.2022) Iran hat folgende UN-Menschenrechtsabkommen nicht ratifiziert:
- Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT)
- Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention (OP-CAT)
- Zweites Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe (OP2-ICCPR)
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
- Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen (CED)
- Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (CRC-OP-AC) (unterzeichnet aber nicht ratifiziert) (AA 28.1.2022).
Iran zählt zu den Ländern mit einer anhaltend beunruhigenden Menschenrechtslage, insbesondere der politischen und bürgerlichen Rechte, wobei sich der Spielraum für zivilgesellschaftliches Engagement im Menschenrechtsbereich in den letzten Jahren erheblich verengt hat (ÖB Teheran 11.2021). Der iranische Staat verstößt regelmäßig gegen die Menschenrechte nach westlicher Definition, jedoch auch immer wieder gegen die islamisch definierten (GIZ 12.2020a). Die tiefe wirtschaftliche und politisch Krise Irans hat Auswirkungen auf die Einhaltung der Menschenrechte (BAMF 5.2021). Zu den wichtigsten Menschenrechtsfragen gehören: rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch die Regierung und ihre Vertreter, vor allem Hinrichtungen für Verbrechen, die nicht dem internationalen Rechtsstandard für ’schwerste Verbrechen’ entsprechen, oder für Verbrechen, die von jugendlichen Straftätern begangen wurden, sowie Hinrichtungen nach Gerichtsverfahren ohne ordnungsgemäßen Prozess; Verschwindenlassen und Folter durch Regierungsbeamte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; systematische Inhaftierungen, einschließlich politischer Gefangener (US DOS 12.4.2022; vgl. AI 29.3.2022, HRW 13.1.2022). Weiters gibt es unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere der Revolutionsgerichte; Bestrafung von Familienmitgliedern, Beschränkungen der freien Meinungsäußerung, der Presse und des Internets - einschließlich Gewalt, Androhung von Gewalt sowie ungerechtfertigte Festnahmen und Strafverfolgung gegen Journalisten, Zensur, Blockieren von Webseiten und strafrechtliche
Verfolgung sogar von Verleumdung und übler Nachrede; erhebliche Eingriffe in das Recht auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit; Einschränkungen der Religionsfreiheit; Beschränkungen der politischen Beteiligung durch willkürliche Kandidatenprüfung; weit verbreitete Korruption auf allen Regierungsebenen; rechtswidrige Rekrutierung von Kindersoldaten durch Regierungsakteure zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien; Menschenhandel; Gewalt gegen ethnische Minderheiten; strenge staatliche Beschränkungen der Rechte von Frauen und Minderheiten; Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten sowie Verbrechen, die Gewalt oder Gewaltdrohungen gegen Angehörige sexueller Minderheiten beinhalten; und schließlich das Verbot unabhängiger Gewerkschaften (US DOS 12.4.2022; vgl. FH 28.2.2022, HRW 13.1.2022). Die Regierung unternimmt kaum Schritte, um verantwortliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Straffreiheit ist auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte weit verbreitet (US DOS 12.4.2022).
Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder die islamischen Grundsätze infrage stellen. Dies ist besonders ausgeprägt bei Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weit gefasste Straftatbestände (vgl. Art. 279 bis 288 iStGB) sowie Staatsschutzdelikte (insbesondere Art. 1 bis 18 des 5. Buches des iStGB). Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, laufen Gefahr, der Spionage beschuldigt zu werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niedrigschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv (AA 28.1.2022). Das Regime geht in den letzten Jahren immer wieder hart gegen Menschenrechtsverteidiger, Frauenrechtsaktivistinnen und gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor (ÖB Teheran 11.2021). Auch Umweltaktivisten müssen mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen (BS 2020; vgl. ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (5.2021): Länderreport 35: Iran: Aktuelle Lage vor den Präsidentschaftswahlen: Die hybride Staatsordnung, Strafrecht, Menschenrechtslage und Ausblick, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2021/laenderreport-35-Iran.pdf ? blob=publicationFile&v=2#%5B%7B%22num%22%3A17%2C%22gen%22%3A0%7D%2C%7B%22name%22%3A%22FitH%22%7D%2C766%5D, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report — Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 27.4.2022
GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020a): Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/#c4398 , Zugriff 27.4.2021 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html , Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 27.4.2022
Rechtsschutz / Justizwesen
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 11.2021). Die heutige Verfassung Irans ist ein hybrides System aus republikanisch-demokratischen und theokratisch-autoritären Elementen unter dem Vorrang des islamischen Rechts der dschafaritischen Rechtsschule. Die Verfassung enthält republikanisch-demokratische Organe wie z.B. das Parlament sowie das Amt des Präsidenten, da diese Organe direkt vom Volk gewählt werden. Als wesentliche theokratische Organe gelten das Amt des religiösen Führers sowie der Wächterrat (BAMF 5.2021). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben. Exekutivorgane, besonders der Sicherheitsapparat, nehmen v.a. in politischen Fällen jedoch massiven Einfluss auf Urteilsfindung und Strafzumessung. Das Justizwesen ist zudem geprägt von Korruption (AA 28.1.2022; vgl. BS 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer (Iranian Bar Association; IBA), deren Unabhängigkeit die Judikative einzuschränken versucht. Anwälte der IBA sind staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen ausgesetzt (AA 28.1.2022). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 28.2.2022).
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 12.4.2022). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 13.1.2022; vgl. HRC 13.1.2022, AI 29.3.2022). Die Behörden setzen sich ständig über Bestimmungen hinweg, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 7.4.2021; vgl. HRW 13.1.2022). In einigen Fällen wird in Abwesenheit der Angeklagten verhandelt, weil man sie nicht über ihre Verhandlungstermine informiert oder sie nicht vom Gefängnis zum Gericht transportiert (AI 7.4.2021).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) werden Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Wenn sich Gesetze nicht mit einer spezifischen Rechtssituation befassen, dann dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen ’göttlichen Wissens’ [divine knowledge] für schuldig befinden (US DOS 12.4.2022).
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die ’Sondergerichte für die Geistlichkeit’ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BS 2018).
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere ’Feindschaft zu Gott’ und ’Korruption auf Erden’;
- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
- Spionage für fremde Mächte;
- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).
Viele Gerichtsverfahren finden hinter verschlossenen Türen statt. Bei Verfahren vor Revolutionsgerichten herrscht offene Feindseligkeit gegenüber den Angeklagten, und Anschuldigungen von Sicherheits- und Geheimdiensten werden als Tatsachen behandelt, die bereits feststehen (AI 7.4.2021). Erzwungene ’Geständnisse’, die unter Folter und anderen Misshandlungen zustande kommen, werden vor Beginn der Prozesse im Staatsfernsehen ausgestrahlt (AI 7.4.2021; vgl. AA 28.1.2022). Gerichte nutzen sie durchweg als Beweismittel und begründen damit Schuldsprüche, selbst wenn die Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. In vielen Fällen bestätigen Berufungsgerichte Schuldsprüche und Strafen, ohne eine Anhörung abzuhalten. Häufig weigern sich Gerichte, Angeklagten, die wegen Straftaten in Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit verurteilt wurden, das Urteil in schriftlicher Form zukommen zu lassen (AI 7.4.2021).
Bei Delikten, die im starkem Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden (ÖB Teheran 11.2021). Mit der islamischen Revolution von 1979 kam es zur Wiedereinführung des islamischen Strafrechts, welches die bisherige Gesetzgebung, die vom ’code pénal napoléon’ von 1810 beeinflusst war, ablöste und sich aus drei eigenständigen Teilbereichen zusammensetzt. Neben den im Koran und der Sunna festgelegten hadd-Delikten gibt es die qisas-Delikte, die aus vorislamischer Zeit stammen, und die ta’zir-Delikte, die alle sonstigen strafwürdigen Taten umfassen. Während für hadd-Delikte - wie u.a. unerlaubter Geschlechtsverkehr, Alkoholgenuss, Diebstahl oder Feindschaft gegen Gott und aus Sicht von Traditionalisten auch Rebellion und Apostasie - sogenannte hadd-Strafen wie Kreuzigung, Steinigung, sonstige Todesstrafen, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung verhängt werden, sind für qisas-Delikte grundsätzlich Talions- bzw. Vergeltungsstrafen (qisas) oder zu zahlendes Blutgeld (diya) als Strafausgleich vorgesehen. Talionsstrafen werden vom Grundsatz her bei vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten und zu zahlendem Blutgeld bei nicht vorsätzlichen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten verhängt. Für alle sonstigen aus Sicht der Rechtsordnung strafwürdigen Taten sind ta’zir-Strafen vorgesehen, die aus unterschiedlichen Züchtigungsstrafen bestehen, die mit dem Islam vereinbar sein müssen. Das neue iranische Strafgesetzbuch ab 2013 gliedert sich in vier Bücher: Im ersten Buch werden die Allgemeinen Vorschriften (Art. 1–216), im zweiten Buch die hadd-Strafen (Art. 217–288), im dritten Buch die qisas-Strafen (Art. 289–447) und im vierten Buch das Blutgeld bzw. diya (Art. 448–728) behandelt (BAMF 5.2021). Im iranischen Strafrecht sind also körperliche Strafen wie die Amputation von Fingern, Händen und Füßen vorgesehen. Berichte über erfolgte Amputationen dringen selten an die Öffentlichkeit. Wie hoch die Zahl der durchgeführten Amputationen ist, kann nicht geschätzt werden (AA 28.1.2022). Auf die Anwendung der Vergeltungsstrafen (qisas) der Amputation (z.B. von Fingern bei Diebstahl) und der Blendung kann der Geschädigte gegen Erhalt eines Abstandsgeldes (diya) verzichten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022). Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen. Auch auf diese kann vom Geschädigten gegen diya verzichtet werden. Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen, seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021). Zudem sieht das iranische Strafrecht bei bestimmten Vergehen wie zum Beispiel Alkoholgenuss, Missachten des Fastengebots oder außerehelichem Geschlechtsverkehr auch Auspeitschung vor. Regelmäßig besteht aber auch hier die Möglichkeit, diese durch Geldzahlung abzuwenden (AA 28.1.2022).
Verlässliche Aussagen zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da sich diese durch Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Häftlinge ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht einer Straftat unbefristet ohne Anklage festgehalten. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Bei bestimmten Anklagepunkten – wie z.B. Gefährdung der nationalen Sicherheit – dürfen Angeklagte zudem nur aus einer Liste mit vom Staat zugelassenen Anwälten auswählen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch, besonders bei Verurteilungen wegen Äußerungen in sozialen Medien oder Engagement gegen die Hijab-Pflicht (Kopftuchzwang) (AA 28.1.2022).
Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019). Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen (AA 28.1.2022).
Rechtsschutz ist nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert, zum Teil auch selber inhaftiert und verurteilt. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen. Fälle von Sippenhaft existieren, meistens in politischen Fällen. Üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 22.4.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf , Zugriff 22.4.2022
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf , Zugriff 22.4.2022
• AI – Amnesty International (7.4.2021): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2020) – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048570.html , Zugriff 22.4.2022
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• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 22.4.2022
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• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
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• HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html , Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 22.4.2022
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Sicherheitsbehörden
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enqhelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Die Revolutionsgarden und die nationale Armee (Artesh) sorgen für die externe Verteidigung (US DOS 12.4.2022). Die zivilen Behörden bzw. die Regierung behalten eine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte (US DOS 12.4.2022; vgl BS 2020) und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete (BS 2020). Der Oberste Führer hat die höchste Autorität über alle Sicherheitsorganisationen (US DOS 12.4.2022).
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorismusbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst (AA 28.1.2022). Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und für Proteste oder Aufstände. Sie wird von den Revolutionsgarden und den Basij unterstützt. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BS 2020). Neben dem ’Hohen Rat für den Cyberspace’ beschäftigt sich die iranische Cyberpolizei mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfälle, Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie die Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 28.1.2022).
Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den Revolutionsgarden (BS 2020). Diese nehmen eine Sonderrolle ein, ihr Auftrag ist formell der Schutz der Islamischen Revolution. Als Parallelarmee haben die Revolutionsgarden neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eine fortschrittlichere Ausrüstung als die reguläre Armee, eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste, die auch mit Inlandsaufgaben betraut sind, sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 28.1.2022). Heute sollen die Revolutionsgar- den über ca. 190.000 Soldatinnen und Soldaten verfügen, während die regulären Streitkräfte 420.000 Mann unter Waffen haben. Hinzu kommen noch einmal 450.000 Reservisten als Teil der Basij-Milizen (Iran Journal 1.2.2021), die ebenfalls den Revolutionsgarden unterstellt sind (Iran Journal 1.2.2021; vgl. AA 28.1.2022). Basij haben Stützpunkte unter anderem in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basij gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 11.2021).
Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 28.2.2022). Khamenei und den Revolutionsgarden gehören rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der Revolutionsgarden Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte und kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016; vgl. SRF 9.4.2019). Längst ist also aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ex-Präsident Hassan Rohani versuchte zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen, dies gelang ihm jedoch kaum (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. BS 2020, Iran Journal 1.2.2021). Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Aktivitäten der Revolutionsgarden außerhalb des normalen Marktgeschehens so umfangreich, dass der Privatsektor in vielen Bereichen nicht mehr existiert. Er wurde verdrängt und ist gegenüber der Marktbeherrschung der Garden nicht mehr wettbewerbsfähig (Iran Journal 1.2.2021). Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben – nicht nur in Iran, sondern auch in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland ausgebildet (Tagesspiegel 8.6.2017; vgl. Iran Journal 1.2.2021). Die 1990 gegründete Quds-Brigade ist mit
Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt sie bei Auslandseinsätzen eine zentrale Rolle. Um ihre Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt die Quds-Armee vor allem auf Guerillataktiken (Iran Journal 1.2.2021).
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela’at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst und den technischen Aufklärungsdienst. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet die politische Opposition und übt Druck auf diese aus (AA 28 .1.1.2022).
Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung (AA 28 .1.1.2022). Angehörige der Sicherheitskräfte können Misshandlungen begehen, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu begehen, darunter Folter, Verschwindenlassen und Gewaltakte gegen Demonstranten und Umstehende bei öffentlichen Demonstrationen. Die Regierung unternimmt nur wenige Schritte, um Beamte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, zu identifizieren, zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Die Straflosigkeit bleibt auf allen Ebenen der Regierung und der Sicherheitskräfte allgegenwärtig (US DOS 12.4.2022). In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Insbesondere die kurdische Region scheint stärker überwacht zu sein, als der Rest des Landes (DIS 7.2.2020).
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie Basij de facto willkürlich handeln können. Bereits auffälliges Hören von (insbesondere westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen können den Unwillen zufällig anwesender Basij bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Misshandlung durch Basij können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 22.4.2022
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• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political+Feb+2020.pdf, Zugriff 22.4.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN -
• House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf , Zugriff 22.4.2022
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• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 22.4.2022
• Iran Journal (1.2.2021): Aus der Schwäche wuchs ihre Macht, https://iranjournal.org/wirtschaft/geschichte-der-revoltuionsgarde , Zugriff 22.4.2022
• Menawatch (10.1.2018): Die Wirtschaft des Iran ist in den Händen der Revolutionsgarden, https://www.mena-watch.com/die-wirtschaft-des-iran-ist-in-den-haenden-der-revolutionsgarden/ , Zugriff 22.4.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 22.4.2022
• Tagesspiegel (8.6.2017): Staat im Staat: Warum Irans Revolutionsgarden so viel Macht haben, https://www.tagesspiegel.de/politik/krise-am-golf-staat-im-staat-warum-irans-revolutionsgarden-so-viel-macht-haben/19907934.html , Zugriff 22.4.2022
• SRF – Schweizer Rundfunk und Fernsehen (9.4.2019): Was ist die Revolutionsgarde?, https://www.srf.ch/news/international/dominante-militaermacht-im-iran-was-ist-die-revolutionsgarde , Zugriff 22.4.2022
• US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 22.4.2022
Folter und unmenschliche Behandlung
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Dennoch sind psychische und physische Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft, insbesondere in politischen Fällen, durchaus üblich (AA 28.1.2022; vgl. US DOS 12.4.2022, DIS 7.2.2020) bzw. weit verbreitet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022). Gerade bei politischen Fällen ist Folter nicht nur geduldet, sondern wird mitunter angeordnet (AA 28.1.2022). Folter wird Berichten zufolge von einer Reihe von Akteuren wie dem polizeilichen Nachrichtendienst, dem Geheimdienstministerium (HRC 14.5.2021), den Islamischen Revolutionsgarden, der Polizei (HRC 14.5.2021; vgl. ÖB Teheran 11.2021) als auch in Gefängnissen ausgeführt (ÖB Teheran 11.2021). Berichten zufolge unterhalten Behörden abseits des nationalen Gefängnissystems auch noch inoffizielle, geheime Gefängnisse und Haftanstalten, in denen Missbrauch stattfindet (US DOS 12.4.2022). Folter betrifft vorrangig nicht-registrierte Gefängnisse, aber auch offizielle Gefängnisse, insbesondere den berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht und in welchem politische Gefangene inhaftiert sind (AA 28.1.2022). Folter und Misshandlungen werden systematisch angewendet, vor allem während Verhören. Im August 2021 gelangten Videoaufnahmen an die Öffentlichkeit, die von Überwachungskameras im Evin-Gefängnis in Teheran stammten und zeigten, wie Gefangene vom Wachpersonal geschlagen, sexuell belästigt und auf andere Weise gefoltert und misshandelt wurden (AI 29.3.2022).
Bei Delikten, die im Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Die häufigsten Fälle, für welche die Strafe der Auspeitschung durchgeführt wird, sind illegitime Beziehungen, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Teilnahme an gemischt-geschlechtlichen Veranstaltungen, Drogendelikte und Vergehen gegen die öffentliche Sicherheit. Auch werden Auspeitschungen zum Teil öffentlich vollstreckt (ÖB Teheran 11.2021). Darüber hinaus gibt es Berichte, wonach politische Gefangene mit Elektroschocks gefoltert werden. Weitere berichtete Foltermethoden sind Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen - teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser sowie die Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022).
Die Tatsache, dass die Justiz bei ihren Ermittlungen in hohem Maße auf Geständnisse angewiesen ist, scheint ein wichtiger Anreiz für Folter zu sein. Obwohl das iranische Recht die Verwendung erzwungener Geständnisse vor Gericht verbietet (HRC 14.5.2021) zeigen Zeugenaussagen, dass Richter sich einerseits häufig weigern, Foltervorwürfen nachzugehen (HRC 14.5.2021; vgl. HRC 13.1.2022) und sich andererseits auf erzwungene Geständnisse als Beweismittel für eine Verurteilung verlassen (HRC 14.5.2021; vgl. HRW 13.1.2022). Dies gilt auch insbesondere bei der Verhängung der Todesstrafe (HRC 13.1.2022). Ehemalige Gefangene berichten, dass sie während der Haft geschlagen und gefoltert wurden, bis sie Verbrechen gestanden haben, die von Vernehmungsbeamten diktiert wurden (FH 28.2.2022).
Quellen:
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HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 22.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 22.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html , Zugriff 22.4.2022
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit steht für öffentliche Versammlungen unter einem Genehmigungsvorbehalt. Demonstrationen der Opposition sind seit den Wahlen 2009 nicht mehr genehmigt worden, finden jedoch in kleinem Umfang statt. Demgegenüber stehen Demonstrationen systemnaher Organisationen, zu deren Teilnahme Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sowie Schüler und Studierende teilweise verpflichtet werden (AA 28.1.2022).
In den letzten drei Jahren haben die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert (HRW 13.1.2022). Nach den regierungskritischen Protesten im November und Dezember 2019, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden (DW 23.12.2019; vgl. DIS 7.2.2020), wurden Tausende Personen festgenommen (DIS 7.2020). Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Die Festgenommenen wurden unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Demonstranten wurden aufgrund von Anschuldigungen, die nationale Sicherheit bedroht zu haben, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (HRC 14.5.2021). Mit einer zeitweisen Internetblockade sorgte Teheran damals dafür, dass kaum Informationen, Bilder und Videos der Proteste verbreitet werden konnten (DW 23.12.2019; vgl. HRW 13.1.2021, FH 3.3.2021). Die Regierung hat eingeräumt, dass während der Proteste im November 2019 einige Menschengetötet wurden. Es ist äußerst schwierig, eine Gesamtzahl an Todesopfern bereitzustellen. Die Schätzungen der Zahl der Todesopfer reichen laut verifizierten Berichten von über 304 bis zu unbestätigten Berichten von bis zu 1.500 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. Die Zahl der von den Sicherheitskräften verletzten Personen schwankt zwischen 2.000 und 4.800. Die Zahl der Todesopfer war in den kurdisch besiedelten Provinzen relativ hoch im Vergleich zu anderen Provinzen des Landes (DIS 7.2.2020). Mehr als zwei Jahre nach der brutalen Niederschlagung weitverbreiteter Proteste im November 2019 haben die Behörden es verabsäumt, eine transparente Untersuchung über die Anwendung von übermäßiger und rechtswidriger Gewalt gegen Demonstranten durchzuführen (HRW 13.1.2022). Es gab mehrere Proteste im Zusammenhang mit Umweltpolitik und Klimawandel, die direkte Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen hatten. Darüber hinaus gab es Proteste von Arbeitnehmern, Rentnern und Landwirten in Bezug auf Löhne, Arbeitsplatzsicherheit und das Recht auf kollektive Organisierung (HRC 13.1.2022). Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin mit rechtswidriger Gewalt gegen zumeist friedliche Proteste vor, indem sie u.a. scharfe Munition und Schrotmunition einsetzen. Die Behörden blockieren das Internet während Protesten und verhindern so, dass das Ausmaß der Übergriffe durch die Sicherheitskräfte bekannt wird. Zum Beispiel wurden im Juli 2021 bei Protesten gegen die Wasserknappheit in den Provinzen Khusestan und Lorestan mindestens elf Menschen erschossen und zahlreiche weitere verletzt. Im November 2021 beschossen Sicherheitskräfte in Isfahan Demonstrierende, die den Behörden Versagen bezüglich der Wasserversorgung vorwarfen, mit Metallkugeln, was dazu führte, dass zahlreiche Menschen, darunter auch Minderjährige, erblindeten oder andere schwere Augenverletzungen erlitten (AI 29.3.2022). Eine Gruppe von Umweltaktivisten wurde 2018 aufgrund von Spionageverdacht verhaftet, einige wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Vereinigungen auf Arbeitnehmerseite werden misstrauisch beobachtet. Es gibt keine Betätigungsmöglichkeit für unabhängige Gewerkschaften (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022). Gewerkschaftliche Aktivitäten werden zum Teil unter dem Vorwurf der ’Propaganda gegen das Regime’ und ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ verfolgt. Das Streikrecht hingegen ist prinzipiell gewährleistet (AA 28.1.2022), jedoch können streikende Arbeiter von Entlassung und Verhaftung bedroht sein. Mehrere inhaftierte Arbeiteraktivisten wurden 2019 zu Haftstrafen von 14 Jahren oder mehr verurteilt (FH 28.2.2022). Mehr als 700 Beschäftigte der petrochemischen Industrie wurden zum Beispiel zu Unrecht entlassen, weil sie sich im Juni 2021 an landesweiten Streiks beteiligt hatten (AI 29.3.2022). Erlaubt sind nur ’Islamische Arbeitsräte’ unter der Aufsicht des ’Haus der Arbeiter’ (keine unabhängige Institution). Mitglieder und Gründer unabhängiger Gewerkschaftsgruppierungen wie etwa die Teheraner Busfahrergewerkschaft, die Zuckerrohrarbeitergewerkschaft oder die Lehrergewerkschaft werden zunehmend häufig verhaftet, gefoltert und bestraft. Proteste gegen zu geringe oder gar nicht ausbezahlte Löhne mehren sich, auch dabei kommt es immer wieder zu Festnahmen (ÖB Teheran 11.2021).
In Iran gibt es keine politischen Parteien mit vergleichbaren Strukturen westlich-demokratischer Prägung. Auch im Parlament existiert keine, mit europäischen Demokratien vergleichbare, in festen Fraktionen organisierte parlamentarische Opposition. Sowohl bei Präsidentschafts- als auch bei Parlamentswahlen nimmt der Wächterrat die Auswahl der Kandidaten vor. Kandidatenwerden unter fadenscheinigen Gründen aussortiert – dabei wurden auch schon ehemalige Präsidenten als ’nicht geeignet’ ausgeschlossen. Nach langen Debatten bewertete der Wächterrat dem nur Männer angehören – die Kandidatur von Frauen im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2021 als prinzipiell zulässig, dennoch wurde auch diesmal keine einzige der Kandidatinnen zugelassen. Der Spielraum für die außerparlamentarische Opposition wird vor allem durch einen Überwachungsstaat eingeschränkt, was die Vernetzung oppositioneller Gruppen extrem riskant macht (Einschränkung des Versammlungsrechts, Telefon- und Internetüberwachung, Spitzelwesen, Omnipräsenz von Basij-Vertretern u.a. in Schulen, Universitäten sowie Basij- Sympathisanten im öffentlichen Raum, etc.) (ÖB Teheran 11.2021).
Die Verfassung lässt die Gründung politischer Parteien, von Berufsverbänden oder religiösen Organisationen so lange zu, als sie nicht gegen islamische Prinzipien, die nationale Einheit oder die Souveränität des Staates verstoßen und nicht den Islam als Grundlage des Regierungssystems infrage stellen. Hinzu kommen immer wieder verhängte drakonische Strafen aufgrund diffuser Straftatbestände (’regimefeindliche Propaganda’, ’Beleidigung des Obersten Führers’ etc.). Darüber hinaus werden Angehörige der außerparlamentarischen Opposition immer wieder unter anderen Vorwürfen festgenommen (ÖB Teheran 11.2021). Viele Anhänger der Oppositionsbewegungen wurden verhaftet, haben Iran verlassen oder sind nicht mehr politisch aktiv (AA 28.1.2022). Die Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mir Hossein Mussawi sowie dessen Ehefrau Zahra Rahnavard stehen noch immer unter Hausarrest, der mittlerweile ein Jahrzehnt andauert (AI 29.3.2022; vgl. BS 2020, ÖB Teheran 11.2021, AA 28.1.2022).
An sich gäbe es ein breites Spektrum an Ideologien, welche die Islamische Republik ablehnen, angefangen von den Nationalisten bis hin zu Monarchisten und Kommunisten. Eine markante Führungspersönlichkeit fehlt bei sämtlichen oppositionellen Gruppierungen (ÖB Teheran 11.2021). Das Fehlen oppositioneller Führungspersonen zeigte sich auch bei den Unruhen der letzten Jahre. Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen hat oftmals staatliche Zwangsmaßnahmen und Sanktionen zur Folge (AA 28.1.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 27.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 27.4.2022
BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/co ntent/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf, Zugriff 27.4.2022
DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2020): Iran. November 2019 Protests, https://www.ecoi.net/en/file/local/2033026/COI_brief_report_iran_nov_2019_protest_july_2020.pdf , Zugriff 27.4.2022
activities in Iran and KRI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024578/Report+on+Iranian+Kurds • DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (7.2.2020): Iranian Kurds: Consequences of political+Feb+2020.pdf, Zugriff 27.4.2022
DW – Deutsche Welle (23.12.2019): Bericht: Iran geht von 1500 Toten bei Unruhen aus, https://www.dw.com/de/bericht-iran-geht-von-1500-toten-bei-unruhen-aus/a-51780047 , Zugriff 27.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do kument/2068632.html, Zugriff 27.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 27.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (14.5.2021): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/47/22], https://www.ecoi.net/en/file/local/2053883/A_HRC_47_22_E.pdf , Zugriff 27.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do kument/2066471.html, Zugriff 27.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 27.4.2022
Haftbedingungen
Die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen sind von massiver Überbelegung geprägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022, HRC 13.1.2022). Im Juni 2020 waren 211.000 Personen inhaftiert, womit die Gefängnisse mehr als zweieinhalbmal überbelegt waren (ÖB Teheran 11.2021). Der Mangel an Betten ist weiterhin ein Problem (US DOS 12.4.2022). Die Haftbedingungen sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Berichtet wird über unzureichende Ernährung, die langfristig zu entsprechenden Folgeschäden führen kann, und vor allem von der Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022, FH 28.2.2022, AI 29.3.2022). Die Zellen sind auch schlecht belüftet und teils von Ungeziefer befallen (AI 29.3.2022). Im Allgemeinen verschlechterten sich die Haftbedingungen während der Covid-19-Pandemie erheblich (US DOS 12.4.2022; vgl. HRC 13.1.2022, AA 28.1.2022).
Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet - vor allem während Verhören (AI 29.3.2022). Regelmäßig versterben Menschen in Haft. Laut Berichten sind folgende Foltermethoden verbreitet: Elektroschocks, Verprügeln, Schlagen auf Fußsohlen und andere Körperteile, Aufhängen mit dem Kopf nach unten, Verbrennungen mit Zigaretten und heißen Metallgegenständen, Scheinhinrichtungen, Vergewaltigungen teilweise durch Mitgefangene - die Androhung von Vergewaltigung, Einzelhaft, Entzug von Licht, Nahrung und Wasser, Verweigerung medizinischer Behandlung (ÖB Teheran 11.2021). Im August 2021 wurden Aufnahmen von Überwachungskameras des Evin-Gefängnisses in Teheran vom März 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Der Justiz-Leiter besuchte das Gefängnis daraufhin und rief zu ordnungsgemäßer Behandlung von Gefangenen auf (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022). Daraufhin wurden Strafverfahren gegen sechs Gefängniswärter eingeleitet (FH 28.2.2022; vgl. US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene oder Minderjährige werden teils mit kriminellen Straftätern zusammengelegt, wodurch Übergriffe nicht selten sind (ÖB Teheran 11.2021; vgl. US DOS 12.4.2022). Menschenrechtsorganisationen verweisen häufig auf einige Haftanstalten, in denen politische Gegner grausam und über längere Zeit gefoltert werden, insbesondere in den Abteilungen 209 und zwei des Evin-Gefängnisses, die Berichten zufolge von den Revolutionsgarden kontrolliert werden (US DOS 12.4.2022). Politische Gefangene haben in den letzten Jahren wiederholt Hungerstreiks durchgeführt, um gegen Misshandlungen in Gewahrsam zu protestieren (FH 28.2.2022; vgl. US DOS 12.4.2022, AA 28.1.2022, HRC 13.1.2022).
Die Haftbedingungen variieren im Einzelfall nach Gefängnis-Trakt und Status der Gefangenen, wobei generelle Aussagen nicht möglich sind. So ist im Evin-Gefängnis in Teheran ein Trakt für Ausländer reserviert, ein Trakt wird vom Geheimdienst der Revolutionsgarden verwaltet, manche Trakte sind unterirdisch. Das Quarchak-Frauengefängnis in Teheran dürfte als ehemaliger Hühnerstall sanitär unzureichend sein (ÖB Teheran 11.2021). Die Behörden unterhalten angeblich auch inoffizielle Geheimgefängnisse und Haftanstalten außerhalb des staatlichen Gefängnissystems, in denen es zu Misshandlungen kommt (US DOS 12.4.2022; vgl. HRC 13.1.2022). Die Haftbedingungen für politische und sonstige Häftlinge weichen stark voneinander ab. Dies betrifft in erster Linie den Zugang zu medizinischer Versorgung (einschließlich Verweigerung grundlegender Versorgung oder lebenswichtiger Medikamente) sowie hygienische Verhältnisse (AA 28.1.2022).
Mindestens 24 Gefangene starben unter Umständen, die den Verdacht nahelegen, dass ihr Tod in Verbindung mit Folter und anderen Misshandlungen stand, wie z. B. der Verweigerung einer angemessenen medizinischen Versorgung (AI 29.3.2022). Gefangene können Beschwerden bei den Justizbehörden einreichen, werden jedoch häufig mit Zensur oder Vergeltung in Form von Verleumdung, Schlägen, Folter und Verweigerung von medizinischer Versorgung und Medikamenten oder Urlaubsanträgen sowie Anklage wegen zusätzlicher Straftaten konfrontiert (US DOS 12.4.2022).
Die Grenzen zwischen Freiheit, Hausarrest und Haft sind in Iran fließend. Politisch als unzuverlässig geltende Personen werden manchmal in ’sichere Häuser’ gebracht, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen. Dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten (ÖB Teheran 11.2021). Ein besonders prominentes Beispiel ist Oppositionsführer Mehdi Karroubi, der zusammen mit seiner Frau und zwei anderen Oppositionsführern seit 2011 unter Hausarrest steht (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/do , Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 13.5.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html , Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 28.4.2022
Todesstrafe
Die Todesstrafe wird nach unfairen Gerichtsverfahren verhängt, u a. für Straftaten, die gemäß Völkerrecht nicht zu den ’schwersten Verbrechen’ zählen, wie Drogenhandel und Finanzkriminalität, sowie für Handlungen, die international nicht als Straftaten anerkannt sind. Todesurteile werden als Mittel der Unterdrückung gegen Demonstrierende, Andersdenkende und ethnische Minderheiten eingesetzt (AI 29.3.2022). Iran ist auch weiterhin eines der Länder, wo die Todesstrafe am häufigsten vollstreckt wird (HRW 13.1.2022). In Bezug auf die Anzahl der jährlichen Hinrichtungen befindet sich Iran nach China weltweit an zweiter Stelle (FH 28.2.2022). Nach Angaben von Menschenrechtsgruppen richtete der Iran im Jahr 2021 mindestens 333 Menschen hin, darunter zumindest 17 Frauen (BBC News 28.4.2022), sieben Personen wegen angeblicher terroristischer Anschuldigungen (HRW 13.1.2022) und zumindest zwei zum Tatzeitpunkt Minderjährige (HRC 13.1.2022). Iran ist nach wie vor eines der wenigen Länder, die Minderjährige, Homosexuelle und Frauen hinrichten, die sich auf Notwehr gegen Vergewaltiger berufen (CSW 22.3.2022). In diesen Fällen liegen der Todesstrafe für Frauen und Mädchen oft Tötungen von ihren Ehemännern zugrunde, die sie in Selbstverteidigung nach langjährigem Missbrauch begehen (ÖB Teheran 11.2021). Ein großer Teil der Hingerichteten sind Angehörige religiöser oder ethnischer Minderheiten, insbesondere sunnitische Muslime und Kurden (CSW 22.3.2022). Regelmäßig gehen der Todesstrafe ein unfaires Verfahren und Misshandlung (erzwungene Geständnisse) voraus (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022, US DOS 12.4.2022).
Die Todesstrafe steht auf Mord (wobei die Familie des Opfers gegen Zahlung von Blutgeld auf die Hinrichtung verzichten kann), Sexualdelikte, gemeinschaftlichen Raub, wiederholten schweren Diebstahl, Drogenschmuggel (nur mehr bei besonders schweren Vergehen), schwer- wiegende Verbrechen gegen die Staatssicherheit, ’Moharebeh’ (Waffenaufnahme gegen Gott) und homosexuelle bzw. außereheliche Handlungen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRW 13.1.2022, AA 28.1.2022); des Weiteren auf terroristische Aktivitäten, Waffenbeschaffung, Hoch- und Lan- desverrat, Veruntreuung und Unterschlagung öffentlicher Gelder, Bandenbildung, Beleidigung oder Entweihung von heiligen Institutionen des Islams oder heiligen Personen (z.B. durch Missionstätigkeit), Vergewaltigung und Geschlechtsverkehr eines Nicht-Muslims mit einer Muslimin (AA 28.1.2022). Auch der Abfall vom Islam (Apostasie) kann mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). In den letzten 20 Jahren ist es jedoch zu keiner Hinrichtung aus diesem Grund gekommen (AA 28.1.2022).
Der größte Anteil der Hinrichtungen entfällt auf Verurteilungen wegen Mordes (AA 28.1.2022). Hinrichtungen werden regelmäßig durch Erhängen, selten durch Erschießung durchgeführt, allerdings in letzter Zeit nicht mehr öffentlich (ÖB Teheran 11.2021). Betroffen hiervon sind auch zum Tatzeitpunkt Minderjährige (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022, HRW 13.1.2022, FH 28.2.2022, HRC 13.1.2022, CSW 22.3.2022). In den Todeszellen befinden sich noch immer mehr als 80 Personen, die zum Tatzeitpunkt minderjährig waren (AI 29.3.2022; vgl. FH 28.2.2022). Das Alter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Buben liegt bei 15 und für Mädchen bei neun Jahren (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AA 28.1.2022) und kann bei Eintritt der Volljährigkeit vollstreckt werden. 2020 wurden mindestens vier zur Tatzeit minderjährige Täter hingerichtet, 2021 mindestens zwei. Mehreren weiteren zur Tatzeit Minderjährigen droht die Hinrichtung. Hinrichtungen erfolgen weiterhin regelmäßig ohne rechtlich vorgeschriebene vorherige Unterrichtung der Familienangehörigen. Die Herausgabe des Leichnams wird teilweise verweigert oder verzögert (AA 28.1.2022). Selbst nach der Hinrichtung durch das Regime werden repressive Maßnahmen gegen Angehörige fortgesetzt. Hingerichtete werden weit entfernt von ihrem früheren Wohnort begraben, manchmal ohne Benachrichtigung der Angehörigen. Totenfeiern sowie Grabbesuche für Regimegegner werden aufgelöst (ÖB Teheran 11.2021).
2017 trat eine Änderung des Strafgesetzes für Drogendelikte in Kraft, die die Todesstrafen im Bereich der Drogenkriminalität auf bestimmte Fallkonstellationen beschränkt. Bagatelldelikte sind damit von der Todesstrafe ausgenommen (AA 28.1.2022). Diese Gesetzesänderungen führten zu einer Überprüfung der Todesstrafe für Tausende von Häftlingen (FH 28.2.2022). Durch die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte Ende 2017 konnte Iran seit 2018 die Zahl der Hinrichtungen etwa halbieren. Über gewalttätige Drogenstraftäter und diejenigen, die mehr als 100 Kilo Opium oder zwei Kilo industrielle Rauschgifte produzieren oder verbreiten, wird weiterhin die Todesstrafe verhängt (ÖB Teheran 11.2021). Ca. 9% aller Exekutionen stehen in Verbindung mit Drogenvergehen (AI 4.2021). Seit 2021 ist ein erneuter Anstieg bei der Zahl der Hinrichtungen für Drogenkriminalität zu verzeichnen (AA 28.1.2022). Die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten war mit 126 von 333 fünfmal so hoch wie 2020 (BBC News 28.4.2022).
Derzeit ist bei Ehebruch noch die Strafe der Steinigung vorgesehen (auf welche vom ’Geschädigten’ gegen eine Abstandsgeldzahlung verzichtet werden kann). Im Jahr 2002 wurde ein Moratorium für die Verhängung der Steinigungsstrafe erlassen. Seit 2009 sind keine Fälle von Steinigungen belegbar (ÖB Teheran 11.2021).
Regierung und NGOs sind bemüht, Hinrichtungen durch Förderung des Blutgeld-Prozesses zu verhindern, und es werden z.B. mit Spendenaufrufen Blutgelder gesammelt (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (4.2021): Todesurteile und Hinrichtungen 2020, https://www.amnesty.at/media/8345/amnesty_bericht-zur-todesstrafe-2020_web.pdf , Zugriff 28.4.2022
BBC News (28.4.2022): Iran executions: Alarming rise in use of death penalty in 2021 - report, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61256213 , Zugriff 29.4.2022
CSW – Christian Solidarity Worldwide (22.3.2022): Iran: General Briefing, https://www.csw.org.uk/2022/03/22/report/5648/article.htm , Zugriff 28.4.2022
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 28.4.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 28.4.2022
HRW – Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2066471.html , Zugriff 28.4.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 28.4.2022
US DOS – US Department of State [USA] (12.4.2022): Country Report on Human Rights Practices 2021 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071128.html , Zugriff 28.4.2022
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation IRAN: Dokumentüberprüfung; Hausbeschlagnahme vom 21.07.2022
Kann zu der Echtheit der vorlegten Urkunden eine Aussage getroffen werden? Sind Fälschungsmerkmale erkenntlich?
Sind diese Urkunden ident mit denen die in der Islamischen Republik Iran ausgestellt werden (z.B. handschriftlich, computerunterstütze Ladung usw.)?
Quellenlage/Quellenbeschreibung:
Es konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Internetrecherche in deutscher und englischer Sprache mit den zur Verfügung stehenden öffentlichen Internetquellenkeine Informationen zu dieser Frage gefunden werden, weshalb diese an die ÖB in Teheran weitergeleitet wurde.
Die Vertrauensperson der ÖB gibt zu dieser Fragestellung an:
Besitzurkunde:
Die neuen Besitzurkunden (die vorliegende ist eine) kann man in der Regel ganz einfach auf ihre Echtheit überprüfen. Allerdings ist diese Ablichtung dermaßen schlecht, dass man wirklich gar nichts daraus erkennen kann. Mit einer guten Kopie könnte man feststellen, ob diese Urkunde echt ist oder nicht. Auf der zweiten Seite (Rückseite) der Besitzurkunde ist unten der große Stempel „Beschlagnahmt“ zu sehen. Daneben steht, diese Immobilie sei in Folge der Anweisung des Untersuchungsrichters der 3. Kammer der Staatsanwaltschaft im Gerichtskomplex SHAHID MOGHADDASI am 27.11.2019 beschlagnahmt worden. Sonst kann man auch nichts Weiteres lesen.
Gerichtsurteil:
In dem Gerichtsurteil ist zu lesen, dass Herr Hossein AMIRI KOUSHKI aus diversen Sicherheitsdelikten zu einer Gefängnisstrafe sowie Peitschenhiebe verurteilt worden ist. Dieses Urteil soll am 07.11.2020 von der 24. Kammer des iranischen Revolutionsgerichts gefällt worden sein. Es gibt für uns technisch keine Möglichkeit die Echtheit dieses Dokuments zu überprüfen. Der Form nach lässt sich kein Urteil über echt/gefälscht bilden.
Auffällig ist jedoch der kurze Text der Verurteilung. In der Regel sind die Texte –vor allem wenn es um mehrere Delikte geht –viel länger, weil der Richter ja die Verurteilung begründen muss.
Kaufvertrag:
Aus dem Kaufvertrag kann man genauso wenig erkennen wie aus der Besitzurkunde. Solche Kaufverträge (mit Vordruck) wo der Makler dann die Einzelheiten des Objekts und die Personalien der Vertragspartner und die sonstigen Bedingungen des Vertrags einträgt, sind die sogenannten „temporären“ Kaufverträge. Die Echtheit dieser Dokumente kann man nicht wie die Besitzurkunden in einem Portal überprüfen. Unmittelbar nach dem der temporäre Kaufvertrag unterzeichnet worden ist, muss das Maklerbüro den Vertrag in einem einheitlichen Portal eintragen und den Vertragspartnern ein Exemplar des „endgültigen Kaufvertrags“ aushändigen. Solche „endgültige Kaufverträge“ könnten wir dann auf die Echtheit überprüfen.
Ladung:
Es handelt sich hier um eine Vorladung des Untersuchungsrichters Samad HASIPOOR von der 3. Kammer der Staatsanwaltschaft im Gerichtskomplex SHAHID MOGHADDASI vom 11.12.2019 indem Herrn Hossein AMIRI KOUSHKI 5 Tage Frist gegeben wird, um bei dieser Kammer für Abgabe von Erklärungen vorzusprechen. Weitere Details stehen hier nicht drin. Durch eine kurze Recherche im Netz habe ich herausfinden können, dass Ladungen dieser Art (vom selben Untersuchungsrichter und von derselben Gerichtskammer) reichlich vorzufinden sind! Siehe ein Bild unten als Beispiel. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die uns vorliegende Ladung gefälscht sein könnte.
ÖB –Österreichische Botschaft in Teheran [Österreich] (20.7.2022): Auskunft der Vertrauensperson per email
Ist eine Beschlagnahmung des Hauses im strafgerichtlichen Verfahren üblich?
Die Vertrauensperson der ÖB gibt zu dieser Fragestellung an:
Zu der Frage der Beschlagnahmung von Immobilien: Ja. Auch bei Strafgerichten kann der Untersuchungsrichter nach eigenem Ermessen und je nach Schwere der Straftat anstelle von Untersuchungshaft, den Angeklagten bis zum eventuellen Gerichtstermin auf Kaution freilassen und eine Art der Kaution wäre die Beschlagnahmung einer Immobilie. Diese Immobilie darf aber nicht dem Angeklagten gehören. A B E R eine solche Freilassung auf Kaution kommt bei einer Anklage wegen sogenannten „Sicherheitsdelikten“ sehr selten vor. Das heißt, der Angeklagte wird in der Regel bis zum Gericht (kann auch mehrere Monate dauern) im Untersuchungshaft behalten.
ÖB –Österreichische Botschaft in Teheran [Österreich] (20.7.2022): Auskunft der Vertrauensperson per email
Religionsfreiheit
In Iran leben ca. 86 Millionen Menschen (CIA 10.5.2022), von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA 3.5.2018, vgl. USCIRF 4.2022). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten ’Buchreligionen’ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben in ihren Gemeinden relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als ’mohareb’ (Waffenaufnahme gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe bestraft werden (AA 28.1.2022; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018). Religiöse Minderheiten werden mit Argwohn betrachtet und als Bedrohung für das theokratische System gesehen (CSW 22.3.2022). Auch unterliegen Anhänger religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 28.1.2022). Somit werden auch anerkannte religiöse Minderheiten (Zoroastrier, Juden, Christen) diskriminiert, sie sind in ihrer Religionsausübung jedoch nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen. Sie haben gewisse rechtlich garantierte Minderheitenrechte, etwa eigene Vertreter im Parlament (ÖB Teheran 11.2021). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA 3.5.2018; vgl. FH 3.3.2021, IRB 9.3.2021, USCIRF 4.2022). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nicht- muslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA 23.5.2018; vgl. FH 28.2.2022, BAMF 3.2019), und ihre politische Vertretung bleibt schwach (FH 28.2.2022). Wichtige politische Ämter stehen ausschließlich schiitischen Muslimen offen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. AI 29.3.2022; OD 19.1.2022).
Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Baha’i, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch- Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. OD 19.1.2022). Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Mitunter wird von bedrohlicher Diskriminierung von Nicht-Schiiten seitens des familiären oder gesellschaftlichen Umfelds berichtet. Auch oppositionelle schiitische Geistliche und muslimische Sekten sind der Verfolgung ausgesetzt (ÖB Teheran 11.2021). Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt.
Das Parlament höhlte das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jänner 2021 weiter aus, indem es zwei neue Paragrafen in das Strafgesetzbuch aufnahm, wonach die ’Diffamierung staatlich anerkannter Religionen, iranischer Bevölkerungsgruppen und islamischer Glaubensrichtungen’ sowie ’abweichende erzieherische oder missionarische Aktivitäten, die dem Islam widersprechen’ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe geahndet werden können. Im Juli 2021 wurden drei Männer, die zum Christentum konvertiert waren, auf dieser Grundlage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt (AI 29.3.2022; vgl. OD 19.1.2022).
Die Regierung überwacht weiterhin die Aussagen und Ansichten hochrangiger schiitischer religiöser Führer, die die Regierungspolitik oder die Ansichten des Obersten Führers Ali Khamenei nicht unterstützten. Diese werden durch Behörden weiterhin mit Festnahmen, Inhaftierungen, Mittelkürzungen, Verlust von geistlichen Berechtigungsnachweisen und Beschlagnahmungen von Eigentum unter Druck gesetzt (US DOS 12.5.2021). Die Inhaftierung von Angehörigen religiöser Minderheiten, welche ihre Kultur, ihre Sprache oder ihren Glauben praktizieren, ist weiterhin ein ernstes Problem (HRC 11.1.2021; vgl. AI 29.3.2022).
Atheisten laufen prinzipiell ebenfalls Gefahr – im Extremfall wegen der ’Beleidigung des Propheten’ auch zum Tode – verurteilt zu werden, auch wenn derartige Fälle in den letzten Jahren nicht bekannt wurden. In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 28.4.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 28.4.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 16.5.2022
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Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist in Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 11.2021). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel ’mohareb’ (’Waffenaufnahme gegen Gott’), ’mofsid-fil-arz/fisad-al-arz’ (’Verdorbenheit auf Erden’), ’Handlungen gegen die nationale Sicherheit’ (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018), ’Organisation von Hauskirchen’ und ’Beleidigung des Heiligen’, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 28.1.2022). In der Praxis werden kaum mehr Verurteilungen wegen Apostasie registriert, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 11.2021; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (OD 2021). Quellen zufolge fand 1990 die einzige ’offizielle’ Hinrichtung eines Christen wegen Apostasie in Iran statt (IRB 9.3.2021). Der christliche Glaube gilt als gefährlicher westlicher Einfluss und als Bedrohung der islamischen Identität der Republik. Dies erklärt, warum insbesondere Konvertiten, die sich dem Islam ab- und dem christlichen Glauben zugewandt haben, wegen ’Verbrechen gegen die nationale Sicherheit’ verurteilt werden (OD 19.1.2022). Hierzu ist zu erwähnen, dass der Oberste Gerichtshof in Iran im November 2021 entschieden hat, dass neun christliche Konvertiten, die wegen ihrer Beteiligung an Hauskirchen zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden, nicht wegen ’Handelns gegen die nationale Sicherheit’ angeklagt werden sollten. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs heißt es, dass: ’Die bloße Verkündigung des Christentums und die Förderung der ’evangelikalen zionistischen Sekte’, was beides offensichtlich bedeutet, dass das Christentum durch Familientreffen [Hauskirchen] propagiert wird, ist kein Ausdruck der Zusammenkunft und der geheimen Absprache, um die Sicherheit des Landes zu stören, weder im Inneren noch nach außen’ (Artikel18 25.11.2021). Die neun Konvertiten sind 2022 offiziell freigesprochen worden. Die Abteilung 34 des Teheraner Berufungsgerichts schloss sich der Argumentation des Richters des Obersten Gerichtshofs an, der im November letzten Jahres entschieden hatte, dass die Verkündigung des Christentums nicht als Verstoß gegen die nationale Sicherheit Irans zu werten ist. Der Präzedenzfall ist überzeugend, so Mansour Borji, Leiter der Interessenvertretung von Artikel 18, da die Richter im Freispruch neun Gründe ausführlich dargelegt haben, die mit der iranischen Verfassung und der islamischen Tradition im Einklang stehen. Es könnte jedoch einige Zeit dauern, bis das Urteil rechtskräftig wird. Einer der neun Angeklagten sitzt bereits wieder im Gefängnis, wegen einer sechs Jahre alten separaten Anklage wegen Verbreitung des Christentums, für die er zuvor freigesprochen wurde. Zwei andere Angeklagte, die per Video zur Freiheit der Religionsausübung aufgerufen hatten, wurden wegen Propaganda gegen den Staat angeklagt. Die iranischen Christen begrüßten das Urteil, bleiben aber vorsichtig. Laut Borji ist dieses Urteil anders als alle anderen seiner Art, die er bisher gesehen hat (CT 1.3.2022). Die iranische Regierung ist jedoch dafür bekannt, dass sie ihre eigenen Regeln nicht befolgt (CT 21.12.2021).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar - noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 28.1.2022; vgl. OD 19.1.2022). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind. Die Probleme, die durch Konversion auftreten können, sind breit gefächert. Sie beginnen in der Schule, wo Kinder aus konvertierten Familien einen Verweis, oder die Verwehrung des Hochschuleintritts riskieren, sollten sie den Fächern Religionsunterricht, Islamische Lehre und Koranstunde fernbleiben (ÖB Teheran 11.2021).
Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit Konversion vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese Konversion ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich ’konvertierte’ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die Versammlung in – meist evangelikalen – Hauskirchen oder Hausgemeinden wird laut Behörden ’kontrolliert’, de facto aber untersagt, weshalb die einzelnen Gemeinden meist klein bleiben und ständig den Standort wechseln, um Razzien auszuweichen. Dennoch sind Hauskirchen inzwischen relativ weit verbreitet (ÖB Teheran 10.2020). Die Schließungen der ’Assembly of God’-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. IRB 9.3.2021). Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit, eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018). Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren. Deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da diese zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen wollen, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es ist jedoch unklar, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen. Allerdings wurde eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018). Razzien gegen Hauskirchen werden weiterhin durchgeführt (AI 29.3.2022).
Von Repressionen und willkürlichen Verhaftungen von konvertierten Christen, Mitgliedern der protestantischen und evangelischen Kirche wird immer wieder berichtet (ÖB Teheran 11.2021; vgl. FH 28.2.2022, CSW 22.3.2022). Im August 2020 wurden 35 neu Konvertierte verhaftet und im selben Monat sind vier weitere Konvertierte wegen Anschuldigungen wie ’Teilnahme an Versammlungen der häuslichen Kirchen’, ’Verbreitung vom zionistischen Christentum’ und ’Gefährdung der inneren Sicherheit’ zu insgesamt 13 Jahren Haft verurteilt worden (ÖB Teheran 11.2021). Derzeit befinden sich in Iran ca. 20 Christen wegen des Vorwurfs einer Bedrohung der nationalen Sicherheit in Haft, und seit 2012 wurden mehr als hundert Personen wegen dieser Straftat verurteilt (Vatikan News 7.12.2021; vgl. OD 3.12.2021, CT 1.3.2022). Die Aussichten für iranische Christen, insbesondere für christliche Konvertiten, trüben sich weiter ein. Inhaftierten Christen, besonders christlichen Konvertiten, wird oft eine Entlassung gegen Kaution angeboten. Dabei geht es meist um hohe Geldbeträge, die Berichten zufolge zwischen 2.000 und 150.000 US-Dollar liegen. Die betroffenen Christen oder deren Familien werden dadurch gezwungen, ihre Häuser oder Geschäfte mit Hypotheken zu belasten. Personen, die gegen Kaution freigelassen werden, schweigen oft, da sie den Verlust ihres Familienbesitzes fürchten müssen. Das iranische Regime drängt sie, das Land zu verlassen und damit ihre Kaution aufzugeben (OD 19.1.2022). Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 16.10.2019). Darüber hinaus wird Christen mitunter der Konsum von Alkohol (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens vorgeworfen (ÖB Teheran 11.2021).
Organisatoren von Hauskirchen laufen Gefahr, wegen ’Verbrechen gegen Gott’ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte (DIS/DRC 23.2.2018). Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen (ÖB Teheran 10.2020; vgl. Landinfo 16.10.2019, UK HO 2.2020, DIS/DRC 23.2.2018), es kommt aber auch vor, dass einfache Mitglieder inhaftiert werden (OD 19.1.2022; vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen. Wenn es sich um einen prominenten Fall handelt, werden die Betroffenen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden unter der Bedingung wieder freigelassen, sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen ist, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden in der Regel aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018). Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden steht, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob es auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder das Unterrichten von anderen Personen im Glauben, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden in der Regel nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018; vgl. Landinfo 16.10.2019).
Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein ’high-profile’-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Die iranischen Behörden sind in erster Linie daran interessiert, die Ausbreitung des Christentums zu stoppen, und verfügen allem Anschein nach nicht über die notwendigen Ressourcen, um alle christlichen Konvertiten zu überwachen (UK HO 2.2020). Die von der Regierung ausgeübte Kontrolle ist in städtischen Gegenden am höchsten. Ländliche Gebiete werden weniger stark überwacht. In der Anonymität der Städte haben Christen jedoch mehr Freiheiten, Treffen und Aktivitäten zu organisieren als in ländlichen Gebieten, in denen die soziale Kontrolle stärker ist (OD 19.1.2022).
Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 11.2021).
Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung hat, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein kann (DIS/DRC 23.2.2018). Open Doors gibt im Weltverfolgungsindex 2022 an, dass die Taufe als öffentliches Zeichen der Abwendung vom Islam gesehen wird und deshalb verboten ist (OD 19.1.2022).
Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (USDOS 12.5.2021). Der Besitz christlicher Literatur in Farsi, besonders in größeren Stückzahlen, legt den Verdacht nahe, dass sie zur Weitergabe an muslimische Iraner gedacht ist (OD 19.1.2022). Gleichzeitig ist bekannt, dass ein Projekt seitens des Erschad-Ministeriums zur Übersetzung der ’Katholischen Jerusalem Bibel’ ins Farsi genehmigt und durchgeführt wurde. Auch die Universität für Religion und Bekenntnis in Qom, die Religionsstudien betreibt, übersetzte noch im Jahr 2015 den ’Katechismus der Katholischen Kirche’ ins Farsi. Beide Produkte sind heute noch ohne Probleme in Büchergeschäften erhältlich (BAMF 3.2019).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 3.5.2022
AI – Amnesty International (29.3.2022): Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2021), https://www.ecoi.net/de/dokument/2070223.html , Zugriff 3.5.2022
Artikel18 (25.11.2021): Iran’s Supreme Court rules Christians did not act against national security, https://articleeighteen.com/news/9836/ , Zugriff 4.5.2022
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf , Zugriff 4.5.2022
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FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 3.5.2022
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OD – Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum: 1. Oktober 2019 –30. September 2020), https://www.opendoors.de/sites/default/files/country_dossier/8_laenderprofil_iran.pdf , Zugriff 4.5.2022
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Grundversorgung und Wirtschaft
Die Grundversorgung ist in Iran gesichert, wozu neben staatlichen Hilfen auch das islamische Spendensystem beiträgt. Der monatliche Mindestlohn für eine vierköpfige Familie mit einer erwerbstätigen Person liegt bei umgerechnet etwa 130 Euro im Monat (aufgrund von Inflation und Wechselkursveränderung stark schwankend). Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt umgerechnet bei ca. 180 Euro pro Monat (AA 28.1.2022).
Angesichts der immer schärferen US-Sanktionen gegen Iran und des dramatischen Währungsverfalls hat sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert (ÖB Teheran 11.2021; vgl. BS 2020). Gründe sind die US-Sanktionen und deren extraterritoriale Anwendung und damit Zurückhaltung europäischer Unternehmen vor Geschäften mit Iran, aber auch die Folgen der Covid-19-Pandemie. Viele Privatunternehmen mussten aufgrund fehlender Devisen und Importmöglichkeiten von Rohstoffen, Bestandteilen oder Ausrüstung die Produktion drosseln oder schließen (ÖB Teheran 11.2021).
Neben Arbeitslosigkeit spielt in Iran auch Unterbeschäftigung eine Rolle. Ausgebildete Arbeitskräfte (Facharbeiter, Uni-Absolventen) finden oft keine ihrer Ausbildung entsprechenden Jobs. Daraus folgen soziale Spannungen, aber auch ein beträchtlicher ’Braindrain’, der die iranische Gesellschaft und Wirtschaft beeinträchtigt (ÖB Teheran 11.2021). Angesichts der Kaufkrafteinbußen können viele Menschen ihre Lebenserhaltungskosten nur sehr knapp abdecken, jede Verschlechterung führt zu Verzweiflung (ÖB Teheran 11.2021). So kam es zu lokal begrenzten kurzzeitigen Protesten und Streiks, etwa wegen Gehaltsrückständen und schlechten Arbeitsbedingungen oder aufgrund des Preisdrucks in der Produktion (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 13.1.2022).
Die iranische Wirtschaft ist weitestgehend zentralisiert und steht zu großen Teilen unter staatlicher Kontrolle (GIZ 12.2020b). Der staatliche Sektor (staatliche und halbstaatliche Unternehmen) macht etwa 80% der iranischen Wirtschaftstätigkeit aus, während der private und kooperative Sektor nur 20% ausmacht (BS 2020). So haben viele iranische Unternehmen neben wirtschaftlichen auch politische Ziele zu erfüllen. Durch regelmäßige staatliche Eingriffe über Preisregulierungen und Subventionen, die in aller Regel politische Ursachen haben, konnte sich bisher eine eigenständige Wirtschaft nur bedingt entwickeln. Eine etablierte Privatwirtschaft gibt es vor allem auf dem Basar, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsgewerbe (GIZ 12.2020b). Die iranische Regierung ist der größte Monopolist des Landes, gefolgt von den Revolutionsgarden und anderen einflussreichen Institutionen und Menschen. Es gibt ein Gesetz gegen das Monopol, obwohl noch nie ein Unternehmen oder eine Person für monopolistische Maßnahmen zur Rechenschaft gezogen wurde (BS 2020). Erst in den letzten eineinhalb Jahrzehnten wurden, vor allem durch die 2001 gegründete Iranian Privatization Organization, vermehrt Anstrengungen zur Privatisierung weiterer Teile der Wirtschaft unternommen. Der wichtigste Sektor der iranischen Wirtschaft ist die Erdöl- und Erdgasproduktion. Die Ölförderung ist durch die National Iranian Oil Company monopolisiert, 80-85% der staatlichen Einnahmen stammen aus dem Öl- verkauf. Da zudem etwa 60% dieses Budgets in die Finanzierung staatlicher Unternehmen und Institutionen fließen, ist Iran nahezu komplett von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig. Nicht nur die Wirtschaft, auch der Lebensstandard vieler Iraner hängt vom Ölpreis ab. Problematisch sind auch die völlig veralteten Förderanlagen und Raffinerien des Landes. Aufgrund der Sanktionen konnten diese nicht modernisiert werden. Hindernisse bei der Modernisierung iranischer Förderanlagen und Raffinerien führten nicht zuletzt dazu, dass in den letzten Jahren immer wieder große Mengen an Benzin importiert werden mussten, um den heimischen Bedarf zu decken. Da Benzin lange staatlich subventioniert wurde, kostete dies den Staat in den letzten Jahren etwa 11% des BIP. Hebt die Regierung den Benzinpreis an oder begrenzt die ausgegebenen Rationen, führt das immer wieder zu teils gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 12.2020b). Soziale Unzufriedenheit war in den letzten Jahren mehrmals der Hintergrund von Unruhen in der Bevölkerung. Bei den gewalttätigen Unruhen im November 2019 starben Hunderte Menschen (Landinfo 12.8.2020) und Tausende wurden verletzt (FH 3.3.2021). In mehreren Provinzen, darunter auch in Khuzestan, hielten Demonstranten ab Mitte Juli 2021 Kundgebungen wegen Wassermangels und schlechter Lebensbedingungen ab. Die Sicherheitskräfte reagierten darauf, indem sie die Teilnehmer festnahmen und im weiteren Verlauf des Monats tödliche Gewalt anwendeten. Während dieser Proteste sollen mindestens elf Personen durch Sicherheitskräfte getötet worden sein (FH 28.2.2022).
Ein wichtiger, in nicht wenigen Bereichen sogar zentraler Faktor der iranischen Wirtschaft sind die halbstaatlichen religiösen Stiftungen, die Bonyads (GIZ 12.2020b; vgl. BS 2020). Heute gibt es etwa 120 davon. Hier verschmelzen Religion, Politik und Wirtschaft am deutlichsten. Entsprechend islamischer Grundsätze ist die Hauptaufgabe einer religiösen Stiftung die öffentliche Wohlfahrt, etwa in Form des Erhalts von Straßen oder der Pflege eines Pilgerzentrums. Daneben sind viele der Stiftungen heute jedoch international agierende Großkonzerne. Die größte Stiftung des Landes ist die Ostan-e Qods-e Rezavi, die Imam Reza Stiftung, die sich der Instandhaltung des religiösen Zentrums in Maschhad widmet. Daneben ist die Stiftung jedoch im (Teil-)Besitz zahlreicher Industrieunternehmen, wie etwa der Teheraner Busgesellschaft, und setzt jährlich geschätzte 14 Milliarden Dollar um. Zudem ist sie der größte Grundbesitzer des Landes. Die Bonyad-e Mostazafan wa Dschanbazan, die Stiftung der Unterdrückten und Kriegsveteranen, offiziell zuständig für die Versorgung der Kriegsversehrten und Armen, steht hingegen hinter der National Iranian Oil Company. Politisch steht sie den Revolutionswächtern nahe, viele ihrer hohen Beamten kommen aus deren Reihen. Vor allem mithilfe dieser Stiftungen, die beide offiziell direkt dem Revolutionsführer unterstehen, setzt der iranische Staat seine Vorstellungen einer islamischen Wirtschaftspolitik um und verteilt großzügig Gelder für politische Gefälligkeiten (GIZ 12.2020b). Diese Institutionen sind weder der Regierung noch der Justiz gegenüber rechenschaftspflichtig. Außerdem genießen die Bonyads viele Privilegien wie Steuerbefreiungen und einen ausschließlichen Zugang zu lukrativen Regierungsverträgen (BS 2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_% 28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 11.5.2022
• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 Country Report – Iran, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_IRN.pdf , Zugriff 11.5.2022
• FH – Freedom House (28.2.2022): Freedom in the World 2022 – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2068632.html , Zugriff 11.5.2022
• FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2020 – Iran, https://www.ecoi.net/de/doku ment/2046519.html, Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Sozialbeihilfen
Dem Arbeitsministerium ist die Verantwortung für Sozialhilfe und Versicherungswesen übertragen. Es gibt verschiedene Versicherungsträger, welche alle dem im Sozialministerium angesiedelten ’Hohen Versicherungsrat’ (HIC) unterstehen, der die Versicherungspolitik plant, koordiniert, durchführt und überwacht. Der Hauptversicherer ist die ’Organisation für Sozialversicherung’ (SSIO). Alle Arbeitgeber und -nehmer zahlen in das System ein und erhalten dafür gewisse Unterstützungsleistungen. Viele Kliniken und Spitäler dieser Organisation befinden sich in städtischen Gegenden (ÖB Teheran 11.2021). Alle angestellten Arbeitnehmer unterliegen einer Sozialversicherungspflicht, die die Bereiche Rente, Unfall und Krankheit umfasst. Der Rentenanspruch entsteht in voller Höhe nach 30 Beitragsjahren. Nachdem in die Sozialversicherungskasse zwei Jahre eingezahlt wurde, entsteht für Angestellte ein monatlicher Kindergeldanspruch in der Höhe von ca. 9 Euro pro Kind. Ebenfalls besteht ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 70-80% des Gehaltes, das für mindestens ein Jahr gezahlt wird. Schließlich erhält ein geringer Teil der nicht oder gering verdienenden iranischen Bevölkerung zur Sicherung der Grundversorgung monatlich 500.000 IRR (ca. 1,5 Euro) sog. Yarane (AA 28.1.2022). Selbstständige und Beamte sind nicht Teil der Arbeitslosenversicherung, da angenommen wird, dass ihre Arbeitsverträge nicht gekündigt werden können (Landinfo 12.8.2020).
Iranischen Bürgern stehen unterschiedliche Arten von Versicherungsschutz zur Verfügung. Bei der obligatorischen Versicherung werden Arbeitnehmer von den Arbeitgebern versichert. 7% der Prämie werden von den Arbeitnehmern und 23% von den Arbeitgebern gezahlt. Weiters steht den Eigentümern der Unternehmen eine freiwillige Abdeckung zur Verfügung. Es gibt drei Prämiensätze von 12%, 14% und 18%, die zulasten der Versicherten gehen. Das System deckt alle Angestellten und Freiberuflichen ab, wobei Letztere zwischen verschiedenen Stufen wählen können. Ein freiwilliger Versicherungsschutz ist für zuvor versicherte Personen zwischen 18 und 50 Jahren verfügbar. Dieser ist vollständig von der versicherten Person zu zahlen. Spezielle Systeme gibt es darüber hinaus für Staatsangestellte und Militärangehörige. Generell ist für Angestellte die Mitgliedschaft im Sozialversicherungssystem verpflichtend. Die Sozialversicherung schützt im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Berufsunfällen und auch bei altersbedingtem Ausscheiden. Seit 2003 wurden die zuständigen Institutionen zusammengelegt, um Ineffektivität und Redundanzen zu vermeiden. Zuschüsse und Leistungen werden auf Basis des Gehalts (insbesondere der letzten zwei Jahre) der zu versichernden Person berechnet, sowie auf Basis der monatlichen Zahlungen bei privat versicherten Personen. Solange Rückkehrende für eine iranische Organisation/Firma arbeiten, übernehmen die Arbeitgeber den Großteil der Beiträge. Ansonsten muss (je nach gewähltem Angebot) selbst eingezahlt werden. Angestellte müssen 7% des monatlichen Gehalts abgeben, während Selbstständige und Private einen individuell abgestimmten Beitrag bezahlen (IOM 2021). Die Mittel für die Altersrente werden durch gemeinsame Beiträge der versicherten Person, des Arbeitgebers und der Regierung gedeckt und variieren je nach Beitragsjahren. Die Altersrente wird über die Pensionskasse für Beamte, über die Organisation für soziale Sicherheit sowie über 16 weitere Pensionsfonds in Iran bereitgestellt. Die Hinterbliebenenrente wird an Angehörige einer versicherten verstorbenen Person gezahlt. Zu den Angehörigen zählen Witwe/Witwer, Kinder (das heißt Söhne bis zum Alter von 20 Jahren und Töchter bis zur Heirat) und Eltern. Die Rente des Ehepartners beträgt 50% der Alters- oder Invalidenrente der versicherten Person, während sie für Waisen 25% und für Eltern 20% beträgt. Die kombinierte Hinterbliebenenrente darf nicht unter dem gesetzlichen Mindestlohn oder über der Rente des Verstorbenen liegen. In Iran gibt es einen gesetzlichen monatlichen Mindestlohn für ungelernte Arbeitnehmer, der unter Berücksichtigung der Inflation jährlich neu berechnet wird. Darüber hinaus zahlt der Staat (praktisch) jeder Familie eine Wohnungs- und Lebensmittelzulage in Form von monatlichen Geldtransfers (yaraneh-ye naqdi). Familienbeihilfe wird im Rahmen von Sozialversicherungssystemen für Eltern gewährt, die mindestens 720 Tage gearbeitet und Beiträge gezahlt haben. Die Familienbeihilfe wird gezahlt, bis das Kind 18 Jahre alt ist, oder - wenn es studiert - bis das Studium abgeschlossen ist. Die Familienbeihilfe wird monatlich gezahlt und als das Dreifache des gesetzlichen täglichen Mindestlohns eines ungelernten Arbeitnehmers für jedes Kind berechnet. Die Leistungen werden jährlich angepasst (Landinfo 12.8.2020).
Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer und ihre Familien sind nicht bekannt. Im Übrigen gibt es soziale Absicherungsmechanismen, wie z.B. Armenstiftungen, Kinder-, Alten-, Frauen- und Behindertenheime. Hilfe an Bedürftige wird durch den Staat, die Moscheen, religiöse Stiftungen, Armenstiftungen und oft auch durch NGOs oder privat organisiert (z.B. Frauengruppen) (AA 28.1.2022). Als Teil des iranischen Sozialwesens haben alle iranischen Bürger das Recht auf kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung. Alle Bürger können über die Wohlfahrtsorganisation TAMIN EJTEMAEI eine Sozialversicherung beantragen. Darüber hinaus können Leistungen von Arbeitgebern oder privaten Anbietern und Organisationen angeboten werden (IOM 2021).
Der Kampf gegen die Armut wird vor allem unter religiösen Vorzeichen geführt. Die großen religiösen Stiftungen haben hier theoretisch ihren Hauptaufgabenbereich. Außerdem liegt die Versorgung der Armen in der Verantwortung der Gesellschaft, das Almosengeben ist eine der Säulen des Islam. Die blauen Spendenbehälter, vom Staat aufgestellt, um die ’sadeqe’, die Almosen, zu sammeln, finden sich in jeder Straße (GIZ 12.2020b). Die staatliche Wohlfahrtsorganisation betreibt Selbsthilfegruppen für Familien in schwierigen Situationen, die in Familienzentren organisiert sind. Einige erhalten Unterstützung bei der Arbeitssuche. Ein Projekt mit einem Mikrofinanzierungsansatz umfasst 50.000 Menschen - nicht nur Frauen, sondern auch Landbevölkerung und andere. Ziel ist es, die Armut zu verringern. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf weiblichen Ernährern. Es gibt ca. drei Millionen Familien, die von Frauen geführt werden. 180.000 von ihnen werden von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation betreut. Das Budget ist begrenzt und nicht alle Bedürftigen erhalten Hilfe. Die Leistungen gehen nicht unbedingt an die Frauen, sondern können beispielsweise die Bildung für Kinder abdecken (Landinfo 12.8.2020).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4r tiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf, Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020b): Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/iran/wirtschaft-entwicklung/#c4412 , Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Medizinische Versorgung
Seit der Islamischen Revolution hat sich das iranische Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die iranische Verfassung sichert allen Bürgern das Recht zu, den jeweiligen höchst erreichbaren Gesundheitszustand zu genießen. Die Verwirklichung dieses Zieles obliegt dem Ministerium für Gesundheit und medizinische Ausbildung (ÖB Teheran 11.2021). Jede Provinz beheimatet mindestens eine medizinische Universität, deren Rektor die Verantwortung für das Gesundheitswesen in der betroffenen Provinz trägt (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 2021). Neben dem zuständigen Ministerium und den Universitäten gibt es auch Gesundheitsdienstleister des privaten Sektors und NGOs (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Landinfo 12.8.2020). Diese bedienen jedoch eher die sekundäre und tertiäre Versorgung, während die Primär-/Grundversorgung (z.B. Impfungen, Schwangerschaftsvorsorge) staatlich getragen wird (ÖB Teheran 11.2021). Neben den medizinischen Universitäten wird ein Teil der Dienstleistungen von Versicherungs- unternehmen und den Provinz- und Bezirkseinheiten erbracht. Die dezentralen Einrichtungen (Gesundheitshäuser, ländliche Gesundheitszentren) bieten in den Räumlichkeiten der medizinischen Universitäten kostenlose Dienstleistungen an. An anderer Stelle bezahlt die erkrankte Person einen kleinen Betrag, um eine medizinische Behandlung zu erhalten (IOM 2021). Darüber hinaus gibt es im ganzen Land viele NGOs und Wohltätigkeitsorganisationen, die Gesundheitseinrichtungen betreiben, deren Zugang auf einer Bedarfsanalyse basiert, ohne dass auf einen vorherigen Versicherungsschutz Bezug genommen wird. Die Mahak-Gesellschaft zur Unterstützung krebskranker Kinder ist beispielsweise ein bekanntes gemeinnütziges Forschungs-, Krankenhaus- und Rehabilitationszentrum für Kinder mit Krebs. Die Patienten werden von Ärzten im ganzen Land an Mahak überwiesen. Laut einem Vertreter von Mahak wird jedes Kind, bei dem Krebs diagnostiziert wird, entweder im Mahak-Krankenhaus oder in anderen Krankenhäusern behandelt. Mahak deckt auch die Behandlung von Patienten in anderen Krankenhäusern in Iran ab. Die Behandlung ist kostenlos und die Patienten müssen nicht versichert sein, um eine Behandlung zu erhalten. Selbst Verwandte können bei der Begleitung ihrer kranken Kinder eine Finanzierung für die Unterkunft erhalten. Mahak empfängt Krebspatienten auch aus mehreren Nachbarländern (Landinfo 12.8.2020).
Notfallhilfe bei Natur- oder menschlich verursachten Katastrophen wird durch den gut ausgestatteten und flächendeckend organisierten iranischen Roten Halbmond besorgt (ÖB Teheran 11.2021). Der Rote Halbmond ist auch die zentrale Stelle für den Import von speziellen Medikamenten, die für Patienten in speziellen Apotheken erhältlich sind. In jedem Bezirk gibt es Ärzte, die dazu verpflichtet sind, Notfälle zu jeder Zeit aufzunehmen. In weniger dringenden Fällen sollte der Patient zunächst sein Gesundheitszentrum kontaktieren und einen Termin vereinbaren (IOM 2021).
Im Gesundheitswesen zeigt sich ein Stadt-Land-Gefälle. Das Gesundheitswesen ist zwar fast flächendeckend - laut WHO haben 98% aller Iraner Zugang zu ärztlicher Versorgung - die Qualität schwankt jedoch (GIZ 12.2020c). Die spezialisierte, medizinische Versorgung, gerade bei Notfällen oder Unfällen, ist in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischen Standards. In Teheran ist die medizinische Versorgung in allen Fachdisziplinen zumeist auf relativ hohem Niveau möglich (AA 11.5.2022a). Auch wenn der Zugang zu gesundheitlicher Erstversorgung größtenteils gewährleistet ist, gibt es dennoch gravierende Qualitätsunterschiede zwischen den Regionen. Folgende Provinzen weisen eine niedrigere Qualität als Teheran auf: Gilan, Hamadan, Kermanschah, Khuzestan, Tschahar Mahal und Bachtiyari, Süd-Khorasan sowie Sistan und Belutschistan. Es ist davon auszugehen, dass sich eine Vielzahl an Haushalten keine ausreichende Gesundheitsversorgung leisten kann. Gesundheitsdienste sind geografisch nicht nach Häufigkeit von Bedürfnissen, sondern eher nach Wohlstand verteilt (ÖB Teheran 11.2021).
Die medizinische Grundversorgung basiert auf ca. 19.000 ländlichen Gesundheitshäusern, die von jeweils einem männlichen und einer weiblichen ’Behvarz’ (Gesundheitspersonal, das nach der regulären elfjährigen Schulbildung zwei Jahre praktisch und theoretisch ausgebildet wird) geleitet werden. Jedes dieser Gesundheitshäuser ist für Gesundheitsvorsorge (u.a. Impfungen, Betreuung von Schwangerschaften) zuständig, wobei die Qualität der Versorgung als zufriedenstellend beurteilt wird. In Städten übernehmen sogenannte ’Gesundheitsposten’ in den Bezirken die Aufgabe der ländlichen Gesundheitshäuser. Auf der nächsten Ebene sind die ländlichen Gesundheitszentren zu finden, die jeweils von einem Allgemeinmediziner geleitet werden. Sie überwachen und beraten die Gesundheitshäuser, übernehmen ambulante Behandlungen und übergeben schwierigere Fälle an städtische, öffentliche Krankenhäuser, die in jeder größeren Stadt zu finden sind (ÖB Teheran 11.2021). Bis zu 90% der Bevölkerung in ländlichen Regionen haben Zugang zu Basisgesundheitsdienstleistungen. Auch in städtischen Regionen gibt es eine Vielzahl an Gesundheitszentren (IOM 2021). Weitere staatliche Institutionen wie die Iranian National Oil Corporation, die Justiz und Revolutionsgarden betreiben ihre eigenen Krankenhäuser. Die medizinische Belegschaft in Iran umfasst insgesamt mehr als 51.000 Allgemeinärzte, 32.000 Fachärzte, 115.000 Krankenschwestern, 33.000 Hebammen und 35.000 örtliche Gesundheitshelfer (behvarz) (Landinfo 12.8.2020). Im Jahr 2020 wurden 161 Projekte zum Bau ländlicher Gesundheitszentren abgeschlossen. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verbessert. Daneben hat das Überweisungssystem bei Hausärzten dazu beigetragen, dass Servicepakete für Prävention, Pflege und Behandlung auch in ländlichen Gebieten angeboten werden (IOM 2021).
Obwohl primäre Gesundheitsdienstleistungen kostenlos sind, und die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen erheblich zugenommen haben, müssen noch immer out-of-pocket-Zahlungen von den versicherten Personen geleistet werden (ÖB Teheran 11.2021). Es ist jedoch anzuführen, dass der Anteil derartiger Zahlungen durch die Patienten in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen ist. Vor dem Health Transformation Plan im Jahr 2014 waren Out-of-pocket- Zahlungen die Hauptfinanzierungsquelle, und lagen über 50% der Kosten. 2010 erreichten die Zahlungen einen Höchststand von 58%, während sie bis 2016 auf 35,5% zurückgingen. Dies ist jedoch noch weit von dem erklärten Ziel entfernt, die Out-of-pocket-Zahlungen auf unter 30% zu senken. Dies bedeutet, dass das Zahlungssystem nach wie vor weitgehend auf Servicegebühren sowohl im öffentlichen als auch im privaten Gesundheitswesen basiert (Landinfo 12.8.2020). Die Kosten für Krankenhäuser werden unter anderem dadurch gesenkt, dass die Versorgung des Kranken mit Gütern des täglichen Bedarfs, etwa Essen, immer noch weitestgehend seiner Familie zufällt (GIZ 12.2020c). Iran verwendet interne Referenzpreise für Arzneimittel, was bedeutet, dass Arzneimittel zum Preis des Referenz-Arzneimittels erstattet werden und die Patienten die Möglichkeit haben, teurere Arzneimittel zu kaufen und die zusätzlichen Kosten zu bezahlen. Der Erstattungspreis wird von der Regierung festgelegt, während Hersteller, Händler oder Einzelhändler ihren eigenen Arzneimittelpreis festlegen können (Landinfo 12.8.2020).
Alle iranischen Staatsbürger, inklusive Rückkehrende haben Anspruch auf grundlegende Gesundheitsleistungen (PHC) sowie weitere Angebote. Es gibt zwei verschiedene Arten von Krankenversicherungen, jene über den Arbeitsplatz oder eine private Versicherung. Beide gehören zur staatlichen iranischen Krankenversicherung TAMIN EJTEMAEI www.tamin.ir/ . Kinder sind zumeist durch die Krankenversicherung der Eltern abgedeckt. Um eine Versicherung zu erhalten, sind eine Kopie der iranischen Geburtsurkunde, ein Passfoto und eine komplette medizinische Untersuchung notwendig. Zusätzliche Dokumente können später gegebenenfalls angefordert werden (IOM 2021).
Allen iranischen Bürgern stehen mehrere Arten eines primären Krankenversicherungsschutzes zur Verfügung, darunter Tamin-Ejtemaei, Salamat, Khadamat-Darmani und Nirouhaye - Mosalah. Der Krankenversicherungsschutz umfasst medizinische Behandlungen und die Versorgung mit Medikamenten und Impfstoffen. Im Allgemeinen ist der primäre Krankenversicherungsschutz begrenzt. Für weitere medizinische Dienstleistungen kann zusätzlich eine private Krankenversicherung abgeschlossen werden (IOM 2021). Die ’Organisation für die Versicherung medizinischer Dienste’ (MSIO) wurde 1994 gegründet, um Beamte und alle Personen, die nicht von anderen Versicherungsorganisationen berücksichtigt wurden, zu versichern. Daneben kümmern sich Wohltätigkeitsorganisationen, u.a. die ’Imam Khomeini Stiftung’, um nicht versicherte Personen - etwa mittellose Personen oder nicht anerkannte Flüchtlinge. Registrierte afghanische Flüchtlinge können sich in der staatlichen Krankenversicherung registrieren (ÖB Teheran 11.2021).
Da es keine allgemein akzeptierte Definition für schutzbedürftige Personen gibt, ist es schwierig, diese Gruppe zu spezifizieren. Dennoch gibt es einige NGOs, die sich auf einen bestimmten Kreis Betroffener spezialisieren. Allgemein gibt es zwei Arten von Zentren, die Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen in Iran leisten, nämlich öffentliche und private. Die öffentlichen Einrichtungen sind in der Regel überlaufen und es gibt lange Wartezeiten, weshalb Personen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich oft an kleinere, spezialisierte private Zentren wenden. Die populärste Organisation ist BEHZISTI, die Projekte zu Gender, alten Menschen, Menschen mit Behinderung (inklusive psychischer Probleme), ethnische und religiöse Minderheiten, etc. anbietet. Außerdem werden Drogensüchtige, alleinerziehende Mütter, Personen mit Einschränkungen etc. unterstützt. Zu den Dienstleistungen zählen unter anderem sozio-psychologische Betreuung, Beratungsgespräche, Unterkünfte, Rehabilitationsleistungen, Suchtbehandlung etc. Die Imam Khomeini Relief Foundation bietet Dienstleistungen für Frauenhaushalte, Waisen, Familien von Häftlingen usw. an, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Der Zugang zu öffentlichen Angeboten ist für alle Bürger gleich. Dennoch gibt es zusätzliche Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen, die von den Gemeinden/Organisationen abgedeckt werden (IOM 2021).
Im Zuge der aktuellen Sanktionen gegen Iran ist es zu gelegentlichen Engpässen beim Import von speziellen Medikamentengruppen gekommen (IOM 2021; vgl. Landinfo 12.8.2020, HRC 13.1.2022). Obwohl auf dem Papier Medikamente und Lebensmittel von den Sanktionen nicht betroffen sind, ist es seit 2020 u.a. wegen fehlender Zahlungskanäle zu mehr Engpässen bei bestimmten Medikamenten wie z.B. Insulin gekommen (ÖB Teheran 11.2021). Das Gesundheitsministerium ist sehr bemüht, den Bedarf an Medikamenten zu decken. Aufgrund der mangelnden Devisen steigen aber die Preise der Medikamente, die aus dem Ausland eingeführt werden, sodass schwache Gesellschaftsschichten sich diese nicht mehr leisten können. Viele Medikamente werden in Iran selbst produziert, jedoch oftmals nicht in entsprechender Qualität (ÖB Teheran 11.2021). Im Generellen gibt es aber keine ernsten Mängel an Medizin, Fachärzten oder Equipment im öffentlichen Gesundheitssystem. Pharmazeutika werden zumeist unter Führung des Gesundheitsministeriums aus dem Ausland importiert. Zusätzlich gibt es für Bürger Privatkrankenhäuser mit Spezialleistungen in größeren Ballungsräumen. Die öffentlichen Einrichtungen bieten zwar grundsätzlich fast alle Leistungen zu sehr niedrigen Preisen an, aber aufgrund langer Wartezeiten und überfüllter Zentren, entscheiden sich einige für die kostenintensivere Behandlung bei privaten Gesundheitsträgern (IOM 2021).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.5.2022a): Reise- und Sicherheitshinweise - Gesundheit, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396#content_5 , Zugriff 11.5.2022
• GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit [Deutschland] (12.2020c): Gesellschaft Iran, https://www.liportal.de/iran/gesellschaft/ , Zugriff 11.5.2022 [Anm.: Der Link ist nicht mehr abrufbar. Die Daten sind jedoch bei der Staatendokumentation archiviert und einsehbar.]
• HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 11.5.2022
• IOM – International Organization for Migration (2021): Länderinformationsblatt Iran, https://milo.bamf.de/OTCS/cs.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772190/18364150/-/Iran_%2D_Country_Fact_Sheet_2021%2C_deutsch.pdf?nodeid=23268593&vernum=-2 , Zugriff 11.5.2022
• Landinfo [Norwegen] (12.8.2020): Report Iran. The Iranian Welfare System, https://www.ecoi.net/en/file/local/2036035/Report-Iran-Welfare-system-12082020.pdf , Zugriff 11.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 11.5.2022
Rückkehr
Allein der Umstand, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, löst bei einer Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht (AA 28.1.2022). In der iranischen Gesetzgebung gibt es kein Gesetz, das die Beantragung von Asyl im Ausland strafbar macht (Cedoca 30.3.2020). In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Trotzdem kann es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden (AA 28.1.2022). Allerdings gibt es zum Thema Rückkehrer nach wie vor kein systematisches Monitoring, das allgemeine Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulassen würde. In Einzelfällen konnte im Falle von Rückkehrern aus Deutschland festgestellt werden, dass diese bei niederschwelligem Verhalten und Abstandnahme von politischen Aktivitäten, mit Ausnahme von Einvernahmen durch die iranischen Behörden unmittelbar nach der Einreise, keine Repressalien zu gewärtigen hatten. Allerdings ist davon auszugehen, dass Rückkehrer keinen aktiven Botschaftskontakt pflegen, der ein seriöses Monitoring ihrer Situation zulassen würde. Auch IOM Iran, die in Iran Unterstützungsleistungen für freiwillige Rückkehrer im Rahmen des ERIN-Programms anbietet, unternimmt ein Monitoring nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Wiedereingliederung der Rückkehrer, nicht jedoch im Hinblick auf die ursprünglichen Fluchtgründe und die Erfahrungen mit Behörden nach ihrer Rückkehr. Australien zahlt Rückkehrhilfe an eine bislang überschaubare Gruppe an freiwilligen Rückkehrern in Teheran in Euro aus (ÖB Teheran 11.2021).
Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und nach Iran zurückkehren. Eine Einreise ist lediglich mit einem gültigen iranischen Reisepass möglich. Die iranischen Auslandsvertretungen sind angewiesen, diesen jedem iranischen Staatsangehörigen auf Antrag auszustellen (AA 28.1.2022).
Iranische Flüchtlinge im Nordirak können offiziell nach Iran zurückkehren. Dafür werden iranische Identitätsdokumente benötigt. Wenn Personen diese Dokumente nicht besitzen, können sie diese beantragen. Für die Rückkehr nach Iran braucht man eine offizielle Erlaubnis des iranischen Staates. Die Rückkehr wird mit den Behörden von Fall zu Fall verhandelt. Iranische Rückkehrer, die nicht aktiv kurdische Oppositionsparteien, wie beispielsweise die KDPI oder Komala, unterstützen, werden nicht direkt von den Behörden ins Visier genommen werden. Sie können aber zu ihrem Leben im Nordirak befragt werden. Der Fall kann aber anders aussehen, wenn Rückkehrer Waffen transportiert haben, oder politisch aktiv sind und deshalb Strafverfolgung in Iran riskieren. Die Rückkehr aus einem der Camps in Nordirak kann als Zugehörigkeit zu einer der kurdischen Oppositionsparteien gedeutet werden und deshalb problematisch sein (DIS/DRC 23.2.2018).
In Bezug auf Nachkommen von politisch aktiven Personen wird berichtet, dass es solche Rückkehrer gibt, aber keine Statistiken dazu vorhanden sind. Es ist auch üblich, dass Personen die Grenze zwischen dem Irak und Iran überqueren. Auch illegale Grenzübertritte sind weit verbreitet. Nachkommen von politisch aktiven Personen riskieren nicht notwendigerweise Strafverfolgung, wenn sie nach Iran zurückkehren. Ob solch ein Rückkehrer Strafverfolgung befürchten muss, würde von den Profilen der Eltern und wie bekannt diese waren, abhängen. Befragungen durch Behörden sind möglich, aber wenn sie beweisen können, dass sie nicht politisch aktiv sind und nicht in bewaffneten Aktivitäten involviert waren, wird das Risiko für Repressionen eher gering ausfallen (DIS/DRC 23.2.2018).
Wenn Kurden im Ausland politisch aktiv sind, beispielsweise durch Kritik an der politischen Freiheit in Iran in einem Blog oder anderen Online-Medien, oder wenn eine Person Informationen an die ausländische Presse weitergibt, kann das bei einer Rückreise eine gewisse Bedeutung haben. Die Schwere des Problems für solche Personen hängt aber vom Inhalt und Ausmaß der Aktivitäten im Ausland und auch vom persönlichen Aktivismus in Iran ab (DIS/DRC 23.2.2018).
Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Iraner oder Ausländer, die bestimmte Straftaten im Ausland begangen haben und in Iran festgenommen werden, werden nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Auf die Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss; die Gerichte erlassen eigene Urteile. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind jedoch keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 28.1.2022).
Quellen:
• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.1.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2068037/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Iran_%28Stand_23.12.2021%29%2C_28.01.2022.pdf , Zugriff 10.5.2022
• Cedoca – Documentation and Research Department of the Office of the Commissioner General for Refugees and Stateless Persons [Belgien] (30.3.2020): COI Focus IRAN Treatment of returnees by their national authorities, https://coi.easo.europa.eu/administration/belgium/PLib/COI_Focus_Iran_Treatment%20of_returnees_by_their_national_authorities_30032020_update_ENG.pdf , Zugriff 10.5.2022
• DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): Iran: Issues concerning persons of ethnic minorities, including Kurds and Ahwazi Arabs, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426253/1788_1520517984_issues-concerning-persons-of-ethnic-minorities-in cluding-kurds-and-ahwazi-arabs.pdf , Zugriff 10.5.2022
• ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 10.5.2022
COVID-19
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.
In Österreich gibt es mit Stand 25.09.2022, 5.073.706 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 20.712 Todesfälle (https://orf.at/corona/daten/oesterreich ); in Iran wurden mit Stand 23.09.2022, (https://covid19.who.int/region/euro/country/ir ) 7.545.351 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 144.358 diesbezüglicher Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
In Österreich wurden mit 25.09.2022 insgesamt 19.278.143 Impfdosen verabreicht und sind ca. 59% der Gesamtbevölkerung gemäß den Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums mit der Schutzimpfung gegen Corona geschützt. Iran hat ebenfalls mit der Durchimpfung der Bevölkerung begonnen. Bis zum 18.09.2022 wurden insgesamt 154.329.909 Impfstoffdosen verabreicht und es sind ca. 66 % der Bevölkerung vollständig geimpft. Die 7-Tage-Inzidenz liegt zum Entscheidungszeitpunkt in Iran ca. bei 5. Im Vergleich dazu liegt die 7-Tage-Inzidenz in Österreich höher auf ca. 550.
Die Covid-Lage flachte nach einer dramatischen fünften Welle im August 2021 mit den weltweit höchsten Fallzahlen etwas ab (ÖB Teheran 11.2021). Trotzdem ist Iran noch stark von der Pandemie betroffen. Beispielsweise herrscht in den Krankenhäusern ein gravierender Mangel an medizinischen Gütern, und es wird befürchtet, dass die Sanktionen den Zugang zu medizinischer Ausrüstung und Produkten zusätzlich erschwert haben. Gesundheitsexperten zufolge haben die begrenzten Impfstoffvorräte und die schleppende Impfkampagne erheblich zu der Gesundheitskrise beigetragen (HRC 13.1.2022). Bis Ende 2021 wurden in Iran über sechs Millionen Covid-Fälle und mehr als 130.000 Todesfälle registriert (UNHCR 14.4.2022).
Bei einer Einreise nach Iran ist unter Umständen auf Aufforderung der iranischen Behörden am Flughafen ein PCR-Test zu machen, dessen Kosten Änderungen unterliegen und zwischen 15 und 50 Euro liegen. Ein Nachweis über eine vollständige Impfung vor mindestens 15 Tagen ist erforderlich. Personen, die (auch) im Besitz der iranischen Staatsangehörigkeit sind und daher mit einem iranischen Pass einreisen, benötigen jedenfalls einen maximal 72 Stunden alten PCR- Test in englischer Sprache (BMeiA 19.5.2022). Reisende können bei der Einreise zusätzlich zu ihrem gesundheitlichen Befinden und ihrer Reiseroute nach ihren geplanten Aufenthaltsorten in Iran befragt werden. Bei Covid-19-Symptomen können ärztliche Untersuchungen und ein Covid- 19-Test vorgenommen werden. Ein erneuter Covid-19-Test kann von den iranischen Behörden angeordnet und durchgeführt werden. Bei einem positiven Testergebnis erfolgt eine rigorose Kontrolle der Kontaktpersonen und gegebenenfalls ergehen weitere verpflichtende (Quarantäne-)Anweisungen. Alle entstehenden Kosten sind von den Reisenden zu tragen. Sollten Reisende innerhalb von zwei Wochen nach Einreise Symptome entwickeln, die auf eine Erkrankung an Covid-19 hinweisen, kann ebenfalls ein erneuter Test durchgeführt werden. Abweichende Handhabungen sind jederzeit und kurzfristig möglich. Landgrenzen bleiben weiterhin größtenteils geschlossen. Es gibt Einschränkungen im Flugverkehr. Transitflüge einiger internationaler Fluglinien sowie Direktflüge zu verschiedenen europäischen Destinationen werden durchgeführt. Es kann dabei stets zu kurzfristigen Änderungen des Flugplans kommen (AA 19.5.2022b).
Das Tragen von Gesichtsmasken an geschlossenen öffentlichen Orten ist verpflichtend. Bei Nichteinhaltung kann eine Geldstrafe verhängt werden. In Iran gelten Maßnahmen und Beschränkungen, darunter die vorübergehende Schließung nicht wesentlicher Geschäfte und religiöser Schreine und die Absage einiger öffentlicher Veranstaltungen. Jede Provinz ist in der Lage, Beschränkungen einzuführen, um auf örtlich begrenzte Infektionsspitzen zu reagieren. Dies kann einen Lockdown und eine Bewegungseinschränkung beinhalten. Interne Reisebeschränkungen, auch in wichtige Tourismus- und Pilgergebiete, können kurzfristig verhängt werden (GOV.uk o.D.).
Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Gesundheitssektor sind schwer abzuschätzen. Während der schlimmsten Pandemie-Phasen führte Iran regelmäßig die Statistiken an Infizierten und Todesfällen in der Region und teilweise weltweit an. Die tatsächlichen Zahlen dürften etwa dreimal höher gelegen haben. Berichte über Kranke, die mangels Betten aus Spitälern nach Hause geschickt wurden, häuften sich. Kosten für Medikamente - auch in Spitalsbehandlung - konnten sich nicht alle leisten. Wegen voller Auslastung der Krankenhäuser (am meisten in den großen Städten und Ballungsräumen) wurden Feldspitäler aufgebaut. Seitens der Behörden wurden zwar Maßnahmen erlassen, um das Gesundheitssystem zu entlasten, insbesondere Hygienemaßnahmen und Bewegungseinschränkungen, die jedoch regelmäßig missachtet werden. Ein besonderes Problem stellen religiöse Prediger bzw. Veranstaltungen dar, bei denen viele Männer zusammenkommen, ohne Abstand zu halten (ÖB Teheran 11.2021).
Die Covid-19-Krise verstärkt die aufgrund der US-Sanktionen ohnehin ökonomisch schwierige Lage. Eine Reihe von UN-Sonderberichterstattern kritisierten die Auswirkungen der Sanktionen auf die Anschaffung von Impfstoffen. Nachdem der Oberste Führer Khamenei den Import von Impfstoffen aus Großbritannien und den USA zunächst verboten hatte, und im Lichte der Probleme mit der Bezahlung von Importen aufgrund der US-Sanktionen (als ’middle income country’ muss Iran COVAX-Impfstoffe bezahlen) setzte man im Sinne der Doktrin der nationalen Resilienz auf eigene Impfstoff-Entwicklung. Die Massenproduktion stockte jedoch, und auch Offizielle kritisieren den Umgang mit der Pandemie. Organisierte zivilgesellschaftliche Kritik wird unterdrückt (Verhaftung von Rechtsanwälten, die Klage gegen Behörden anstrebten). Mittlerweile hat die Lieferung ausländischer Impfstoffe seit September 2021 deutlich zugenommen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. HRC 13.1.2022). Das iranische Gesundheitsministerium berichtete, dass bis Ende Dezember über 50 Millionen Menschen in Iran vollständig geimpft waren, darunter über 1 Million afghanische Staatsangehörige, einschließlich Flüchtlinge und Menschen ohne Registrierung. In enger Zusammenarbeit mit dem Büro für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (BAFIA) unterstützt UNHCR die iranische Regierung weiterhin bei der Bekämpfung von Covid-19 (UNHCR 14.4.2022).
Quellen:
AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2022b, unverändert gültig seit 12.5.2022): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/iransicherheit/202396 , Zugriff 19.5.2022
BMeiA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten [Österreich] (19.5.2022, unverändert gültig seit 17.5.2022): Iran - Aktuelle Hinweise, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 19.5.2022
GOV.uk - Governement United Kingdom [Großbritannien] (o.D.): Foreign travel advice Iran, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/iran/coronavirus , Zugriff 19.5.2022
HRC – UN Human Rights Council (13.1.2022): Situation of human rights in the Islamic Republic of Iran; Report of the Secretary-General [A/HRC/49/75], https://www.ecoi.net/en/file/local/2068145/A_HRC_49_75_E.pdf , Zugriff 19.5.2022
ÖB Teheran – Österreichische Botschaft Teheran [Österreich] (11.2021): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2064921/IRAN_%C3%96B-Bericht_2021.pdf , Zugriff 19.5.2022
UNHCR (14.4.2022): COVID-19 response in the Islamic Republic of Iran, December 2021, https://reliefweb.int/report/iran-islamic-republic/covid-19-response-islamic-republic-iran-december-2021 , Zugriff 19.5.2022
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Erstbefragung vom 20.04.2021) und durch das Bundesamt (Einvernahme vom 15.07.2021), der Beschwerdeschriftsatz, die Länderinformationen der Staatendokumentation – Iran vom 23.05.2022 (Version 5) mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Iran: Dokumentenüberprüfung; Hausbeschlagnahme vom 21.07.2022, die angeforderten Unterlagen betreffen des Visaantrages des BF bei der ÖB Teheran, die vom BF vorgelegten Beweismittel (iranisches Gerichtsurteil, Ladung, Besitzurkunde bezüglich des Hauses etc.) sowie die vorgelegten Integrationsunterlagen und die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 23.06.2022.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Aufgrund des bei der Erstbefragung vorgelegten iranischen Führerscheins des BF, der laut Aktenvermerk bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Vorlage gebracht wurde, weshalb gemäß Grundsatzerlass der GD (GZ.: BMI-OA1300/0150-II/1/b/2016) von dessen Echtheit ausgegangen werden muss (AS 19-20 und 51) steht die Identität des BF fest. Hinzukommt, dass in dem von der ÖB Teheran übermittelten Visumantrag des BF auch die Ablichtung des iranischen Reisepasses des BF enthalten ist und mit der festgestellten Identität des BF in Einklang steht (AS 95). Die Feststellungen betreffend weiterer Personenmerkmale (Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Sprachkenntnisse und Familienstand) gründen auf seinen schlüssigen Angaben in der mündlichen Verhandlung (Seite 5-6 des Verhandlungsprotokolls), die mit seinen Angaben im behördlichen Verfahren im Wesentlichen in Einklang stehen (Seite 3-5 des Einvernahmeprotokolls).
Die Feststellungen zu den weiteren Lebensumständen des BF in Iran (Herkunft, Aufwachsen, Bildung, Wohnorte, Erwerbstätigkeit) basieren auf den schlüssigen und glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 5 und 7 des Verhandlungsprotokolls).
Ebenso ergeben sich auch die Feststellungen zu seinen Familienmitgliedern sowie deren Aufenthalt im Herkunftsstaat auch auf den gleichbleibenden Angaben des BF vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung, wo er durchgehend vorbrachte, dass alle seine Familienangehörigen (Mutter, Brüder, Ehefrau, Kinder, Schwiegereltern) bis auf einen Bruder in Teheran aufhältig sind. Auch gibt der BF an, in täglichen Kontakt mit seiner Ehefrau und Kindern über WhatsApp zu stehen, weshalb davon auszugehen ist, dass der BF über die genauen Aufenthalte seiner Familienmitglieder in Kenntnis ist (vgl Seite 4-5 des Einvernahmeprotokolls; Seite 9 des Verhandlungsprotokolls).
Die Feststellungen zur Aus- und Einreise sowie Antragstellung ergeben sich aus dem Polizeibericht vom 19.04.2021, der Angaben des BF bei der Erstbefragung vor der Sicherheitsbehörde insbesondere zu der Reiseroute und den Visa Daten des BMI (AS 4, Seite 5 des Erstbefragungsprotokolls, AS 35). Dass der BF ein Handelsvisum in Iran für Österreich gegen Bezahlung erhielt und dieses mit Hilfe von gefälschten Unternehmen unter anderen zur beruflichen Tätigkeit des BF ausgestellt worden ist, steht aufgrund der Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung und dem übermittelten Visaantrag, fest. So gab der BF in der Verhandlung zu, dass er jemanden beauftragte ihm ein Visum zu besorgen und die Unterlagen, welche an der österreichischen Botschaft in Iran zu erreichen eines Visums übermittelt wurden nicht richtig sind (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls).
Der weitere Verfahrenslauf ergibt sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.
Dass der BF gesund ist und an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden psychischen oder physischen Erkrankungen leidet steht aufgrund seiner gleichbleibenden Angaben – gesund zu sein, fest. Dass der BF einen hohen Blutdruck und eine fette Leber hat, brachte der BF erstmals in der mündlichen Verhandlung vor, wobei er gleichzeitig angab, dass es ihm sonst gut gehe (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls). Dass er Medikamente einnimmt oder medizinische Behandlung bedürfe, brachte er nicht vor, legte diesbezüglich auch keine ärztlichen Bescheinigungen vor und konnte vor diesem Hintergrund auch nicht festgestellt werden. Dass der BF gegen Corona geimpft ist, gab er in der mündlichen Verhandlung an und ergibt sich auch aus einem GVS-Auszug (Seite 3 des Verhandlungsprotokolls).
Dass der BF keiner Covid-19 Risikogruppe angehört ergibt aus seinem Alter (43 Jahre) und dem Gesundheitszustand sowie der Tatsache, dass er diesbezüglich kein Vorbringen erstattete, geimpft ist und unter Hinweis auf die Covid-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II 203/2020 an keiner dort aufgelisteten Grunderkrankung leidet. Bluthochdruck wird nur in Zusammenhang mit bestehenden Endorganschäden, insbesondere chronische Herz- oder Niereninsuffizienz, oder nicht kontrollierbarer Blutdruckeinstellung als medizinische Indikation für die Zuordnung zur Covid-19 Risikogruppe aufgelistet. Dass aufgrund der Corona-Pandemie der BF auch nicht Gefahr läuft in Iran eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden wird, ergibt sich aus den Länderinformationen. Zudem ist das Infektionsgeschehen in Vergleich zu ÖSTERREICH in Iran aufgrund der publizierten Daten in Relation zur Bevölkerungszahl – auch unter Berücksichtigung einer höheren Dunkelziffer – jedenfalls nicht schlechter. Hinzu kommt, dass in Iran die Medizinische Versorgung gewährleistet ist und Iran über einen Impfstoff verfügt sowie mit der Durchimpfung der Bevölkerung begonnen hat.
Die Feststellungen zur Situation des BF in Österreich, seine sozialen Kontakte, seinen Wohnsitz, Familienmitglieder im Bundesgebiet, berufliches Engagement basieren auf den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (Seite 11-12 des Verhandlungsprotokolls) sowie auf den vorgelegten Integrationsunterlagen (Empfehlungsschreiben vom XXXX , Empfehlungsschreiben von Frau XXXX vom 06.07.2021, Bestätigung einer Tätigkeit in Ausmaß von 9 Stunden bei der Stadtgemeinde XXXX vom 13.07.2021, Empfehlungsschreiben von XXXX und der Bescheid des AMS vom 22.09.2022 ). Zudem ergibt sich aus der Einsicht in das Betreuungsinformationssystem, dass der BF seit April 2021 Leistung aus der Grundversorgung bezieht und sein Wohnsitz in Österreich aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters. Glaubhaft schilderte der BF in Einklang mit den vorgelegten Empfehlungsschreiben auch seine sozialen Kontakte im Bundesgebiet und zeigte dem Richter Fotos von gebackenen Ostergebäck (Seite 11 des Verhandlungsprotokolls:
„RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?
BF: Ein paar Nachbarn kenne ich. Ich habe immer viel gearbeitet, 21 Jahre lang, deswegen kann ich nicht ruhig sitzen und frag nach, wenn mein Nachbarn Hilfe brauchen, dann helfe ich sie. Z.B. zu Ostern habe ich gebacken und es ihnen geben. Ich habe auch ein Foto.
BF zeigt RI das Foto.
BF: Der eine heißt XXXX und ein Herr der mir diesen Brief geben hat XXXX . XXXX ist schon Pensionist. Mit ihm treffe ich mich und trinke Kaffee. XXXX ist gegenüber im Heim und ist so wie eine Mutter. Sie kommt manchmal zu uns oder wenn sie etwas zu erledigen hat, dann gehen wir und helfen ihr. Der XXXX hat eine Weinfabrik, den habe ich auf einem Weinfest kennengelernt. Er ist der Nachbar von XXXX und immer, wenn er Zeit hat treffen wir uns. Sie sind alle sehr gastfreundlich, so als wären wir keine Migranten. Das ist alles.“).
Dass der BF arbeitsfähig ist ergibt sich aus seinem Alter, dem Gesundheitszustand sowie der Tatsache, dass er bereits in seinem Herkunftsland über 20 Jahre als Verkäufer und zuletzt auch als Taxifahrer gearbeitet hat und im Bundesgebiet ebenfalls berufliches Engagement zeigt, indem er ein paar Stunden am städtischen Bauhof in XXXX tätig war, ein Schnupperpraktikum als Koch absolvierte und von Freunden/Bekannten als sehr engagiert und hilfsbereit in den vorgelegten Empfehlungsschreiben beschrieben wird. Außerdem erhielt der BF eine Beschäftigungsbewilligung als Abteilungskoch für eine Vollzeitbeschäftigung.
Dass der BF über fast keine Deutschkenntnisse verfügt und bis dato auch nur Lektionen einer Online-Lernplattform auf dem Niveau A1 absolvierte und an einem ehrenamtlich geleiteten Deutschunterricht teilnahm, gründet auf der vorgelegten Bestätigung der Teilnahme am Lernportal der VHS vom 14.06.2022 sowie auf den Empfehlungsschreiben von Frau XXXX vom 06.07.2021 und auf seinen Angaben sowie auf dem gewonnenen Eindruck in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo dem BF einige Fragen auf Deutsch gestellt wurden. Der erkennende Richter konnte diesbezüglich feststellen, dass der BF die auf Deutsch gestellten Fragen nicht verstanden und nicht auf Deutsch beantwortet hat. Die wenigen Deutschkenntnisse hat der BF glaubhaft über den ehrenamtlich geleiteten Deutschkurs und einer Online-Lernplattform sowie über Mitmenschen gelernt (vgl. Seite 11-12 des Verhandlungsprotokolls).
Dass der BF mit den iranischen Gepflogenheiten und Kultur vertraut gründet auf der Tatsache, dass er bis 2021 durchgehend seit seiner Geburt in Iran aufgewachsen ist und gelebt hat sowie insbesondere dort auch seine Kindheit und Jugend verbracht hat sowie eine eigene Familie gegründet hat. Dass der BF aus der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten ist, steht aufgrund der Vorlage der Bescheinigung über den Austritt aus der Glaubensgemeinschaft der BH XXXX vom 03.06.2022, fest. Sohin steht auch fest, dass der BF laut seinen Angaben zwar gebürtiger Muslim ist, aber im Bundesgebiet seinen Glauben nicht mehr praktiziert.
Die Unbescholtenheit des BF basiert auf der Einsichtnahme in den Strafregisterauszug.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen:
Der BF brachte im Zuge des behördlichen und gerichtlichen Verfahrens als Grund für die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz vor, dass er in Iran in Folge einer Teilnahme an einer Demonstration eine langjährige Haftstrafe zu befürchten habe.
Die belangte Behörde führte ein ordentliches Ermittlungsverfahren durch und begründete sehr ausführlich die Abweisung des Antrages des BF auf internationalen Schutz hauptsächlich aufgrund von widersprüchlichen Angaben des BF bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem Bundesamt (Seite 48-54 des angefochtenen Bescheides). Es ist jedoch auch dem Vorbringen der Beschwerde beizupflichten, dass die belangte Behörde auf die eingebrachten Länderinformationen nicht einging und anhand dieser keine Plausibilitätsprüfung durchführte und sich das Vorbringen des BF zu seiner Anhaltung, Haft sowie seinem Gerichtsverfahren inhaltlich mit den herangezogenen Länderberichten der belangten Behörde decken (Seite 4-6 des Beschwerdeschriftsatzes). Weiters ist anzumerken, dass die belangte Behörde ua.
Zu Beginn ist auch anzumerken, dass der BF sein Fluchtvorbringen auch bei der Erstbefragung sehr ausführlich darlegte und im Wesentlichen die Fluchtgründe gleichbleibend vom BF gleichbleibend vorgebracht wurden. In Anbetracht der vorgehaltenen Widersprüche der belangten Behörde ist auszuführen, dass Zweck der Erstbefragung nicht die Ergründung der Fluchtgeschichte ist und nur ein gänzlich widersprechendes Vorbringen, komplett anderes Vorbringen oder gänzliche Nichterwähnung des später vorgebrachten Fluchtgrundes in der Erstbefragung aufgegriffen werden kann. Insbesondere in der mündlichen Verhandlung bekam der BF noch einmal die Gelegenheit zu erzählen, warum er flüchten musste. Dem kam der BF nach und erzählte insgesamt chronologisch, konkret, sehr ausführlich, in sich schlüssig und im Einklang mit den Angaben vor dem Bundesamt welche Vorfälle zu seiner Flucht geführt haben (Seite 13-14 des Verhandlungsprotokolls). Der BF legte zum Beweis seiner Fluchtgründe auch weitere iranische Unterlagen betreffend seine behauptete Verurteilung in Abwesenheit wegen der unterstellten Organisation von Demonstrationen und regimekritischen Aktivitäten, vor. So legte der BF auch eine Kopie des Kaufvertrages und der Besitzurkunde samt Kennzeichnung der Immobilienbeschlagnahme vor. Es BF untermauerte damit glaubhaft sein Vorbringen, dass die Wohnung seiner Frau als Kaution für die Freilassung aus der Haft beschlagnahmt wurde. Der BF brachte sohin gleichbleibend und insofern glaubhaft vor, dass er sich am 15.11.2019 einer Demonstration gegen die erhöhten Benzinpreise anschloss. Der BF schilderte übereinstimmend wie auch vor dem Bundesamt, dass er gemeinsam mit weiteren Demonstranten in sein Geschäft vor der Polizei geflüchtet sei, die sich gewaltsam Zutritt verschafft haben, das Geschäft zerstörten und alle Demonstranten festgenommen und weggebracht worden seien. Ebenso gab der BF die Einzelheit, dass sie in 6er Gruppen in Räumen aufgeteilt worden seien, gleichbleibend an, sowie auch, dass er beim Verhör misshandelt worden sei und zu einem unterschriebenen Geständnis gezwungen worden sei (vgl. Seite 7-9 des Einvernahmeprotokolls; Seite 13-14 des Verhandlungsprotokolls). Insgesamt ist anzumerken, dass sich bei einem Vergleich der Angaben zu den Fluchtgründen des BF vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung ergeben sich viel mehr Übereinstimmungen, als Widersprüche im Aussageverhalten des BF, weshalb dem Fluchtvorbringen des BF auch nicht die gänzliche Glaubhaftigkeit abzusprechen ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass der vorgehaltene Widerspruch des Bundesamtes, dass das vorgelegte Strafurteil bereits vor der behaupteten Teilnahme an der Demonstration des BF erstellt wurde. Dieser Widerspruch gründete aber auf einen Übersetzungsfehler bzw. Berechnungsfehler des iranischen Datums am Urteil und ist nunmehr nicht mehr gegeben, vielmehr ist das Urteil nach der Demonstration datiert. Die Erstellung des juristischen Schreibens erfolgte nicht im Jahr 2019, sondern im Jahr 2020, wodurch es nach der Demonstration war und auch der von der belangten Behörde vorgeworfene und damit unglaubwürdige Zeitraum von 14 Monaten nicht dem Vorbringen und der vorgelegten Urkunden entspricht (Bescheid Seite 49). Daher dies von der Behörde falsch gewürdigt wurde und daher zur Glaubwürdigkeit des Vorbringens beiträgt. Weiters konnte der BF sein Fluchtvorbringen auch mit vielen Einzelheiten zu örtlichen Gegebenheiten (EVIN-Gefängnis), zur zeitlichen Abfolge und den Namen des engagierten Rechtsanwaltes sowie der Verbindungsperson für das erhaltene Visum nennen (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Auch die Nachfragen des erkennenden Gerichtes beantwortete der BF ausführlich und nachvollziehbar (Seite 15-17 des Verhandlungsprotokolls).
Am schwersten wiegt jedoch, dass sich die Ausführungen des BF zu den Vorfällen in Iran mit den eingebrachten Länderinformationen decken und insofern durchaus plausibel erscheinen und sohin nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Iran strafgerichtliche Verfolgung durch staatliche Akteure sowie eine mehrjährige Haftstrafe mit Folter oder anderen Misshandlungen droht, weil dem BF in Folge der Teilnahme an einer Demonstration eine regimekritische Einstellung und Propagandaaktivitäten unterstellt werden. So wird in den Länderinformationen davon berichtet, dass in den letzten Jahren die iranischen Behörden auf wiederholte und weit verbreitete Proteste im ganzen Land mit übermäßiger und tödlicher Gewalt und willkürlichen Verhaftungen von Tausenden von Demonstranten reagiert haben. Aus den Länderinformationen geht auch in Einklang mit dem Vorbringen des BF hervor, dass im November und Dezember 2019 regierungskritische Proteste, die aufgrund einer Benzinpreiserhöhung ausgelöst wurden, stattgefunden haben, und tausende Personen festgenommen wurden. Gegen mindestens 500 Personen wurden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet und die Festgenommenen unmenschlicher Behandlung und Folter unterworfen, um Geständnisse, dass sie Verbindungen zu Oppositionsgruppen oder ausländischen Regierungen haben, zu erzielen. Viele sind auch zu langjährigen Haftstrafen verurteil worden, wie auch der BF gleichbleibend darlegte. Laut den Länderberichten gehen die Sicherheitskräfte weiterhin mit rechtswidriger Gewalt gegen zumeist friedliche Proteste vor, indem sie u.a. scharfe Munition und Schrotmunition einsetzen und Menschen erschossen oder verletzt werden. Aber auch bei den derzeitigen Demonstration zeigt sich das brutale Vorgehen der iranischen Behörden, wo es auch zu Todesfällen gekommen ist.
Der BF schildert auch in der mündlichen Verhandlung in Einklang mit den Länderberichten und den Angaben vor dem Bundesamt, dass er von den iranischen Behörden geschlagen und gefoltert, zu einem Geständnis gezwungen wurde und erst durch Hinterlegung einer Kaution wieder aus der Haft freigekommen ist. Laut den Länderberichten sind die Haftbedingungen in iranischen Gefängnissen von massiver Überbelegung geprägt und sind sehr oft auch gesundheitsschädigend. Es wird über unzureichende Ernährung und vor allem von der Verweigerung notwendiger medizinischer Behandlung, Ungezieferbefall berichtet. Folter und andere Misshandlungen sind entsprechend den Länderfeststellungen nach wie vor weit verbreitet und werden systematisch angewendet – vor allem während Verhören, wie auch der BF glaubhaft berichtete (Seite 9 des Einvernahmeprotokolls; Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Laut den Länderberichten versterben regelmäßig Menschen in Haft und ist die Furcht des BF vor einer menschenrechtsverletzenden Behandlung in Haft in Iran objektiv nachvollziehbar. Auch in dem Gefängnis, dass der BF vorbrachte – im Evin-Gefängnis – wurden Aufnahmen im Jahr 2021 veröffentlicht, auf denen schockierende Folter und Misshandlungen von Gefangenen durch Aufseher und andere Gefangene zu sehen sind. Ebenso steht in Einklang mit den Angaben des BF im Verfahren, dass gemäß den Länderberichten politisch als unzuverlässig geltende Personen manchmal in „sichere Häuser“ gebracht werden, die den iranischen Sicherheitsbehörden unterstehen und dort werden sie ohne Gerichtsverfahren Monate oder sogar Jahre festgehalten. Der BF brachte in diesem Zusammenhang ebenso im gesamten Verfahren vor, dass er nur durch eine Kaution aus der Haft freigelassen wurde und legte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine iranische Besitzurkunde vor, die auf der Rückseite einen großen Stempel mit „Beschlagnahmt erkennen lässt und angeführt wird, dass die Immobilie in Folge der Anweisung des Untersuchungsrichters beschlagnahmt worden ist (Beilage ./4-6 des Verhandlungsprotokolls). Eine Fälschung konnte gemäß der Anfragebeantwortung zur Urkundenüberprüfung konkret nicht festgestellt werden. Diese Vorgehensweise einer Hausbeschlagnahme kann laut Anfragebeantwortung auch bei Strafgerichten nach eigenem Ermessen und je nach Schwere der Straftat anstelle von Untersuchungshaft vom Untersuchungsrichter angeordnet werden. Dies kommt aber bei einer Anklage wegen „Sicherheitsdelikten“, welche dem BF vorgeworfen werden nur sehr selten vor. Die Plausibilität des Vorbringens bleibt hierdurch dennoch gegeben. In der Anfrage der Staatendokumentationen vom 21.07.2022 werden zwar hinsichtlich der weiteren vorgelegten Unterlagen des BF (Gerichtsurteil, Ladung, Kaufvertrag) Bedenken geäußert und Fälschungen nicht ausgeschlossen, aber auch in keinem Fall eine Fälschung klar festgestellt. Auch das durch den BF vorgelegte Video, zeigt, dass die Urkunde im Iran verfügbar ist und die Eintragung der Staatsanwaltschaft tatsächlich auf der Urkunde vorhanden ist. So zeigt sich, dass der BF von den Behörden gesucht und schon festgenommen war.
Im Ergebnis ist bei einer Gesamtbetrachtung aller Ergebnisse des behördlichen und gerichtlichen Ermittlungsverfahrens nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Iran Verfolgung durch staatliche Akteure sowie eine mehrjährige Haftstrafe mit Folter oder anderen Misshandlungen droht, weil er in Folge der Teilnahme an einer Demonstration durch das Revolutionsgericht in Abwesenheit des BF wegen Propagandaaktivitäten und Beschädigung öffentlicher Güter sowie Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt wurde. Der BF hat sich im Zusammenhang mit der freien Erzählung zu seinen Fluchtgründen insbesondere in der mündlichen Verhandlung nicht auf ein allgemeines, oberflächliches Vorbringen beschränkt, sondern machte konkrete sowie ausführliche Schilderungen zu persönlichen Wahrnehmungen und Geschehnisse die zu seiner Flucht führten, nicht bloß vagen oder oberflächlichen Charakters und die insbesondere vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen objektivierbar und plausibel erscheinen. Eine Verfolgung durch staatliche Akteure kann demnach im Falle einer Rückkehr nach Iran nicht ausgeschlossen werden.
2.3. Zu den Feststellungen zur Situation in Iran und zur aktuellen Covid-19-Pandemie:
2.3.1. Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.) stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichten aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
Das Bundesverwaltungsgericht teilte den Verfahrensparteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit, welche Berichte es beabsichtigt, der Entscheidung zugrunde zu legen, und bot die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme an. Den Länderberichten wurde nicht substantiiert entgegengetreten, weshalb für das Bundesverwaltungsgericht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend die Dokumentenüberprüfung, trat der BF insoweit entgegen, indem er mit der Stellungnahme vom 17.08.2022 sehr ausführlich auf die Bedenken zu einzelnen Schlussfolgerungen der beschriebenen Vertrauensperson der Österreichischen Botschaft einging und andere Schlussfolgerungen der getätigten Ermittlungen zog. Diese Bedenken finden in der Beweiswürdigung zu den Fluchtgründen des BF auch Einklang (OZ 13).
2.3.2. Die allgemeinen Feststellungen zur Pandemie aufgrund des Corona-Virus gründen auf unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen und stützen sich jeweils mit einer Vielzahl weiterer Hinweise auf die COVID-19-Risikogruppe-Verordnung, BGBl. II 203/2020; https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html ; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ .
Die Feststellungen zur aktuellen Lage aufgrund der Covid-19-Pandemie in Österreich gründen auf den Infopoint Coronavirus des ORF (https://orf.at/corona/daten/oesterreich ), zu der in Iran auf den von der WHO veröffentlichten (https://covid19.who.int/region/euro/country/ir ). Auf diese gründen sich auch die Angaben zur Impfkampagne in Iran, die Angaben zu der in Österreich gründen auf den veröffentlichen Zahlen des Sozialministeriums zur Corona-Schutzimpfung (https://info.gesundheitsministerium.gv.at ). Die Zahlen zu den durchschnittlichen aktuellen Infektionen basieren auf herausgegebene Zahlen der John-Hopkins-Universität (https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/iran/ ) und auf den Infopoint Coronavirus des ORF (https://orf.at/corona/daten/oesterreich ).
Die Zahlen der Neuinfektionen (ca. 160) und Todesfällen (ca. 3) sowie fallender Tendenz zeigen, dass die Gesundheitseinrichtungen in der Lage sind die Coronapandemie zu bewältigen und es dem BF unbenommen bleibt sich mithilfe einer Impfung sein Risiko zu minimieren.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren:
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit .). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.2. Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.):
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen;“
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (VwGH 24.11.1999, 99/01/0280).
Bei der begründeten Furcht vor Verfolgung muss es sich um eine solche handeln, die aus objektiver Sicht begründet ist und einen weiteren Verbleib des Asylwerbers in seinem Heimatland unerträglich erscheinen lässt (VwGH 25.04.1994, 94/20/0034).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274).
3.2.2. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall findet die oben festgestellte, die den BF treffende und plausibel gemachte Verfolgungsgefahr ihre Deckung in einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe, weil nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass dem BF in Iran eine aktuelle, aus politischen Gründen resultierende Verfolgung maßgeblicher Intensität durch staatliche Akteure droht. Aus den Länderberichten ist ein besonders hartes Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in Iran ableitbar, das auch den Tod von Demonstranten oder schwere Folter, wie Gewalt, willkürliche Festnahmen zur Folge haben kann und Demonstranten zu langjährige Haftstrafen verurteilt werden. (vgl auch ein aktueller Medienbericht vom 26.09.2022; https://orf.at/#/stories/3287070/ : „NGO: Mindestens 76 Todesopfer bei Protesten im Iran: Beim harten Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten im Iran sind nach Angaben der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights (IHR) mindestens 76 Menschen getötet worden. Von der Organisation erlangte Videoaufnahmen und Sterbeurkunden zufolge werde „scharfe Munition direkt auf Protestierende abgefeuert“, erklärte IHR-Direktor Mahmood Amiry-Moghaddam gestern.
Trotz Hunderter Festnahmen reißen die Proteste im Iran nach dem Tod der jungen Mahsa Amini nicht ab.
Amiry-Moghaddam rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, „entschieden und vereint konkrete Schritte“ gegen die „Tötung und Folter“ von Demonstrierenden zu unternehmen. Der Organisation zufolge seien in 14 Provinzen des Landes Todesfälle gezählt worden, 25 allein in Masandaran am Kaspischen Meer. In Teheran seien drei Tote zu beklagen, hieß es.
Behörden melden 1.200 Festnahmen und 41 Tote
Iranische Behörden meldeten zuvor mehr als 1.200 Festnahmen und mindestens 41 Tote, darunter zahlreiche Sicherheitskräfte. „Bei den Unruhen in den vergangenen Tagen wurden in Masandaran 450 Randalierer festgenommen“, erklärte der Generalstaatsanwalt der nordiranischen Provinz, Mohammad Karimi, laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. Am Samstag hatten iranische Behörden bereits 739 Festnahmen gemeldet.“)
Das insgesamt im Wesentlichen gleichbleibende und konkrete Fluchtvorbringen des BF somit auch vor den Länderberichten objektivierbar und stellen die behauptete Festnahme, Misshandlung, Hausbeschlagnahme als Kaution, das ergangene Abwesenheitsurteil und eine mehrjährige (ca. 8 Jahre) Haftstrafe und Verhängung von Peitschenhiebe gezielte Verfolgungsmaßnahmen gegen den BF mit erheblicher Eingriffsintensität dar. Es kann folglich nicht ausgeschlossen werden, dass im Falle einer Rückkehr nach Iran dem BF eine asylrechtlich relevante Verfolgung droht.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht dem BF nicht offen, weil sich – wie sich aus den Länderberichten ergibt – die drohende Verfolgung auf das gesamte Staatsgebiet erstreckt.
Da im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe iSd § 6 Abs. 1 AsylG 2005 hervorkamen und der BF nicht straffällig wurde, war dem BF gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 auszusprechen, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.3. Zur Behebung der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides
Da die Spruchpunkte II. bis VI. des im Spruch bezeichneten Bescheides voraussetzen, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, sind diese ohne weitere Prüfung ersatzlos zu beheben und ist insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
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